26 März 2023

Mara Heinze-Hoferichter: Friedel Starmatz

 Mara Heinze-Hoferichter: Friedel Starmatz, 1928

"Ein sonniger Morgen im Hochsommer schüttete Gold und Glanz über tauerquickte Wiesen. Die Blumen hoben ihr Antlitz in stiller Wonne zum Himmel auf. Ein leichter Wind rauschte vom Waldrand her über die Landstraße, die im Morgenfrieden kühl und schattig dort lag und – wie immer – ein wenig neugierig war auf alles, was der neue Tag an Begebenheiten auf ihr da hinführen würde.

Was passiert? Es kommt ein großes Knallen und Knattern und Wagen gerassel, viel Lärm viele Menschen mit Taschen und Koffern und Kisten und Kasten, Kinder weinten Hunde heulten

Ja, selbst die neugierige Landstraße hätte am liebsten gerufen: Halt ein, halt ein mit so traurigen Begebenheiten!" Aber auch sie war wie gelähmt vor Entsetzen. [...]

Lange Zeit wagte nichts sich zu rühren.

Endlich hielt Junker Säuselwind es nicht mehr aus. Erst flog er einmal über die Straße dahin und blies fort, was den eilenden Menschen in ihrer Hast entfallen war. [...]

Über alledem ereignete sich schon wieder ein Merkwürdiges auf der weißen Landstraße: Etwas Lichtblaues kam daher gesegelt. Wie ein großer Falter sah es aus. Aber nein: es hatte keine Flügel. Auf zwei festen Beinchen und in roten Schuhen stapfte es selig und versonnen des Wegs und war – ein Menschenbüblein!

"Na," sagte die gute Landstraße, "wo kommst du denn so allein her? Hast du dich verlaufen oder willst du auch verreisen wie die vielen Menschen [...] [...]

"Verreisen? Nein," sagte verträumt das Büblein, "ich bin schon ziemlich müde. Ich will bloß meiner Mutter entgegengehen."

"Wo ist denn deine Mutter?" fragte besorgt die Landstraße.

"Mutter ist bei Vater im Kriege. Sie besucht ihn, weil er verwundet ist, weißt du," berichtete es ernsthaft

"O du lieber Himmel, mein kleines Menschenkind, wo ist denn aber 'im Kriege'?"

"Hier herunter ist Mutter fortgegangen, und ich will ihr entgegengehen. Glaubst du, das es noch weit ist?"

Der kleine Junge wird von Soldaten entdeckt, die ihn mitten in den Truppenbewegungen für sehr gefährdet halten. Sie nehmen ihn mit. Es kommt zu einem Unfall er wird unter dem umgestürzten Wagen hervorgezogen undliegt lange krank in einem Bett und wird dort versorgt. Er bekommt aber mit ,dass er dort als zusätzlicher Esser nicht gern gesehen wird, und läuft weiter.

"Die Sonne sammelte ihre Strahlenkinder; denn es wollte Abend werden. Fast alle waren schon gehorsam heimgekehrt, nur im Tannenwalde schienen sie gar nicht fertig zu werden mit Spielen und Leuchten. Mutter Sonne musste da wohl selbst einmal selbst zum Rechten sehen. Ei! Was erblickte sie da Lustiges! Ihre Strahlenkinder spielten Haschen mit einem Menschenknirpslein, dassjauchzend nach ihnen griff. Über seine roten Schuhe tanzten sie, locken es hierhin und dorthin und fanden kein Ende mit Blitzen und Blinken. Eine Weile sah Frau Sonne lächelnd zu. Dann aber winkte sie ihren wilden Kindern gebieterisch. Der Mond wartete voller Ungeduld; denn nun wollte doch er sein Licht leuchten lassen.

"Husch-husch," sagten die Strahlenkinder im Davoneilen, "geh nach Hause, du Knirps! Wenn wir fort sind, ist es nicht mehr schön im Walde."

Aber Träumerlein konnte das nicht verstehen. Er sah nur auf einmal, dass seine lustigen Gespielen fort waren, und da fiel es ihm schwer aufs Herz, dass er Mutter noch immer nicht gefunden hatte.

Die Vögel schlafen schon, als der Mond den kleinen Jungen im Wald schlafend vorfindet.

"Muss noch mal nachschauen, wohin er gehört, der Ausreißer."

Und da leuchtete auf einmal ein so wunderbarer Glanz über den Wald hin, dass Gisi, das Eichkätzchen geblendet die Augen schloss. Vater Mond aber rief überrascht: "Sieh, sieh, dich sollte ich doch wohl kennen? Bist doch das Träumerlein aus dem Erlengrund! Habe dich ja manchmal spät abends bei Mutter hocken sehen, wenn sie so schön gesungen hat, dass alle Engel zuhören wollten. [...]

Der Mond bespricht sich mit dem Eichkätzchen wie man dem Kind helfen kann. Es lockt das Kind zu einem Haus, wo eine Familie wohnt, die bestimmt gut für das Kind sorgen wird.

Daneben ragte eine besonders schöne Eiche empor. Die streichelte mit ihren Zweigen die blinkeblanken Fenster. Jetzt huschte etwas Rötliches den Stamm hinauf. War es möglich? Sein lustiger Spielgeselle, die Gisi, guckte triumphierend auf ihn herab. Hatte sie gar keine Furcht vor den Menschen in diesem Hause? Aber es war so still, nichts regte sich… Vielleicht war niemand darin?…

Doch! Jetzt ging eine Tür, und Kinderstimmen wurden laut. Eins, zwei, drei Kinder kamen gesprungen. Das größte, ein Junge der so alt sein konnte als er selbst, schwang eine bunte Decke in der Hand und legte sie auf den großen braunen Tisch. Ein zartes Mädelchen mit seidenweichen Blondhaar, ein bisschen kleiner als der Junge, trug behutsam einen apfelgrünen Krug, der mit zartfarbigen Rosen gefüllt war. Sorglich setzte sie ihn mitten auf die Decke. War sie eins der Elfenkinder, die Träumerlein in dieser Nacht im Traum gesehen hatte? Um ihre Stirn wandt sich ein Kränzlein von Kresseblüten. Das weiße Kleid war duftig und sauber wie frisch gefallener Schnee. – Nun kam noch ein kleiner Junge, einen dicken Kuchenbrocken in der Hand, eilfertig daher.

