31 Januar 2016

"Unordnung und frühes Leid" sowie andere anspielungsreiche Texte - "Die Manns" II

Dass der Sohn Bert in Thomas Manns Erzählung Unordnung und frühes Leid einige Ähnlichkeit mit Klaus hatte und  keine besonders vorteilhafte Rolle spielte, hatte Klaus Mann nicht gefallen. Doch, was ihm nicht behagt hatte, mutete er in seinen frühen Erzählungen anderen zu. Der Schulleiter aus seiner Erzählung Der Alte, der sich seinen Schülerinnen sexuell näherte, hatte zumindest einige äußerliche Ähnlichkeit mit dem Leiter der Odenwaldschule, Paul Geheeb. In Klaus Manns Kindernovelle entdeckt sein jüngerer Bruder Golo Ähnlichkeiten zwischen sich und der Figur Fridolin, doch über die Charakterisierung dieser Figur als klein, hässlich und dämonisch weiß er sich nicht zu freuen. Dass die Mutter von vier Kindern, die sich mit einem jungen Mann vergnügt, der Ähnlichkeiten mit Klaus Mann hat, Witwe eines verstorbenen Schriftstellers mit "großer Nase, unerbittlich verkniffenem Mund und einem strengen, träumenden Blick"  ist, versteht Tilmann Lahme als die "Antwort auf Unordnung und frühes Leid", die Klaus Mann findet.
Auch Golo und Monika Mann, das jüngere Geschwisterpaar, werden auf ein Internat geschickt und zwar nach Salem (wo Klaus wegen Exzentrität nicht aufgenommen worden war). Monika hält es - obwohl sie da recht beliebt ist - nicht lange dort aus, Golo dagegen liebt die Schule, obwohl der Schulleiter Kurt Hahn, selbst homosexuell, ihn drängt, seine "abnormen Triebe 'auszuhungern'".

(Zur Fortsetzung des Textes)

Tilmann Lahme: "Die Manns" und die "frackgewohnte Erscheinung"

Lahme hat den gesamten Briefwechsel der Mannfamilie, den er greifen konnte, ausgewertet.
So entstehen die Bilder der einzelnen Personen:
Die beiden hochbegabten, charmanten, vielfältigen Kontakten offenen: Erika und Klaus.
Erika: Schauspielerin, befreundet mit Therese Giehse, mit Gustav Gründgens verheiratet, Kabarettistin (Pfeffermühle), Politaktivistin, zwillingshaft verbunden mit Klaus, der seinen eigenen Weg geht und dem Tod noch näher steht als seiner Schwester. Erika ist die, die Thomas Manns glasklare Abgrenzung vom Nationalsozialismus durchgesetzt hat. Sie entscheidet sich dafür, die Vortragsreise ihres Vaters durch die USA zu managen, wird in New York zerrissen von den Loyalitäten zu ihrem Vater und andererseits zu Klaus und ihrem noch stärkeren Willen, in London gegen Hitler zu kämpfen, schreibt daher den auf Betrug angelegten Brief an Agnes Meyer, der die gleichzeitige Finanzierung des Hauses für ihren Vater und der Zeitschrift (Decision) ihres Bruders sicherstellen soll.
(wird fortgesetzt. Bis dahin kann man den Wikipedialinks und den verlinkten Tweets sowie den von dort weiterführenden Links nachgehen. Dabei erfährt man vieles, was Lahme nicht auch noch mit behandeln konnte und gegebenenfalls weit mehr, als ich über die Links aufgenommen habe.)

Was fehlt einem aber selbst nach der Verbindung von Lahme und Wikipedia?
Die "frackgewohnte Erscheinung" (S.215 meiner Ausgabe von Klaus Manns "Der Wendepunkt").

