28 September 2022

Kurkow: Graue Bienen

 "In seinem Roman "Graue Bienen" widmet sich der Autor dem vom Krieg geprägten Alltag der Menschen im Donbass: [...] Als endlich der Frühling anbricht, beschließt Sergejitsch seine Bienen einzupacken und in den Westen zu fahren, in der Hoffnung, sie irgendwo fernab vom Krieg frei fliegen lassen zu können."

Kurkow: Graue Bienen (Perlentaucher)

"Hauptschauplatz ist ein Dorf im Niemandsland der sogenannten Grauen Zone im Kampfgebiet zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten im Spätwinter 2016. Die meisten Einwohner sind vor den ständigen Raketenangriffen beider Seiten geflüchtet, ihre Häuser stehen leer, die Kirche ist zerbombt, seit drei Jahren gibt es Strom bestenfalls halbstundenweise pro Tag. 

Nur zwei Frührentner, der Hobbybienenzüchter Sergejitsch und Paschko, dessen Feind seit Kindheitstagen, harren noch im Dorf aus, ohne Fernsehen, ohne Radio, ohne Dorfladen, im niederdrückenden Grau in Grau des Wetters und der Umwelt. Sergejitsch ist Anhänger einer integralen Ukraine; Paschko sympathisiert mit den prorussischen Milizen, „unseren Verteidigern“. Die beiden stehen damit exemplarisch für die verfeindeten Bevölkerungsteile im Donbass mit ihren konträren politischen Sympathien." Sigrid Löffler: Andrej Kurkow: „Graue Bienen“Ein scharfes Bild des Ukraine-Konflikts, Deutschlandfunk 1.8.2019

"Das geht doch nicht", seufzte Sergejitsch und bemerkte, wie hilflos eine Worte klangen. (S.286)

Kleiner Exkurs zum Thema Hilflosigkeit

Vielleicht hätte man den russischen Text auch mit "Das darf doch nicht sein" übersetzen können. Die vorliegende Übersetzung der Taschenbuchausgabe von 2021 freilich erinnert an Merkels empörte Reaktion auf die Aufdeckung der Spitzelarbeit der NSA, wo sich bald ergab, das auch Merkel ausgespäht worden war: "Das geht gar nicht!" Das klang  energisch, aber auch schon ein bisschen nach dem Lehrer, der zwar empört ist, aber noch nicht weiß, was er dagegen tun soll. Auf den konkreten Fall bezogen klingt es so, als hätte Merkel eingesehen, dass die BRD auch lange nach der offiziellen Souveränität 1955 ein penetriertes System ist. (Nach Rosenau ist das "ein Staat oder staatliches Gebilde, dessen Gesellschaft von einer anderen Gesellschaft so durchdrungen ist, dass es die Ziele der anderen Gesellschaft übernimmt" (Wikipedia)) Wenn die BRD  auch nicht jedes Ziel unbesehen übernimmt, so ist sie doch von der NSA durchdrungen (penetriert), weil sie für die Ziele, die sie mit den meisten Staaten, die wie sie auf westlichen Wertordnung basieren, auf die Auslandsaufklärung der NSA angewiesen (oder glaubt es zu sein). So spricht wenig dafür, dass Snowdens Aufklärung in Deutschland zu mehr geführt hat als zu einem Verfassungsgerichtsurteil, dass diese Art von Ausspähung als grundgesetzwidrig erklärt (Spiegel 19.5.2020) 

Er fühlte sich ebenfalls hilflos, als würde auch in seinem eigenen Leben nichts von ihm selbst abhängen. Als säße er auf dem schneebedeckten Feld neben dem getöteten Burschen mit dem goldenen Ring im Ohr, als würden von oben Raketen und Granaten niederprasseln und mal weiter weg, mal in der Nähe explodieren, manchmal sogar so nah, dass der Lärm wie geschmolzenes Eisen in die Ohren floss. (S. 286)

Kurkow nennt den Roman offenbar deshalb "Graue Bienen", weil die Bienen als Teil der Natur keiner Partei zuzuordnen sind (und sich deshalb nicht glauben gegenseitig töten zu müssen). Deshalb sind sie Sergejitsch so wichtig, dass er ihnen zuliebe seine neutral graue Zone verlässt und sich damit notgedrungen auf das Leben außerhalb einlässt.

Daher scheint mir die Bemerkung der Rezensentin Löffler "Sergejitsch ist Anhänger einer integralen Ukraine; Paschko sympathisiert mit den prorussischen Milizen" zu verkürzt. Sergejitsch war in seiner Kindheit mit Paschko verfeindet. Inzwischen bilden sie eher eine Symbiose als einzige Zurückgebliebene des Ortes. In dieses "Feind"/Lebens-gemeinschaft-Verhältnis stellt Kurkow natürlich nicht zufällig, und nicht zufällig entdeckt Sergejitsch auf der Krim seine Nähe zu den Tataren, weil sie - wie er - keiner Partei zugehören, sondern in dem anderen den Menschen sehen. 

Die Tataren auf der Krim, die anlässlich der Besetzung durch Russland (jedenfalls nach der Darstellung Kurkows) der Ukraine keine Träne nachweinen, sehen in Sergejitsch den Menschen - anders als die Banderisten (für die er ein Feind ist) und die russischen Journalisten, die ihn für ihre Propaganda brauchen und nur stumme Bilder von ihm zeigen, weil sie seine Botschaft keinesfalls weitergeben wollen.

