03 Juli 2025

Leonie Schöler: Beklaute Frauen

  Leonie Schöler: Beklaute Frauen

Rezensionen:

NDRSachbuch-CouchBooknerds; HeymannBuchserien; 

EINLEITUNG 11

"[...] Als vor circa 2,2 Millio­nen Jahren die ersten Menschen auf Erden wandelten, waren sie in ihrer Entwicklung aus heutiger Sicht vielleicht primi­tiv – aber das mit der natürlichen Ordnung von Mann und Frau hatten sie bereits verstanden. Mann und Frau, Yin und Yang, Gegensätze ziehen sich an!

So oder so ähnlich lautet die Erzählung der ersten Menschen, wie ich sie in der Schule gelernt habe. Den meisten, die jetzt diese Sätze lesen, wurde es vermutlich nicht anders beige­bracht! Ob in Büchern, Filmen oder auch im Museum: Die Ge­schichte der Jäger und Sammler wird bis heute stark über das Geschlecht erzählt. [...]

Lehrt uns die Geschichte denn nicht alles, was wir über das Zusammenleben von Mann und Frau wissen müssen?

Nun, in der Theorie tut sie das. In der Praxis ist es allerdings etwas komplizierter – denn natürlich können wir unsere erlernten Vorbehalte und Denkmuster auch dann nur schwer ablegen, wenn wir in die Vergangenheit blicken. Bezogen auf das Geschlecht nennt sich das in der Wissenschaft Gender Bias, oder auch: geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt. Der beschreibt, dass sich sexistische Vorurteile und Stereotype so sehr auf unser Denken auswirken, dass sie unsere Wahrnehmung der Welt verzerren. Als beispielsweise die Evolutionstheoretiker des 19. Jahrhunderts die biologischen Ursprünge des menschlichen Lebens erforschten, hatten sie ganz klare Vorstellungen von den Geschlechtern. So schrieb Charles Darwin 1871 in seinem Werk Die Abstammung des Menschen:

»Der hauptsächlichste Unterschied in den intellektuellen Kräften der beiden Geschlechter zeigt sich darin, dass der Mann zu einer größeren Höhe in Allem, was er nur immer anfängt, gelangt, als zu welcher sich die Frau erheben kann, mag es nun tiefes Nachdenken, Vernunft oder Einbildungskraft, oder bloß den Gebrauch der Sinne und der Hände erfordern.«1

[...] Die anderen Wissenschaftler hatten nämlich größtenteils exakt die gleichen Vorurteile wie Darwin und suchten in der Geschichte und Biologie des Menschen unermüd­lich nach Beweisen für die Überlegenheit des Mannes. Als Ausgangspunkt für diese Annahme funktionierten die Jäger und Sammler ganz fantastisch: Die scheinbar klare Rollen­verteilung diente als Argument, dass dies die natürliche Ord­nung zwischen Mann und Frau sein müsse, die bereits in ihrer Biologie begründet sei.

Erste archäologische Untersuchungen bestätigten diese Auffassung. In den Gräbern von Männern waren Jagdwaffen und Werkzeuge beigelegt, wäh­rend Frauen Schmuck als Grabbeigabe erhielten. So grub man in den folgenden Jahrzehnten die Geschichte immer weiter um und buddelte ganz viele kleine und große Beweise aus für die eigene Vorstellung von der menschlichen Exis­tenz. [...] 

Seit wenigen Jahren gibt es tatsächlich eine neue Perspektive auf unsere Vergangenheit. 2018 wurde in den peruanischen Anden das mit Waffen reich bestückte Grab eines Kriegers ge­funden. Mithilfe modernster Technik wurden die circa 9000 Jahre alten Gebeine genealogisch analysiert, es wurde also ein DNA-Test gemacht – und etwas schier Unglaubliches be­wiesen: Das Skelett war das einer Frau![...] 30 bis 50 Prozent der untersuchten Skelette, die man bisher auf Grundlage der Waffen und Werkzeuge im Grab als männlich identifiziert hatte, waren biologische Frauen.

Zuletzt haben Archäo­log*innen einen Sensationsfund aus dem Jahr 2008 korri­giert: Damals war in der Nähe des südspanischen Valencia das Grab eines mächtigen Herrschers aus der Kupferzeit ent­deckt worden. Er bekam den Namen »Ivory Man«, in Anleh­nung an die prächtigen Grabbeigaben und Waffen aus El­fenbein, die sich deutlich von anderen Gräbern aus der Zeit unterschieden. Doch 2023 durchgeführte DNA-Tests ergaben, dass der Ivory Man eigentlich eine Ivory Lady war. Nicht nur das: Die Forschenden kamen in ihrer Studie auch zu dem Er­gebnis, dass

»sie zu einer Zeit, in der kein Mann eine auch nur annä­hernd vergleichbare soziale Stellung einnahm, eine führende gesellschaftliche Persönlichkeit war. Nur andere Frauen, die kurze Zeit später in […] einem Teil desselben Gräberfeldes bestattet wurden, scheinen eine ähnlich hohe soziale Stel­lung gehabt zu haben.«5

Offenbar waren in dieser Region vor 5000 Jahren nur Frauen die Anführerinnen gewesen. Gab es etwa doch gar keine strenge Mann-Frau-Aufteilung unter unseren Vorfahren? [...]"

Fontanefan: Anregend ist Schölers Perspektive unbedingt und sie fußt auf aktueller Forschung. Unklar bleibt mir dabei, weshalb sie zumindest in der Einleitung nicht auf die Geschichte der Matriarchatstheorien eingeht.

Zur Unterstützung ihrer These, dass das Denken der Zeit Einfluss auf das Geschichtsverständnis gehabt haben wird, verweise ich aber auf ein Beispiel vom Ende des 19. Jahrhunderts.


