16 Januar 2011

Bettine von Arnim, geb. von Brentano

Dass Bettines Buchtitel "Dies Buch gehört dem König" auf einen Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm IV. aus der Zeit, als er Kronprinz war, aufbauen konnte, war mir nicht klar.
Was in der Wikipedia noch heißt: "1840 bewirkte ihr Einfluss, dass die Brüder Grimm – wegen der Zugehörigkeit zu den Göttinger Sieben seit 1837 mit Berufsverbot belegt – einen Ruf an die Berliner Universität annehmen konnten", ist ungenau. Sie wurden aus der Privatschatulle des Königs bezahlt. Bettine hatte ihren Freund Savigny in hochemotional-aggressiven Schreiben aufgefordert, etwas für die Grimms zu tun,  und Friedrich Wilhelm selbst angeschrieben, so dass dieser nach dem Tode seines Vaters als einen Programmpunkt aufnahm, Berlin bedeutende Gelehrte zuzuführen.

15 Januar 2011

Dichters Ort

Über zwei Jahrzehnte hat das Buch in meinem Bücherregal gestanden und ich habe es nicht beachtet. Jetzt habe ich etwas länger hinein gesehen und bin sehr beeindruckt: „Dichters Ort” von Werner Liersch.

Es ist eine Literaturgeschichte, die von Regionen und Orten ausgeht. Da sie zur Zeit der DDR geschrieben worden ist, ist sie nach Bezirken gegliedert.

Ich kannte das Bauprinzip von Drabble: A Writer's Britain.* Aber während es dort primär um Autoren geht, die ihre Landschaft beschrieben haben, hält Liersch für jeden Ort fest, welcher Schriftsteller von einigem Rang sich dort aufgehalten hat.
So geben sich bei ihm in Erfurt Personen ein Stelldichein, die nicht nur durch die Zeit weit getrennt waren, die aber zum Teil auch gut befreundet waren.
Meister Eckhart, Crotus Rubeanus (mit Luther und von Hutten befreundet), Luther, Eobanus Hessus (Eoban Koch), Ulrich von Hutten, Kaspar Stieler, Wieland, Goethe, der hier mit Napoleon sprach, Schiller, Wilhelm von Humboldt.

Zu Magdeburg nennt er u.a. Georg Rollenhagen, Immermann, Spielhagen, Raabe, Georg Kaiser und Erich Weinert.
Er legt Wert darauf, keine Porträts der Dichter versucht, sondern sich strikt auf Ortsbezogenes beschränkt zu haben. Doch die Tagebuchpassagen, Briefauszüge, Kurzangaben den verschiedenen Besuchen am Ort und - im Fall von unbekannteren Schriftstellern - zum Leben sind gerade weil sie sich des Urteils über den Rang eines Dichters oder einer Dichtung enthalten, höchst lebendig und persönlich anrührend, den Autor charakterisierend.

Seinen charakteristischen Reiz entfaltet das Werk freilich vor allem bei kleinen Orten. So, wenn man erfährt, dass Nennhausen im Kreis Rathenow vor allem der Ort Friedrich de la Motte Fouqués war, und Liersch über ihn berichtet:
Friedrich de la Motte Fouque bewohnte nach seiner Heirat mit Karoline v-Briest, verw. Rochow im Januar 1803 bis zum Tode seiner Frau Gut und Schloß Nennhausen mit seinem ausgedehnten und vielgerühmten Park.
[...] Hier weilten u. a. A. W. Schlegel, Wilhelm von Humboldt, Adelbert von Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Varnhagen von Ense, Willibald Alexis.
(Dichters Ort, S.98/99)
Und dann Varnhagen von Ense zitiert:
Die üppigste Fruchtbarkeit und anmutigste Leichtigkeit ließen ihm alles zu Gedichten und Reimen werden, was er nur berührte und diese Art von Stegreifgedichten, die stete Gegenwart dieser poetischen Regung und Äußerung erhöhte für seine nähern Freunde, die das Hervorbringen mitansahen, den Reiz und die Wärme seiner Dichtergebilde, welche, für sich allein und von ihrem Entstehen getrennt betrachten, allerdings etwas zu stark in die grünen Blätter geschossen dünkten. Mich aber bezauberte dieses reiche Wachstum, das sich gleichsam unter meinen Augen entfaltete und mehrte, denn Fouque hatte nicht nur ganze Schubladen mit schon abgeschlossenen Handschriften gefüllt, sondern in der kurzen Zeit unserer Anwesenheit sahen wir den Vorrat um große und kleine Stücke bereichert; jeder Tag und jede Stunde, besonders aber regelmäßig der frühere Nachmittag, fand Fouque zum Schreiben aufgelegt,  und dann schrieb er seine Sachen, Lyrisches und Dramatisches und gleicherwreise epische Prosa, fast ohne auszustreichen, ununterbrochen hin, so schnell die Feder laufen mochte. (zitiert nach Liersch: Dichters Ort, S.99) 
Fouqué hatte großen Erfolg, und sein Vielschreiben störte nur seine Konkurrenten, bis er dann außer Mode geriet und sich traurig vereinsamt fand. Uns bleibt von seinen Werken die "Undine".
Günter de Bruyn merkt an, dass Fouqué fast 50 Jahre im Havelland lebte, "dreißig davon schreibend; in seinen Werken aber war es so gut wie nicht erschienen. Das Havelland war die Wirklichkeit. Aus ihr aber war Fouqués Dichtung nicht gemacht." (de Bruyn: Mein Brandenburg, S.90)
Fouqué war also ein Autor, der nie in Drabbles: A Writer's Britain aufgenommen worden wäre, in diesen Dichterorten der DDR aber seinen angemessenen Platz fand.