Auf der Krim: Als er morgens die Augen aufschlug, hatte er keine Zweifel mehr daran, im Paradies gelandet zu sein. Er war in einem Märchen, in dem die Natur den Menschen nicht nur diente, sondern ihn bediente, in dem die Sonne mit dem Untergehen wartete, bis der Mensch sein Tagewerk verrichtet hatte. [...]  Vor dem Hintergrund des Vogelgesangs kam in Sergejitsch die unerklärliche Überzeugung auf, dass alles Schlechte hinter ihm lag und vor ihm die verdiente Ruhe sowie ein Leben im Einklang mit den Bienen, also auch im Einklang mit der Natur. (S. 288/89 - Hervorhebung von Fontanefan)

Der Roman Andrij_Kurkows, 2019 veröffentlicht, ist ein Appell für den Frieden, der - Russlands Angriff von 2022 nicht vorausahnend - für keine Partei Stellung bezieht, auch nicht für die Ukraine, der 2014 wichtige Teile entzogen wurden, sondern nur für die Natur, den Frieden und die Zwischenmenschlichkeit.

Anlässlich der Beerdigung:

"Er fühlte sich schon wie eine Biene in einem fremden Bienenstock." (S.337)

"Im Bienenstock suchen sie nicht."

"Ja, da hast du recht! stimmts Paschka zu und klang fast glücklich. "Das war's! Also dann! Ich warte!"

'Na, einer wartet immerhin auf mich!' dachte Sergejitsch und trat aufs Gaspedal. (S.445)



10 September 2022

Martin Luserke: Hasko

"Martin Otto Rudolf Luserke (* 3. Mai 1880 in Berlin;[1] † 1. Juni 1968 in Meldorf, Holstein) war ein deutscher Reformpädagoge, Barde, Erzähler, Schriftsteller und Theaterschaffender.[2] Er gehörte zu den bedeutenden Persönlichkeiten der deutschen Reformpädagogik[3] und gilt als ein Wegbereiter der heutigen Erlebnispädagogik.[4] Er war Mitgründer der Freien Schulgemeinde in Wickersdorf und der Schule am Meer auf Juist, Initiator und Mitgründer der ersten auf einer Insel im Meer angesiedelten reformpädagogischen deutschen Schule und Initiator der einzigen freistehenden Theaterhalle einer deutschen Schule. Als herausragende pädagogische Leistung Luserkes wird die Einführung des „Darstellenden Spiels“ (Laienspiel),[5] das sich vom professionellen Theater abgrenzte,[6] in die Schul- und Jugendarbeit betrachtet. Dieses wurde auch in die Jugendbewegung integriert.[2][7] Er gilt daher als Begründer des Laienspiels an den Schulen Deutschlands. Die Begriffe „Bewegungsspiel“[8] und „Darstellendes Spiel“[9] gehen auf Luserke zurück. Als erster Pädagoge entwickelte Luserke eine eigene Theorie des Schultheaters.[10]" (Wikipedia: Martin Luserke)

"Hasko ist der Titel des erfolgreichsten Romans des deutschen SchriftstellersErzählers, Theaterschaffenden und Reformpädagogen Martin Luserke.[1] Der Roman erschien auf Deutsch erstmals 1935 und ist auch in einer niederländischen und einer französischen Sprachfassung erschienen.[2][3]

Er handelt von dem niederländischen Freiheitskämpfer Hasko, einem Wassergeusen, der während des Spanisch-Niederländischen Krieges (1568–1648) auf der Nordsee in eine Seeschlacht um die ostfriesische Stadt Emden und in ein Seegefecht vor der westfriesischen Insel Ameland verwickelt wird. Zu jener Zeit wandelte sich das Ansehen der Wassergeusen von Seeräubern zu hoheitlich durch Wilhelm I. von Oranien anerkannten Freiheitskämpfern.

Das überwiegend auf Luserkes Schiff Krake in Emden entstandene Buch enthält u. a. historisches Kartenmaterial des Gefechts bei Ameland und der Seeschlacht vor Emden sowie Zeichnungen der damals von den Geusen verwendeten Schiffstypen.

Luserkes Roman wurde im Jahr 1935 mit dem 1. Preis des Literaturpreises der Reichshauptstadt Berlin ausgezeichnet.[4] Seinerzeit erschien das Buch sowohl im Münchener Franz-Eher-Verlag als auch im Potsdamer Ludwig-Voggenreiter-Verlag.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde eine Voggenreiter-Teilauflage von Hasko mit dem Vermerk „Einmalige Sonderausgabe der Zentrale der Frontbuchhandlungen Paris“[5] versehen. Ihr Druck erfolgte in der Imprimerie Chaim Paris.[6] Diese Buchausgaben waren für die Soldaten der Wehrmacht vorgesehen und wurden in dem für die Feldpost geeigneten Kleinoktav-Format herausgegeben. Den Verlagen sicherte dies während des Krieges Papierzuteilungen und den Fortbestand.[7]

Hasko wurde zuletzt 1989 neu aufgelegt." (Wikipedia: Hasko)


Grober Überblick:

Die Bewohner von Juist wollen die Geusen vom Schiff Greifer von Lancelot von Brederode vergiften, weil diese sie gezwungen haben, sie auf ihrem Landgang kostenlos zu bewirten, doch Hasko hat von dem Plan erfahren und zerstört den Krug mit dem vergifteten Wein mit einem Beilwurf.

Als die Geusen zum Schiff zurückkehren, nehmen sie Feike Fuko, den Sohn des reichsten Mannes von Juist, und Hasko als Schiffsjungen mit. Vor schwerster Körperstrafe (auf eine Kanone gebunden) schützt ihn der "Bleichdoot" von Brederode, dem - seltsam genug - die wildesten Geusen auf einen Wink hin gehorchen. Unter den Kanonieren erkennt der Schotte Mac gleich die Qualitäten Haskos.

Im ersten Gefecht verdient sich Hasko eine Waffe, als er Jan van Troyen, den beliebtesten aller Geusenkapitäne unterstützt. Vor Emden erobert er einen Leichter, weil die Gegner ihn für das "Vliegespenst" halten, bringt ihn so auch durch die feindlichen Linien.