Kapitel eins (K)EINE BÜRGERIN

Der Fisch stinkt vom Kopfe her23

Auf den Barrikaden: Frauen in den Revolutionen von 1848/4929

Wer hat Angst vorm weißen Mann? »Rasse«, Klasse und Geschlecht im nationalen

 Selbstverständnis41

Frauen als Nicht-Bürgerinnen49

Kapitel zwei ENDSTATION: EHE

Der Matilda-Effekt 59

Ungleiche Bündnisse zwischen Zusammenarbeit und Ausbeutung62

Bis dass der Tod euch scheidet oder: Wo blieb der Widerstand? 74

Die Lücke im System: Warum zu heiraten sich für Frauen nicht lohnt84

Kapitel drei KÜNSTLER WIRD MIT ER GESCHRIEBEN

Im Namen des Vaters und des Sohnes: Frauen als Familienangestellte 97

Eleanor MarxJenny MarxJenny Caroline Longuet,

Berühmte Genies und ihre heimlichen Mitarbeiterinnen 118

Lucia MoholMarieluise FleißerElisabeth Hauptmann, Margarete Steffin*Ruth

 Berlau*

*""Als Brecht sich 1940 um ein USA-Visum für sie bemühte, beschrieb er sie als seine engste

 Mitarbeiterin: „Tatsächlich überblickt nur sie meine Tausende von Manuskriptblättern.“ Das

 war mit Sicherheit nicht übertrieben, Steffin führte fast die gesamte Korrespondenz mit

 Verlagen und Freunden, schrieb Brechts Texte ins Reine, war hier auch kritische Gutachterin,

 lernte Sprachen, dort wo es notwendig war, und ordnete Brechts Gedichte. Als Steffin starb,

 war Brecht über ein Jahr lang unfähig zu arbeiten.[2] Brechts Gedicht Nach dem Tod meiner

 Mitarbeiterin M.S. bezieht sich auf Margarete Steffin und hebt ihre Bedeutung für das

 brechtsche Werk hervor.

*  "In Dänemark, außerhalb seines Sprachraums und ohne Mitarbeiter, war Brecht zum ersten

 Mal auf sich allein gestellt. Ohne die bewährte Kollektivarbeit mit Ruth Berlau konnte er Die

 Gewehre der Frau Carrar nicht zu Ende schreiben. Der Mangel an Mitarbeitern war nach

 Ansicht Berlaus der wahre Grund, warum Brecht sie so sehr vermisst hatte. Berlau inszenierte

 (unter Mitarbeit Brechts) Die Gewehre der Frau Carrar. Die erste Aufführung mit Mitgliedern

 ihres Kopenhagener Arbejdernes Teater fand am 19. Dezember 1937 vor Emigranten statt.

 Das Aftenbladet schrieb in einer Rezension vom 20. Dezember 1937: „Das stark dramatische

 Stück wurde ausgezeichnet dargeboten, geprägt sowohl von der Begeisterung dieser

 Laienschauspieler als auch von der gekonnten Regie Ruth Berlaus. Namentlich Dagmar

 Andreasen als Mutter spielte fein und empfindsam.“ Eine zweite Aufführung fand am 14.

 Februar 1938 als Wohltätigkeitsveranstaltung für die Deutsch-Schüler in der Borups Höjskole

 Kopenhagen statt. Die Zeitungen waren erneut voller Lob und berichteten über eine gelungene Aufführung.[5]

Im August 1938 arbeitete Brecht mit Ruth Berlau an ihrer Novellensammlung Jedes Tier kann es, die 1940 mit dem dänischen Titel Ethvert dyr kan det unter dem Pseudonym Maria Sten herauskam. Für den von Ruth Berlau bearbeiteten englischen Schwank Alle wissen alles schrieb Brecht ein Vorwort, in dem er seiner „Sympathie zu dieser Art Gattung der Dramatik“ Ausdruck verlieh.[6]

Brecht war inzwischen nach Schweden übergesiedelt, und seine Mitarbeiterin Margarete Steffin unterstützte Berlau bei den Korrekturen der Svendborger Gedichte. Sie schickte die Zweitkorrektur an die Setzerei nach Kopenhagen, danach gab Berlau den Band mit eigenen Geldmitteln heraus.[7] Aus Bescheidenheit und anstatt sich selbst als Herausgeberin zu benennen, ließ Berlau Wieland Herzfelde mit seinem Malik-Verlag in London hineindrucken. Brecht schrieb darauf an sie: „Von allen Menschen, die ich kenne, bist Du der großzügigste.“ Von Herzfelde wurde sie später wegen der „hässlichen“ Form der Ausgabe, die nicht der der Gesammelten Werke entsprach, kritisiert."

