Aristipp empfiehlt Agathon bei Dionys und der ist von ihm begeistert.
Wenn Agathon während einer Staats-Verwaltung, welche nicht ganz zwei Jahre daurte, das vollkommenste Vertrauen seines Prinzen und die allgemeine Liebe der Nation, welche er regierte, gewann, und sich dadurch auf diese hohe Stufe des Ansehens und der scheinbaren Glückseligkeit emporschwang, welche unverdienter Weise, der Gegenstand der Bewunderung aller kleinen, und des Neides aller zugleich boshaften Seelen zu sein pflegt: So müssen wir gestehen, daß diese launische unerklärbare Macht, welche man Glück oder Zufall nennt, den wenigsten Anteil daran hatte. Die Verdienste, die er sich in so kurzer Zeit um den Prinzen sowohl als die Nation machte, die Beruhigung Siciliens, das befestigte Ansehen von Syracus, die Verschönerung dieser Hauptstadt, die Verbesserung ihrer Polizei, die Belebung der Künste und Gewerbe, und die allgemeine Zuneigung, welche er einer vormals verabscheueten Regierung zuwandte—alles dieses legte ein unverwerfliches Zeugnis für die Weisheit seiner Staats-Verwaltung ab; und da alle diese Verdienste durch die Uneigennützigkeit und Regelmäßigkeit seines Betragens in ein Licht gestellt wurden, welches keine Mißdeutung zu zulassen schien; so blieb seinen heimlichen Feinden, ohne die ungewisse Hülfe irgend eines Zufalls, von dem sie selbst noch keine Vorstellung hatten, wenig Hoffnung übrig, ihn so bald wieder zu stürzen, als sie es für ihre Privat-Absichten wünschen mochten. [...]
Die Höflinge, die sich von ihm verdrängt sehen, finden lange keinen Ansatzpunkt, wie sie ihn bei Dionys anschwärzen können.
[...] übrigens können wir nicht umhin, es mag nun unserm Helden nachteilig sein oder nicht, zu gestehen, daß zu einer Zeit, da sein Ansehen den höchsten Gipfel erreicht hatte; da Dionys ihn mit Beweisen einer unbegrenzten Gunst überhäufte; da er von dem ganzen Sicilien für seinen Schutzgott angesehen wurde, und das seltne, wo nicht ganz unerhörte Glück zu genießen schien, in einem so blendenden Glücksstande lauter Bewundrer und Freunde, und keinen Feind zu haben—die Damen zu Syracus die einzigen waren, welche ihre wenige Zufriedenheit mit seinem Betragen ziemlich deutlich merken ließen. Mit einer Figur wie die seinige, mit allem dem was den Augen und Herzen nachstellt in so außerordentlichem Grade begabt, war es sehr natürlich, daß er die Aufmerksamkeit der Schönen auf sich ziehen mußte. Die Damen zu Syracus hatten so gut Augen wie die zu Smyrna—und Herzen dazu—oder wenn sie keine hatten, so hatten sie doch etwas, dessen Bewegungen sehr gewöhnlich mit den Bewegungen des Herzens verwechselt werden; oder wenn sie auch das nicht hatten, so hatten sie doch Eitelkeit, und konnten also nicht gleichgültig gegen die eigensinnige Unempfindlichkeit eines Mannes sein, welcher eben dadurch ein Feind wurde, dessen Überwindung seine Siegerin zur Liebenswürdigsten ihres Geschlechts zu erklären schien. [...]
Der Kaufmann, mit welchem Agathon nach Syracus gekommen war, war einer von denjenigen, welchen er ehmals zu Athen das Bildnis seiner Psyche zu dem Ende gegeben hatte, damit sie mit desto besserm Erfolg aller Orten möchte aufgesucht werden können. Gleichwohl erinnerte er sich dieses Umstands nicht eher, bis er einsmals bei einem Besuch, den er ihm machte, dieses Bildnis von ungefähr in dem Cabinet seines Freundes ansichtig wurde. Dasjenige was Agathon in diesem Augenblick empfand, war wenig von dem unterschieden, was er empfunden hätte, wenn es Psyche selbst gewesen wäre. Die Ideen seiner ersten Liebe wurden dadurch wieder so lebhaft, daß er, so schwach auch seine Hoffnung war, das Urbild jemals wieder zu sehen, sich aufs Neue in dem Entschluß bestätigte, ihrem Andenken getreu zu bleiben. Die Damen von Syracus hatten also würklich eine Nebenbuhlerin, ob sie gleich nicht erraten konnten, daß diese zärtlichen Seufzer, welche jede unter ihnen seinem Herzen abzugewinnen wünschte, in mitternächtlichen Stunden vor einer gemalten Gebieterin ausgehaucht wurden. [...]
