22 November 2010

Josef und Asenat

Sie hat alle Freier zurückgewiesen und als man ihr von Josef sprach, ihn als Hirten aus Kanaan als ihr nicht ebenbürtig bezeichnet. Dann sieht sie ihn aus der Ferne und ist von seiner Erscheinung so beeindruckt, dass sie ihn für einen Gottessohn hält. Josef aber weigert sich, sie zu küssen, weil sie falsche Götter anbete.
Sie wird jetzt nicht zornig über die Zurückweisung, sie klagt aber auch nicht über ihre unglückliche Liebe, sondern sie bereut, dass sie nicht schon früher den wahren Gott angebetet hat, hüllt sich in ein Trauergewand und büßt sieben Tage, bevor sie zu Josefs Gott betet, er möge sie als Glaubende annehmen.
Da kommt der Erzengel Gabriel zu ihr, isst mit ihr eine Honigwabe und verkündet ihr, dass Jsosef ewig ihr Bräutigam sein werde.

Textauszüge:

Wie Asenath den Joseph sah,
ward sie in ihrer Seele stark bewegt;
es ward ihr Herz erschüttert
und ihre Kniee wankten;
sie zitterte am ganzen Leib
und hatte große Angst,
2
Sie seufzt und spricht in ihrem Herzen:
Weh mir Unseligen!
Wohin soll ich, Unglückliche, jetzt fliehen?
Wo mich vor seinem Angesicht verbergen?
[503]
Wie wird doch Joseph, dieser Gottessohn, mich anschauen,
da ich so schlimm von ihm gesprochen?
3
Weh mir Unseligen!
Wo soll ich hingehen und mich bergen?
Er sieht ja jegliches Versteck,
weiß alles
und nichts Verborgenes entgehet ihm
des großen Lichtes wegen, das er in sich trägt.
4
Nun sei des Joseph Gott mir gnädig,
daß ich unwissentlich so Schlimmes wider ihn geredet!
Was soll ich tun, ich Elende?
(6. Kapitel)
Als Asenath den Joseph küssen wollte,
legt Joseph seine rechte Hand auf ihre Brust
und Joseph spricht:
Nicht ziemt es sich für einen gottesfürchtigen Mann,
der mit dem Munde den lebendigen Gott verherrlicht
und der geweihtes Lebensbrot genießt
und der Unsterblichkeit geweihten Trank einnimmt
und mit der Unverweslichkeit geweihtem Salböl wird gesalbt,
daß einen Kuß er einem fremden Weibe gebe,
das mit dem Munde tote, stumme Götzen preist,
von ihrem Tisch erwürgte Speis genießt,
von ihrem Opfertrank den Kelch des Truges nimmt
sich mit des Verderbens Salbe salbt.

und sich mit des Verderbens Salbe salbt.
(8. Kapitel)
Josef und Asenat bei Wikisource Kapitel 1-10

Asenat spricht:

Ich hab gesündigt, Herr,
ich hab vor dir gesündigt;
ich habe wissentlich wie auch unwissentlich gottlos gehandelt;
ich hab ja tote, stumme Götzenbilder angebetet.
Ich bin nicht würdig, meinen Mund, o Herr, zu dir zu öffnen,
ich arme Asenath,
die Tochter Pentephres, des Priesters,
Jungfrau und Königin,
ich, die ich einstmals stolz und übermütig,
durch meinen elterlichen Reichtum glücklicher als alle Menschen war,
ich, die ich nunmehr einsam und verwaist,
von allen Menschen ganz verlassen bin.
6
Zu dir, Herr, fliehe ich;
dir trag ich meine Bitte vor;
ich ruf zu dir:
7
Errette mich von den Verfolgern, Herr,
eh’ ich von ihnen werd ergriffen!
[...]
Errette, Herr, die Einsame und Schutzlose,
weil mich der Vater und die Mutter schon verleugneten:
Sie sprachen:
„Das ist nicht unsere Tochter Asenath“,
dieweil ich ihre Götter hab zerbrochen und vernichtet,
da ich sie gänzlich haßte.
13
Nun bin ich ganz verwaist und einsam:
ich habe keine andere Hoffnung mehr als dich, mein Herr,
und keine andere Zuflucht mehr als dein Erbarmen,
du Menschenfreund.
Nur du bist ja der Waisen Vater,
der Schützer der Verfolgten,
der Helfer der Bedrückten.
14
Erbarm dich meiner, Herr!
Schütz mich, die reine Jungfrau,
die so verwaist, verlassen ist!
Nur du, Herr, bist ein süßer, guter, milder Vater.
15
Wer wäre sonst ein Vater, Herr, so süß und gut, wie du?
Sieh: alle die Geschenke meines Vaters Pentephres,
die er mir zum Besitze gab,
sind zeitlich und vergänglich;
doch deines Erbes Gaben, Herr,
sind unvergänglich, ewiglich.