"Mit heiser gedämpfter Stimme, atemlos vor/ respektvoller Erregung , beschrieb er den solemnen Vorgang: "Thomas Manns frackgewohnte Erscheinung bewegt sich auf den König zu ... Seine Majestät streckt die Hand aus ..." (S.214/15)
"Wir hörten den Rest der Reportage [über die Nobelpreisverleihung 1929] nicht, so sehr mußten wir lachen." (Der Wendepunkt, S.215)
Sie lachen über den Reporter und über den Vater, der eine allzu respekteinflößende "frackgewohnte Erscheinung" ist.*
Diese Erscheinung, Th. Mann, wird über Klaus gedacht haben, was Goethe über den Barockdichter Günther geschrieben hat: "Er wusste sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten." Auch wenn Thomas diese Formulierung nicht im Kopf gehabt haben wird. Diese Sorge wird ihn bestimmt haben, als er Klaus in die Odenwaldschule schickte - ohne den erhofften Erfolg.

* Seit er den Nobelpreis hat und die Buddenbrooks Volksausgabe über eine Million Exemplare erreicht hat, noch mehr. Als Klaus über die "frackgewohnte Erscheinung" lacht, ist er 23 Jahre alt, als er in seiner deutschen Übersetzung des 1942 erschienenen Werkes "The Turning Point" über die Volksausgabe mit einer Auflage von einer Million schreibt, ist er um 39 Jahre alt. (Thomas war 21 Jahre alt, als er die Buddenbrooks begann.) Kurz nach Beendigung der Übersetzung wählt Klaus - nach früheren erfolglosen Versuchen wieder einmal - den Freitod. - Ein Exemplar der Volksausgabe der Buddenbrooks steht auch in meinem Bücherregal.
Die Fortsetzung steht in einem neuen Artikel.

26 Januar 2016

Königliche Hoheit und die Quinterone

Klaus Heinrich und die Quinterone* Imma Spoelmann haben mehr Ähnlichkeiten, als ich in Erinnerung hatte.
Beide waren schon früh "ein wenig allein" und hatten "die Verpflichtung, sich zur Schau zu stellen".

*"Adicionalmente, se denominaba cuarterones o quinterones a aquellas personas que tenían una cuarta o quinta parte de sangre africana o indígena, pero con aspecto bastante “blanco”. [Zusätzlich werden die, die ein Viertel oder Fünftel afrikanischen oder indigenen (indianischen) Blutes in sich haben, Quarteronen oder Quinteronen genannt.]" (Casta)

18 Januar 2016

Michaels Kampf mit dem Drachen

 Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen; und der Drache stritt und seine Engel, 
8und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. 
Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.  (Offenbarung des Johannes Kapitel 12 Vers 7-9)

Dazu die Wikipedia unter dem Stichwort Erzengel Michael:

"Im Judentum wird Michael zusammen mit Gabriel bildhaft als Schutzengel des Volkes Israel benannt."
"Der hl. Michael wurde seit der siegreichen Schlacht auf dem Lechfeld am 10. August 955 zum Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches und später Deutschlands erklärt."
" Nach dem Glauben der Zeugen Jehovas ist Michael sowohl mit dem Wort Gottes (vgl. Joh 1,1) identisch als auch mitJesus. Er habe Jehova bei der Erschaffung der Welt Hilfe geleistet, später als fleischgewordener Menschensohn ein Leben ohne Sünde gelebt und sei nach dessen Opfertod in seinen ursprünglichen spirituellen Zustand zurückgekehrt."

Unter dem Stichwort Höllensturz wird die Vorstellung vom gefallenen Engel ausführlich behandelt. Ich zitiere hier nur:
 In "John Miltons epischem Gedicht Paradise Lost [...] rebellieren Satan und ein Drittel der Engel gegen Gott, nachdem dieser seinen Sohn als Herrscher eingesetzt hat. Satan und seine Verbündeten sind zu stolz, um sich der Herrschaft von Gottes Sohn unterzuordnen. Sie machen von ihrem freien Willen Gebrauch, verweigern Gott den Gehorsam und bereiten sich für einen Angriff vor. Daraufhin entbrennt ein drei Tage währender Kampf zwischen den gottestreuen Engeln und den Rebellen, an dessen Ende Gottes Sohn in Gottes Auftrag die ungehorsamen Engel aus dem Himmel vertreibt und sie in die Hölle stürzen lässt.[3] Nach dem Fall rächt sich Satan, indem er die von Gott geliebten Menschen zum Essen der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis verführt."