Die schöne Cleonissa war ein Frauenzimmer, und hatte also ihren Anteil an den Schwachheiten, welche die Natur ihrem Geschlecht eigen gemacht hat, und ohne welche diese Hälfte der menschlichen Gattung weder zu ihrer Bestimmung in dieser sublunarischen Welt so geschickt, noch in der Tat, so liebenswürdig sein würde als sie ist. [...]
Cleonissa unterschied sich von den anderen Frauen von Syrakus dadurch, dass sie sich besonders unnahbar gab. Dies heilt sie für einen so großen Vorzug, dass sie nicht verstehen konnte, weshalb Agathon keine Annäherungsversuche machte. Dass sie mit Philistus verheiratet war, schien ihr keine Rechtfertigung für Agathons Zurückhaltung.
So beschloss sie, ihn mit allen Mitteln weiblicher Kunst, Agathon zu ihrem schmachtenden Liebhaber zu machen.
Cleonissa hatte bereits die Hälfte ihrer Künste erschöpft, ehe er nur gewahr wurde, daß ein Anschlag gegen ihn im Werke sei; und von dem Augenblick, da er es gewahr wurde, stieg sein Kaltsinn, nach dem Verhältnis wie ihre Bemühungen sich verdoppelten, auf einen solchen Grad; oder deutlicher zu reden, der Absatz, den ihre zuletzt bis zur Unanständigkeit getriebene Nachstellungen mit der affektierten Erhabenheit ihrer Denkungs-Art, und mit der Majestät ihrer Tugend machten, tat eine so schlimme Würkung bei ihm, daß die schöne Cleonissa sich genötiget sah, die Hoffnung des Triumphs, womit sich ihre Eitelkeit geschmeichelt hatte, gänzlich aufzugeben. Die Wut, in welche sie dadurch gesetzt wurde, verwandelte sich nach und nach in den vollständigsten Haß, der jemals (mit Shakespear zu reden) die Milch einer weiblichen Brust in Galle verwandelt hat. [...]
In dieser Situation befanden sich die Sachen, als Dionys, des ruhigen Besitzes der immer gefälligen Bacchidion, und ihrer Tänze überdrüssig, sich zum ersten mal einfallen ließ, die Beobachtung zu machen, daß Cleonissa schön sei. [...] Dionys war so dringend, so unvorsichtig—und sie hatte so viele Personen in Acht zu nehmen—sie, die in jedem andern Frauenzimmer eine Nebenbuhlerin hatte, und bei jedem Schritt von hundert eifersüchtigen Augen belauret wurde, welche nicht ermangelt haben würden, den kleinsten Fehltritt, den sie gemacht hätte, durch eben so viele Zungen der ganzen Welt in die Ohren flüstern zu lassen. [...] Sie setzte also seinen Erklärungen, Verheißungen, Bitten, Drohungen, (zu den feinern Nachstellungen war er weder zärtlich noch schlau genug) eine Tugend entgegen, welche ihn durch ihre Hartnäckigkeit notwendig hätte ermüden müssen, wenn das Mitleiden mit dem Zustand, worein sie ihn zu setzen gezwungen war, sie nicht zu gleicher Zeit vermocht hätte, seine Pein durch alle die kleinen Palliative zu lindern, welche im Grunde für eine Art von Gunstbezeugungen angesehen werden können, ohne daß gleichwohl die Tugend, bei einem Liebhaber wie Dionys war, dadurch zuviel von ihrer Würde zu vergeben scheint. Die zärtliche Empfindlichkeit ihres Herzens—die Gewalt welche sie sich antun mußte, einem so liebenswürdigen Prinzen zu widerstehen—die stillschweigenden Geständnisse ihrer Schwachheit, welche zu eben der Zeit, da sie ihm den entschlossensten Widerstand tat, ihrem schönen Busen wider ihren Willen entflohen—o! tugendhafte Cleonissa! Was für eine gute Aktrice warest du!—Was hätte Dionys sein müssen, wenn er bei solchen Anscheinungen die Hoffnung aufgegeben hätte, endlich noch glücklich zu werden?