Als er in Emden dem spanischen Spion "Loop-over-de-Loft" (Graf Meghem) in die Hände gefallen ist, wird er vom Schiffskoch Pieter Sjoerdes befreit und vereitelt den Plan des Grafen Meghem, mit einem Brander die Geusenflotte zu vernichten, weil der Graf ihm im sicheren Gefühl, Hasko rasch töten zu können, den Plan verraten hatte.

Hasko bekommt ein eigenes Schiff, das er nach seinem besiegten Gegner Loop-over-de-Loft nennt. Vor einem Hinterhalt rettet ihn Sygun von der Insel, die aber darauf in einem Sturm umkommt.

Die Gräfin Meghem lässt, um die  Loop-over-de-Loft besiegen zu können, in Emmerich am Rhein zwei Galeeren bauen. (S.380 ff.)

Während Hasko schwer verletzt in seiner Kajüte liegt, verlieren die Geusen eine Seeschlacht vor Emden, weil die deutsche Küstenbatterie auf sie schießt und der Gegner durch die zwei Galeeren unterstützt wird.

Aber Hasko kann nach seiner Gesundung die Galeeren auffinden und seinen Freund Jan van Troyen rächen. Die Loop-over-de-Loft  siegt über die Galeeren, doch alle drei Schiffe sind nur noch Wracks. Die überlebenden Geusen retten sich im Beiboot einer der Galeeren. Alle drei Schiffe sinken, Hasko geht unter "hoch auf dem Hüttendeck des eroberten Schiffes stehend im Angesicht der deutschen Küste".


Zitate:

Die Greifer schwang ihre Masten knarrend durch die Dunkelheit oben. Es war die Stunde, in der Hasko fern auf der Reede in Lanzelots Boot gezogen wurde. Wie Raubmöwen, die das Umsetzen des Windes an der Unruhe ihres Blutes im Voraus spüren, so erbosten sich die Greifer und ihr wilder Schiffer bei der Annäherung des ahnungslosen Jungen. (S. 59)

Die Flut war im Dunkeln jetzt fast heraufgekommen. Der Wind hatte sich gelegt, und die Masten der Greifer verweilten manchmal, schwach von der großen Laterne angeleuchtet, wie lauernd in der Finsternis oben. Spürte der Schiffsdrache, dass nur zwei Monate später die Meuterei auf diesen Deck blutig ernst ausgetragen werden sollte, und dass der Bootsmann da unten dann leblos von der Hüttenleiter hängend ins Takelwerk starren würde?

Das war die Stunde, als das Boot mit Hasko und die Westecke der Insel bog und der Junge zum erstenmal die Hecklaterne eines Kampfschiffes feierlich durch die Dunkelheit schimmern sah.". (S. 63)

Das Vlie ist die "Osterems" der nördlichen Rheinmündung. Ihre "Westerems" ist das Marsdiep zwischen der Spitze von Nordholland und der Insel Texel. Die Inseln mit ihrer Nachbarinsel Vlieland zusammen könnte man als Borkum ansehen. Sie werden durch eine schmale, gefährliche Stromrinne auseinandergespalten, Engelschmangat geheißen. (S. 131)
Das Vliegespenst ist zu Zeiten ein toller Harlinger Bootsmann Rasmus gewesen. Er hat einen Hass auf die Meerfrauen gehabt. Wie die Fischer die Seehunde mit dem Knüppel auf den Sand hinaufhetzten so ist er hier im Watt einmal mit der Bootsmannpeitsche nachts hinter ihnen her gewesen. Na aus dem Watt ist der dann natürlich nicht mehr zurück gekommen.
Aber er hat auch als toter Mann seinen wilden Zorn behalten. Jetzt hilft er den Kameraden an Land. Im Dunkeln watet er hier die flachen Priele entlang oder er liegt auf dem Vlie quer im Strom auf einem riesigen Kahn. Der ist aber bloß ein Gespenst von einem Schiff. Auf der Back brennt ein Feuer mit toter Flamme.
In den Dünen brennt Rasmus' Laterne. Wo nun ein Ertrunkener zwischen den Inseln vor dem Meerfrauen herjagt, da watet Rasmus mit der Peitsche den Priel entlang und heult: "Holl faast!" Und packt und schleppt weg und begräbt alles in den Dünen, was sich bewegt [...] denn das Vliegespenst nimmt sich, wenn es in Fahrt ist, nicht die Zeit, erst genau nachzusehen, wen es gepackt hat." (S. 143/44)

Aber waren die abergläubischen Feinde vorhin nicht vor Hasko als dem Vliegespenst ausgerissen? War es nicht immer noch dunkel, wenn gegen morgen der Ebbestrom einsetzen würde? Wie von einem Blitzstrich gekennzeichnet, stand jäh der verwegene Plan in Hasko fertig da, seinen Kahn als Vliegespenst maskiert durch die Feinde zur Geusenflotte zu bringen; so ganz selbstverständlich natürlich! "Beiboot mit Prise und vier Gefangene zurück, Bor van Troyen!" [...] 

Als das erste Morgengrauen fahl im Osten aufstand, setzte der Sturm um. Gerade um diese Zeit wetterleuchtete weit im Norden die Kanonade der Geusenflotte. "Es ist gerade noch Zeit für uns; Gespenst geh los!" kommandierte Hasko. Sie hieben das Ankertau durch. Der Sturm ergriff den schwerfälligen Kasten und schob ihn quer liegend und langsam gegen den Wind seewärts. In der Dämmerung sahen sie bald, dass ein kleines Vlieboot ihnen eilig entgegensegelte. Weiter hinten dagegen schäumte die dunkle Masse eines großen Rahsegels auf dem Wasser gegen sie heran. Als das Vlieboot nahe gekommen war, ließ Hasko seine gespenstische Veranstaltung zum ersten Mal anlaufen. Sie tanzten und heulten "holl faast!" Der Leichendampf des toten Feuers wölbte sich schaurig über der Back empor.