Unter dem Stichwort Lucifer heißt es in der Wikipedia:

"Wandlung zum Luzifer-Satan
In seiner Schrift De principiis Prooemium und in einer Homilie über das Buch XII verglich der christliche Gelehrte Origenes den Morgenstern Eosphoros-Luzifer erstmals mit dem Teufel/Satan. Im Kontext mit der im Christentum aufkommenden Engellehre vertrat Origenes die Ansicht, dass der ursprünglich mit Phaeton verwechselte Helal-Eosphoros-Luzifer, nachdem er sich Gott gleichzustellen versuchte, als himmlischer Geist in den Abgrund stürzte. Tertullian (150–230), Cyprian (um 400), Ambrosius (um 340–397) und einige andere Kirchenväter schlossen sich im Wesentlichen dieser dem hellenistischen Mythos entlehnten Auffassung an.
Hieronymus, Cyrillus von Alexandrien (412–444) und Eusebius (um 260–340) sahen demgegenüber in der Prophezeiung des Jesaja nur das mystifizierte Ende eines babylonischen Königs. Diesen irdischen Sturz eines heidnischen Königs von Babylon betrachteten sie als deutlichen Hinweis auf den himmlischen Sturz Satans.[2]

Gleichsetzung Luzifers mit dem Satan

Im Mittelalter wurde Luzifer durch die Kombination von Jesaja (14,12) (Sturz des Sohnes der Morgenröte) mit Lukas (10,18) (Sturz Satans) auch im offiziellen kirchlichen Sprachgebrauch zum Synonym für den Satan/Teufel.[3][4]"

17 Januar 2016

Textbetrachtung

Stimmen die Bilder?
Gibt es ein Zuviel?

Ueber dem Teich, hoch im blauen Frühlingshimmel, hing lange und unbeweglich ein dunkler Punkt. Das blanke Gewässer wimmelte von Fischen; es lag immer so einsam, und wehrlos da, und die alten, nahe an seinen Spiegel gerückten Baumriesen konnten auch nicht helfen, wenn der graugefiederte Dieb, jäh aus den Lüften herabstürzend, nach Herzenslust das silberschuppige Leben im Wasser würgte. Heute nun traute er sich nicht herab, denn es waren Menschen da, große und kleine, und die kleinen schrieen und jubelten so ungebärdig und warfen im kindischen Vermessen ihre bunten Bälle nach ihm; rastende Pferde wieherten und stampften das Ufergeröll, und durch die Baumwipfel quollen Rauchwolken und fuhren mit zuckenden Armen gen Himmel. Menschenlärm und Rauch – das war nichts für den heimtückisch hereinbrechenden Räuber, nichts für den Segler des kristallenen Aethers; mißmutig zog der Reiher immer weitere Kreise und verschwand zuletzt unter einem gellenden Kinderhurra so spurlos, als sei sein gewichtiger Körper zerblasen und zerstoben.
(Eugenie Marlitt: Die zweite Frau - Kapitel 1)

Man kennt es schon von mir. Immer wieder zitiere ich Texte von Marlitt, wo sie beschreibt und sich nicht in klischeehaften Charakterzeichnungen ergeht. 

Hier ein Beispiel dafür:
"Ihre Mutter stieß einen gellenden Laut aus, dann warf sie sich rücklings auf ein Sopha und verfiel in Lachkrämpfe.
Ruhig, mit untergeschlagenen Armen, stand Ulrike zu Häupten der wie toll um sich schlagenden Frau und sah mit einem bitter-ironischen Lächeln auf sie nieder.
„Der arme Magnus!“ flüsterte Liane, nach der Thür des Nebenzimmers deutend. „Er ist drüben – wie wird er erschrecken über diesen Lärm! … Bitte, Mama, fasse Dich! Magnus darf Dich nicht so sehen – was soll er denken?“ wandte sie sich halb bittend, halb mit ernstem Nachdruck an ihre Mutter.
Die widerwärtige Scene, welcher die Töchter stets durch Nachgiebigkeit und möglichsten Gehorsam vorzubeugen suchten, spielte sich ja nun doch ab; nun machte sich der tiefe, gerechte Unwille geltend, den das charaktervolle Weib gegenüber den Ausschreitungen einer entarteten Frauennatur empfindet. Die junge Mädchengestalt zitterte nicht mehr vor Furcht – es sprach etwas unbewußt Ueberlegenes aus der Bewegung, mit welcher sie ernst mahnend die Hand hob. Sie predigte tauben Ohren – das Geschrei dauerte fort."

