30 April 2016

Der Übersetzer fragt sich, ob noch der echte Sancho Pansa spricht

Von der verständigen und kurzweiligen Zwiesprach, die zwischen Sancho Pansa und seinem Weib Teresa Pansa geschehen, benebst andern Vorgängen, so eines seligen Gedächtnisses würdig sind (Indem der Übersetzer dieser Geschichte an die Niederschrift dieses fünften Kapitels kommt, bemerkt er, er halte es für unecht, weil Sancho Pansa darin in einer ganz andern Art spricht, als man von seinem beschränkten Geist erwarten durfte, und so scharfsinnige Dinge sagt, daß man deren Kenntnis unmöglich bei Sancho annehmen könne. Indessen wollte er, um seiner Pflicht zu genügen, es doch nicht unübersetzt lassen und fährt daher folgendermaßen fort:) Sancho kam so wohlgemut und vergnügt nach Hause, daß seiner Frau sein vergnügtes Wesen schon auf Büchsenschußweite auffiel und sie zu der Frage veranlaßte: »Was bringst du, lieber Sancho, daß du so vergnügt bist?« Darauf antwortete er: »Liebes Weib, wenn Gott es so wollte, so würde ich mich freuen, nicht so heiter zu sein, wie mein Aussehen zeigt.« »Mann, ich versteh dich nicht«, entgegnete Teresa, »und weiß nicht, was du damit meinst, daß du dich freuen würdest, wenn Gott es so wollte, nicht heiter zu sein; denn bin ich auch ein dummes Ding, so kenne ich doch keinen, der Vergnügen daran haben könnte, daß er keines hat.« »Sieh, Teresa«, erklärte Sancho, »ich bin vergnügt, weil ich den Entschluß gefaßt habe, wieder in den Dienst meines alten Herrn Don Quijote zu treten, der zum drittenmal auf Abenteuer ausziehen will, und ich will abermals mit ihm hinaus, denn so erheischt es meine bedrängte Lage sowie die Hoffnung, die mich heiter stimmt, ob ich vielleicht noch einmal hundert Goldtaler wie die bereits ausgegebenen finden kann; obwohl es mich traurig macht, daß ich mich von dir und meinen Kindern trennen soll. Und wenn es Gott gefiele, mir mein Stückchen Brot zu geben, ohne daß ich nötig hätte, aus dem Hause zu gehen und mir die Füße naß zu machen und mich über Stock und Stein und auf Kreuzwegen herumzuschleppen – und das könnte ich von Gott sehr wohlfeil haben, weil er es nur zu wollen brauchte –, dann hätte doch natürlich meine Fröhlichkeit weit mehr Bestand und einen ganz andern Wert, denn jetzt ist sie vermischt mit der Betrübnis, dich verlassen zu müssen. Und darum hab ich mit Recht gesagt, ich würde mich freuen, wenn Gott wollte, daß ich nicht vergnügt wäre.« »Nun sieh, Sancho«, versetzte Teresa, »seit du dich zum Glied eines fahrenden Ritters gemacht hast, sprichst du auf eine so verblümte Manier, daß dich keiner versteht.« »Es ist schon genug, wenn mich Gott versteht, Weib«, entgegnete Sancho, »er ist's, der alles versteht. Lassen wir's dabei bleiben, und merk dir, daß du die nächsten drei Tage den Grauen wohl zu pflegen hast, so daß er imstande ist, aufs Waffenwerk zu ziehen. [...]
Es gibt genug Leute in der Welt, die ohne Statthalterei leben, und sie sind geradeso am Leben und zählen unter den andern mit. Hunger ist der beste Koch; und da der dem Armen nie fehlt, so schmeckt ihm immer sein Essen. Aber schau nur, Sancho, wenn du im glücklichen Falle doch zu einer Statthalterschaft kommen solltest, so vergiß mich und deine Kinder nicht, bedenke, daß Klein-Sancho schon volle fünfzehn Jahre alt ist, und da gehört es sich, daß er in die Schule geht, wenn nämlich sein Oheim, der geistliche Herr, ihn für die Kirche bestimmen will. Denk ferner daran, daß deine Tochter Marisancha auch nicht dran sterben wird, wenn wir sie verheiraten; denn sie läßt schon durchblicken, daß sie sich ebensosehr einen Mann wünscht wie du eine Statthalterei, und zuletzt und am Ende gilt's doch für ein Mädchen: Besser ein Ehemann mit Hunger und Not als ein Liebhaber mit Zuckerbrot.« »Wahrlich«, entgegnete Sancho, »wenn mir Gott so was wie eine Statthalterei beschert, dann, liebes Weib, werde ich Marisancha so vornehm verheiraten, daß keiner an sie hinaufreicht, als wer sie mit gnädige Frau anredet.« [...]
»Nein, nicht so«, widersprach Teresa; »verheirate sie mit ihresgleichen, das ist das richtigste; denn wenn du sie aus ihren Holzschuhen nimmst und in Hackenschuhe steckst und aus ihrem grauen Barchentkittel in einen Puffrock mit einem Überkleid von Seide und aus einem Mariechen mit Du zu einer Doña Soundso und Euer Gnaden machst, so findet sich das Mädel nicht zurecht und wird bei jedem Schritt in tausend Fehler verfallen und den groben Faden ihres derben Stoffes jeden Augenblick merken lassen.« »Schweig still, alberne Törin«, sprach Sancho; »es handelt sich nur darum, daß sie sich zwei, drei Jahre dran gewöhnt, und nachher wird ihr das herrschaftliche Wesen und das Vornehmtun sitzen wie angegossen; wenn aber auch nicht, was liegt daran? Wenn sie nur gnädige Frau wird, dann mag's gehen, wie es will.« »Nimm dein Maß nach deinem Stande, Sancho«, entgegnete Teresa, »und begehre nicht höher hinauf und denk an den Spruch: Kommt deines Nachbars Sohn, so schneuz ihm die Nase und nimm ihn ins Haus auf. Das wäre schon was Schönes, unsre Maria mit einem Lümmel von einem Grafen oder Ritter zu verheiraten, der, wenn's ihm einfällt, ihr aufs ärgste mitspielt und sie eine Bäuerin nennt und sie ein Kind vom Ackerknecht und von der Flachszupferin schimpft. Nie, solang ich lebe, Mann! Jawohl, zu so was hab ich meine Tochter erzogen! Schaff du nur Geld ins Haus, Sancho, und für ihre Verheiratung laß mich sorgen. [...]
»Weißt du warum, Mann?« antwortete Teresa, »weil das Sprichwort sagt: Wer dir was schenkt, zeigt, daß dir was fehlt. Von dem Armen wendet jeder die Augen in aller Eile ab, auf dem Reichen läßt er sie lange haften; und wenn solch ein reicher Mann eine Zeitlang ein armer gewesen, da kommt die üble Nachrede und das Lästern, und was ärger, die Lästerer lassen nicht mehr vom Lästern ab, und deren gibt es auf allen Gassen haufenweise wie Bienenschwärme.« »Gib acht, Teresa«, entgegnete Sancho, »und höre, was ich dir jetzt sage; vielleicht hast du's all dein Lebtag nicht gehört, und jetzt rede ich nicht aus mir, denn alles, was ich dir zu sagen gedenke, sind Sprüche des Paters vom Predigerorden, der im verflossenen Jahr in unserm Dorf die Fastenpredigten hielt. Der hat gesagt, wenn ich mich recht entsinne, daß alle Dinge, die unser Auge in der Gegenwart erschaut, weit besser und mit gewaltigerer Kraft sich in unsrem Gedächtnis darstellen, haften und verbleiben als das Vergangene.« (Was Sancho hier alles sagt, ist die zweite Stelle, um derentwillen der Übersetzer dieses Kapitel für untergeschoben hält, weil es über Sanchos Fassungskraft hinausgeht. Er fuhr folgendermaßen fort:) »Davon kommt es her, daß, wenn wir jemanden stattlich angetan und mit reichen Kleidern geschmückt sehen, wir das Gefühl haben, als ob er uns mit Gewalt dazu treibe und nötige, ihm Ehrerbietung zu bezeigen, obwohl unser Gedächtnis uns im nämlichen Augenblick die niedrigen Umstände vorstellt, in denen wir selbige Person gesehen haben; denn da diese Schmach, ob sie nun von Armut oder von niederer Geburt herkommt, schon eine vergangene ist, so besteht sie nicht mehr, und es besteht nur, was wir als Gegenwärtiges sehen. Und wenn der Mann, den das günstige Geschick aus den rohen Anfängen seiner Niedrigkeit hervorzog bis zur Höhe seines Glücks – mit denselben Worten hat das der Pater gesagt –, wenn der Mann also sich wohlgesittet, freigebig und höflich gegen jedermann benimmt und sich in keine Nörgeleien mit denen einläßt, die von altem Adel sind, so kannst du sicher glauben, Teresa, es wird kein einziger daran denken, was er gewesen, sondern jeder ehrt in ihm, was er ist, ausgenommen die Neidhammel, vor denen keines Menschen glückliches Geschick sicher ist.«
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil 6. Buch 5. Kapitel)