Von der Muse geküsst oder: Können Frauen Kunst?137

Kapitel vier OHNE AUSZEICHNUNG

Prestige und Macht: Wieso Rosalind Franklin keinen Nobelpreis hat 155

Unsichtbar gemacht: Wieso Lise Meitner keinen Nobelpreis hat 177

Machtgefälle: Wieso Jocelyn Bell Burnell keinen Nobelpreis hat 194

Eine Frage der Geschlechtertrennung 211

"Neuerdings dürfen trans Frauen nicht mal mehr im Damenschach antreten. Personen, die in einem männlichen Körper geboren wurden, sind also im logischen Denken besser als biologische Frauen – oder was soll uns das sagen? Nun ja, diese Auffassung spiegelt sich zwar kaum die tatsächlichen Ergebnisse wider, denn mitnichten gewinnen trans Athletinnen haushoch überlegen in allen Sportarten. Es zeigt aber auf, wie nicht-binäre Identitäten zum Spielball werden, um die binäre Geschlechtsordnung aufrecht zu erhalten. Dazu passt auch, dass mit trans und inter Personen im Sport aktuell genauso umgegangen wird, wie man lange Zeit mit Frauen umgehen. Erst ignorieren, dann hitzig, polemisch und über die Köpfe der betreffenden Personen hinweg diskutieren, um sie dann zu sperren und ihnen die Teilnahme an Wettkämpfen zu verbieten. [...] Es ist ja nicht so, als gäbe es im Sport nicht auch unabhängig vom Geschlecht körperliche Vorteile oder Einschränkungen, für die man bereits Lösung gefunden hat, so wie Alters- und Gewichtsklassen, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Oder man nimmt sich die Paralympics zum Vorbild: Dort spielen die körperlichen Voraussetzungen der jeweiligen Leistungssportler*innen eine selbstverständliche Rolle dabei, in welcher Gruppe sie antreten. Niemand spricht von Vor- oder Nachteilen; es geht einfach darum, dass Menschen sich miteinander messen können, deren Grundvoraussetzungen ähnlich sind. Dass man über breiter gefächerte Startgruppen nicht auch bei nicht-behinderten Athlet*innen diskutiert, ist für mich ein Hinweis auf / ein fehlendes Interesse bei vielen Verbänden und Sportfunktionär*innen, wirklich faire Startbedingungen für alle zu schaffen." (S. 220/221).

Es geht einfach darum, dass Menschen sich miteinander messen können, deren Grundvoraussetzungen ähnlich sind.

Diesen Grundsatz will Schöler bei den Unterschieden zwischen Geschlechtern nicht gelten lassen. Dankenswerterweise führt sich aber auch gleich die Beispiele an, die deutlich machen, dass das, was bei Alters- und Gewichtsklassen ohne weiteres möglich ist bei der Trennung nach Geschlechtern problematisch wird: Beim Boxen unterscheidet man nach Gewichtsklassen, weil ein Boxer mit Fliegengewicht gegen einen Boxer im Schwergewicht (allgemein anerkannt) keine Chancen hat und weil es leicht ist, nach objektiven Kriterien (Gewicht) zu trennen. Freilich ist die Anerkennung, um die es Schöler geht, in den niedrigeren Gewichtsklassen weit geringer. Schwergewichtsweltmeister sind nicht selten weltbekannt, Fliegengewichtsmeister nicht. Fast noch deutlicher ist es bei den Behindertenwettkämpfen. Bis die Paralympics Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zugänglich wurden, dauerte es lange. Ihre Wettkämpfe werden aber weiterhin nicht zugleich mit den allgemeinen Olympischen Spielen ausgetragen. Wenn die Olympischen Siele für Männer und Frauen getrennt ausgetragen würden, wäre das in Schölers Sinne? 

Aber nicht nur das: Bei den ersten olympischen Behindertenwettkämpfen galt nur eine einzige Hilfe als erlaubt: der Rollstuhl. Wenn aber Laufwettbewerb mit Hilfen erlaubt sind, wird sofort die Bedingung, dass die Grundvoraussetzungen ähnlich sind, fragwürdig. Zu groß sind die Unterschiede von technischen Hilfsmitteln. 

Schölers Vorstellung, dass man nach Altersklassen trennen könne, hat den Charme, dass das (bei Mannschaftssportarten, z.B. beim Fußball) schon lange geschieht. Aber kein U21-Fußballer wird die Chance, dass er in der Klasse ohne Altersbeschränkung mitspielen darf, verpassen wollen; denn erst da gilt die Auszeichnung richtig. 

Doch grotesk wird es erst, wenn Schöler sich beklagt über "ein fehlendes Interesse bei vielen Verbänden und Sportfunktionär*innen, wirklich faire Startbedingungen für alle zu schaffen". Wie sollte man erreichen, dass für alle Sportarten, alle Arten von Behinderung, alle Gewichts- und Altersklassen "wirklich faire Startbedingungen für alle" geschafft werden? Wäre damit nicht sofort die Anerkennung aufs Spiel gesetzt, wenn man nicht die Chance hat, sich auch bei höheren Ansprüchen zu beweisen?

Wenn alle Wettbewerbe in getrennten Leistungsgruppen stattfinden müssten, wäre die Organisation unsinnig erschwert und die öffentliche Sichtbarkeit von Leistungen nahezu beseitigt. (Kommentar Fontanefan)


Kapitel fünf WIDERSTAND

Blutrünstige Amazonen oder: Die Furcht vor der kämpfenden Frau 225

Rote Huren, Soldatenflittchen und Frontschlampen: Frauen im Krieg 233

Erinnerungskultur ist Identitätspolitik 249

Wem nützt weißer Feminismus? 260

Kapitel sechs VERGESSEN UND AUSGELÖSCHT

Noch nie gehört: Frauen hinter männlichen Pseudonymen 271

Goethe, Lessing, Brecht und Co.: Bildung ist weiß und männlich 280

Noch nie gesehen: Das Phänomen der »Wiederentdeckten Frau« 290

Google mal CEO: Warum Algorithmen männlich denken 301

SCHLUSSWORT 315

ANHANG 323

28 Juni 2025

Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville

  "[...] Als das Gespenst ein kleines geheimes Zimmer im linken Schloßflügel erreicht hatte, lehnte es sich erschöpft gegen einen Mondstrahl, um erst wieder zu Atem zu kommen, und versuchte sich seine Lage klarzumachen. Niemals war es in seiner glänzenden und ununterbrochenen Laufbahn von dreihundert Jahren so gröblich beleidigt worden. Es dachte an die Herzogin-Mutter, die bei seinem Anblick Krämpfe bekommen hatte, als sie in ihren Spitzen und Diamanten vor dem Spiegel stand; an die vier Hausmädchen, die hysterisch wurden, als es sie bloß durch die Vorhänge eines der unbewohnten Schlafzimmer hindurch anlächelte; an den Pfarrer der Gemeinde, dessen Licht es eines Nachts ausgeblasen, als derselbe einmal spät aus der Bibliothek kam, und der seitdem beständig bei Sir William Gull, geplagt von Nervenstörungen, in Behandlung war; an die alte Madame du Tremouillac, die, als sie eines Morgens früh aufwachte und in ihrem Lehnstuhl am Kamine ein Skelett sitzen sah, das ihr Tagebuch las, darauf sechs Wochen fest im Bett lag an der Gehirnentzündung und nach ihrer Genesung eine treue Anhängerin der Kirche wurde und jede Verbindung mit dem bekannten Freigeist Monsieur de Voltaire abbrach.