Und plötzlich sahen sie wahrhaftig, wie das Vlieboot wendete und mit dem Strom von ihnen weg zu kreuzen begann. Und was war das? Es macht ihnen nicht nur Platz, es kehrte sogar um! "Sie reißen aus", jubelte Hasko. Und dann wendete auch das große Rahsegel und kreuzte vor ihnen weg seewärts! Da lohte noch einmal der Blitz einer ungeheuren Einsicht in Hasko auf. Wenn das so einfach ging, dann würde Hasko, das Vliegespenst, all den zweiundzwanzig flüchtenden Schiffen die ganze Harlinger Fahrt sperren! Jan van Troyen hat dein Lehrling schon etwas vom Geusenhandwerk begriffen? (S.167-69) 

In der ersten Überraschung konnten die sechs Schiffe Dolhains sich wie die Wölfe paarweise an drei große Ostseefahrer hängen. Die Geusen hatten geentert, bevor/die Besatzung nur zur Besinnung kommen konnte. Was an Deck stürzte, wurde zusammengehauen. Und dann stürmten die Geusen nach unten. Hätten sie es fertig gebracht, leise zu bleiben, so wären vielleicht noch mehr Schiffe vor dem Anker überrascht worden. Aber die wilde Begeisterung der Geusen über die Beute war zu groß und so scheuchte das Geräusch des Gemetzels die benachbarten Schiffe auf. (S.170/71)

Hasko hatte in der Dunkelheit seine Maske abgelegt. In diesem Augenblick hörte er durch die Nachtluft plötzlich den Hauch eines Rufes. Der Hall schien die Ems herab über die einlaufende Flut hin zu ihm zu dringen, während der Wind einen Augenblick innehielt. Aber als Hasko sich bemühte, Worte zu verstehen, war wieder nur die Stelle der Nacht da und das Tröpfeln des Regens. Rief der große Orlog aus Emden nach Männern, die fechten wollten, weil eine neue finstere Gefahr aufgetreten war? (S. 182)

Hasko [...] riss das Heckfenster auf, als ob er auf die nächtliche Ems hinaushorchen wollte. "Kapitän" sagte er endlich vom Fenster aus, "lass mich fort! Das Boot aus Grijzermoniken liegt noch bei uns längsseits und wartet auf den Flutstrom. Ich könnte nach Emden fahren, sagt er heiser nach einer Pause, wo viele Menschen auf meine vier Krähen hören. Man könnte Dinge erfahren, die noch ganze Völker gegen die Spanier treiben müssen!

Aus dem männlichen Gesicht Jan von Troyens war bei dem merkwürdigen Klang in Haskos Stimme aller Zorn verschwunden. Ein fester, prüfender Blick lag jetzt auf dem Jüngling.

"Es fängt an ihn zu rufen", nickte der Mann dann in seinen breiten, braunen Bart hinein. "Ich wusste schon lange, dass du eines Tages gehen würdest."

Hasko zuckte mit der Hand, als wollte er von dahinten aus den Arm um den Freund legen.

"Es ist aber nicht nötig", fuhr der Kapitän der Post von Harlem ganz ruhig fort, "dass ihr mit dem lumpigen Boot im Dunkeln emsauf kriecht [...] Ich segle um Mitternacht und kann dich bis querab Delfzijl ins Schleppt nehmen."

Hasko nickte mit glänzenden Augen. Wie schweres, gegossenes Metall, so ist die Freundschaft von Männern in der Welt.

Plötzlich lachte Jan von Troyen herzlich und kramte aus seiner Truhe ein Päckchen hervor, in dem sich beim Auseinanderwickeln Nadeln und eine Dose mit / schwärzlicher Salbe vorfanden. Hasko erkannte das Gezeug, mit dem sich die Seeleute nach indianischer Sitte unvergängliche Zeichen in die Haut zu ritzen pflegten. "Halt den Arm her", sagte der Mann feierlich, "ich muss dich erst noch zu einem zünftigen alten Seeschäumer schon immer machen!" Die Glocken der Ankerwachen draußen klickerten zweimal durch die Nacht, bis die großen, hornigen Finger die schmerzhafte Arbeit vollendet hatten.

"So, Kleiner", sagte Jan von Troyen dann, "mit diesem Vogel, der durch eine Flamme schwebt, auf deinem rechten Oberarm kannst du jeden, der das gleiche Zeichen trägt, von jetzt an zu dir fordern. Weder Hilfe noch Zweikampf darf man dir verweigern, und sei es der große Dirk von Bremen selber. Man muss dabei nur die Worte aneinander fügen: Das Feuer – in der Nacht – auf dem Deich – von Monikendamm." Hasko wiederholte ernst die Worte. So rüstete Jan von Troyen den Freund aus, als ihre Wege auseinander zu gehen begannen. (S. 188/189)


Und da schrak Hasko plötzlich zusammen. Denn in dem stummen Treiben der Rauchschwaden war mit einem Male eine Erscheinung von übernatürlicher Art entstanden. Eine menschliche Gestalt stieg da oben lautlos und hurtig durch die Luft. Sie eilte deutlich sichtbar durch die erhellten Dünste und verschwand in der Schwärze des Daches. Und während Hasko in abergläubischem Schrecken nach oben starrte, fühlte er. dass etwas  tierhaft Warmes, Lebendiges auf dem Boden für einen Augenblick dicht neben ihn gekommen und dann wieder verschwunden war. [...]
"Seht euch bloß vor, Leute", flüsterte eine ängstliche Stimme, "der Loop-over-de-Loft ist heute Nacht immerfort draußen! Herr steh uns bei!", schrak da der Mensch jäh zusammen. Die Dampfschwaden aus dem Schlot stiegen dicht über den beiden hoch und wieder sah Hasko sie von innen her erleuchtet Und sah die unheimliche menschliche Gestalt diesmal mitten im Dampf durch die Luft auf das Dach zulaufen. (S. 217/18)