01 Januar 2016

Wäinämöinen und Louhi

Inhaltlicher Zusammenhang: 

Väinämöinen reist ins Nordland (Pohjola), mit der Absicht, um die Nordlandstochter zu werben. Unterwegs erschießt Joukahainen aus Rache Väinämöinens Pferd und dieser stürzt ins Meer. Dort rettet ihn ein Adler und trägt ihn ins Nordland. Um nach Hause zu kommen, verspricht Väinämöinen Louhi, der Herrscherin des Nordlandes, der Schmied Ilmarinen werde ihr den Sampo schmieden. (Wikipedia)


[...] Vers 295:
Sprach der alte Wäinämöinen:
Was wohl wünschst du zu erhalten,
Wenn du mich nach Hause schaffest,
An den Saum des eignen Feldes,
Daß den Kuckuck dort ich rufen,
Dort die Vögel singen höre?
Willst du eine Mütz' voll Goldes,
Einen Hut voll schönen Silbers?


Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise:
O du weiser Wäinämöinen,
Zaubersprecher aller Zeiten,
Nimmer werd' nach Gold ich fragen,
Nimmer mich um Silber kümmern:
Gold taugt uns zum Kinderspielwerk,
Silber uns zu Schlittenschellen;
Kannst du mir den Sampo schmieden,
Mir den bunten Deckel hämmern
Aus der Schwanenfeder Spitze,
Aus der Milch der güsten Färse*,    *(einer jungen Kuh, vor dem Milcheinschuss)
Einem einz'gen Gerstenkorne,
Einer einz'gen Schafwollflocke,[85]
Ja, dann geb' ich meine Tochter,
Dir die Liebliche zum Lohne,
Bringe dich zum Heimatlande,
Daß du dort die Vögel singen,
Dort den Kuckuck rufen hörest
An dem Saum des eignen Feldes.


Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
Nicht kann ich den Sampo schmieden,
Nicht den bunten Deckel hämmern;
Bring' mich nach dem Heimatlande,
Werde Ilmarinen senden,
Daß den Sampo er dir schmiede,
Dir den bunten Deckel hämmre,
Deine Tochter sich gewinne,
Daß die Jungfrau er beglücke.


Dieser ist ein Schmied, wenn einer,
Ist ein Meister in den Künsten,
Hat den Himmel schon geschmiedet,
Hat der Lüfte Dach gehämmert,
Nirgend sieht man Hammerspuren,
Nirgend eine Spur der Zange.


Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise:
Dem nur geb' ich meine Tochter
Und versprech' mein Kind nur jenem,
Der den Sampo für mich schmiedet,
Der den bunten Deckel hämmert
Aus der Schwanenfeder Spitze,
Aus der Milch der güsten Färse,
Einem einz'gen Gerstenkorne
Und aus einer Schafwollflocke.[86]


Schirrt drauf an das muntre Füllen,
Spannt das braune vor den Schlitten,
Setzt den alten Wäinämöinen
In den hengstgezognen Schlitten,
Spricht drauf Worte solcher Weise,
Läßt sich selber so vernehmen:
Heb' dein Haupt nicht in die Höhe,
Strecke nicht hervor den Körper,
Wenn das Roß nicht schon ermüdet,
Wenn nicht schon der Abend da ist;
Hebst dein Haupt du in die Höhe,
Reckest du den Kopf nach außen,
Wird gewißlich Unheil kommen,
Dich ein bös' Geschick ereilen.


Schlug der alte Wäinämöinen
Nun den Hengst, auf daß er liefe,
Daß der Mähne Flachs sich rührte,
Lärmte so des Weges weiter
Aus dem nimmerhellen Nordland,
Aus dem düstern Sariola.
(Kalevala 7.Rune)