Es erinnerte sich der entsetzlichen Nacht, als der böse Lord Canterville in seinem Ankleidezimmer halb erstickt gefunden wurde mit dem Karo-Buben im Halse, und gerade noch, ehe er starb, beichtete, daß er Charles James Fox vermittels dieser Karte bei Crockfords um 50+000 Pfund Sterling betrogen hatte und daß ihm nun das Gespenst die Karte in den Hals gesteckt habe.

Alle seine großen Taten kamen ihm ins Gedächtnis zurück, von dem Kammerdiener an, der sich in der Kirche erschoß, weil er eine grüne Hand hatte an die Scheiben klopfen sehen, bis zu der schönen Lady Stutfield, die immer ein schwarzes Samtband um den Hals tragen mußte, damit die Spur von fünf in ihre weiße Haut eingebrannten Fingern verdeckt wurde, und die sich schließlich in dem Karpfenteich am Ende der Königspromenade ertränkte. Mit dem begeisterten Egoismus des echten Künstlers versetzte es sich im Geiste wieder in seine hervorragendsten Rollen und lächelte bitter, als es an sein letztes Auftreten als ›Roter Ruben oder das erwürgte Kind‹ dachte, oder sein Debüt als ›Riese Gibeon, der Blutsauger von Bexley Moor‹, und das Furore, das es eines schönen Juliabends gemacht hatte, als es ganz einfach auf dem Tennisplatz mit seinen eigenen Knochen Kegel spielte. Und nach alledem kommen solche elenden modernen Amerikaner, bieten ihm Rising-Sun-Öl an und werfen ihm Kissen an den Kopf! Es war nicht auszuhalten. So war noch niemals in der Weltgeschichte ein Gespenst behandelt worden. Es schwur demgemäß Rache und blieb bis Tagesanbruch in tiefe Gedanken versunken. [...]"

Oscar WildeDas Gespenst von Canterville


Oscar Wilde ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie man die moralischen Kriterien eine Gesellschaft als völlig haltlos durchschauen und kritisieren kann und sich ins Unglück bringen kann, indem man eben diese Kriterien für sich handlungsleitend macht. 

Weil er durch den Vorwurf, er sei homosexuell, seine Ehre angegriffen fühlte, forderte er heraus, dass der gerichtsfähige Beweis für seine Homosexualität erbracht wurde. Das führte nach den Rechtsgrundsätzen der damaligen Gesellschaft zu der zweijährigen Zuchthausstrafe zu den - nach heutigen Kriterien menschrechtsunwürdigen - Bedingungen der damaligen Zeit, die sein Leben als anerkannter Schriftsteller und seine Gesundheit zerstörten.

23 Juni 2025

Bill Clinton: Mein Leben

Diesem Buch von 1450 Seiten werde ich nicht annäherungsweise gerecht werden. Dafür fehlt mir ein inhaltlich orientiertes Inhaltsverzeichnis, und die Darstellungsweise ist dermaßen chronologisch  und springt von Thema zu Thema, dass ich nur sehr subjektive Lektüreeindrücke und wenige Zitate liefern werde, die gewiss nicht exemplarisch sind, denn ich werde das Buch nicht vollständig lesen. 

Ich bin stark erkältet und habe das Buch in einem öffentlichen Bücherregal gefunden. Ich hoffe, dass mich meine Neugier zu ein paar interessanten Stellen führt und dass ich nebeibei einen Eindruck von dem Buch gewinne. 

Kapitel 33

788 Haarschnitt

801 Kohl

Kapitel 34

S. 812 2-SCHLÜSSEL-PRINZIP Bosnien, S.1008/09, Serbien S.1022 https://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/03_jb99_35.pdf


"Ich hätte den Plan leicht durchgebracht, hätte ich die Treibstoffsteuer fallen lassen und den Einnahmenverlust durch einen Verzicht auf die Einkommensteuergutschrift ausgeglichen. Der politische Schaden wäre sehr viel geringer gewesen, denn die einkommensschwachen Arbeitnehmer hatten in Washington keine Lobby und hätten nie davon erfahren. Ich hätte lediglich mit dieser Entscheidung leben müssen. 

[...] ich musste oft an / den Satz denken: Die Menschen sollten besser nie erfahren, wie Soßen und Gesetze gemacht werden. Es war eine schmuddelige Arbeit, und man wusste nie genau, welche Zutaten verwendet worden waren. (S. 814/815)

S.818 Die Republikaner "bezeichneten mein Budget als 'Jobkiller' und 'One-Way-Ticket in die Rezession' Sie sollten sich täuschen." Die Aktien stiegen und die Wirtschaft boomte.

Kapitel 35

S.820 Am 11.8.1993 Generalstabschef Shalikashvili nominiert. 