"Am nächsten Morgen fand man am Ende der Hafengasse die Leiche des Bandenführers Warze Gau mal liegen, durchnässt vom Regen, grau und starr, mit dem kleinen Degenstich durch das Herz." (S. 231)



Hasko trifft in Emden mit  Jan van Troyen und Mac, dem schottischen Kanonier zusammen, 
wird dann aber gefangen genommen und von Graf  Meghem und seinem Knecht Oyto
verhört und mit dem Tode bedroht. Pieter Sjoerdes, der Schiffskoch entdeckt und befreit ihn. ["Ein rechter Schiffskoch scheut weder Müdigkeit noch die zehn Gebote, wenn es das Wohl
 seiner Kameraden gilt." (S.275)]  Dann gelingt es Hasko zusammen mit Mac den Brander, der die Geusenflotte anstecken soll, mit glühenden Kanonenkugeln vorzeitig in Brand zu setzen. (S.249-310)

"Wohin schickst du mich, Admiral?" fragte Hasko.
"Wir müssen, was von Schiffen und Leuten tüchtig ist, unmerklich aus dieser Piratenflotte herauslösen", sagte Brederode
"Jan van Troyen wird dabei sein!" rief Hasko.
"Ich reise zum Oranier",, nickte Brederode.
"Wird Dolhain abgesetzt, und du wirst die Flotte führen?" fragte Hasko bang.
"Nein", lächelte Lanzelot, "diesmal ist der zweite Platz wichtiger. Ich will mich zum Admiral auf der Ems und vor den Inseln machen lassen. Wir wollen eine nordische Flotte ausrüsten und Vertrauen gewinnen – und möge Gott uns nur die Zeit lassen, die hierfür nötig ist!
Als sie die Turmtreppe hinabstiegen, trafen sie auf Mac und Pieter Sjoerdes, die strahlend vor dem neuen Kapitän an die Lederkappe tippten. [...] 
"Wir wollen Jan van Troyen fragen. Wenn dieser Seemann es für gut erklärt, kaufen wir das Schiff für den Kapitän hier", sagte Lanzelot. Mac pfiff. "Und ich denke ihr beiden werdet gern mit ihm segeln wollen." "Oha", sagte Pieter Sjoerdes und grinste, bis ihm die roten Ohren dwars standen.
Sie kauften das Schiff. Und wie man in den alten Zeiten den Namen des besiegten Feind es sich selber zu Ruhm und dem Gespenst zum Trotz weiterführte, so nannten sie Haskos  neues Schiff Loop-Over-de-Loft. (S. 312/13)

Sygun von der Insel

"Ein einziges ungetrübtes Jahr der Taten und des Ruhms sollte Hasko dem Wassergeusen noch beschieden sein, ehe auch ihn die Schatten unabwendbarer Verhängnisse auf seiner Lebensfahrt einholten.
Zutraulicher fast schien der Seewind in diesem Jahre dicht über die Loop-over-de-Loft hinzustreichen, wenn der junge Kapitän auf dem Kastell auftauchte. Als fahles, gleißendes Gold fiel ihm den Haarschopf vom gebräunten Gesicht weg. "Ons Flackerfüer" nannten ihn seine Leute in dieser Zeit, als ihm jedes Unternehmen gelang. 
Ja, der Sturm muss in diesem Jahre hoch im Gewölk zusammengekauert warten, bis die Loop-over-de-Loft sicher hinter die schützende Insel gekommen ist. Der grenzenlose, leere Wasserspiegel meldet es Kap Flackerfüer in flimmernden Streifen, nach welcher Richtung hinter dem Horizont hinunter das spanische Rahsegel sich in seinem leeren Sichtkreis schwerfällig dahinschiebt. Ha, wie das gefürchtete Spähschiff plötzlich mitten unter den Windwolken über die Kim des Opfers wächst! (S. 317/18)

Hasko hatte in dieser Zeit seines Glanzes öfters einen seltsamen Traum, von dem er jedes Mal so beglückt aufwachte, dass er sich scheute, seinen Freunden davon zu erzählen. Er wusste, dass man solche Gesichter leicht durch vorzeitige Geschwätzigkeit verscheuchen kann.
Es war ihm, er stünde an einem der breiten Seegats, wie sie zwischen den Inseln hindurch ins offene Meer führen. Immer war es im Traum ein ganz stiller Abend, und die Ebbe strömte hinaus. Die Sonne aber schien trotz des Abends so strahlend hell wie am Morgen. Im Norden über der See ragte aus farbigen Wolken von unten bis in Unermessliche höher hinauf ein Tor aufgebaut, und sein Spiegelbild stand eben so tief in das Wasser hinein. Auf diese Erscheinung zu nun flog ganz langsam und niedrig durch den Abendglanz über dem strömenden Wasser ein großer, weißer Vogel, der die Schwingen kaum regte. Unter ihm aber, wo ist ein Spiegelbild hätte sein müssen, zog ein leuchtender Fisch dahin, ganz rot, mit Gold geränderten Schuppen. Und alles war so still in der Welt, als sei für die Zeit, in der die beiden dahinzogen, nichts weiter mehr zu tun nötig, als dass nur diese eine Sache geschehe.
Jedesmal, wenn Hasko diesen Traum gehabt hatte, fand er in sich eine noch tiefere Lust an der Fahrt seines Geusenlebens. Er hatte ja, meinte er, das Wolkentor gesehen, aus dem der Orlog des freien Nordens erscheinen sollte! Ein Mann glaubt, Rätsel zeigen sich an, um gelöst zu werden.
Sygun von der Insel aber fand ihre Lust darin, sie zu singen.[...]
Der junge Kapitän wusste noch nicht, welche Werwölfe längst hinter ihnen her waren, und dass er ohne Sygun von der Insel schon den nächsten Winter nicht mehr erlebt hätte.
Es hatte mit dieser Verfolgung sofort begonnen, nachdem der große Anschlag auf die Geusenflotte bei Nesserland misslungen war. Vier Tage später schon hatte der finstere Knecht Oyto Brüssel erreicht. Denn Oyto zog mit einer schrecklichen Beharrlichkeit dahin, wenn er eine Aufgabe einmal angefangen hatte." (S.321/22)