Don Quijote erfährt, dass er in einer Erzählung vorkommt

Don Quixote war sehr nachdenklich, indem er den Baccalaureus Carrasco erwartete, von dem er Neuigkeiten über sich selbst zu hören hoffte, die, wie Sancho sagte, in einem Buche abgefaßt waren; er konnte sich nicht überreden, daß eine solche Geschichte da sei, denn auf der Klinge seines Schwertes war ja kaum das Blut der Feinde getrocknet, die er getötet hatte, und doch wollte man behaupten, daß seine glorreiche Ritterschaft schon durch den Druck verbreitet wäre. Bei alledem mußte er sich einbilden, daß ein Weiser, entweder sein Freund oder Feind, durch die Kunst der Zauberei das Buch dem Druck übergeben habe; wenn sein Freund: um seine Taten vor denen der berühmtesten irrenden Ritter zu erheben und auszuzeichnen; wenn sein Feind: um sie zu vernichten oder sie unter die gemeinsten herabzuwürdigen, die man nur jemals von einem gemeinen Stallmeister beschrieben hätte; obgleich, wie er zu sich selber sagte, niemals die Taten der Stallmeister wären beschrieben worden; wenn es also Wahrheit sei, daß es eine solche Historie gäbe, so folge auch, da sie von einem irrenden Ritter handle, daß sie großtönend, erhaben, wundervoll, prächtig und wahrhaftig sein müsse. Hiermit tröstete er sich einigermaßen; aber er wurde von neuem trostlos, wenn er daran dachte, daß sein Autor, nach dem Namen Cide zu schließen, ein Mohr sei und wie sich von den Mohren keine Wahrhaftigkeit hoffen ließe, weil alle Lügner, Betrüger und Phantasten sind. Er fürchtete auch, daß er seiner Liebe irgend Unanständigkeiten möchte beigemischt[25] haben, die der Keuschheit seiner Dame Dulcinea von Toboso zum Nachteil gereichen könnten; er wünschte, daß er seine Treue und Zucht dargestellt habe, die er immer bewahrt, Königinnen, Kaisertöchter und Jungfrauen alles Standes verschmähend, indem er die Gewalt der natürlichen Triebe im Zaume gehalten. Und so, zwischen diesen und vielen andern Gedanken hin und her geworfen, fanden ihn Sancho und Carrasco, welchen Don Quixote mit vieler Höflichkeit empfing.
Der Baccalaureus, ob er gleich Simson hieß, war in Ansehung seines Körpers nicht groß, aber ein großer Schelm, von bleicher Farbe, aber von sehr gutem Verstande; er war ungefähr vierundzwanzig Jahre alt, von rundem Gesicht, platter Nase und großem Munde, alles Zeichen von einem boshaften Gemüt, und daß er ein Freund von Scherzen und Späßen sei, wie er es auch gleich bewies, als er des Don Quixote ansichtig wurde, indem er sich vor ihm auf die Knie warf und sagte: »Gebe mir Eure Hoheit, Herr Don Quixote von la Mancha, die Hand; denn bei diesem meinem Gewande des heiligen Petrus, ob ich gleich nur die vier ersten Weihen empfangen habe, Euer Gnaden ist einer der berühmtesten irrenden Ritter, die auf dem Erdenrunde gewesen sind oder jemals sein werden. Gepriesen sei Cide Hamete Benengeli, der die Geschichte Eurer großen Taten niederschrieb, und gesegnet sei der fleißige Mann, der die Mühe über sich nahm, sie aus dem Arabischen, zur allgemeinen Ergötzung aller Leute, in unsere kastilianische Sprache zu übersetzen.«
Don Quixote hob ihn auf und sagte: »So ist es denn also wahr, daß es eine Historie von mir gibt und daß ein Mohr und Weiser Verfasser derselben ist?«
»Dieses ist so sehr die Wahrheit, mein Herr«, antwortete Simson, »daß ich glaube, daß heutiges Tages mehr als zwölftausend Exemplare von dieser Historie gedruckt sind. Sie ist wenigstens in Portugal, Barcelona und Valenzia in Druck erschienen, ja man sagt, daß sie auch in Antwerpen aufgelegt werde, und ich bin überzeugt, daß es keine Nation und keine Sprache geben wird, in die man dieses Buch nicht übersetzt.«
»Eins von den Dingen«, sagte hierauf Don Quixote, »was einen tugendhaften und vorzüglichen Mann besonders vergnügen muß, ist das: sich noch bei Lebzeiten, mit einem guten Namen im Munde der Leute, gedruckt und in Büchern dargestellt zu sehen; ich sage, mit einem guten Namen, denn das Gegenteil wäre schlimmer als der schlimmste Tod.«
»Wenn es auf gutes Gerücht und guten Namen ankommt«, sagte der Baccalaureus, »so tragt Ihr dadurch allein schon die Palme vor allen übrigen irrenden Rittern davon; denn sowohl der Mohr in seiner Sprache als der Christ in der seinigen haben Sorge getragen, ganz nach dem Leben Euren edlen Anstand abzuschildern, Eueren kühnen Sinn beim Aufsuchen der Gefahr, Eure Geduld in Widerwärtigkeiten und Eure Standhaftigkeit sowohl in Unglücksfällen als bei Verwundungen; die Keuschheit und Enthaltsamkeit in Eurer durchaus platonischen Liebe gegen die Dame Doña Dulcinea von Toboso.«
»Niemals«, sagte jetzt Sancho Pansa, »habe ich die Dame Dulcinea Doña nennen hören, sondern nur die Dame Dulcinea von Toboso, das ist denn schon in der Geschichte ein Fehler.«
»Das ist kein Einwurf von Wichtigkeit«, antwortete Carrasco.
»Nein, wahrlich nicht!« antwortete Don Quixote. »Aber sagt mir doch gefälligst, Herr Baccalaureus, welche von meinen Taten sind diejenigen, die man in der Historie am meisten würdigt?«
»Hierüber«, antwortete der Baccalaureus, »gibt es unterschiedliche Meinungen, so wie der Geschmack selber verschieden ist; einige halten sich an das Abenteuer mit den Windmühlen, die Euch Briareus und Riesen schienen; andere ziehen das mit den Walkmühlen vor; diese ergötzen sich an der Beschreibung der beiden Armeen, die sich nachher als zwei Herden von Hämmeln auswiesen; jener zieht das mit der Leiche vor, die man fortführte, um sie zu Segovia beizusetzen; ein anderer behauptet, daß die Befreiung[26] der Ruderknechte alles übrige übertreffe; wieder ein anderer, daß nichts dem mit den beiden Benediktinerriesen und dem Kampfe mit dem tapfern Biscayer gleichkomme.«
»Sagt mir doch, Herr Baccalaureus«, sprach hierauf Sancho, »kommt denn auch das Abenteuer mit den Yanguesern vor, als es unserem guten Rozinante einfiel, Trauben von den Dornen zu lesen?«
»Nichts«, antwortete Simson, »hat der Weise im Tintenfasse zurückgelassen, alles sagt er und alles führt er aus, sogar bis auf die Kapriolen, die der gute Sancho im Bettuche machte.«
»Im Bettuche machte ich keine Kapriolen«, antwortete Sancho, »aber in der Luft wohl, und noch dazu mehr, als mir lieb sein konnte.«
»Ich stelle mir vor«, sagte Don Quixote, »daß es keine menschliche Historie in der Welt geben könne, die nicht ihre Unebenheiten habe, vorzüglich aber, wenn sie von Ritterschaft handelt, wo alsdann durchaus nicht lauter glückliche Begebenheiten erzählt werden können.«
»Dessenungeachtet«, antwortete der Baccalaureus, »behaupten einige, welche die Historie gelesen haben, daß es ihnen lieber sein würde, wenn die Autoren etwelche von den unzähligen Schlägen vergessen hätten, die bei unterschiedlichen Vorfällen dem Herrn Don Quixote zugeteilt wurden.«
»Doch ist die Historie darin auf der wahren Spur«, sagte Sancho.
»Aber billigerweise hätten sie dieses verschweigen können«, sagte Don Quixote, »denn diejenigen Vorfälle, die an der Wahrhaftigkeit der Historie nichts verändern oder verrücken, brauchen nicht beschrieben zu werden, wenn sie Veranlassung geben, den Helden der Geschichte geringschätziger zu machen. Wahrlich, Aeneas war nicht so fromm, als ihn Virgilius darstellt, noch Ulysses so weise, wie ihn Homerus beschreibt.«
»Das ist wahr«, versetzte Simson; »aber ein anderes ist es als Poet, ein anderes als Historiker schreiben. Der Poet darf die Dinge sagen oder singen, nicht wie sie gewesen sind, sondern wie sie hätten sein sollen; der Historiker aber muß sie beschreiben, nicht wie sie sein sollten, sondern wie sie gewesen sind, ohne der Wahrheit das Kleinste hinzuzufügen oder abzunehmen.«
»Wenn aber der Herr Mohr darauf ausgegangen ist, Wahrheit zu sprechen«, sagte Sancho, »so bin ich versichert, daß sich unter den Schlägen meines Herrn auch die meinigen befinden, denn dem Gnädigen wurde keinmal das Maß des Rückens genommen, ohne daß sie es mir nicht vom ganzen Körper genommen hätten; aber darüber muß man sich nicht verwundern, denn, wie mein Herr dort selber sagt, an dem Schmerze, den das Haupt leidet, müssen auch die Glieder teilnehmen.«
»Ihr seid ein Schelm, Sancho«, antwortete Don Quixote, »es fehlt Euch wahrhaftig nicht am Gedächtnis, wenn Ihr nur eine Sache behalten wollt.«
»Wenn ich auch die Püffe vergessen wollte, die ich bekommen habe«, sagte Sancho, »so würden das doch die Striemen nicht zugeben, die mir noch ganz frisch auf den Rippen stehen.«
»Schweigt, Sancho«, sagte Don Quixote, »und unterbrecht den Herrn Baccalaureus nicht, den ich inständigst bitte, mir ferner zu sagen, was noch weiter von mir in der bewußten Historie erzählt wird.«
»Und was von mir«, sagte Sancho, »denn man sagt ja, daß ich einer von den vorzüglichsten Karakkern darin bin.«
»Charakteren und nicht Karakkern, Freund Sancho«, sagte Simson.
»Haben wir noch einen, der die Viehkabeln zurechtschneiden will?« sagte Sancho; »geraten wir erst dahinein, so kommen wir das ganze Leben hindurch nicht zu Ende.«
»Der Himmel möge es mir nicht wohlgehen lassen«, antwortete der Baccalaureus, »wenn Ihr nicht der zweite Charakter in der Historie seid und wenn es nicht manchen gibt, der Euch lieber reden hört als den Ausbündigsten im ganzen Buch; obwohl es auch andere gibt, welche sagen, daß Ihr noch darin[27]allzu leichtgläubig wäret, zu glauben, daß das mit der Statthalterschaft jener Insel wahr sein könne, die Euch vom Herrn Don Quixote versprochen ist, der sich hier gegenwärtig befindet.«
»Noch ist nicht aller Tage Abend«, sagte Don Quixote, »und wenn Sancho mehr wird in die Jahre gekommen sein, so wird er mit der Erfahrung, die das Alter gibt, auch mehr qualifiziert und geschickt sein, Statthalter zu werden, als er sich jetzt dazu eignet.«