Verständigung von Rabin und Arafat:

"Auf die von Arafat unterstützte irakische Invasion Kuwaits folgte die in weiten Teilen erfolgreiche amerikanische Gegenoffensive sowie anschließend die Vertreibung der Palästinenser aus Kuwait 1991. Binnen weniger Tage mussten etwa 450.000 Palästinenser Kuwait verlassen. [*Der materielle Verlust der von den Kuwaitern faktisch enteigneten Flüchtlinge allein aus Kuwait wurde 1992 auf mindestens zehn Milliarden Dollar geschätzt.[3]*] Dies und der Verlust wesentlicher Unterstützer in der arabischen Welt[2] brachte Arafat 1993 dazu, im Namen der PLO Friedensverhandlungen mit Israel aufzunehmen, die zur gegenseitigen Anerkennung führten." (Wikipedia)


1993 Rabin "wandte sich in englischer Sprache direkt an die Palästinenser und klang wie ein biblischer Prophet: "Unsere Bestimmung ist es, miteinander im selben Land zu leben. Wir, die Soldaten, die blutüberströmt aus den Schlachten heimgekehrt sind… sagen euch heute mit lauter und deutlicher Stimme: Genug des Blut, des und der Tränen. Genug! ... So wie ihr und wir Menschen… Menschen, die ein Heim errichten, einen Baum pflanzen, lieben und als menschliche Wesen in Freiheit, Seite an Seite mit euch leben wollen. Dann zitierte Jitzchak Rabin aus dem Buch Koheleth, das die Christen als das Buch Salomon bezeichnen: "Ein Jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden, hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit. [...] Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. Die Zeit für den Frieden ist nun gekommen." 
Es war eine großartige Rede. Jitzchak Rabin hatte seine Zeit genutzt um seinen Gegnern die Hand zu reichen." (S. 828). 

"Die komplexen Schwierigkeiten, mit denen wir in Somalia, Haiti oder Bosnien konfrontiert wurden, inspirierten Tony Lake zu einer seiner besten Aussagen: 'Manchmal sehne ich mich wirklich nach dem kalten Krieg zurück.' " (S.844)


Kapitel 36: (S.845ff.)
Religious Freedom Liberation Act (S.850)

Kapitel 37: (S.863ff.)
"Das Jahr 1994 war eines der schwersten meines Lebens –  große außen – und innenpolitische Erfolge wurden, vom Scheitern der Gesundheitsreform und von einer obsessiven Auseinandersetzung mit provozierten Skandalen überschattet. Es begann mit einer persönlichen Tragödie und endete mit einer politischen Katastrophe." (S.863)

"Auf dem Weg nach Moskau legte ich einen kurzen Zwischenstopp in Kiew ein, um mich mit dem ukrainischen Präsidenten, Leonid Krawtschuk zu treffen und ihm dafür zu danken, dass er gemeinsam mit Jelzin und mir am folgenden Freitag eine Vereinbarung unterzeichnen würde, mit der sich die Ukraine verpflichtete, 176 auf die Vereinigten Staaten zielend ballistische Interkontinentalraketen und 1500 Atomsprengköpfe zu vernichten. Die Ukraine war ein großes Land mit 60 Millionen Einwohnern und enormen Potenzial, doch wie bei Russland wusste man noch nicht, welche Richtung es am Ende einschlagen würde. Krawtschuk  stieß mit dem Wunsch, sich der Atomwaffen zu entledigen, auf beträchtlichen Widerstand im Parlament, und ich wollte ihn unterstützen. (S. 867). 

Zur Diskussion, ob ein Sonderermittler eingesetzt werden sollte (S.869-874):
"Abgesehen davon würde es nicht lange dauern, uns in den finanziellen Ruin zu treiben, denn ich war der Präsident mit dem geringsten Privatvermögen in der Geschichte des modernen Amerika." (Seite 871).

"In derselben Woche ernannte ich den stellvertretenden Verteidigungsminister Bill Perry zum Nachfolger von Les Aspin, der kurz nach der Tragödie in Mogadischu zurückgetreten war. [...] Er hatte dazu beigetragen, der Tarnkappentechnologie zum Durchbruch zu verhelfen, er hatte das Beschaffungswesen reformiert und sich für eine realistische Budgetplanung eingesetzt. Bill war ein zurückhaltender, bescheidener Mann, unter dessen unauffälligem Auftreten, sich eine überraschende Härte verbarg. Seine Ernennung sollte sich als eine meiner besten Personalentscheidungen überhaupt erweisen – Perry wurde der wahrscheinlich beste Verteidigungsminister, seit General George Marshall. (S.876)

Kapitel 38: (S.888ff.)

Whitewater-Affäre "Viele Leute hatten bereits ein persönliches Interesse daran, ein Vergehen zu entdecken, und wenn an unserem lang vergangenen Immobiliengeschäft nichts Rechtswidriges zu finden war, so bestand noch immer die Hoffnung, dass man zumindest irgendjemandem im Weißen Haus nachweisen konnte, in dieser Sache irgendwann etwas Unrechtes getan zu haben. [...] Unterschwellig klang immer durch, dass wir irgendetwas Böses getan haben mussten. Beispielsweise berichtete die New York Times, als unsere Finanzaufzeichnungen den Weg in die Presse gefunden hatten, das Hillary mit der Hilfe von Jim Blair im Jahr 1979 an den Warenmärkten aus einer Investitionen von 1000 Dollar in kürzester Zeit 100.000 Dollar gemacht hatte. Blair war einer meiner engsten Freunde, der Hillary und einer Reihe andere Freunde tatsächlich bei Investments an den Warenbörsen geholfen hatte. Aber es war Hillary, die ihr Geld riskiert und über 18.000 Dollar an Brokergebühren bezahlt hatte; und es war ihrem Instinkt zu verdanken, dass sie wieder aus stieg, bevor der Markt abstürzte." (S. 888/89)   

Paula Jones (S.907)                                                                                                                   

Kapitel 39: (S.921ff)

Kapitel 40: (S.942 ff.)

