28 Juni 2007

Gebete um Regen

Das Volk geriet in Angst; man beschloß, den Himmel um Regen anzuflehen. Tägliche Prozessionen am Nachmittag; indem sie mich an die heidnischen Gebräuche erinnerten, an jene Rubigalischen Feste, an den Regenstein des alten Rom, den man auf der Via Appia umhertrug, an das «votisque vocabitis imbrem», konnte ich sie nicht ohne Erstaunen betrachten. Es ist wahrhaft befremdend, sich unter einem Volke zu befinden, welches noch in unserer Zeit den naiven Glauben hegt, daß die unerschütterlichen Gesetze der Natur durch Gebet und Geschrei um Gnade können aufgehoben, verändert oder beschleunigt werden. Jeden Abend zogen die Frauen Genazzanos durch den Ort, paarweise, mit ihren roten Kopftüchern, welche schleierartig herabfallen und stets getragen werden, wenn das Weib die Kirche betreten will; vor ihnen die Geistlichkeit mit einem Heiligenbild. Erreichten sie murmelnd und singend den Hauptplatz, so riefen sie mit einer an Raserei grenzenden Inbrunst drei- und mehrmal: «Grazie, Grazie, Maria!», und dieser Schrei, von hundert und aber hundert hellen Stimmen zugleich ausgestoßen, hallte in den Lüften wider. «Et Cererem clamore vocant in tecta» (bei Virgil). Jeden Tag ein anderer Heiliger: aber einer war tauber oder trockener als der andere. Meine Wirtin - sie war bis zu einem gewissen Grade aufgeklärt und besaß obendrein kein mit Mais bepflanztes Ackerland - sagte eines Abends, da wir am Tisch saßen und plötzlich vor unserer Türe jenes rasende Geschrei «Grazie, Grazie, Madonna!» erschallte: «Warum quälen sie doch die Heiligen im Himmel? Sie werden das so lange tun, bis sie böse werden und gar nicht regnen lassen!»

25 Juni 2007

Daisy Pulls it Off

Eine Aufführung dieses Stückes von Denise Deegan hat mir trotz der - in der Sozialkonstellation überholten - Konfliktdarstellung gefallen, weil es von Schülern mit erstaunlich viel Liebe zur Sprache vorgetragen wurde.

24 Juni 2007

Address unknown

Kressmann Taylors Briefnovelle von 1938 lässt eine Freundschaft zwischen zwei deutschamerikanischen Kunsthändlern, Max Eisenstein und Martin Schulze, darüber zerbrechen, dass Martin Ende 1932 nach München geht und schon 1934 am Tod der Schwester seines Freundes mitschuldig wird, weil er der Verführung durch die "Nationale Bewegung" erliegt.
Die Aufführung der deutschen Theaterversion, "Empfänger unbekannt", die ich sah, erleichterte das Verständnis für die an sich etwas unglaubhafte Offenheit, mit der Martin seinem jüdischen Freund Max seine Faszination durch Hitler berichtet, dadurch, dass diese Passagen so übersteigert vorgetragen wurden, dass man sich in eine Naziveranstaltung hineinversetzt fühlte, die mit ihrem Sog individuelle Widerstände hinweg spülte.

Die englische Wikipedia schreibt über den Schluss:
"After a gap of about a month, Max starts writing to Martin at home, carrying only what looks like business and remarks about the weather, but writing as though they have a hidden encoded meaning, with strange references to exact dimensions of pictures and so on. The letters refer to "our grandmother" and imply that Martin is also Jewish. The letters from Munich to San Francisco get shorter and more panicky, begging Max to stop: "My God, Max, do you know what you do? ... These letters you have sent ... are not delivered, but they bring me in and ... demand I give them the code ... I beg you, Max, no more, no more! Stop while I can be saved."
Max however continues, "Prepare these for distribution by March 24th: Rubens 12 by 77, blue; Giotto 1 by 317, green and white; Poussin 20 by 90, red and white." The letter is returned to Max, stamped: Adressat unbekannt. Addressee Unknown. (The title of the book is actually a mistranslation of Adressat unbekannt: The correct translation of "Adressat" is "addressee," not "address"; which is much more in keeping with the plot of the story.)
The book's afterword, lovingly written by Taylor's son, reveals that the idea for the story came from a small news article: American students in Germany wrote home with the truth about the Nazi atrocities, a truth most Americans, including Charles Lindbergh, would not accept. Fraternity brothers thought it would be funny to send them letters making fun of Hitler, and the visiting students wrote back, "Stop it. We’re in danger. These people don’t fool around. You could murder [someone] by writing letters to him." Thus emerged the idea of "letter as weapon" or "murder by mail."
(Kathrine Taylor - (Hervorhebung in Schrägdruck durch Fontanefan)

Adolf Hiler ganz allein

Ein Gedicht von Kurt Bartsch gegen das Unschuldigseinwollen, das freilich auch uns unschuldige Opfer der Globalisierung trifft.

