14 August 2014

Ursachen des Reichtums der Grundbesitzer in Großbritannien

Der große Reichtum der Gutsbesitzer in England muß immer die Kontinentalen frappieren, wo jetzt größtenteils gerade die Gutsbesitzer die ärmste und die am wenigsten von den Gesetzen und Institutionen protegierte Klasse sind. Hier konkurriert alles zu ihrem Vorteil. Es ist äußerst schwer, für den Rentier freies Grundeigentum in England zu akquirieren, da fast aller Grund und Boden der Krone, oder dem hohen Adel gehört, die es in der Regel nur auf eine Art Erbpacht ausgeben, so daß zum Beispiel, wenn ein Großer ein Städtchen sein nennt, dies nicht, wie bei uns, bloß die Oberherrschaft darüber bedeutet, sondern jedes Haus das wirkliche Eigentum des Besitzers ist, dem Inhaber nur, wie ich gleich auseinandersetzen werde, auf bestimmte Zeit überlassen. Man kann sich denken, welche ungeheure, immer steigende Revenuen dies in einem außerdem so industriellen Lande hervorbringen muß, und kann nicht umhin, zu bewundern, wie die dortige Aristokratie sich, in großer Übereinstimmung, seit Jahrhunderten alle Institutionen zu ihrem besten Vorteil einzurichten gewußt hat. Der freie Kauf eines Grundstücks erfordert mehrere schwierige Bedingungen, und jedenfalls kann er nur zu so hohen Preisen stattfinden, daß kleinere Kapitalisten sie nicht daran wenden können, und wie es einmal ist, bei der Erbpacht für ihre Person immer noch mit besserem Nutzen dazu kommen, und diese daher auch fortwährend vorziehen. Die hiesige Erbpacht ist aber sehr verschieden von der bei uns üblichen. Es wird nämlich dem Anbauer der nötige Platz auf 99 Jahren dergestalt überlassen, daß er, bei Häusern pro Fuß der Front, eine gewisse Rente jährlich, von einigen Schillingen bis zu 5 bis 10 Guineen, bei größern Grundstücken soundsoviel per acre (englischer Morgen) an den Grundbesitzer zahlt. Er schaltet nun damit wie er will, baut auf wie er Lust hat, macht Gärten, Parkanlagen u. s. w.; nach dem Verlauf der 99 Jahre aber fällt alles, wie es steht und liegt, und was niet- und nagelfest ist, der Familie des Verkäufers wieder zu, ja noch mehr, der Pächter muß sein Haus u. s. w. im besten Stand erhalten, und sogar den Ölanstrich alle 7 Jahre erneuern, wozu er durch Visitationen polizeilich angehalten wird. Übrigens kann er während der ihm zugemessenen Frist auch wieder an andere verkaufen, aber immer nur bis zu jener festgesetzten Epoche, wo der eigentliche Herr wieder in Besitz tritt. Alle Landstädte, Villen u. s. w., die man sieht, gehören also, wie gesagt, auf diese Weise Haus für Haus einzelnen großen Gutsbesitzern, und obgleich die Erbpächter nach umgelaufener Frist gewöhnlich das prekäre Eigentum von neuem erstehen, so müssen sie doch, im Verhältnis als der Wert der Grundstücke seitdem gestiegen, oder sie selbst sie verbessert haben, die Rente verdoppeln und verdreifachen. Selbst der größte Teil der Stadt London gehört unter solchen Verhältnissen einzelnen Adeligen, von denen z. B. Lord Grosvenor allein über 100 000 L. St. Kanon ziehen soll. Daher ist, außer der Aristokratie, fast kein Hausbewohner in London wahrer Grundeigentümer des seinigen. Selbst der Bauquier Rothschild besitzt kein eignes, und wenn einer, dem Sprachgebrauch nach, eins kauft, so fragt man ihn: ›auf wie lange?‹ Der Preis variiert dann, nachdem es aus erster Hand, gewöhnlich auf Rente, oder aus zweiter und dritter für ein Kapital erstanden wird. Der größte Teil des Erwerbs der Industrie fällt durch diesen Gebrauch ohnfehlbar der Aristokratie zu, und vermehrt notwendig den unermeßlichen Einfluß, den sie schon ohnedem auf die Regierung des Landes ausübt. [...]
[Laß mich hier ein für allemal bemerken, daß wer England nur nach seinem Aufenthalte daselbst im Jahre 1813 beurteilt, sich ganz darüber irren muß, denn damals war eine Epoche des Enthusiasmus, eine grenzenlose Freude der ganzen Nation von ihrem gefährlichsten Feinde durch uns befreit worden zu sein, die sie zum ersten, und vielleicht letztenmale allgemein liebenswürdig machte. ] [...]
Auch mir, von dem die Engländer wie von jedem Heiratsfähigen, der hier herkommt, steif und fest glauben, es geschehe nur, um eine reiche Engländerin zur Frau zu suchen, hat man einen coup fourré machen wollen, und einen satirischen Artikel, jene Materie berührend, aus einer heimatlichen Fabrik erborgt, und in verschiedene hiesige Zeitungen gesetzt. Ich bin aber schon längst in der Schule eines alten Praktikers in diesem Punkt aguerriert worden, und lachte daher selbst zuerst am lautesten darüber, indem ich öffentlich harmlose Scherze über mich und andere dabei nicht sparte. Dies ist das einzige sichre Mittel, dem ridicule in der Welt zu begegnen, denn zeigt man sich empfindlich oder embarrasiert, dann erst wirkt das Gift, sonst verdampft es, wie kaltes Wasser auf einem glühenden Stein. Das verstehen auch die Engländer vortrefflich. [...]

Da der Eigentümer also nur auf 99 Jahre Besitz im besten Falle rechnen kann, baut er auch so leicht als möglich, und dies hat zur Folge, daß man öfters in den Londner Häusern seines Lebens nicht sicher ist. So fiel denn auch diese Nacht, ganz nahe von mir in St. James Street ein gar nicht altes Gebäude plötzlich wie ein Kartenhaus ein, und nahm auch die Hälfte des andern noch mit sich, wobei mehrere Menschen gefährlich beschädigt worden sein sollen, aber doch größtenteils noch Zeit zur Rettung fanden, da drohende Vorzeichen sie avertierten. Bei der Schnelligkeit, mit der man hier aufbaut, wird ohne Zweifel das Gebäude in vier Wochen wieder stehen, wenngleich ebenso unsicher wie vorher.

 Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen, Dritter Teil [chronologisch der erste]

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