Kapitel 41 (S.954)

Newt Gingrich (S.959)

Kapitel 42 (S.961 ff.)

Nato-Osterweiterung "[1995...] reiste ich nach Budapest, wo ich mich nur acht Stunden aufhielt, um an einem KSZE-Treffen teilzunehmen und mit den Präsidenten der Ukraine, Kasachstans und Weißrussland, eine Reihe von Vereinbarungen zu unterzeichnen, mit denen sich diese Länder zur Auflösung ihrer Atomwaffenarsenale verpflichteten. Die Tatsache, dass wir uns gemeinsam darum bemühen, unsere Arsenale um mehrere tausend Gefechtsköpfe zu verringern und die weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, hätte uns eigentlich positive Schlagzeilen bescheren sollen. Stattdessen sorgte nur Jelzins Rede für Aufsehen, der er mich dafür kritisierte, den Kalten Krieg durch einen "kalten Frieden" zu ersetzen, weil ich die NATO rasch nach Osten zu erweitern versuchte. In Wahrheit hatte ich genau das Gegenteil getan: ich hatte eine Partnerschaft für den Frieden gewählt – als Zwischenlösung, um eine sehr viel größere Zahl von Ländern in das neue Sicherheitssystem einzubinden. Ich unterzog die Aufnahme neue NATO-Mitglieder einer sorgfältigen Prüfung und tat alles, um eine Partnerschaft zwischen der NATO und Russland aufzubauen.

Die Attacke Jelzins traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte keine Ahnung, was ihn in Rage gebracht hatte, und war verärgert, weil ich keine Gelegenheit hatte, auf seine Vorwürfe einzugehen. Anscheinend hatten ihm seine Berater eingeredet, dass Polen, Ungarn und die tschechische Republik 1996 in die NATO aufgenommen würden, d.h. genau in dem Jahr, in dem er sich zur Wiederwahl stellen musste. [Es geschah dann 1999.] Dabei würde er den Ultranationalisten gegenüberstehen, die die NATO-Erweiterung rundweg ablehnten, während ich gegen die Republikaner antreten würde, die sie befürworteten.

Budapest war eine unangenehme Erfahrung, eine jener seltenen Momente, in denen beide Seiten die Fassung verloren. Aber auch diese Krise würde vorübergehen. Einige Tage später reiste Al Gore zum vierten Treffen der Gore-Tschernomyrdin Kommission zur Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik nach Moskau und traf sich mit Jelzin. Boris erklärte ihm, er sei weiterhin mein Partner, und Al versicherte ihm, dass sich unsere NATO-Politik nicht geändert habe. Ich hatte nicht vor, Jelzin aus innenpolitischen Gründen in den Rücken zu fallen, genauso wenig aber würde ich zulassen, dass er die Tür zur NATO für unbegrenzte Zeit verriegelte." (S.966/67)   - Sieh auch: S. 992 u. S. 1021)

Fontanefan: Aus der Sicht von 1995 war die Partnerschaft für den Frieden ein mutiges Experiment, mit dem man die Friedensdividende, die der Zusammenbruch der Sowjetunion versprach, erreichen wollte, ähnlich, wie es in den 1950er Jahren die Europäische Einigung war. Im Jahr 2004, als Clintons Autobiographie erscheint und als nicht nur wie 1999 ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten wie SlowakeiRumänienBulgarien und Slowenien, sondern auch selbständig gewordene ehemalige Teile der Sowjetunion  (Estland,   Lettland  und  Litauen) der Nato beitraten, hatte sich die Lage geändert, zumal man auch der Ukraine Hoffnungen auf einen NATO-Beitritt machte. Im Jahr der Orangen Revolution 2004, als die Ukraine den Weg zur Demokratie antrat, glaubten viele, man könne die Ukraine - die ehemalige Kornkammer der Sowjetunion für den Westen (NATO und EU) gewinnen. - [Ich fand das damals zu optimistisch, habe es aber nicht als großen Fehler herausgestellt. Schließlich war 1989/90 die deutsche Einigung geglückt - wenn auch mit einigen Geburtsfehlern - und ich wusste noch weit weniger als heute (wo die Wikipedia recht gut ausgebaut ist) über internationale Zusammenhänge Bescheid. 

Aus meiner Sicht von 2014 ff. liegt das Problem einerseits darin, dass die wirtschaftliche Umstellung, die in ehemaligen Ostblockstaaten - unterschiedlich gut - gelang, in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion weitgehend scheiterte und dass die weitgehende Zähmung der Oligarchen als politische Kraft zwar Putin für Russland gelang, aber nur mit diktatorischen Gewaltmaßnahmen und andererseits auch die politische Zusammenarbeit scheiterte. Die Partnerschaft für den Frieden war ein viel zu locker angelegter Verband und umschloss viel zu viele Elemente. So scheiterte eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Russland, weil "der Westen" im trügerischen Gefühl, den Kalten krieg "gewonnen" zu haben, nicht zuließ, dass für Nachfolgestaaten der Sowjetunion "die Tür zur NATO für unbegrenzte Zeit verriegelt" würde. - Wenn überhaupt, hätte es eine Tür zur Partnerschaft für den Frieden sein müssen, doch die war viel zu locker, als dass sie Russland ein Gefühl der Sicherheit hätte vermitteln können, das gegenwärtig aufgrund der Wahl Trumps sogar für die Kernstaaten der NATO verloren gegangen ist.  

KAPITEL 43 (S.985ff)

Whitewater-Maschinerie (S.989)

Nato-Osterweiterung: "Als die Sprache auf die NATO-Osterweiterung kam, gab ich Jelzin indirekt zu verstehen, dass wir uns in dieser Frage bis zu den russischen Wahlen zurückhalten würden. Daraufhin erklärte sich Jelzin auch endlich bereit, der Partnership for Peace beizutreten. Obwohl er diese Entscheidung nicht öffentlich bekannt geben würde, versprach er mir, dass Russland die Dokumente bis zum 25. Mai unterzeichnen würde.

