22 Februar 2015

Über Mehemed Alis Massaker an den Mamelukenbeys

Man hatte durch einen glücklichen Verrat erfahren, daß in drei Tagen, bei Gelegenheit einer großen Revue, die Mehemed Ali angeordnet, die Mamlucken mit ihrer ganzen Macht dort über ihn herzufallen beabsichtigten, um ihn womöglich mit allen seinen Getreuen auf einen Schlag zu beseitigen. Es galt, ihnen zuvorzukommen, wozu man offen nicht die Macht besaß, und doch war kein Augenblick Zeit mehr zu verlieren. Jedermann kennt das verzweifelte Auskunftsmittel, dessen man sich bediente, doch herrschte über die Details in Europa viel Irrtum. So stellt zum Beispiel das durch Kupferstiche überall verbreitete Gemälde Forbins die Szene so dar, als habe ihr Mehemed Ali, seinen Nargileh gelassen rauchend, wie einem Theaterstück zugesehen. Die Wahrheit ist aber, daß er gar nicht dabei gegenwärtig war, noch, der Lokalität nach, füglich sein konnte. Sobald die Beys Abschied von ihm genommen hatten und sich im Hofe auf ihre Pferde schwangen, sagte Mehemed Bey zu ihm: «Nun ist deine Rolle vorüber und meine beginnt, ich beschwöre den Pascha, sich in sein Harem zurückzuziehen.» Dies geschah sogleich, und Augenzeugen, Eunuchen aus dem Serail, haben mich versichert, daß der Vizekönig, verstört und schweigend, in großer Gemütsbewegung den Ausgang abwartete, kein Wort sprach, nur mehrmals kaltes Wasser zu trinken begehrte, während der Lärm des Schießens und der Tumult der reiterlosen Pferde mit dem Angstgeschrei der Fallenden von fern zu seinen Ohren drang. Dies ist auch nur menschlich wahrscheinlich, und Mehemed Ali wahrlich so wenig blutdürstig, als es Napoleon war, aber er ist auch kein Ludwig der Sechzehnte und scheut daher selbst Blutvergießen nicht, wo es sein muß und wo es, zu rechter Zeit angewendet, durch wenige Opfer später das Leben Hunderttausender erspart, ja oft das künftige Heil ganzer Nationen begründet, während weichliche Unterlassung sie nicht selten zugrunde gerichtet hat. [...] 
Wenn man nun, die Zitadelle verlassend, nach dem Platz von Rumeli hinabsteigt, kommt man durch die berüchtigte Felsengasse, in der die Mamluckenbeys ihren zwar verdienten, aber allerdings schauderhaften Tod fanden. Man kann sich das Geschehene auf das Lebhafteste hier vergegenwärtigen. Der Leser denke sich nur einen langen gewundenen Gang, auf beiden Seiten von Felsen und hohen darauf errichteten Mauern und Häusern umgeben, in dem ein abschüssiges glattes Steinplattenpflaster den Berg hinunterführt. Die Tore vor und hinter den Beys sind schon geschlossen, den Opfern unbewußt, die man jetzt, im zurückgerufenen Bilde, über Hundert an der Zahl, auf wilden und mutigen Pferden in dem engen Raum dicht zusammengedrängt erblickt, alle strahlend in ihrem höchsten Kriegerschmuck, wohlgemut einherziehend, ohne eine Ahnung von dem, was ihnen bevorsteht, während schon alle Terrassen, alle Felsenvorsprünge, die Galerien der obern Häuser wie in schuldiger Ehrenbezeigung mit Soldatenreihen besetzt sind, bewaffnet zur Salve festlichen Grußes. Jeder von diesen stolzen Beys mochte vielleicht gerade jetzt Gedanken des nahen Verrats von seiner Seite mit Wohlgefallen Raum geben, sich im voraus an dem unvermeidlichen Fall des sichern Feindes weidend, aber für die eigne Sicherheit fürchtete, wie mit Blindheit geschlagen, keiner – da plötzlich richteten sich alle Gewehre auf die vergoldete, schimmernde Schar, und ein Kugelregen schmettert auf sie nieder, von dem schon der erste Schuß die Beys mit der Verzweiflung gänzlicher Hoffnungslosigkeit erfüllen mußte. Denn weder Rettung noch Verteidigung noch Rache war möglich! Das Getümmel der Stürzenden, das Rasen der verwundeten Pferde, das Geschrei und die Verwünschungen der Fallenden, das länger als eine Viertelstunde andauernde Schlachten aus gefahrloser Ferne, der erschütternde Anblick endlich so vieler Fürsten, übermächtiger Herren des Landes, vor deren zürnendem Blicke gestern noch jeder mit Zittern gewichen wäre, jetzt in der Mitte aller sie umgebenden Pracht in Staub und Blut sich wälzend, von ihren eignen Rossen zerstampft, unter dem Hohn gemeiner Albanesen ihren Geist aushauchend, und die im Tode noch umklammerte treue Waffe selbst, nur ein herber Spott in der verteidigungslosen Hand – gewiß, es muß eine Szene von furchtbarer Wirkung gewesen sein. [...]
In späterer Zeit zeichnete sich Mehemed Bey noch durch eine andere, nicht weniger kühne Tat aus, indem er einen Abgesandten des Sultans, der in Abwesenheit Mehemed Alis nach Kahira kam, um ihm die seidne Schnur zu überbringen, ohne langes Besinnen noch Einholen einer Instruktion, provisorisch den Kopf abschlagen ließ. [...]
(Pückler-Muskau: Aus Mehemed Alis Reich)

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