Cleonissa hatte die Vorsicht gebraucht, die Schwestern des Prinzen, von dem Augenblicke, da sie an seiner Leidenschaft nicht mehr zweifeln konnte, zu ihren Vertrauten zu machen; diese hatten wieder im Vertrauen alles seiner Gemahlin entdeckt, und die Gemahlin seiner Mutter. Die Prinzessinnen, welche seine bisherigen Ausschweifungen immer vergebens beseufzet, und besonders gegen die arme Bacchidion einen Widerwillen gefaßt hatten, wovon sich kein andrer Grund, als die launische Denkungs-Art dieser Damen angeben läßt, waren erfreut, daß seine Neigung endlich einmal auf einen tugendhaften Gegenstand gefallen war. Die ausnehmende Klugheit der schönen Cleonissa machte ihnen Hoffnung, daß es ihr gelingen würde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg zu bringen.[...]
Alles Nachteilige, was Agathon dem Prinzen von seiner neuen Göttin sagen konnte, bewies höchstens, daß sie nicht so viel Hochachtung verdiene als er geglaubt hatte; aber es verminderte seine Begierden nicht; desto besser für seine Absichten, wenn sie nicht so tugendhaft war. Diesen edlen Gedanken ließ er zwar den Agathon nicht sehen; aber Cleonissa wurde ihn desto deutlicher gewahr. Dionys hatte nicht so bald erfahren, daß die Tugend der Dame nur ein Popanz sei, so eilte er was er konnte, Gebrauch von dieser Entdeckung zu machen, und setzte sie durch ein Betragen in Erstaunen, welches mit seinem vorigen, und noch mehr mit der Majestät ihres Charakters, einen höchst beleidigenden Kontrast machte. Er war zwar Diskret genug, ihr nicht geradezu zu sagen, was für Begriffe man ihm von ihr beigebracht habe; aber sein Bezeugen sagte es so deutlich, daß sie nicht zweifeln konnte, es müßte ihr jemand schlimme Dienste bei ihm geleistet haben.
Er ließ also den Philistus zu sich rufen, und entdeckte ihm mit der ganzen Vertraulichkeit eines ehrlichen Mannes, der mit einem ehrlichen Manne zu reden glaubt, die nahe Gefahr, worin seine Ehre und die Tugend seiner Gemahlin schwebe. Freilich entdeckte er dem edeln Philistus nichts, als was dieser in der Tat schon lange wußte; aber Philistus machte nichts desto weniger den Erstaunten; indessen dankte er ihm mit der lebhaftesten Empfindung für ein so unzweifelhaftes Merkmal seiner Freundschaft, und versicherte, daß er auf ein schickliches Mittel bedacht sein wollte, seine Gemahlin, von welcher er übrigens die beste Meinung von der Welt habe, gegen alle Nachstellungen der Liebesgötter sicher zu stellen. Man hat wohl sehr recht, uns die Lehre bei allen Gelegenheiten einzuschärfen, daß man sich die Leute nach ihrer Weise verbindlich machen müsse, und nicht nach der unsrigen. [...]
Aber diese Leute aus der großen Welt sind so pünktliche Beobachter des Wohlstands!—und sind darum zu beloben; denn es beweiset doch immer, daß sie sich ihrer wahren Gestalt schämen, und die Verbindlichkeit etwas bessers zu sein als sie sind, stillschweigend anerkennen [...]
Dionys geriet in einen so heftigen Anfall von Eifersucht über seinen unwürdigen Liebling—dieser Mann, der der Liebe eines Dionys unwürdig war, war Agathon!—daß Cleonissa, (welche besorgte, daß ein plötzlicher Ausbruch zu mißbeliebigen Erläuterungen Anlaß geben könnte) alle ihre Gewalt über ihn anwenden mußte, ihn zurückzuhalten. Sie bewies ihm die Notwendigkeit, einen Mann, der zu allem Unglück der Abgott der Nation wäre, vorsichtig zu behandeln. Dionys fühlte die Stärke dieses Beweises, und hassete den Agathon nur um so viel herzlicher.