Auf dem Heimweg machte ich in der Ukraine Station, wo ich / an einer weiteren Weltkriegsgedenkfeier teilnahm, eine Rede vor Studenten hielt und zu der atemberaubend schönen Schlucht von Babi Jar fuhr, der die Nazis vor fast 54 Jahren mehr als 100.000 Juden, mehrere 1000 ukrainischen Nationalisten, sowjetische Kriegsgefangene und Zigeuner ermordet hatten. Nur einen Tag vorher hatten die Vereinten Nationen beschlossen, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen [Atomwaffensperrvertrag] auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Da mehrere Länder weiterhin versuchten, in den Besitz solcher Waffen zu gelangen, war die Verlängerung dieses vor 25 Jahren geschlossenen Vertrages ein wichtiges Ziel meiner Regierung gewesen. (S.992/93)

G-7-Gipfel 1995 in Halifax (S.994/95)



Kapitel 44 (S.1007ff.)
Massenvernichtungswaffen des Irak (S.1013f.)
Handschlag Arafat Rabin (S.1017)
Offenlegungspolitik (S.1024)
Juli 1995 Normalisierung der Beziehungen zu Vietnam

Kapitel 47 (S.1109ff.)

Kapitel 49
"Am Morgen des 15. August 1998, es war ein Samstag, weckte ich nach einer elenden, schlaflosen Nacht, meine Frau, um ihr die Wahrheit über Monica Lewinsky und mich zu erzählen. Sie sah mich an, als hätte ich ihr einen Schlag in den Magen versetzt. Dass ich sie im Januar angelogen hatte, machte sie fast ebenso wütend wie mein Fehltritt. Ich versicherte ihr, dass es mir leid tat und dass ich das Gefühl gehabt hatte, niemanden erzählen zu können, was geschehen war – nicht einmal ihr. Ich sagte ihr, dass ich sie liebte und sie und Chelsea nicht verletzen wollte, dass ich mich für mein Verhalten schämte und dass ich alles für mich behalten hatte, um meiner Familie Kummer zu ersparen und die Präsidentschaft nicht zu untergraben. Und dass ich nach all den Lügen und der Bösartigkeit, die wir seit meinem Antritt erfahren hatten, nicht von der Flut aus dem Amt gespült werden wollte, dir meine Aussage im Januar ausgelöst hatte." (S.1212) 
Nach 16 Zeilen geht er auf einen Terroranschlag der IRA auf Omagh ein.



10 Juni 2025

Lektüreanregung: Die Pendragon-Legende von Antal Szerb

 Die Pendragon-Legende ist der erste Roman des ungarischen Literaturwissenschaftlers und Übersetzers Antal Szerb, geboren 1901, 1945 von den Nazis umgebracht. Der Roman entstand nach fünf Jahren Aufenthalt in Frankreich und einem Jahr London; dort und in Wales spielt die Geschichte auch. Die Hauptfigur, János Bátky, ist eine Art Privatgelehrter, hat ein kleineres Einkommen, arbeitet aber immer wieder als wissenschaftlicher Sekretär für reiche Leute. Er lernt auf einer Party in London Lord Pendragon, den 18. Earl of Gwynedd kennen und wird von ihm auf dessen Anwesen in Wales eingeladen, weil sie sich beide für die Alchimistenszene im England des späten 17. Jahrhunderts interessieren. 

Fortsetuzung des Artikels bei Herrn Rau

09 Juni 2025

Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen

 Klaus von Dohnanyi: Nationale InteressenOrientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche 2022, Neuausgabe 2025 (Perlentaucher)

Rezension im Deutschlandfunk

Dohnanyi betont im Sinne des politischen Realismus die Bedeutung Nationaler Interessen* und vertritt die Position, die Missachtung des nationalen Interesse Russlands habe 2022 zum Ukrainekrieg geführt. Er fordert, Deutschland müsse sich seinerseits, stärker am eigenen nationalen Interesse orientieren und Abstand von der von Joe Biden eingeleiteten US-Politik nehmen.

Dabei liegt er - in gewisser Hinsicht - auf einer Linie mit Donald Trump, der mit MAGA die US-Politik ganz auf das nationale Interesse der USA ausgerichtet hat, andererseits aber auch mit der Umorientierung auf  mehr wirtschaftliche Autarkie, die in der europäischen Politik seit 2022 stattgefunden hat. 

* "Der Begriff des Interesses, welches als Macht definiert wird, ist für den Realisten eine objektive Kategorie von universeller Validität. Diese Kategorie bleibt sowohl von zeitlichen, als auch von räumlichen Umständen unberührt. Jedoch muss der Begriff des Interesses immer unter den jeweils aktuellen politischen Umständen verstanden werden. In Betrachtung gezogen werden müssen hierfür die Ziele, welche von Staaten in ihrer Außenpolitik angestrebt werden und für deren Umsetzung sie Macht benötigen. Angestrebt werden kann eine militärische, bisweilen barbarische Eroberungspolitik oder auch eine aufgeklärte Ordnungspolitik." (Wikipedia)

Das über 50 Seiten umfassende Vorwort der Neuausgabe vom März 2025 aktualisiert die Argumentation und betont, dass seine Forderung durch die neueste Entwicklung bestätigt worden sei.   