Auf der Insel Ameland lebte in jener Zeit ein Mädchen, das den fremdartigen Namen Sygun führte. Sie war als Kind nach der Strandung eines schwedischen Schiffes mit ihrer Mutter auf die Insel geraten. Es war für arme Leute fast unmöglich, von einem fremden Inselland, auf das sie verschlagen waren, jemals wieder in die weit entfernte Heimat zurückzufinden. Als Syguns Mutter starb, war das Mädchen also ganz auf die Barmherzigkeit des alten Fischers Coert angewiesen, der die beiden in seine schmierige Hütte aufgenommen hatte.
Ihr Leben war hart. Sygun galt als Landfremde natürlich nur wenig unter den Leuten auf der Insel, bei denen von Eltern- und Großelternzeiten her jeder alles über jeden anderen wusste. Da das Mädchen niemals Gespielinnen fand, wurde es scheu. Weil Sygun es dabei aber trotzdem an der rechten Bescheidenheit fehlen zu lassen schien, meinten die Leute, dass ihr Verstand nicht recht in Ordnung sein könne.
Man hielt es dort ebenso wie sonst überall für sehr wichtig, einem Unverständigen das auch noch einzuprägen, wie wenig an ihm sei. Ganz einsam wuchs das Mädchen heran." (S.328) 

Sygun kam schließlich mit dem Wasser beim Pfahl an und kletterte langgestreckt wie eine Katze hinauf. Sie merkte in der Luft, dass sogar ein einzelner Pfahl als Windschutz allerlei wert sein konnte. Unter der Tonne oben war ein stärkeres Querholz, auf dem sie sitzen konnte. Sygun zerriss ihre Schürze und band sich mit den Streifen an den Pfahl. Kaum hatte sie sich auf der geschützten Seite fest an das raue Holz gedrückt, als sie auch schon einschlief. Durch Stunden hin stieg nun die Flut unter ihr langsam am Pfahl hinauf und begann dann eben so langsam wieder abzusinken. Aber ein Mädchen wie Sygun hätte sogar auf einem Windmühlenflügel schlafen können." (S. 338)

Sygun von der Insel und Hasko begegneten sich auf der Sandbank mitten in der fast unirdischen Landschaft [...] Als Syguns Schatten Hasko erreichte, blieb sie stehen. [...]  Wie in meinem großen Traum ist dieses warme Licht dachte Hasko [...] 
Es wurde jetzt so still um die beiden, als sei auf der übrigen Welt nichts weiter mehr nötig, als dass sie jetzt über das letzte Stück Sand auf einander zuschritten. Hasko hörte sein Blut mit  langsamen, singenden Schlägen durch den Kopf läuten. und so gespannt, als ginge es um die alte Piratenlosung[...] sagte er: "Seewärts zieht der Vogel – und auch das Spiegelbild im Wasser – " und hielt inne.
Aber Sygun vollendete rasch: "Da spiegelt sich doch nichts, Mann, da zieht doch der goldrote Fisch – ich wusste es doch sofort, dass dir alles richtig angezeigt war!" Wie schön ist dieser Mann, sang es in ihr und sang es laut und immer lauter in ihr, so dass sie plötzlich rot wurde und die Hand auf den Mund presste." (S. 341/42)

"Plötzlich stand Sigun vor Hasko. "Was machst du bloß!" rief sie zornig. "Dort dicht vorm Feuer führt ja tiefes Wasser seitwärts weg!" Alle schauten auf Hasko. Wollte er das Schiff in die Hände eines Mädchens geben, das niemand kannte? "Du musst mir glauben", heischte Sigun wild. Der Wind blies ihr die Haare lang vom Kopf weg, als wenn ein zweites Flackerfeuer neben Hasko aufgegangen wäre. (S.353)
Und während der Mast sich schon bog und zu bersten begann und kurz darauf mit Gewissheit alles, was an Holz hinten noch stand, herunterreißen musste, erfolgte ein einziger Aufschrei der Leute vorn. Denn Sigun von der Insel war durch das Heckfenster aus ihrem Gefängnis auf die Hütte geklettert und stand nun mit beschwören der Gebärde und fliegenden Haaren unter dem Besanmast. Die Männer sahen, wie sie plötzlich in das Takelwerk emporschaute und ganz starr wurde. Denn sie sah den Tod über sich hängen. Da schaute Sigun mit ihren seltsamen, wilden Augen noch einmal zu Hasko auf das Mitteldeck hinunter. Ehe Hasko auch nur einen Schritt machen konnte, schwang sich das Schiff mit schwerem Zittern schon wieder empor.
Die ganze Wucht der Tagelage brach mit einem einzigen Krachen herunter und trieb hinter dem Schiff weg, sobald sie die Taue loshauen konnten. Hasko konnte keine Spur mehr von Sigun entdecken. Das entlastete Wrack rollte fürchterlich, aber die Ankertrossen konnten dem Druck jetzt standhalten." (S. 361/62)

Hasko schwieg auch diesmal, aber sein Gesicht war schmal und bleich geworden. "Spuck drauf Flackerfüer, wenn es die Deutschen nicht tun", heulte Jan van Troyen mitleidig herüber, aber die Dolfin drehte sofort wieder weg. Und während die Engel von Wisby erneut herankam, dachte Hasko: "Dann bleibt immer noch eins übrig. "Undeutlich, wie eine harte Klippe im Nebel stand es ihm in ihm, dass dann nur noch so gestorben werden konnte, dass sich's späteren Geschlechtern wie ein Flackerfeuer in die Herzen fraß.
Hasko spähte zu dem reich geschnitzten großen Hüttenbau der Engel von Wisby hinüber. Er bemerkte wohl, dass Lanzelot finster zur Seite blickte. Unter den niederländischen Rebellen ging ja schon länger die Rede: Wenn die norddeutschen Fürsten und Länder die evangelische Sache im Stich lassen, so lasst du uns eben für ein freies Holland fechten! Das Meer gibt ja doch die Macht im Norden!
Deutschland! dachte Hasko bitter. (S. 369)