Genauso wie Bodo Uhse, heute fast vergessen, dessen Erwähnung bei Groß Glienicke, Kreis Potsdam, aber deutlich macht, was die Kulturlandschaft der DDR ausmachte: Emporheben sozialistischer Schriftsteller und Pflege des ideologisch ungefährlichen Erbes. Autoren wie de Bruyn und Christa Wolf kommen freilich nur als Zeugen vor, an ihren Lebensorten werden sie nicht erwähnt. Wolf Biermann durfte freilich gar nicht auftauchen.
Über Uhse schreibt Liersch:
Im September 1948 kehrte Bodo Uhse aus dem mexikanischen Exil zu­rück. Die Hejmkehr hatte sich u. a. dadurch verzögert, daß Uhse das Rei­segeld für seine Familie fehlte. Die erste Notiz auf deutschem Boden schrieb Uhse am 14. September 1948 im Gästehaus der SED in der Berli­ner Wallstraße:
»Es ist nach zwölf Uhr nachts. Ich sitze in einem recht kahlen Raum der Wallstraße und versuche Klarheit zu bekommen über diese ersten Eindrücke, die wie Bruchstücke eines Mosaiks vor mir liegen, dabei weiß ich nicht, daß ich sie noch gar nicht einmal zusammenfügen kann, denn so vieles noch fehlt, so vieles, das ich noch gar nicht kennen kann: darunter das Wesentlichste: der deutsche Mensch dieser Zeit — an ihn heranzukommen ist das Wichtigste und Dringendste.
Um ihn habe ich schließlich all diese Jahre im Auslande gerungen. Ich habe viele bittere Worte über ihn gehört — und selber manches Bittere über ihn geschrieben, denn ich kenne ja den Unbekannten gut, er lebt ja in mir, und der Sinn meiner Rückkehr ist, sein Schicksal wieder zu mei­nem Schicksal werden zu lassen. [...] (Dichters Ort, S.94)
Dann zitiert Liersch Uhses Tagebuchnotizen  vom 9.2.1953, die deutlich machen, was die stalinistische DDR eben auch war:
Nur gut, daß es zuvor reichlich Schnee gegeben hat, der die Wintersaat in der Erde schützt. Aber in der Laube will es nicht recht warm werden, trotz des Ofens. Ich fühle die Kälte auf den Knien, immer wieder muß ich aufspringen und mir die Hände reiben. Die Arbeit leidet darunter. Von morgens um acht bis abends um sieben sitze ich in der Laube. Verliere nur mittags eine Stunde. Aber am Freitag kamen trotzdem nicht mehr als zwei Seiten heraus.
Bei der Durchsicht der Tagesnotizen dieser letzten Wochen fällt eines auf: das Verlangen nach gefühlsmäßiger Wärme, nach Nähe und Identifizierung mit den handelnden Menschen, nach ihrer Durchdringung. Also nach Naivität, nach Aufhebung der Distanz. [...] (Dichters Ort, S.95)
* Drabble auf Youtube über ihr Buch