Dazu aus der Leseprobe bei penguin.de

"[...] Denn wie schon Helmut Schmidt vor vielen Jahrzehnten in seinem Buch Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte (1969) warnend schrieb: 

»… vielmehr bleibt es notwendig, sich immer wieder aufs Neue in die Schuhe Moskaus zu versetzen, um seine Interessen in seiner Sicht zu begreifen.«

[...] Nationale Interessen werden innenpolitisch formuliert. Die Definition nationaler Interessen unterliegt deswegen stets auch dem Wechsel der Stimmungen demokratischer Wählerschaften.

In den drei Jahren seit Veröffentlichung dieses Buches fand bei Wahlen in zahlreichen demokratischen Staaten auch außerhalb Europas eine erhebliche Verschiebung in Richtung der sogenannten »rechten Mitte« statt; dabei gewannen rechtsradikale Parteien an Bedeutung. In Europa wurde das deutlich bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, aber auch bei nationalen Wahlen kam es in den meisten Mitgliedsstaaten zu Zugewinnen rechter Parteien. Das wirkte sich auf die Zusammensetzungen von Regierungen aus; [...]

Immer öfter wird suggeriert, dass Putin, dessen zahlenmäßig weit überlegene Armee sich schon als zu schwach erwies, die Ukraine einzunehmen, auch Nato-Staaten und Deutschland angreifen wollte und will. Und dass wir die USA in Europa deswegen aus Sicherheitsgründen brauchen. Der wahre Grund für Putins Aggression, nämlich die Aufnahme der Ukraine in die Nato, wird auf diese Weise unklug verschwiegen. [...]"  

Erfreulich finde ich daran, dass die Diskussion in einen breiteren Kontext gestellt wird und die  regelbasierte Ordnung nicht als weltweit gegebene Wirklichkeit ausgegeben wird. Problematisch sind Aussagen, wonach der Friedensvertrag von Versailles ein  verhängnisvoller Fehler gewesen sei, weil er einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des 2. Weltkriegs und die folgende Entwicklung bedeutet habe. 

Schlicht unpassend ist aber die folgende Aussage:

"Aber wir werden Russland mit Sanktionen nicht ändern, Demokratie braucht zur Herstellung ihrer Fundamente Zeit und eine Entwicklung aus sich selbst heraus.

Die USA wollen das offenbar nicht verstehen. Ihre vielfachen Versuche, ihr Modell der Demokratie, anderen Völkern, notfalls auch mit Gewalt einzupflanzen, ist rundum gescheitert. Auch ihre Bemühungen, die Demokratie ihres eigenen Bildes durch wirtschaftliche Maßnahmen und Sanktionen auf andere Staaten zu übertragen, erzeugten oft das Gegenteil und stärkten am Ende die autoritären Kräfte; Iran ist heute leider ein überzeugendes Beispiel. Und wenn die USA den Fall Deutschland nach 1945 als positives Beispiel für ihre Politik der Verbreitung von Demokratie anführen, dann zeigt das doch wirklich nur große historische Unkenntnis: Deutschland wählte seinen Kaiser über Jahrhunderte, im Gegensatz zum Beispiel zu England, man lese nur seinen Shakespeare gründlich." (S.94)

Zwar stimmt natürlich, dass das gegenwärtige Russland nicht allein über Sanktionen zur Demokratie gemacht werden kann.
Aber Königs- und Kaiserwahl im Heiligen Römischen Reich des Mittelalters als Beleg für eine seit Jahrhunderten bestehende Demokratie anzuführen, als ob der der Preußenkönig Wilhelm durch Volkswahl zum deutschen Kaiser des 1871 gegründeten Deutschen Reiches bestimmt worden wäre, ist geradezu grotesk. Bei Dohnanyi kann das nicht auf Unkenntnis beruhen, die er der internationalen Geschichtswissenschaft unterstellt, sondern es ist eine bewusste Umdeutung, die als Geschichtsklitterung einen etwas anrüchigeren Namen führt. 
Dass es der deutschen Bevölkerung nicht gelungen ist, sich aus eigener Kraft von Hitler zu befreien, und dass die Reeducation zusammen mit der wirtschaftlichen Maßnahme Marshallplan als Demokratieförderung sehr erfolgreich gewirkt hat, ist nicht ernsthaft zu bestreiten, auch wenn Gauland es mit seinem Wort von Vogelschiss versucht hat. 

Wichtig ist der Hinweis, dass es eine schriftliche Notiz des US-Außenministers Baker gab, dass es keine Osterweiterung der NATO geben solle:
"Es ist heute unbestreitbar – wie auch Burns einst eindeutig bestätigte –, dass es U.S- Außenminister Baker, Anfang Februar 1990 in seinen Verhandlungen mit Gorbatschow über die deutsche Wiedervereinigung mündlich vereinbarte, es werde über die damaligen Ostgrenze der DDR hinaus keinerlei Erweiterung der NATO geben. Baker hielt nämlich diese Zusage im Gespräch mit Gorbatschow seinerseits als ein mündlich gegebenes Versprechen in einer Notiz fest: "End Result: Unified Ger. anchored* in a changed (polit.) NATO --* whose jurisd. would not move* eastwards!" ( Mary Elise Sarotte, 1989. The Struggle to create Post-Cold War Europe - updatet dition, Princeton 2014, S.221) (Nationale Interessen, S.119) 
[Sieh auch: M.E. Sarotte: Not an inch, 2021 "unklare Zusagen und diplomatische Fehleinschätzungen führten laut Sarotte zu einem dauerhaften Misstrauen zwischen Ost und West" (Wikipedia)]

Dazu:  https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/gab-es-zusagen-an-moskau-die-nato-nicht-nach-osten-zu-erweitern-100.html Zitat daraus: "1997 unterzeichneten beide Seiten die NATO-Russland-Grundakte. Darin erkennt Russland erkennt an, dass es kein Vetorecht gegen die NATO-Mitgliedschaft anderer Länder hat." [also im Gespräch mit Jelzin]