Der Erzengel Gabriel spricht:

Sei guten Muts,
du reine Jungfrau Asenath!
Heut gab dich Gott der Herr zur Braut dem Joseph;
er wird dein Bräutigam für ewig sein.
7
Auch heißt du nicht mehr Asenath von heute ab;
dein Name ist jetzt Zufluchtsstadt;
denn viele Völker fliehen zu dir
und rasten unter deinen Flügeln,
und viele Völker finden durch dich Schutz.
In deinen Mauern fühlen sich gesichert,
die sich dem höchsten Gott in Reue hingegeben;
denn Reue ist des Höchsten Tochter,
und sie erweicht den höchsten Gott
zu jeder Zeit für dich und alle anderen Bereuenden,
ist er ja doch der Reue Vater
und sie der Schlußstein und der Hort der Jungfrauen allen.
(15. Kapitel)
Josef und Asenat bei Wikisource Kapitel 11-19

20 November 2010

Der große Gatsby

Warum ging dieses Werk über die Hohlheit des amerikanischen Traums nicht an mich?
Die einzige Person, für die ich Sympathie entwickeln konnte, war der Erzähler. Ich nahm an, dass er mit seinen Bonds hereinfallen würde. Dann schien mit Gatsby, sein Nachbar mit Verbindungen zur Unterwelt, eine große Bedrohung für ihn zu sein. Als ich feststellte, dass dem Erzähler keine Gefahr drohte, war ich erleichtert und verlor das Interesse an der Story.

Irgendwie menschlich vom Konflikt zwischen Gatsby, Daisy und Tom Buchanan, ihrem Mann, berührt zu werden, hätte es einer Innensicht wenigstens einer dieser Personen bedurft oder doch wenigstens einer nachfühlbaren Beziehung des Erzählers zu den Hauptpersonen.
So aber lief die Handlung an mir vorbei. Keinen Augenblick konnten mich unglückliche Liebe, Scheitern von Hoffnungen, die Verwicklung in Schuld interessieren. All dies betraf nur Romanfiguren, zu denen ich keine Beziehung hatte.
Das änderte sich erst, als der Erzähler Mitleid füt Gatsby zu empfinden begann. Ohne das hätte auch ich, der Leser, den Erzähler nicht zum Begräbnis des großen Gatsby begleitet.

18 November 2010

Die Macht der Dreijährigen

Aus dem Zimmer, in welchem Nikolai schlief, ertönte sein gleichmäßiges Atmen, das seine Frau bis in die kleinsten Nuancen kannte. Während sie so sein Atmen hörte, glaubte sie seine glatte, schöne Stirn vor sich zu sehen und seinen Schnurrbart und sein ganzes Gesicht, das sie so oft in der Stille der Nacht, wenn er schlief, lange betrachtet hatte. Plötzlich regte sich Nikolai und räusperte sich. Und in demselben Augenblick rief der kleine Andrei durch die ein wenig geöffnete Tür: »Papachen, hier steht Mamachen!« Gräfin Marja wurde blaß vor Schreck und machte dem Knaben ein Zeichen, daß er still sein solle. Er schwieg, und dieses für Gräfin Marja furchtbare Schweigen dauerte ungefähr eine Minute. Sie wußte, wie unangenehm es ihrem Mann war, wenn man ihn weckte. Da ließ sich hinter der Tür ein neues Räuspern und eine Bewegung vernehmen, und Nikolais Stimme sagte in mißvergnügtem Ton:

»Nicht eine Minute Ruhe wird einem gegönnt. Bist du da, Marja? Warum hast du ihn denn hergebracht?«

»Ich war nur hergekommen, um nachzusehen ... Ich hatte nicht bemerkt, daß er ... Verzeih ...«