Haskos  geisterhaft geschwindes Schiff machte es Brederode möglich, die auf endlose Frontmeilen verstreuten Unternehmungen zusammenzuheften.( S.392)

Für Hasko war noch einmal das unfassliche Licht zwischen ihm und Brederode und in der Welt umher. Jenes Große war wieder da, das ihm damals in den Schrecken von der Nesserland die Standfestigkeit verliehen hatte, mit der er eine ganze Flotte retten durfte. 
Eine Welt der Kühnheit und Kampfeslust war diese leuchtende Weite. Sie tat sich um die Menschen auf, wo mehrere Männer gemeinsam entdeckten, dass ein Herzschlag wie der andere pochte. Führte Lanzelot den großen Orlog nicht mehr in diesem unirdischen Licht? Hörte er nicht, dass noch ein Echo des Befehls in den Höhen hing, dass Hasko nach Emden segeln sollte, unabhängig von allen Ja und Nein der Vernunft?
Hasko wusste nicht, dass Lanzelot dies alles und noch viel mehr um sich fühlte. Der ältere Mann hatte in diesem fremden Licht einstmals ja auch Hasko fern am Horizont einer grauen Elbbewüste stehend erblickt. Und noch um einen ganzen Horizont weiter zog damals die hohe graue Wasserwand über die Schlickebene heran! "Ich werde nach diesem hochgemuten Deutschen niemand mehr zum Freunde haben", dachte Lanzelot frierend. (S.393/94)

Hasko hatte sich nach der Wand umgedreht, und sein ganzer Körper bebte. Zum ersten Mal bei all diesen schrecklichen Ereignissen weinte Hasko. bitter und wohl eine Stunde lang.
Denn nichts Schlimmeres gibt es für einen Mann als die Schande seines Landes. (S.445)

Wie echte Männer des Nordens focht die ganze Mannschaft der Loop-over-de-Loft . Auf der Back sah man eine Zeit lang Pieter Sjoerdes  stehen. [...] Später sah man den Unermüdlichen, wie er unbekümmert um das Handgemenge im Mittelpunkt die Kettenbolzen der Rudersklaven aus dem Holz der Bänke löste. "Oha", sagte Pieter Sjoerdes, als er auf der zweiten Bank von vorn Haskos Krähen erkannte. "Sucht euch Waffen oder wickelt euch die Armketten um! Drescht sie mit den eisernen Handschuhen auf die Köpfe", mahnte er. Der Knäuel der halbnackten, fahlen Opfer spanischer Grausamkeit wälzte sich ins Innere des Schiffes. Da fand auch die Gräfin Meghem ein schreckliches Ende. Sie erschlugen sie mit den Ketten. [...] 

Aber die Geusen hatten gesiegt, und ihre Flagge straffte sich hoch von der Großstenge der Loop-over-de-Loft in den Wind über diesem rühmlichen Untergang. 

Hasko befahl, dass die Überlebenden, nämlich Pieter Sjoerdes und noch dreiundzwanzig Leute, darunter auch der Bruder Jakobus von den vier Krähen, das Großboot der Galeere bestiegen, das noch heil war. "Du kommst wohl nicht mehr mit", sagte Pieter Sjoerdes zu Hasko, und der gute Junge würgte an den Worten. Das Boot trieb im Seegang noch eine Weile neben den Wracks, die immer tiefer sanken. So sahen sie, wie Hasko  der Wassergeuse hoch auf dem Hüttendeck des eroberten Schiffes stehend im Angesicht der deutschen Küste versank.

Jan van Troyen erhielt diese Nachricht später durch Mittelsleute, wie sie die Geusen überall hatten. Es wird erzählt, dass der gewaltige Seemann eine große Freude daran hatte. Jan van Troyen starb mannhaft mit verächtlichen Worten gegen die Feinde, die wähnten, solche Völker, wie sie um die Nordsee wohnen, könnte man jemals besiegen. (Martin Luserke: Hasko. Ein Wassergeusenroman. Edition Maritim, Hamburg 1989, S.463/64)

Personen:
Hasko, ein Waisenjunge, dient sich vom Schiffsjungen zum Kapitän hoch (Phantasiegestalt)
Jan van Troyen, Haskos Lehrmeister
Mac, der schottische Kanonier
Pieter Sjoerdes, erst Schiffsjunge, dann Schiffskoch (S.275ff.)
Sygun von der Insel
Admiral Dolhain ("Fuchsgesicht")
Graf Meghem und sein Knecht Oyto
Gräfin Meghem
Boschhuyzen, der deutsche Admiral

Gespenster:
Vliegespenst (Hasko)
Loop-over-de-Loft (Graf Meghem)

Schiffe
Loop-over-de-Loft von Hasko - Luserke bezieht sich bei der leichteren Bauweise auf den Schiffstyp der *Vluyte

Fachausdrücke:
Kolderstock sieh: Pinn
Ranzionierung: das Auslösen von erbeuteten Waren, Schiffen oder Gefangenen gegen Geld
Rasmus: Seemannsausdruck für den Tod
 *Vluyte: Bezeichnung eines neuen Schiffstyps, der in der späteren Geusenzeit aufkam. Die Vluyten waren leichter, geschwinder und handlicher als die schweren noch aus der Hansezeit stammenden Rahsegler. Ihre Erfindung war die technische Grundlage der 100 Jahre währenden holländischen Weltgeltung zur See.