"Pfui, Wittich," rief verweisend und ein wenig verächtlich das Schwesterlein, "du hast genascht!"

"Hat Mutter mir geschenkt," verteidigte sich der kleine Dicke und sprang auf eine zarte Frauengestalt zu, die jetzt mit einem großen Teebrett in der Hand in der Türe erschien. [...]

Träumerlein wagt sich zunächst nicht zu der Familie, wird aber entdeckt und eingeladen. Er bekommt vom Kuchen zu essen.

Und als das eine Stück ganz verschwunden war, lag schon ein neues auf dem Teller. Träumerlein verzehrte es selig, und niemand störte ihn mit Fragen. Als aber als er fertig war, sagte das Mädchen: "Mutter, er ist so schmutzig!"

"Lass das!" wehrte die Mutter, und zu dem kleinen Fremdling gewendet, sprach sie eindringlich: "Sage mir nun einmal genau: Wie heißt du?"

"Ich habe viele Namen," antwortete er freundlich. "Träumerlein und Märchenhans und Nestspatz, - so sagt meine Mutter, und besonders Träumerlein… Vater sagt: Friedel Starmatz… Und Maruschka sagt: Bubi."

"Hast du nicht schon einmal einen Brief bekommen, und wie stand denn darauf?"

Er grübelt er eine Weile, dann rief er strahlend: "Natürlich! Von Väterchen, gleich als er in den Krieg gezogen war, und Mutter sagte, es stehe deutlich darauf: An Friedel Starmatz."

Es stellt sich heraus, dass er den Kosename bekommen hat, weil er an dem Tag geboren wurde, als die Staren aus dem Süden zurückkehrten. Nach längerem Fragen erfährt die Mutter, dass er einmal in Königsberg war.

[...] Liebkosend strich sie über den blonden Schopf: "Ich heiße Ingrid. Willst du mich Tante Ingrid nennen?"

Er sah sie bedrückt und zweifelnd an, wie sie vor ihm stand in ihrem zartgelben Kleide, das am Hals von einem weißen Seidenband gehalten wurde. Der Hals stieg fein und zart empor und trug einen schmalen schöngewölbten Kopf. Aus dem Antlitz schauten große Augen von klarem, sammettiefem Grau. Das dunkelblonde Haar war tief über die Ohren gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen… "Du bist nicht Tante Ingrid," stieß Träumerlein endlich hervor. "Du bist die Iris! Iris will ich dich nennen."

Nun traf sich's, dass dies der Mutter Lieblingsblume war, und alle Kinder riefen im Chor: "Iris! Ja, wie Iris sieht Mutter aus. O, dürfen wir alle dich so nennen?" [...]" (S.7-37)

Der Weihnachtsbaum der Künstlerfamilie Grönwold ist mit weißen Lilien geschmückt. (S.108) Wie im Hause Buddenbrooks.

Der letzte Tag des Jahres! In dunklen Wolkenschleiern birgt er sein Licht und huscht flüchtigen Fußes, abschiednehmend, über die Erde. Tief, ganz tief neigt der graue Himmel sich hernieder, weiße Wolkenarme ausstreckend, dem letzten Tag entgegen, um ihm heimzugeleiten zur Ewigkeit. Die mächtigen Tannen scheinen den Himmel zu stützen. So tief lastet er auf Ihnen, dass ihre Spitzen nur undeutlich aus wogendem Grau hervorschimmern. Still ist die Luft. Von Zweigen und Ästlein im weißen Schneepelz tönt es in geheimnisvollem Gleichmaß: Tropf – tropf – tropf, – der einzige Laut im Walde, der die tiefe Stille dadurch noch deutlicher werden lässt. Weint der Wald? Der letzte Tag des Jahres fühlt es, dass die Menschen mit seinem Licht nichts anzufangen wissen. Es gilt Ihnen nichts. Am hellen Tage träumen Sie schon vom Abend und dem Anbruch des neuen Jahres. Sie freuen sich der Stunden, die vergehen; darum aeilt er vorüber, – wesen os, schattenhaft. Nur im Walde und auf stillen Feldern hält er eine wehmütige Feier und grüßt segnenden Blickes die leise atmende Welt. –

Die schwarze Gestalt, die langsam den Waldweg daherkommt, hebt den Kopf und schaut wie in Andacht um sich. (S.119)


Friedel Starmatz, 1928 erschienen, ist ein Longseller, der bis Anfang der 1960er Jahre eine Auflage von über 240.000 Exemplaren erreichte.

In unsere Familie war der Begriff allen geläufig. Ich habe das Buch wohl auc einmal in der Hand gehabt, es aber nie durchgelesen. Durch die Personifizierung von Tieren und Objekten fällt der Text sofort aus dem Üblichen heraus. Mir wirkt er aus der Zeit gefallen, scheint mehr in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu passen, doch ist gerade ständig davon die Rede, dass die Väter im Krieg sind.

Irgendwie scheint der Text wenig lebensnah, Kitsch? Dafür ist er über größere Strecken zu originell.

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