»Meiner Seel, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »die Insel, die ich nicht mit den Jahren, welche ich jetzt habe, regieren kann, werd ich auch nicht mit Methusalems Jahren regieren können. Das Unglück ist nur, daß diese Insel sich, weiß Gott wo, versteckt hält; aber daran liegt's nicht, daß ich nicht Kopfs genug habe, sie zu statthaltern.«
»Empfiehl Gott deine Sache, Sancho«, sagte Don Quixote; »denn alles wird glücklich gehen und vielleicht glücklicher, als du es denkst: denn kein Blatt am Baume regt sich ohne Gottes Willen.«
»Das ist sehr wahr«, antwortete Simson, »wenn Gott es will, wird es Sancho nicht an tausend Inseln zu regieren fehlen, geschweige an einer.«
»Ich habe doch schon Statthalter gesehen«, sagte Sancho, »die nach meiner Einsicht nicht verdienten, mir die Schuhriemen aufzulösen, und die man dennoch Exzellenzen nannte und die von Silber speisten.«
»Diese sind keine Statthalter von Inseln«, versetzte Simson, »sondern von anderen unbedeutenden Statthalterschaften; diejenigen, die Inseln regieren, müssen wenigstens den Syntax innehaben.«
»Was den Sinn betrifft«, sagte Sancho, »der wird schon kommen, wie auch mein Herr sagt, aber um den Tax gräme ich mich nicht und kümmere mich nicht, denn ich verstehe nichts davon. Wir wollen aber diese Statthalterei der Güte Gottes überlassen, der mich schon da anstellen wird, wo er mich am besten brauchen kann; ich sage nur, Herr Baccalaureus Simson Carrasco, daß das mir ein ganz erstaunliches Vergnügen macht, daß der Autor der Historie so von mir gesprochen hat, daß die Dinge, welche von mir vorkommen, nicht verdrießlich fallen; denn so wahr ich ein braver Stallmeister bin, hätte er Dinge von mir vorgebracht, die sich nicht für einen alten Christen, wie ich bin, schicken, ei, so sollten die Blinden sehen, was daraus entstehen würde!«
»Das hieße ja Wunderwerke verrichten«, antwortete Simson.
»Wunderwerke oder nicht Wunderwerke«, sagte Sancho, »ein jeder sehe zu, wie er spricht und wie er die Karakkers beschreibt, und schmeiße nicht husch musch das erste hin, was er sich nur inmarginiert.«
»Einer von den Flecken, den man an dieser Historie tadelt«, sagte der Baccalaureus, »ist, daß der Autor eine Novelle hineingebracht hat, unter dem Titel: ›Die unziemliche Neugier‹, nicht deswegen, weil sie schlecht oder übel geschrieben ist, sondern weil sie da nicht hingehört und nicht den mindesten Zusammenhang mit der Geschichte des Herrn Don Quixote hat.«
»Ich will wetten«, versetzte Sancho, »daß der dumme Kerl Kohl und Rüben durcheinandergemengt hat.«
»Jetzt behaupte ich«, sprach Don Quixote, »daß der Autor meiner Historie kein Weiser, sondern ein unwissender Schwätzer gewesen, der auf gut Glück und ohne Plan sich zum Schreiben niedersetzte, werde daraus, was da wolle, wie es Orbaneja, der Maler von Ubeda, machte, der, als man ihn fragte, was er male, zur Antwort gab: ›Was daraus wird.‹ Dieser malte einmal einen Hahn, der so unscheinbar herauskam, daß er mit gotischen Buchstaben darunter schreiben mußte: ›Dieses ist ein Hahn.‹ So wird es auch mit meiner Historie beschaffen sein, die gewiß eines Kommentars bedarf, um verstanden zu werden.«
»Durchaus nicht«, antwortete Simson, »denn sie ist so klar, daß sich keine einzige Schwierigkeit darin befindet. Die Kinder tragen sich damit, junge Leute lesen sie, die Männer verstehen sie, und die Alten preisen sie; kurz, sie wird so gehandhabt, gelesen und studiert von allen Arten von Leuten, daß sie kaum[28] einen dürren Klepper gewahr werden, so rufen sie: ›Da geht Rozinante!‹; und diejenigen, die sich dieser Lektüre am meisten ergeben haben, sind die Pagen. Es gibt kein Vorzimmer eines angesehenen Mannes mehr, wo sich nicht ein Don Quixote befände; einer nimmt ihn, wenn ihn der andere kaum hingelegt hat; hier bittet einer, dort zankt einer darum; kurz, diese Historie ist die allerunterhaltendste und unschädlichste Zeitverkürzung, die noch je erschienen ist, denn in dem ganzen Buche findet man nicht auch nur von weiten einen unanständigen Ausdruck noch einen Gedanken, der gegen die Religion wäre.«
»Auf andere Weise schreiben«, sagte Don Quixote, »hieße auch nicht Wahrheit, sondern Lügen schreiben, und die Historiker, die sich der Lügen befleißigen, sollten, so wie die falschen Münzer, verbrannt werden. Ich begreife aber nicht, was den Autor bewog, sich der Novellen und fremden Erzählungen zu befleißigen, da er von mir so viel zu schreiben hatte! Es mag aber vielleicht auf ihn das Sprichwort passen: Wo man keinen Hafer findet, füttert man mit Häcksel; denn wahrlich, wenn er nur meine Gedanken, Seufzer und Tränen ausgedrückt hätte, meine guten Wünsche und Vorsätze, so hätte er daraus einen ebenso großen, ja größern Band machen können, als die gesamten Werke des Tostado nur immer ausmachen mögen. Soviel ich davon begreife, Herr Baccalaureus, gehört ein großer Verstand und ein reifes Urteil dazu, um Historien zu verfassen; Lustigkeiten zu sagen und Scherze niederzuschreiben, dazu gehört ein großes Genie. Die verständigste Figur der Komödie ist die des Tölpels; denn er muß es nicht selber sein, der uns zu verstehen gibt, er sei dumm. Die Historie ist eine fast heilige Sache, denn sie soll wahrhaftig sein, und wo die Wahrheit ist, ist Gott in Absicht der Wahrheit; aber trotz allem diesem gibt es jetzt Leute, die Bücher verfassen und von sich werfen, nicht anders, als ob sie Semmeln backten.«
»Doch gibt es kein so schlechtes Buch«, sagte der Baccalaureus, »worin nicht irgend etwas Gutes stände.«
»Das leidet keinen Zweifel«, versetzte Don Quixote; »es trifft sich aber oft, daß diejenigen, welche durch ihr Verdienst und durch ihre Schriften sich einen großen Ruhm erworben haben, ihn sogleich entweder ganz verlieren oder ihn doch sehr vermindert sehen, wenn sie ihre Werke der Presse übergeben.«
»Die Ursache davon ist«, sagte Simson, »daß man die gedruckten Werke mit mehr Muße übersieht, wo denn die Fehler leichter zum Vorschein kommen, und man desto genauer kritisiert, je größer der Ruhm dessen ist, der das Buch verfaßt hat. Die durch ihr Genie berühmten Männer, die großen Poeten, die berühmten Geschichtschreiber werden immer oder doch meistenteils von denen beneidet, die sich ein Vergnügen und eine besondere Unterhaltung daraus machen, über die Schriften anderer zu urteilen, ohne selbst irgend etwas an das Licht zu stellen.«
»Dieses ist nicht zu verwundern«, sagte Don Quixote; »denn es gibt viele Theologen, die auf der Kanzel nichts taugen würden, die aber doch sehr gründlich die Fehler und Mängel derer, welche predigen, erkennen.«
»Alles dieses ist sehr wahr, Herr Don Quixote«, sagte Carrasco; »ich wünschte aber, daß dergleichen Urteilssprecher etwas mitleidiger und weniger ekel wären und nicht ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf die kleinen Stäubchen eines glänzenden Werkes richteten, das sie bekritteln, denn si ›aliquando bonus dormitat Homerus‹, müssen sie auch erwägen, wie lange er wachte, um seinem Werke den Glanz und so wenig Schatten als möglich zuzuteilen. Es kann auch wohl der Fall sein, daß das, was ihnen mißfällt, ein Naturmal ist, das oft die Schönheit des Gesichtes erhöht, auf welchem es sich zeigt. Ich behaupte daher, daß derjenige das größte Wagestück unternimmt, der ein Buch von sich drucken läßt; denn unter allen Unmöglichkeiten ist die die unmöglichste, es so zu verfassen, daß es allen recht sei, die es lesen, und alle zufriedenstelle.«
»Dasjenige, welches von mir handelt«, sagte Don Quixote, »wird wohl nur wenige zufriedengestellt haben.«[29]
»Gerade umgekehrt: denn da ›stultorum infinitus est numerus‹, so sind auch diejenigen unzählig, welche an dieser Historie Vergnügen finden. Einige darunter rücken dem Autor einen Mangel des Gedächtnisses vor, denn er hat zu erzählen vergessen, wer der Räuber war, der dem Sancho seinen Grauen stahl; denn dieses wird doch nicht deutlich, sondern man findet nur geschrieben, daß er ihm gestohlen wurde, und bald darauf finden wir ihn auf seinem eigenen Esel wieder beritten, ohne daß dieser zum Vorschein gekommen. Auch sagen sie, daß er das zu melden vergessen hat, was Sancho mit jenen hundert Goldstücken anfing, die er in dem Felleisen in dem Schwarzen Gebirge fand, denn sie werden niemals wieder erwähnt; und doch gibt es viele, die sehr gern wissen möchten, was er mit ihnen anfing oder wozu er sie brauchte, und dies ist einer von den wesentlichen Punkten, die dem Werke abgehen.«
Sancho antwortete: »Ich, Herr Simson, bin jetzt nicht gestellt, mich hier zu berechnen und zu verrechnen; mein Magen ist in der allergrößten Ohnmacht, und wenn ich nicht gleich etliche tüchtige Schlucke guten Wein zu mir nehme, so werde ich so dürr, daß man mich durch eine Nadel fädeln kann. Der Wein ist in meinem Hause, meine Alte erwartet mich; wenn ich gegessen habe, will ich wiederkommen und Euch und der ganzen Welt auf alle Eure Fragen antworten, sowohl über den Verlust des Esels wie über die Ausgabe der hundert Goldstücke.« Und ohne eine Antwort zu erwarten oder noch etwas hinzuzufügen, ging er nach seinem Hause. Don Quixote bat den Baccalaureus höflich, mit ihm vorliebzunehmen. Der Baccalaureus nahm die Einladung an und blieb. Zu den gewöhnlichen Gerichten wurden noch ein Paar Tauben hinzugefügt. Bei Tische sprach man von Rittersachen, und Carrasco gab dieser Laune nach. Der Schmaus war geendigt, sie schliefen die Sieste, Sancho kam zurück, und das vorige Gespräch wurde erneuert.
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil 6. Buch 3. Kapitel)