Nikolai hustete eine Weile und schwieg. Gräfin Marja ging von der Tür weg und führte ihr Söhnchen nach dem Kinderzimmer. Fünf Minuten darauf lief die kleine, schwarzäugige, dreijährige Natascha, des Vaters Liebling, die von ihrem Bruder gehört hatte, Papa schlafe und Mama sei im Sofazimmer, zu dem Vater hin, ohne daß die Mutter es merkte. Die schwarzäugige Kleine knarrte dreist mit der Tür, ging auf ihren dicken Beinchen mit energischen, kleinen Schritten zum Sofa hin, und nachdem sie die Lage des Vaters betrachtet hatte, der, ihr den Rücken zuwendend, schlief, hob sie sich auf den Zehen in die Höhe und küßte die Hand des Vaters, die unter seinem Kopf lag. Nikolai drehte sich um; sein Gesicht zeigte ein Lächeln liebevoller Zärtlichkeit.

»Natascha, Natascha!« flüsterte Gräfin Marja erschrocken von der Tür her. »Papachen will schlafen.«

»Nein, Mama, er will nicht schlafen«, antwortete die kleine Natascha im Ton fester Überzeugung. »Er lacht ja.«

Nikolai nahm die Beine vom Sofa herunter, richtete sich auf und nahm sein Töchterchen auf den Arm.

»Komm doch herein, Marja«, sagte er zu seiner Frau.

Gräfin Marja kam ins Zimmer und setzte sich neben ihren Mann.

»Ich hatte vorhin gar nicht bemerkt, daß Andrei hinter mir herlief«, sagte sie schüchtern. »Ich war nur so ohne eigentlichen Zweck hergekommen.«

Nikolai, der auf dem einen Arm seine Tochter hielt, blickte seine Frau an, und als er auf ihrem Gesicht einen Ausdruck von Schuldbewußtsein wahrnahm, umschlang er sie mit dem andern Arm und küßte ihn auf das Haar.

»Darf ich Mama küssen?« fragte er Natascha.

Natascha lächelte verschämt.

»Noch mal!« sagte sie mit befehlender Gebärde und zeigte auf die Stelle, wo Nikolai seine Frau geküßt hatte.

»Ich weiß nicht, weswegen du meinst, daß ich schlechter Laune wäre«, sagte Nikolai als Antwort auf die Frage, die, wie er wußte, seine Frau innerlich beschäftigte.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie unglücklich und vereinsamt ich mir vorkomme, wenn du so bist. Ich denke immer ...«

»Marja, hört auf, das sind ja Torheiten. Schämen solltest du dich«, sagte er heiter.

(Tolstoi: Krieg und Frieden, Epilog)

12 November 2010

Gauck: Winter im Sommer - Frühling im Herbst

Joachim Gaucks Autobiographie erklärt das etwas herbe und allzu selbstgewisse Auftreten aus den Erfahrungen seines Vaters in einem sowjetischen Arbeitslager und der Weise, wie er diese Erfahrung an seine Kinder weitergegeben hat. Er gab Mut zum Widerstehen durch die Vermittlung des Bewusstseins, im Recht zu sein.

Besonders anrührend erscheint mir sein Brief an seine in die Bundesrepublik geflohenen Kinder vom 27.10.1989 (S.97)
Ihr Lieben im Westen!
Vor vielen Jahren hat Wolf Biermann in seinem wundervollen Lied "Ermutigung" die Zeile geschrieben: ... das Grün bricht aus den Zweigen / wir woll'n es allen zeigen ...
Ja, so ist das jetzt bei uns. Das Grün bricht aus den Zweigen.
Wir wissen noch nicht, ob ein Frost kommt und es vernichtet oder die Blüten dem Grün folgen werden oder gar die Frucht reifen und wachsen kann.
Noch mischen sich massiv Ängste, Befürcvhtungen, neue Hoffnungen und neuer Mut. Was wird sein? [...]
Übrigens: Ob ich wirklich im November nach West-Berlin fahre, weiß ich nicht. Hier ist es zur Zeit interessanter.
Rezensionen in Perlentaucher

Leseprobe

10 November 2010

Herders Cid

Traurend tief saß Don Diego,
Wohl war keiner je so traurig;
Gramvoll dacht er Tag' und Nächte
Nur an seines Hauses Schmach.

So beginnt Johann Gottfried Herders Versepos Der Cid auf der Basis von spanischen Romanzen zum Cid.