09 Juni 2007

Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz

Die Wirtin des Hauses, Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz, hätte diesen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanstanden müssen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und sehr anstelliges Ding war und manches besaß, was die Schickedanz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienstwechsels wieder aussöhnte.

Die Schickedanz, eine Frau von sechzig, war schon verwitwet, als im Herbst fünfundachtzig die Barbys einzogen, Komtesse Armgard damals erst zehnjährig. Frau Schickedanz selbst war um jene Zeit noch in Trauer, weil ihr Gatte, der Versicherungssekretär, erst im Dezember des voraufgegangenen Jahres gestorben war, »drei Tage vor Weihnachten«, ein Umstand, auf den der Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in seiner Leichenrede beständig hingewiesen und die gewollte Wirkung auch richtig erzielt hatte. [...]
Der verstorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn ankam, ein Leben hinter sich, das sich in zwei sehr verschiedene Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und in eine ganz große, teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein Ziegelstreichersohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorf Kaputt, was er, als er aus dem diesem Dorfnamen entsprechenden Zustande heraus war, in Gesellschaft guter Freunde gern hervorhob. Es war so ziemlich der einzige Witz seines Lebens, an dem er aber zäh festhielt, weil er sah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen so weit, ihm den Witz auch noch moralisch gutzuschreiben, und behaupteten: Schickedanz sei nicht bloß ein Charakter, sondern auch eine bescheidene Natur. [...]
Schon mit sechzehn war er als Hilfsschreiber in die deutsch-englische Hagelversicherungsgesellschaft Pluvius eingetreten und hatte mit sechsundsechzig sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in ebendieser Gesellschaft gefeiert. Das war aus bestimmten Gründen ein großer Tag gewesen. Denn als Schickedanz ihn erlebte, hieß er nur noch so ganz obenhin »Herr Versicherungssekretär«, war aber in Wahrheit über diesen seinen Titel weit hinausgewachsen und besaß bereits das schöne Haus am Kronprinzenufer. Er hatte sich das leisten können, weil er im Lauf der letzten fünf Jahre zweimal hintereinander ein Viertel vom großen Lose gewonnen hatte. Dies sah er sich allerseits als persönliches Verdienst angerechnet und auch wohl mit Recht. Denn arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann nicht jeder. Und so blieb er denn bei der Versicherungsgesellschaft lediglich nur noch als verhätscheltes Zierstück, weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck machte, Personen der Art im Dienst oder gar als Teilnehmer zu haben. An der Spitze muß immer ein Fürst stehen. Und Schickedanz war jetzt Fürst. [...]
Ja, Schickedanz' Glück und Ansehen war groß, am größten natürlich an seinem Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer da alles kam. Nur ein Orden kam nicht, was denn auch von einigen Schickedanzfanatikern sehr mißliebig bemerkt wurde. Besonders schmerzlich empfand es die Frau. »Gott, er hat doch immer so treu gewählt«, sagte sie.

(Fontane: Stechlin, 12. Kapitel)

03 Juni 2007

Netzebruch

Während ich in Allenstein vor allem Straßenbauarbeiten zu leiten hatte, baute ich im Netzebruch Schöpfwerke, installierte Pumpen, baute Deiche und legte Grabensysteme an. Es war ein buntes Gemisch von Ingenieurbauwerken.
In meine Landsberger Zeit fällt auch die Olympiade 1936 in Berlin. Die großartige Arena machte einen gewaltigen Eindruck, ebenso natürlich auch die Wettkämpfe, von denen ich einige zu sehen bekam. Auch die modernen Gaststätten, die abends von Menschen überquollen, sind mir heute noch eine sehr lebhafte Erinnerung. Zur gleichen Zeit gab es auch eine große Ausstellung, in der zum ersten Mal Fernsehen gezeigt wurde. Ich habe keine Ahnung, weshalb der Fernseher nicht schon damals seinen Siegeszug in den Wohnungen begonnen hat. Meines Wissens fand das Fernsehen erst in den 50-er Jahren seine Verbreitung. Woran mag das gelegen haben? Ich habe mir damals einen Telefunken-Radioapparat gekauft, Preis 500,- Mark, zahlbar in 20 Raten zu 25,- Mark.

Landsberg

Doch soll man - kann man - allein daraus den rauschenden Wahlerfolg der NSDAP vom 13. November des gleichen Jahres erklären, als die Stadt L. mit beinahe hundertprozentiger Wahlbeteiligung und einem Minimum von ungültigen Stimmen im Gauabschnitt Ostmark an der Spitze der ja-Stimmen stand?
Bruno und Charlotte Jordan hatten sich der Stimme nicht enthalten. Man konnte nicht mehr anders.
Die hatten jetzt alles in der Hand.

02 Juni 2007

Farnkraut unterwegs nach Siabod, Beinwell der Heiler

Zu viert zogen sie unter Brackens Führung los, um Duncton Wood zu befreien.
Jetzt sind nur noch zwei unterwegs: der schuldbeladene Bracken mit Boswell, dem scribemole, (wer denkt da nicht an Johnson) als Begleiter. Und Comfrey heilt an der Stelle von Rebecca.