Don Quijote über Dulcinea von Toboso

Hierauf antwortete unser Don Quixote: »Mein Herr, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, um so mehr, da ich weiß, daß im geheim dieser Ritter sehr verliebt war; er schien zwar allen Mädchen gut zu sein, wenn sie ihm gefielen, aber dies war seine Natur, die er nicht ablegen konnte. Aber es ist bei alledem für gewiß anzusehen, daß er eine einzige zur Herrscherin seines Willens erkoren hatte, der er sich auch jedes Mal, aber heimlich, empfahl, denn er setzte etwas darein, ein sehr geheimnisvoller Ritter zu sein.«
»Wenn also Verliebtheit ein Hauptelement der irrenden Ritterschaft ist«, sagte der Reisende, »so kann man wohl denken, daß auch Ihr es seid, da Ihr Euch zu diesem Stande bekennt. Setzt Ihr nun also, mein gnädiger Herr, nicht auch etwas darein, so geheimnisvoll wie Don Galaor zu sein, so bitte ich demütig im Namen dieser ganzen Gesellschaft und meiner, daß Ihr uns Namen, Vaterland, Eigenschaft und Schönheit Eurer Dame nennt, denn sie muß sich glücklich schätzen, wenn alle Welt es erfährt, daß sie von einem so vorzüglichen Ritter, wie Ihr es seid, geliebt und bedient wird.«
Hierauf holte Don Quixote einen tiefen Seufzer und sagte: »Ich kann nicht bestimmen, ob es ihr, der süßen Feindin, beliebt oder nicht, daß die Welt erfahre, daß ich ihr Diener bin; ich kann nur so viel sagen, in Antwort auf Euer höfliches Begehren, daß ihr Name Dulcinea ist, ihr Vaterland Toboso, ein Ort in la Mancha, ihre Würde sollte wenigstens Prinzessin sein, da sie meine Königin und Gebieterin ist; ihre Schönheit ist übermenschlich, denn in ihr vereinigen sich wahrhaftig alle unmöglichen und erträumten Schönheitsideale, die die Poeten ihren Damen beilegen; denn ihr Haar ist golden, ihre Stirn ist das elysische Gefilde, ihre Augenbrauen sind Himmelsbogen, ihre Augen Sonnen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen, Perlen ihre Zähne, Alabaster der Hals, Marmor die Brust, Elfenbein die Hände, ihre Haut wie der Schnee, und alles, was die Anständigkeit dem menschlichen Auge entzieht, ist nach meiner Überzeugung so beschaffen, daß es dem liebenden Herzen köstlich, aber ohne alle Vergleichung ist.«
»Ihre Abstammung, Geschlecht und Verwandtschaft wünschten wir zu erfahren«, sagte Vivaldo.
Hierauf antwortete Don Quixote: »Sie stammt nicht von den alten Curtiern, Cajern, römischen Scipionen ab, noch in der neuen Welt von den Colonnas, Ursinos, noch Moncadas oder den Requesenes von Katalonien, ebensowenig von den Rebellas, den Villanovas von Valenzia, den Palafoxas, Nuzas, Rocabertis, Corellas, Lunas, Alagones, Urreas, Foces und Gurreas von Arragon; den Cerdas, Manriques, Mendozas und Guzmans von Kastilien; den Alencastros, Pallas und Meneses von Portugal; sondern sie ist eine von Toboso de la Mancha, ein zwar noch neuer Zweig, der aber den glorreichsten Familien zukünftiger Jahrhunderte ihren edlen Ursprung geben kann. Und hierauf erwidere man nichts, wenn es nicht unter der Bedingung geschieht, die Zerbino unter die Trophäen der Waffen des Orlando schrieb:


Keiner soll sie berühren,
Der es nicht wagt, mit Roldan Streit zu führen.«


»Mein Stamm ist von den Cachopines von Laredo«, erwiderte der Reisende, »aber ich unterstehe mich nicht, ihn mit dem Stamme Toboso von la Mancha zu vergleichen; aber wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so ist mir dieser Name noch niemals zu Ohren gekommen.«
(Cervantes: Don Quijote 1. Teil 2. Buch 5. Kapitel)