07 September 2022

Ernst Pasqué: Es steht ein Baum im Odenwald

 Ernst Pasqué: Es steht ein Baum im Odenwald

Fürstenlager Bensheim-Auerbach 1905 
Inhalt:
Die morganitische Ehe von Friedrich Georg August von Hessen-Darmstadt, die er 1788 mit Karoline Luise Salome Seitz schloss dient Pasqué als Grundlage für eine rührende Liebesgeschichte, über die er  beim Dienst am Hof des Großherzogs von Hessen Darmstadt private Kenntnisse erworben haben könnte:
Von Grasellenbach kommend verirrt sich Lina Seitz im Odenwald in das Fürstenlager und findet dort die landgräfliche Familie vor, die bei der Eremitage eine Tafel in bäuerlichen Kostümen tafelt. Friedrichs Mutter denkt, es wäre die von den Eltern vorgesehene Verlobte Friedrichs, die hier incognito aufgetaucht sei. Als sie ihre Täuschung bemerkt, hat sich Friedrich, den Lina für einen Bauernsohn Fritz hält, schon in Lina verliebt. Die adelsstolze Mutter versucht die Liebenden zu trennen, indem sie von Friedrich verlangt, dass er seiner Geliebten seine wahre Identität verheimlicht und einen zehnjährigen Militärdienst in Frankreich antritt. Doch die Liebe bewährt sich über die Trennung hinweg.
Während Friedrich beim Militär ist, lernt Lina Französisch und Englisch und höfische Lebensart, so dass die Mutter schließlich überzeugt in die Ehe einwilligt. 

Zitate:

1. Kapitel: Von einem verwunschenen Schlösschen und seinen neun wunderschönen Prinzessinnen

"Aus dem Dorfe, das den Übergang von den bewaldeten Höhenzügen und Bergen in die fruchtbare Ebene mit ihrer weiten blauen Ferne bildet, führt eine Allee von alten Linden und Platanen, deren mächtige Kronen den Weg in tiefe Schatten hüllen, dem stillen, märchenhaften Talgrunde zu. Zu beiden Seiten zeigen sich bald kleinere und größere Wohnstätten, einfach und alle von einer Form, einer Farbe und einer und der selben Zeit, Dem vorigen Jahrhundert angehörend wie das kleine verzauberte Schlösschen, und ebenso wenig bewohnt wie dieses. Jetzt haben wir es erreicht – rechts auf einer Rasenerhöhung erhebt sich ein kleines Bauwerk mit einer auf hölzernen Pfeilern errichteten Vorhalle und einem Türmchen mit einer Uhr, deren Zeiger jedoch stille stehen – es kann nur ein Wachthaus sein, doch die bezopften Soldaten sind daraus verschwunden." (S.9)

"Der jüngere Bruder des regierenden Herrn, Landgraf Georg, wohnte mit seiner Gemahlin im Winter in seinem Palaste in Darmstadt und im Sommer in dem nahen allerliebsten Schlösschen Braunshardt. Das fürstliche Ehepaar zählte ebenfalls der Kinder acht (ein neuntes war frühzeitig gestorben), und zwar vier Prinzessinnen und vier Prinzen. Das war ein jugendfrisches, fröhliches Leben und Treiben der sechzehn Kinder, unter der Aufsicht ihrer Mütter und Erzieherinnen, im Winter in den beiden Schlössern zu Darmstadt, im Sommer im Bereich des idyllischen Braunshardt. Doch am herrlichsten dünkte es der bunten Schar, ging es im Hochsommer hinaus nach dem schönen schattigen Fürstenlager bei Auerbach, in die herrlichen Wälder der Bergstraße und der Vorhöhen des Odenwaldes. Spielplätze gab es dort wie nirgendwo, für die kleinen und für die großen. In dem grünen Buchenwalde auf der Höhe beim Fürstenlager hatte der Verstorbene Landgraf Ludwig VIII eine Eremitage, ein Bauernhäuschen mit einem Stall, in dem im Sommer zwei Kühe eingestellt worden, eine Balkenschaukel und sogar ein kleines Theater im Grünen errichten lassen für seine kleinen Enkel und die Kinder seines Bruders Georg von  Braunshardt, und die Eltern spielten dort mit den Kleinen in den Komödien, Wirtschaften und Schäfereien." (S.11)

2. Kapitel: Eine fürstliche Bauernwirtschaft und Schäferei vom Jahre 1778 und die Prinzessin aus dem Odenwalde

"Der fürstliche Familienkreis war mit den Jahren durch Heirat und Tod immer kleiner geworden: 1774 starb die "große" Landgräfin und zwei Jahre später folgte ihr die Tochter Wilhelmine, die russische Thronfolgerin, in das Grab."

3. Kapitel: Gleims "Hüttchen" und "Der Baum im Odenwald"

"[...] "Könnst recht haben, Mädel" entgegnete die Bäuerin auf den heiteren Ton des Mädchens eingehend. [...]"

Lina singt von der Gesellschaft aufgefordert das Lied Der Baum im Odenwald mit dem 'traurigen Schluss':

Es steht ein Baum im Odenwald

der hat viel grüne Äst´

da bin ich schon viel tausend mal

bei meinem Schatz ge’west.

 

Da sitzt ein schöner Vogel drauf

Der pfeift ganz wunderschön

Ich und mein Schätzlein lauern nach

Wenn wir mit ´nander gehn.

 

Der Vogel sitzt in seiner Ruh

Wohlauf dem höchsten Zweig

Und schauen wir dem Vogel zu

So pfeift er also gleich.

 

Der Vogel sitzt in seinem Nest

Wohl auf dem grünen Baum

Ach Schätzel bin ich bei dir gwest
Oder ist es nur ein Traum.
 
Und als ich wieder kam zu ihr
Verdorret war der Baum
Ein andrer Liebster stand bei ihr
Jawohl es war ein Traum.
 
Der Baum der steht im Odenwald
und ich bin in der Schweiz
da liegt der Schnee und ist so kalt
mein Herz es mir zerreißt.