Don Diego hofft, dass einer seiner Söhne seine Schande rächt und greift zum - naheliegenden? - Mittel, dass er sie alle fesselt. Der jüngste Sohn, Rodrogo, freilich lässt sich das nicht gefallen und erklärt seinem Vater, er könne von Glück sagen, dass er ihn wegen dieses Versuchs, ihn zu fesseln, nicht getötet habe. Daraufhin ist der Vater begeistert und erkennt ihn als seinen einzig wahren Sohn an.
Rodrigo, der später Cid genannt wird, tötet den Feind des Vaters. Dessen Tochter fordert beim Köning Fernando eine Bestrafung Rodrigos, wird aber abgewiesen. Schließlich habe er schon in jugendlichem Alter fünf Maurenkönige besiegt.
Die Königstochter Uraka schwärmt von Rodrigo. Der freilich wirbt um die Tochter des Mannes, den er getötet hat, und deren Mutter aus Gram darüber gestorben ist. Diese Werbeszene liest sich bei Herder so:

Rodrigo:
In der stillen Mitternacht,
Wo nur Schmerz und Liebe wacht,
Nah ich mich hier,
Weinende Ximene,
– Trockne deine Träne!
Zu dir.

Ximene:
In der dunkeln Mitternacht,
Wo mein tiefster Schmerz erwacht,
Wer nahet mir?

Rodrigo:
Vielleicht belauscht uns hier
Ein uns feindselig Ohr;
Eröffne mir –

Ximene
Dem Ungenannten,
Dem Unbekannten
Eröffnet sich zu Mitternacht
Kein Tor.
Enthülle dich!
Wer bist du? Sprich!

Rodrigo:
Verwaisete Ximene,
Du kennest mich.

Ximene:
Rodrigo, ja, ich kenne dich,
Du Stifter meiner Tränen,
Der meinem Stamm sein edles Haupt,
Der meinen Vater mir geraubt

Rodrigo:
Die Ehre tats, nicht ich. Die Liebe wills versöhnen.

Ximene:
Entferne dich! Unheilbar ist mein Schmerz.

Rodrigo:
So schenk, o schenke mir dein Herz!
Ich will es heilen.

Ximene:
Wie? Zwischen dir und meinem Vater, ihm,
Mein Herz zu teilen? –

Rodrigo:
Unendlich ist der Liebe Macht.

Ximene:
Rodrigo, gute Nacht.

Wie es jetzt wohl weitergeht?    sieh hier


03 November 2010

Mit David Lodge ins Freie

Ein 15-jähriger Schüler aus den Londoner Vororten fährt aus dem von Lebensmittelrationierung geprägten England der Nachkriegszeit ins amerikanische Hauptquartier nach Heidelberg. Die Bahnfahrt will nicht enden, und als Leser will man auch endlich aus dem Zug heraus.
Und dann kommt er an bei der jungen Verwandten, die ihn eingeladen hat und aus Verlegenheit in einem Frauenhotel mit Heimcharakter unterbringt, wo er sich möglichst unsichtbar machen muss.
Tagsüber und bis spät in die Nacht kann er aber die Vergnügungen der amerikanischen Militärs und ihrer Entourage mitmachen.
Wie meist bei David Lodge gibt es also einen Zusammenstoß von Kulturen, an dem es viel zu lernen gibt, es gibt eine Menge Humor, wenn auch nicht ganz mit der späteren Leichtigkeit, dem Alter des Helden entsprechend gibt es viel Nachdenken über Sex und die entsprechenden Erfahrungen, und schließlich werden die Nazizeit und der Holocaust thematisiert.
Bei den vorhergehenden Schilderungen des Bombenkrieges ("Blitz") aus London und der Phasen der Evakuierung ist bei einem Autor, der 1935 geboren ist, nicht verwunderlich, dass er aus eigener Erfahrung schreibt. Aber auch die fast verrückte Geschichte vom Jungen im amerikanischen Hauptquartier ist autobiographisch. Nur die romanhaften Verwicklungen, die die Story im Hauptteil vorantreiben, sind es nicht.
So viele Schwierigkeiten der Roman Out of the Shelter auch gemacht hat (nach der für ihn höchst unbefriedigenden Ausgabe von 1970 gelang es ihm erst 1985 eine Fassung drucken zu lassen, die ihn befriedigte), der Roman ist bei aller wirklichkeitsnaher Schilderung der Problematik leicht zu lesen. Ich hatte Schwierigkeiten, ihn zwischendurch aus der Hand zu legen.