27 April 2016

Ein Gespräch von Don Quijote und Sancho Pansa

Indessen hatte sich Sancho Pansa, von den Burschen der Mönche etwas zerdroschen, aufgerichtet; er hatte der Schlacht seines Herrn Don Quixote aufmerksam zugeschaut und herzlich zu Gott gebetet, daß er ihm den Sieg verleihen und eine Insel gewinnen lassen möge, über welche er ihn, seinem Versprechen gemäß, zum Statthalter setzen könne. Da er nun merkte, daß der Kampf entschieden war und sein Herr wieder auf den Rozinante steigen wollte, kam er hinzu, ihm den Steigbügel zu halten, und ehe jener noch aufgestiegen war, warf er sich vor ihm nieder, ergriff seine Hand, küßte sie und sagte: »Erinnere sich mein gnädiger Herr Don Quixote nunmehr, mir die Regierung der Insula zu schenken, die in diesem hartnäckigen Kampfe gewonnen ist, sie sei auch noch so groß, ich fühle Tüchtigkeit in mir, sie zu regieren, trotz einem in der ganzen Welt, der nur je Inseln regiert hat.«
Hierauf erwiderte Don Quixote: »Sei wissend, Bruder Sancho, daß dieses Abenteuer, wie dem ähnliche, keine Inseln-, sondern nur Kreuzwegsabenteuer sind, in denen man nichts gewinnt als zerschlagene Köpfe und abgehauene Ohren. Fasse Geduld, es werden sich Abenteuer einstellen, die dir nicht nur eine Statthalterschaft, sondern wohl noch mehr eintragen sollen.«
Sancho war sehr erfreut und küßte wieder die Hand und den Harnisch, worauf er ihm auf seinen Rozinante half, selbst den Esel bestieg und seinem Herrn nachritt, der, ohne weiter mit denen in der Kutsche zu sprechen, sich eilig in ein nah gelegenes Gehölz wandte. Sancho folgte ihm im vollen Trabe seines Tieres, aber Rozinante war so behende, daß er weit zurückblieb und seinem Herrn laut zurufen mußte, er möchte auf ihn warten. Don Quixote tat es, er hielt den Rozinante so lange an, bis ihn sein Stallmeister eingeholt hatte, der darauf, als er nahe gekommen, sagte: »Es wäre wohl gut, Herr, wenn wir uns in eine Kirche flüchteten, denn da der so übel zugerichtet ist, mit dem Ihr Euch geschlagen habt, so ist er imstande, alles der Heiligen Brüderschaft zu klagen, daß sie uns fangen; haben die uns aber einmal hingesetzt, so kann wahrhaftig der Himmel darüber einfallen, ehe sie uns wieder aus dem Gefängnis lassen.«
»Sei ohne Sorge«, sagte Don Quixote, »wann hast du jemals gesehen oder gelesen, daß ein irrender Ritter vor Gericht geführt sei, wenn er auch tausend Homizidien begangen hätte.«
»Von den Omezilien versteh ich nichts«, antwortete Sancho, »habe mich auch zeitlebens auf keine eingelassen, aber das weiß ich, daß sich die Heilige Brüderschaft darum bekümmert, wer sich auf dem freien Felde rauft; alles übrige geht mich nichts an.«
»Du darfst nicht zweifeln, Freund«, antwortete Don Quixote, »daß ich dich aus den Händen der Chaldäer, geschweige der Brüderschaft erretten wollte. Aber sage mir aufrichtig, hast du wohl einen so tapfern Ritter, als ich bin, auf der ganzen bisher bekannten Erde gesehen? Hast du in den Historien von einem gelesen, der beweist oder bewiesen hat größere Kühnheit in Angriffen, mehr Festigkeit in der Ausdauer, mehr Geschicklichkeit zu verwunden und größere Behendigkeit niederzuwerfen?«
»Die Wahrheit ist«, antwortete Sancho, »daß ich niemals eine Historie gelesen habe, denn ich kann nicht lesen und schreiben, aber das will ich behaupten, daß ich einem so verwegnen Herrn als Euer Gnaden in meinem ganzen Leben noch nicht gedient habe, und Gott gebe nur, daß die Verwegenheit nicht so bezahlt wird, wie ich schon gesagt habe. Ich bitte aber Euer Gnaden, sich zu verbinden, denn aus dem Ohre läuft vieles Blut, ich habe Scharpie und etwas weiße Salbe im Schnappsacke.«

(Cervantes: Don Quijote 1. Teil 2. Buch 2. Kapitel)

Don Quijote erzählt den Ziegenhirten von den fahrenden Rittern

Als Don Quixote seinen Magen hinreichend befriedigt hatte, nahm er eine Handvoll Eicheln, betrachtete sie aufmerksam und eröffnete hierauf seinen Mund zu folgenden Worten: »O du beglücktes Zeitalter! beglücktes Jahrhundert! dem unsre Vorfahren den Namen des Goldenen beilegten, nicht weil man damals das Gold, welches in unserm Eisernen Zeitalter so geschätzt wird, in jenen preiswürdigen Tagen ohne Beschwer gewann, sondern weil unter denen, die damals lebten, die beiden Wörter mein und dein unbekannt waren. In diesem segensreichen Alter waren alle Dinge gemein, keiner durfte für seinen gewöhnlichen Unterhalt etwas Weiteres tun als die Hand ausstrecken, um sie von den starken Eichen zu pflücken, die einladend und freigebig die süße und gesunde Frucht jedermann hinreichten. Die klaren Gewässer und die rollenden Ströme boten in ihrer herrlichen Fülle die wohlschmeckende durchsichtige Welle zum Trunke dar. In den Felsenritzen und Baumhöhlen bauten die fleißigen und klugen Bienen ihren Staat und luden ohne Eigennutz jedwede Hand zur Einsammlung ihrer lieblichen Arbeit ein. Die festen Korkbäume gaben freiwillig und ohne Berührung des Beils die reichhaltige und leichte Rinde her, womit man die Hütten, die auf unbehauenen Pfählen ruhten, deckte, um sich gegen die Unfreundlichkeit des Himmels zu schützen.
Alles war damals Friede, Liebe, Eintracht; noch hatte es das schneidende Eisen des gekrümmten Pfluges nicht gewagt, die frommen Eingeweide unsrer ersten Mutter zu öffnen und zu verletzen: denn ungezwungen verbreitete von allen Seiten der fruchtbare große Schoß alles, was zur Sättigung, Erhaltung und Ergötzung ihrer Kinder diente. Damals war es auch, daß die einfältigen und schönen Hirtenmädchen von Tal zu Tal, von Hügel zu Hügel schweiften, die Haare aufgeflochten und nicht weiter bekleidet, als das anständig zu verhüllen, was die Tugend damals und immer zu verhüllen geboten hat; aber ihr Schmuck war nicht wie der jetzige, den der tyrische Purpur und die tausendfältig zermarterte Seide kostbar macht. Grüne Blätter, mit Efeu verwebt, war ihre Tracht, in der sie wohl so herrlich und reizend erschienen als jetzt unsre Damen in ihren seltsamen und fremden Erfindungen, die der sinnende Müßiggang[90] erzeugt. Einfalt und Treue waren damals der Schmuck der werbenden Liebe, sie sprach, wie sie dachte, und suchte keinen künstlichen Schwung der Worte, um sich köstlich zu machen. Betrug, Täuschung und Bosheit waren nicht mit Wahrheit und Aufrichtigkeit vermischt. Auf eigenen Gesetzen ruhte die Gerechtigkeit, weder Gunst noch Eigennutz wagten es, sie zu irren, die sie jetzt schmälern, irren und verfolgen. Willkürliche Aussprüche verunzierten keinen Richter, denn keiner richtete damals, und keiner wurde gerichtet. Die Jungfrauen und Tugend gingen, wie schon gesagt, wohin sie wollten, allein und einsam, ohne Furcht, daß fremde Kühnheit und üppige Wünsche sie schädigten, denn ihre Einbuße geschah nur aus eigner Lust und freiem Willen. Aber in unsern verderblichen Zeiten ist keine Tugend sicher, wenn sie auch ein neues kretensisches Labyrinth verborgen und verschlossen hielte: denn auch dort dringt durch Ritzen und mit der Luft die ungebändigte, listerfüllte Begier hinein und vereitelt und vernichtet jegliche Vorsicht. Zur Sicherheit wurde also im Fortlauf der Zeiten und mit der anwachsenden Bosheit der Orden der irrenden Ritter begründet, um Jungfrauen zu verteidigen, Witwen zu schützen, Waisen und Hülfsbedürftigen beizustehen. Desselben Ordens bin auch ich, ihr Hirten, meine Brüder, denen ich für die Aufnahme und den freundlichen Willkommen danke, welche sie mir und meinem Stallmeister zukommen ließen; so ist es doch, weil ich erkenne, daß ihr ohne dieses Erkenntnis mich aufgenommen und bewirtet habt, der Vernunft gemäß, daß ich auch mit meinem besten Willen für euren guten dankbar bleibe.«
(Cervantes: Don Quijote 1. Teil 2. Buch 3. Kapitel)


25 April 2016

Suche nach der Fortsetzung des Kampfes mit dem Biskayer


Worin der erschreckliche Kampf zwischen dem tapferen Biskayer und dem mannhaften Manchaner beschlossen und beendet wird 


Im ersten Teile dieser Historie verließen wir den tapfern Biscayer und den berühmten Don Quixote mit aufgehobenen blanken Schwertern, beabsichtigend, zwei mörderliche Hiebe zu geben, die, wenn sie vollwichtig fielen, sie gewiß bis auf den Sattelknopf teilen und zerspalten und sie wie Granatäpfel entzweischneiden mußten. In diesem furchtbaren Momente stand die treffliche Geschichte still und brach ab, ohne daß uns der Autor einige Nachricht gegeben hätte, wo man das Mangelnde antreffen könne.
Dies verursachte mir großen Verdruß, denn das Vergnügen, das mir das wenige gemacht hatte, verwandelte sich in Mißvergnügen, wenn ich an die Unannehmlichkeiten dachte, die ich würde überwinden müssen, ehe ich die größere Hälfte, die mir noch zu fehlen schien, der herrlichen Geschichte aufgefunden hätte. Denn es schien mir unmöglich und ein Verstoß gegen alle gute Sitten, daß einem so wackern Ritter ein Weiser sollte gemangelt haben, der es auf sich genommen, seine unerhörten Taten zu beschreiben; etwas, woran es keinem irrenden Ritter gefehlt hat, von denen, von welchen die Leute sagen, daß sie ihre Abenteuer suchen; denn jeder von ihnen hatte einen oder zwei Weisen in Bereitschaft, die nicht nur seine Taten beschrieben, sondern auch seine kleinsten Gedanken und Kindereien ausmalten, wenn sie auch noch so verborgen gewesen waren. Ein so wackrer Ritter mußte also nicht so unglücklich sein, daß er entbehrte, was ein Platir und andre dem ähnliche im Überfluß hatten. Ich konnte mich daher nicht zu dem Glauben verstehen, daß eine so herrliche Geschichte unvollendet und verstümmelt geblieben, sondern ich schob die ganze Schuld auf die Bosheit der gierigen und gefräßigen Zeit, die sie verborgen hielt oder sie verzehrt hätte.
 Ich behaupte also, daß aus dieser Rücksicht, wie aus vielen andern Ursachen, unser wackrer Don Quixote ewige und unvergängliche Lobpreisungen verdiene, die aber meiner Mühe auch nicht versagt werden müssen, welche ich mir gab, um den Schluß dieser angenehmen Geschichte zu finden, obwohl ich weiß, daß, wenn Himmel, Zufall und Glück mir nicht beigestanden hätten, die Welt diesen Beschluß noch entbehren würde, und mit ihm so viel Zeitvertreib und Belustigung, um wohl zwei Stunden dem auszufüllen, welcher aufmerksam liest. Ich fand aber diese Geschichte auf folgende Weise.
Eines Tages war ich auf der Straße Alcana von Toledo; da kam ein Junge mit alten Schreibebüchern und Papieren, die er einem Seidenhändler verkaufen wollte. Da es nun meine Leidenschaft ist, alles zu lesen, und wenn es auch zerrissene Papiere von der Straße wären, so folgte ich auch hier meiner natürlichen Neigung, nahm einige Blätter von denen, die der Junge verkaufte, sah sie an und erkannte die arabischen Lettern. Ich kannte nun zwar die Buchstaben, konnte sie aber nicht lesen und sah mich also um, ob ich nicht einen halbspanischen Morisken fände, der sie lesen möchte. Es war auch nicht schwierig, einen solchen Dolmetscher anzutreffen, denn man hätte dort wohl welche selbst für eine bessere und ältere Sprache finden können. Kurz, der Zufall führte einen herbei, gegen den ich meinen Wunsch äußerte und ihm das Buch in die Hand gab; er schlug es in der Mitte auf, und als er ein wenig gelesen hatte, fing er an zu lachen. Ich fragte ihn, worüber er lache, und er antwortete, über etwas, das in diesem Buche als eine Bemerkung auf den Rand geschrieben sei. Ich bat ihn, es mir zu sagen, und er, ohne sein Lachen zu unterbrechen, sagte: »Hier steht, wie ich gesagt habe, auf dem Rande geschrieben: Diese Dulcinea von Toboso, die so oftmals in dieser Historie genannt wird, hatte nach Berichten unter allen Frauenzimmern in la Mancha die glücklichste Hand, Schweinefleisch einzupökeln.«
Als ich Dulcinea von Toboso nennen hörte, war ich erstaunt und überrascht, denn mir fiel sogleich ein, daß dieses unnütze Papier wohl die Geschichte des Don Quixote enthalten möchte. Mit diesen Gedanken bat ich ihn, mir schnell den Anfang zu lesen; er tat es, indem er sogleich das Arabische ins Kastilianische übersetzte, folgendermaßen: Historia des Don Quixote von la Mancha, geschrieben vom Cide Hamete Benengeli, arabischem Historienschreiber. Es war viel Verstand dazu nötig, um mein großes Vergnügen zu verbergen, da ich den Titel des Buches hörte, ich riß es dem Seidenhändler weg und kaufte von dem Jungen alle die Blätter und alten Papiere um einen halben Real, der, wenn er Verstand gehabt hätte und gemerkt, wie lieb sie mir wären, wohl sechs Realen dafür von mir hätte bekommen können.
Sogleich ging ich mit dem Morisken durch den Kreuzgang der Kathedrale und trug ihm auf, die ganze Makulatur zu übersetzen, was vom Don Quixote handelte, in kastilianischer Sprache, ohne etwas auszulassen noch hinzuzufügen, wobei ich fragte, wieviel Bezahlung er dafür verlange. Er war mit funfzig Pfund Rosinen und zwei Scheffeln Weizen zufrieden und versprach, alles gut, getreu und schnell zu übersetzen. Um aber den Handel zu erleichtern und meinen guten Fund nicht aus den Händen zu geben, nahm ich den Mohren zu mir ins Haus, wo er in ungefähr einem und einem halben Monate alles so übersetzte, wie man es hier findet. Auf dem ersten Blatte war Don Quixotes Schlacht mit dem Biscayer ganz nach dem Leben abgemalt, sie standen in derselben Stellung, wie sie die Geschichte beschreibt, die Schwerter aufgehoben, dieser mit seinem Schilde, jener mit seinem Kissen beschirmt; zugleich war das Maultier des Biscayers so täuschend abgebildet, daß man es auf einen Steinwurf davon schon für ein gemietetes Tier erkannte. Zu den Füßen des Biscayers stand geschrieben: Don Sancho de Azpeitia, welches wahrscheinlich sein Name war, unter Rozinantes Füßen war ein anderes Blatt, worauf geschrieben war: Don Quixote. Dieser Rozinante war bewunderungswürdig abgeschildert, so lang und gedehnt, so dünn und eingefallen, mit einem so hervorstehenden Rückgrat und einer so ausgemachten Moralität, daß er höchst deutlich zeigte, wie passend und mit welcher Schicklichkeit ihm der Name Rozinante gegeben sei. Daneben stand Sancho Pansa, der seinen Esel am Stricke hielt, zu seinen Füßen war wieder ein Zettel mit der Inschrift: Sancho Breitfuß, und wie das Gemälde zeigte, hatte er auch in der Tat einen dicken Bauch, einen schlechten Wuchs und sehr breite Füße, und deshalb hatte er auch den Zunamen Pansa und Breitfuß, so wie auch beide Namen abwechselnd in der Geschichte genannt werden. Ich könnte noch einige andere Abweichungen anführen, aber sie sind alle unwichtig, und keine tut der Wahrheit der Geschichtserzählung Eintrag, sonst ist keine zu verachten, die die Wahrheit in ein helleres Licht setzt.
Wenn man etwas in Ansehung der Wahrhaftigkeit einwerfen könnte, so müßte es etwa nur sein, daß der Verfasser ein Araber gewesen und daß es dieser Nation eigentümlich sei, zu lügen; da sie aber so sehr unsre Feinde sind, so könnte man vielmehr voraussetzen, es möchte manches eher herabgesetzt als übertrieben sein. Dies scheint mir auch wirklich der Fall, denn wenn er sich am weitläufigsten in Lobeserhebungen des wackern Ritters ergießen könnte und sollte, scheint es oft, daß er lieber geflissentlich mit Stillschweigen darüber hinweggeht. Dies ist ein übler und tadelnswürdiger Charakter, denn ein Geschichtsschreiber sollte genau sein, wahrhaft, ohne Leidenschaft, weder von Eigennutz noch Furcht beherrscht, weder Haß noch Liebe dürfte ihn vom Wege der Wahrheit verleiten, deren Mutter die Geschichte ist, die Nebenbuhlerin der Zeit, das Archiv aller Taten, Zeugin des Verflossenen, Beispiel und Rat des Gegenwärtigen, Warnerin der Zukunft. Alles dies, und was man nur wünschen kann, wird sich in diesem anmutigen Werke finden, und wenn irgend etwas Gutes darin mangelt, so liegt nach meiner Meinung die Schuld an dem ketzerischen Heiden von Autor, gewiß aber nicht an dem Gegenstande. Kurz, der zweite Teil fing nach der Übersetzung folgendermaßen an.
Hochgeschwungen waren die mörderischen Schwerter der beiden tapfern und ergrimmten Kämpfer, die dem Himmel, der Erde und der Unterwelt zu dräuen schienen, so groß war ihre Kühnheit und ihr Mut. Wer zuerst seinen Streich ausführte, war der hitzige Biscayer, der so kräftig und wütend ausholte, daß, wenn sich das Schwert nicht unterwegs gewandt hätte, dieser einzige Streich hinreichend war, dem edlen Mute und allen künftigen Abenteuern unsers Helden ein Ende zu machen; aber das Glück, das ihn wichtigern Dingen aufsparte, drehte das Schwert seines Gegners, so daß es auf die linke Schulter schlug und ihm weiter keinen Schaden zufügte, als daß es diese ganze Seite von der Rüstung entblößte und auf dem Wege einen großen Teil des Helmes sowie die Hälfte des Ohres mit sich nahm, welches alles mit einem furchtbaren Verderben auf die Erde stürzte, indem es ihn in traurigen Zustand versetzte. [...]
(1. Teil 2.Buch 1. Kapitel)

Der Kampf gegen die Windmühlen

Von dem guten Glücke, welches der tapfere Don Quixote in dem greulichen und unerhörten Abenteuer mit den Windmühlen hatte, nebst anderen Glücksfällen, die der Aufbewahrung würdig.

Indem sahen sie wohl dreißig bis vierzig Windmühlen, die auf jenem Felde stehen, und sowie sie Don Quixote erblickte, sagte er zu seinem Stallmeister: »Das Glück führt unsre Sache besser, als wir es nur wünschen konnten, denn siehe, Freund Sancho, dort zeigen sich dreißig oder noch mehr ungeheure Riesen, mit denen ich eine Schlacht zu halten gesonnen bin und ihnen allen das Leben zu nehmen; mit der Beute von ihnen wollen wir den Anfang unsers Reichtums machen, denn dies ist ein trefflicher Krieg und selbst ein Gottesdienst, diese Brut vom Angesichte der Erde zu vertilgen.«
»Welche Riesen?« fragte Sancho Pansa.
»Die du dorten siehst«, antwortete sein Herr, »mit den gewaltigen Armen, die zuweilen wohl zwei Meilen lang sind.«
»Seht doch hin, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »daß das, was da steht, keine Riesen, sondern Windmühlen sind, und was Ihr für die Arme haltet, sind die Flügel, die der Wind umdreht, wodurch der Mühlstein in Gang gebracht wird.«
»Es scheint wohl«, antwortete Don Quixote, »daß du in Abenteuern nicht sonderlich bewandert bist, es sind Riesen, und wenn du dich fürchtest, so gehe von hier und ergib dich indessen dem Gebete, indem ich die schreckliche und ungleiche Schlacht mit ihnen beginne.«
Mit diesen Worten gab er seinem Pferde Rozinante die Sporen, ohne auf die Stimme seines Stallmeisters Sancho zu achten, der ihm noch immer nachrief, daß es ganz gewiß Windmühlen und nicht Riesen wären, was er angreifen wollte. Aber er war so fest von den Riesen überzeugt, daß er weder nach der Stimme seines Stallmeisters Sancho hörte noch etwas anders sah, ob er ihnen gleich schon ganz nahe gekommen war, vielmehr rief er jetzt mit lauter Stimme: »Entflieht nicht, ihr feigherzigen und niederträchtigen Kreaturen! Ein einziger Ritter ist es, der euch die Stirn beut!« Indem erhob sich ein kleiner Wind, der die großen Flügel in Bewegung setzte; als Don Quixote dies gewahr ward, fuhr er fort: »Strecktet ihr auch mehr Arme aus, als der Riese Briareus, so sollt ihr es dennoch bezahlen!« Und indem er dies sagte und sich mit ganzer Seele seiner Gebieterin Dulcinea empfahl, die er flehte, ihm in dieser Gefährlichkeit zu helfen, wohl von seinem Schilde bedeckt, die Lanze im Haken eingelegt, sprengte er mit dem Rozinante im vollen Galopp auf die vorderste Windmühle los und gab ihr einen Lanzenstich in den Flügel, den der Wind so heftig herumdrehte, daß die Lanze in Stücke sprang, Pferd und Reiter aber eine große Strecke über das Feld weggeschleudert wurden.
Sancho Pansa trabte mit der größten Eilfertigkeit seines Esels herbei, und als er hinzukam, fand er, daß Don Quixote sich nicht rühren konnte, so gewaltig war der Sturz, den Rozinante getan hatte. »Gott steh uns bei!« sagte Sancho, »sagte ich's Euer Gnaden nicht, daß Ihr zusehen möchtet, was Ihr tätet, und daß es nur Windmühlen wären, die ja auch jeder kennen muß, wer nicht selber welche im Kopfe hat!« – »Gib dich zur Ruhe, Freund Sancho«, antwortete Don Quixote, »das ist Kriegesglück, das am meisten von allen Dingen einem ewigen Wechsel unterworfen ist; um so mehr, da ich glaube und es auch gewiß wahr ist, daß eben der weise Freston, der mir mein Zimmer und meine Bücher geraubt hat, mir auch jetzt diese Riesen in Mühlen verwandelt, um mir den Ruhm ihrer Besiegung zu entreißen. So groß ist die Feindschaft, die er zu mir trägt! Aber endlich, endlich wird er doch mit allen seinen bösen Künsten nichts gegen die Tugend meines Schwertes vermögen!«
Don Quixote schlief die ganze Nacht hindurch nicht, sondern gedachte an seine Gebieterin Dulcinea, um es nachzutun, was er in seinen Büchern gelesen, wie die Ritter ohne Schlaf viele Nächte in den Waldungen und Einöden zubrachten und sich mit dem Andenken ihrer Herrscherinnen unterhielten. Nicht also trieb es Sancho Pansa, der, da er den Magen, und zwar mit keinem Habersüppchen, angefüllt hatte, die ganze Nacht aus einem Stücke schlief und auch nachher nicht erwacht wäre, wenn ihn sein Herr nicht aufgeweckt hätte, denn die Strahlen der Sonne, die ihm auf das Gesicht schienen, sowie der Gesang der Vögel, die von allen Zweigen mit jubelndem Gesange die Ankunft des neuen Tages feierten, vermochten es nicht. Als er sich ermuntert hatte, schenkte er seinem Schlauche eine Umarmung, wobei er ihn viel eingefallener fand als den Abend vorher und sich von Herzen darüber betrübte, weil es nicht aussah, als wenn sie auf diesem Wege seine Auszehrung bald würden heilen können. Don Quixote begehrte nicht zu frühstücken, weil er sich, wie schon gesagt, mit nahrhaften Vorstellungen unterhalten hatte.
Sie ritten auf der Straße nach dem Passe Lapice weiter, den sie auch drei Stunden nach Sonnenaufgang entdeckten. »Hier«, rief Don Quixote, als er ihn erblickte, »Bruder Sancho, hier können wir die Hände bis an die Ellenbogen hinauf in das tauchen, was man Abenteuer nennt, aber vernimm, daß, wenn du mich auch in der allergrößten Gefahr erblicken solltest, du doch niemals die Hand an den Degen legen sollst, um mich zu verteidigen, außer du müßtest gewahr werden, daß ich vom Pöbel oder gemeinen Volke beleidigt würde, in einem solchen Falle ist es dir gestattet, mir beizustehen; sind es aber Ritter, so ist es dir nach den Rittergesetzen keinesweges erlaubt oder vergönnt, mir zu helfen, bis du selbst zum Ritter geschlagen bist.« 
»Seid versichert, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »daß ich Euch darinne pünktlich Gehorsam leiste, vollends da ich sehr friedliebend bin und mich nicht gern in Schlägereien und Händel einmenge; aber freilich, wenn einer meine eigne Person angreifen wollte, da würde ich nach Euren Gesetzen nicht fragen, denn göttliche und menschliche Gesetze erlauben, daß sich jedermann wehren darf, wenn ihm was zuleide geschieht.« [...]
Also, wie gemeldet, rannte Don Quixote gegen den vorsichtigen Biscayer, das Schwert geschwungen und mit dem Vorsatze, ihn mitten durchzuhauen. Ebenso erwartete ihn der Biscayer, das Schwert geschwungen, von seinem Kissen geschirmt, und alle Umstehenden voll Furcht und Erwartung, was sich aus diesen gräßlichen Hieben ergeben möchte, mit denen sie sich beiderseits bedrohten; die Dame in der Kutsche und ihre Bedienten taten allen Heiligenbildern und Kapellen in Spanien tausend Gelübde, daß Gott ihren Diener und sie selber aus einer so großen Gefahr erretten möge.
Das ist aber nun schade und zu beklagen, daß in diesem Moment und Zeitpunkt der Autor dieser Historie diese Schlacht abbricht, mit der Entschuldigung, daß er nichts Weiteres von Don Quixotes Taten vorgefunden, als was er bereits erzählt habe. Der zweite Autor dieses Werkes konnte aber unmöglich glauben, daß eine so treffliche Geschichte so ganz der Vergessenheit sollte überliefert sein oder daß die herrlichen Köpfe in la Mancha so wenig Wißbegier haben sollten, daß sich nicht noch in den Archiven oder in einigen Schreibpulten Papiere vorfinden dürften, die von diesem berühmten Ritter Meldung tun. Diesen Gedanken also nährend, verzweifelte er nicht, den Schluß dieser anmutigen Historie anzutreffen, welches ihm auch, unter Begünstigung des Himmels, auf die Weise gelungen ist, die im zweiten Teile erzählt werden soll.
(Cervantes: Don Quijote 1. Teil 1. Buch 8. Kapitel)

Don Quijotes Ritterschlag und wie Sancho Pansa sein Knappe wird

Wo die anmutige Art und Weise erzählt wird, wie Don Quijote zum Ritter geschlagen wurde Von diesem Gedanken gequält, kürzte er sein kneipenhaft mageres und kärgliches Mahl ab, und kaum war es beendet, rief er den Wirt, schloß sich mit ihm im Pferdestall ein, fiel vor ihm auf die Knie und sprach: »Nie werde ich von der Stelle aufstehen, wo ich liege, tapferer Ritter, bis Eure edle Sitte mir eine Gunst gewährt, die ich von Euch erbitten will und die zu Eurem Preise und zum Frommen des Menschengeschlechtes gereichen wird.« Der Wirt, der seinen Gast zu seinen Füßen sah und solcherlei Reden hörte, ward ganz betroffen, betrachtete ihn und wußte nicht, was tun oder sagen, und drang in ihn, sich zu erheben; aber er wollte durchaus nicht, bis der Wirt sich genötigt sah, ihm zu erklären, er gewähre ihm die Gunst, die er von ihm erbitte. »Nichts Geringeres erwarte ich von Eurer hohen Großmut«, antwortete Don Quijote, »und so sag ich Euch denn, daß die Gunst, die ich von Euch erbeten und die mir von Eurem Edelmute gewährt worden, darin besteht, daß Ihr morgen am Tage mich zum Ritter schlagen sollt. Diese Nacht werde ich in der Kapelle dieser Eurer Burg die Waffenwacht halten; und morgen, wie ich gesagt habe, wird erfüllt werden, was ich so sehr ersehne, damit ich, wie es sich gebührt, durch alle vier Weltteile ziehen kann, Abenteuer aufsuchend zum Frommen der Hilfsbedürftigen, wie es auferlegt ist dem Rittertum und den fahrenden Rittern, wie ich einer bin, deren Verlangen auf solcherlei Großtaten gerichtet ist.«
Der Wirt, der, wie gesagt, etwas vom verschmitzten Schalk in sich trug und schon einigen Argwohn hatte, daß es seinem Gast am Verstand fehle, war, sobald er solche Reden von ihm gehört, auch sogleich völlig davon überzeugt; und damit er diesen Abend etwas zu lachen hätte, entschloß er sich, auf des Ritters Grillen einzugehen. [...]
Er sagte ihm ferner, in dieser seiner Burg gebe es keine Kapelle, die Waffenwacht zu halten, denn sie sei niedergerissen worden, um sie neu aufzubauen; aber im Notfalle, das wisse er, könne man die Wacht halten, wo man wolle, und diese Nacht könne er sie in einem Hofe der Burg halten; am Morgen, so es Gott beliebe, würden die gebührenden Feierlichkeiten in solcher Weise stattfinden, daß er des Ritterschlags teilhaftig werde und bleibe, und zwar als ein so echter Ritter, daß in der Welt nichts echter sein könne. Dann befragte er ihn, ob er Geld bei sich führe. Don Quijote entgegnete, er habe keinen Pfennig in der Tasche, denn er habe nie in den Geschichten der fahrenden Ritter gelesen, daß irgendeiner Geld mitgenommen hätte. Darauf versetzte der Wirt, er sei im Irrtum; denn zugegeben, daß es in den Geschichten nicht geschrieben stehe, weil deren Verfasser gemeint, es sei unnötig, so selbstverständliche Dinge, die bei sich zu haben so unerläßlich sei, wie Geld und reine Hemden, ausdrücklich zu erwähnen, so müsse man darum nicht glauben, daß sie dieselben nicht bei sich führten. Und also möge er für gewiß und erwiesen halten, daß alle fahrenden Ritter – von denen so viele Bücher angefüllt und vollgepfropft sind – wohlbeschlagene Börsen mit hinausnahmen, um allerhand Zufälligkeiten begegnen zu können, und daß sie imgleichen Hemden bei sich führten, auch ein klein Kästchen voll Salben, um die Wunden zu pflegen, die sie empfingen.  (3. Kapitel )
Während dieser Zeit suchte Don Quijote einen Ackersmann, seinen Ortsnachbar, zu gewinnen, einen guten Kerl – wenn man den gut nennen kann, dem es am Besten fehlt –, der aber sehr wenig Grütze im Kopf hatte. Und schließlich sagte er ihm so viel, redete ihm so viel ein und versprach ihm so viel, daß der arme Bauer sich entschloß, mit ihm von dannen zu ziehen und ihm als Schildknappe zu dienen. Unter anderem sagte ihm Don Quijote, er solle sich nur frohen Mutes anschicken, mit ihm zu ziehen; denn vielleicht könnte ihm ein solch Abenteuer aufstoßen, daß er im Handumdrehen irgendwelche Insul gewänne und ihn als deren Statthalter einsetzte. Auf diese und andre solche Versprechungen hin verließ Sancho Pansa – denn so hieß der Bauer – Weib und Kind und trat in seines Nachbarn Dienst als Knappe. [...]
Sogleich traf Don Quijote Anstalt, Geld aufzutreiben, und indem er einen Acker verkaufte und einen andren verpfändete und dabei alles verschleuderte, brachte er eine ziemliche Summe zusammen. Desgleichen versah er sich mit einem Rundschilde, den er sich von einem Freunde leihen ließ, und nachdem er seinen zerschlagenen Helm, so gut er konnte, hergerichtet, benachrichtigte er seinen Knappen Sancho von Tag und Stunde, wo er sich auf den Weg zu begeben gedachte, damit auch er sich mit allem versehe, was er am meisten zu bedürfen dächte; vor allem aber gab er ihm den Auftrag, einen Zwerchsack mitzunehmen. Sancho erwiderte, er würde allerdings einen solchen bei sich führen, und ebenso gedenke er auch einen Esel mitzunehmen, da er einen sehr guten habe; denn er für sein Teil sei nicht gewohnt, viel zu Fuße zu gehen. In betreff des Esels hatte Don Quijote einiges Bedenken und überlegte hin und her, ob er sich irgendeines fahrenden Ritters entsinnen könne, der einen Schildknappen eselhaft beritten bei sich gehabt hätte; aber es kam ihm keiner in den Sinn. Jedoch trotz alledem entschied er sich dafür, daß Sancho ihn mitnehmen solle; nur nahm er sich vor, ihn mit einer ehrbaren Reitgelegenheit zu versehen, sobald die Möglichkeit sich böte, dem ersten ungebärdigen Ritter, auf den er stieße, das Pferd abzunehmen. Er versah sich auch mit Hemden und mit den andern Dingen, soviel ihm möglich, gemäß dem Rate, den der Wirt ihm gegeben. Als all dies getan und zu Ende geführt war, zogen beide – Sancho Pansa, ohne von Kindern und Weib, Don Quijote, ohne von Haushälterin und Nichte Abschied zu nehmen – eines Nachts aus dem Dorfe von dannen, ohne daß jemand sie sah, und in dieser Nacht legten sie so viel Weges zurück, daß sie beim Morgengrauen sich für sicher hielten, man würde sie nicht finden, selbst wenn man auf die Suche nach ihnen ginge. Sancho Pansa zog auf seinem Esel einher wie ein Patriarch, mit seinem Zwerchsack und seiner Lederflasche und mit großem Sehnen, sich schon als Statthalter der Insul zu sehen, die sein Herr ihm versprochen hatte. [...] (7. Kapitel)

(Die Textausschnitte stammen aus der Kindleedition, die Links führen zu der Version bei zeno.org)

Cervantes: Don Quijote: Erster Aufbruch

Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. – Und in der Tat ritt er eben darüber hin. [...]
Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet. An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte. [...]
Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andre sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand, ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren; und daß, nach allen Seiten hin spähend, ob er irgendeine Burg oder einen Hirtenpferch entdeckte, wo er eine Zuflucht finden und seinem großen Notstand abhelfen könnte, er nicht weit von dem Weg, den er ritt, eine Schenke erblickte. Da war ihm, als sähe er einen Stern, der ihn zur Pforte – wenn auch nicht in den Palast – seiner Erlösung leitete. Er beschleunigte seinen Ritt und langte eben zur Zeit an, wo es Abend wurde. Hier standen von ungefähr an der Tür zwei junge Frauenzimmer, aus der Zahl jener, welche man Die von der leichten Zunft benennt; sie waren auf der Reise nach Sevilla mit Maultiertreibern, die zufällig diese Nacht in der Schenke Rast hielten. Und da es unsern Abenteurer bedünkte, alles, was er auch immer dachte, sah oder sich einbildete, sei so beschaffen und trage sich so zu wie die Dinge, die er gelesen hatte, so kam es ihm sogleich vor, da er die Schenke sah, sie sei eine Burg mit ihren vier Türmen und Turmhauben von glänzendem Silber, ohne daß ihr ihre Zugbrücke und ihr tiefer Graben fehlte, nebst allen jenen Zubehörungen, womit man dergleichen Burgen malt. Er ritt näher an die Schenke heran – die ihm eine Burg schien –, und eine kurze Strecke von ihr hielt er seinem Rosinante die Zügel an und wartete, daß irgendein Zwerg sich zwischen den Zinnen zeige, um mit einer Drommete oder dergleichen das Zeichen zu geben, daß ein Ritter der Burg nahe. Da er aber sah, daß man zögerte, und Rosinante nach dem Stall Eile hatte, ritt er vor die Tür der Schenke und erblickte die beiden liederlichen Dirnen, die dort standen und die ihm als zwei schöne Fräulein oder anmutvolle Edelfrauen erschienen, die vor der Burgpforte sich erlusten mochten.  [...]


Und so, mit außerordentlicher Befriedigung, nahte er der Schenke und den Damen; diese aber, als sie einen in solcher Weise gerüsteten Mann, mit Speer und Tartsche, heranreiten sahen, wollten voller Angst in die Schenke hinein. Jedoch Don Quijote, der aus ihrer Flucht auf ihre Ängstlichkeit schloß, hob das Pappdeckelvisier empor, und sein dürres, bestäubtes Gesicht halb aufdeckend, sprach er zu ihnen mit freundlicher Gebärde und sachter Stimme: »Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.« Die Dirnen schauten ihn an und suchten mit den Augen hin und her nach seinem Gesicht, das das schlechte Visier zum Teil verdeckte; aber da sie sich Jungfrauen nennen hörten, ein so ganz außerhalb ihres Berufs liegendes Wort, konnten sie das Lachen nicht zurückhalten, und es war so arg, daß Don Quijote in Zorn geriet und ihnen sagte: »Gut steht Höflichkeit den Schönen, und zudem ist zu große Einfalt das Lachen, so aus unerheblicher Ursache entspringt. Indessen sage ich Euch das nicht, auf daß Ihr Euch etwa kränktet oder unfreundlichen Mut zeigtet; denn der meine steht auf andres nicht, als Euch zu Diensten zu sein.« [...]
Wie man so weit war, kam zufällig ein Schweinschneider vor die Schenke, und wie er anlangte, blies er vier- oder fünfmal auf seiner Rohrpfeife. Das bestärkte Don Quijote vollends darin, daß er in irgendeiner berühmten Burg sei und daß man ihn mit Tafelmusik bediene und daß der Stockfisch eine Forelle, das Brot Weizenbrot, die Dirnen edle Damen und der Wirt Burgvogt dieser Feste sei; und somit fand er seinen Entschluß und seine Ausfahrt wohlgelungen. Was ihn jedoch hierbei noch sehr quälte, war, sich noch nicht zum Ritter geschlagen zu sehen, weil es ihn bedünkte, er könne sich nicht rechtmäßig in irgendwelches Abenteuer einlassen, ohne den Orden der Ritterschaft empfangen zu haben. (1. Teil 1.Buch 2. Kapitel)