14 Juli 2016

Neues von Don Quijote und Sancho Pansa sowie Basilio, Quitéria und Camacho

Ist es nicht allerliebst, daß Don Lorenzo hocherfreut war, sich von Don Quijote loben zu hören, obwohl er ihn für einen Narren hielt? O Schmeichelei, wie groß ist deine Macht, und wie weit dehnen sich die Grenzen deiner süßen Herrschaft! Die Wahrheit dieser Worte bewies Don Lorenzo, indem er auf Don Quijotes Wunsch und Verlangen sogleich einging und folgendes Sonett über die Fabel oder Geschichte von Pyramus und Thisbe vortrug: [...]
Dieser Basilio ist ein Bauernsohn aus dem Dorfe Quitérias; er war in seinem Hause der Wandnachbar ihrer Eltern, und daher ergriff Amor die Gelegenheit, die schon vergessene Liebschaft zwischen Pyramus und Thisbe der Welt aufs neue vorzuführen; denn Basilio verliebte sich in Quitéria von seinem zarten Kindesalter an, und sie erwiderte seine Neigung mit tausend unschuldigen Gunstbezeigungen, so daß man sich im Dorf die Liebe der beiden Kinder Basilio und Quitéria zur Unterhaltung zu erzählen pflegte. Sie wuchsen heran, und nun verbot Quitérias Vater dem Basilio den gewohnten Zutritt zu seinem Hause; und um nicht ständig in Angst und Argwohn leben zu müssen, beschloß er, seine Tochter mit dem reichen Camacho zu vermählen, da es ihm nicht wohlgetan schien, sie mit Basilio zu verheiraten, der nicht so viele Gaben vom Glück als von der Natur empfangen hatte. Denn um ganz neidlos die Wahrheit zu sagen, er ist der gewandteste Jüngling, den wir kennen, er ist der beste Speerwerfer, der kräftigste: Ringer und ein trefflicher Ballspieler; er läuft wie ein Hirsch, springt besser als eine Gemse und schiebt Kegel, als wenn seine Kugel hexen könnte; er singt wie eine Lerche und spielt die Gitarre, als ob er ihr Sprache gäbe, und zu alledem handhabt er den Degen im Schwertertanz wie der Allertüchtigste auf Erden.« »Um dieser Begabung allein willen«, fiel hier Don Quijote ein, »verdiente dieser Jüngling nicht nur, sich mit der schönen Quitéria zu vermählen, sondern mit der Königin Ginevra selbst, wenn sie jetzt lebte – trotz Lanzelot und allen jenen, so es verwehren möchten!« »Das sagt nur einmal meiner Frau!« sprach Sancho Pansa, der bis dahin schweigend zugehört hatte; »die will es nicht anders haben, als daß ein jeder seinesgleichen heiraten soll, nach dem Sprichwort, das da sagt: Schäfchen beim Schaf, so gefällt sich's, Gleich mit Gleichem, so gesellt sich's. Wenn es auf mich ankäme, müßte der brave Basilio, den ich schon anfange gern zu haben, die Jungfer Quitéria heiraten. Möchten doch alle die zur Seligkeit und ewigen Ruhe eingehen« – er wollte das Gegenteil sagen –, »die es Leuten, die einander liebhaben, wehren, einander zu nehmen!« »Wenn alle, die einander liebhaben, sich heiraten sollten«, sprach Don Quijote, »würde den Eltern die Wahl und das Recht entzogen, ihre Kinder zu verheiraten, mit wem und wann es am besten ist; und wenn es dem Willen der Töchter überlassen bliebe, ihre Ehemänner zu wählen, so gäbe es manche, die den Diener ihres Vaters wählen würde, und manche andre den ersten besten, den sie auf der Straße in einem nach ihrer Meinung prächtigen und vornehmen Aufzug gesehen, und wäre er auch ein ganz liederlicher Raufbold. Denn Liebe und Leidenschaft blenden leicht die Augen des gesunden Urteils, die so nötig sind bei der Wahl fürs Leben; und ganz besonders ist der Ehestand der Gefahr eines Fehlgriffs ausgesetzt, und es bedarf großer Vorsicht und besonderer Gunst des Himmels, um hierbei das Richtige zu treffen. Es will einer eine Reise tun, und wenn er verständig ist, so sucht er sich, eh er sich auf den Weg begibt, einen verläßlichen und angenehmen Gefährten als Begleiter; warum also soll der nicht das nämliche tun, dessen Reise sein ganzes Leben hindurch bis an die Pforten des Todes dauert, zumal wenn der Gefährte ihn zu Bett und Tisch und überallhin begleiten soll wie die Frau ihren Mann? Die Gesellschaft der Frau ist keine Ware, die, einmal gekauft, zurückgegeben oder umgetauscht oder ausgewechselt werden kann; sie ist ein unzertrennbarer Bestandteil, der so lang dauert wie das Leben selbst; es ist eine Schlinge, und hast du sie dir einmal um den Hals geworfen, so verwandelt sie sich in einen gordischen Knoten, der unlösbar ist, bis ihn die Sense des Todes durchschneidet. [...]
»Wahrlich, Señor«, gab Sancho darauf zur Antwort, »dem dürren Gerippe, ich meine dem Tod, ist nicht zu trauen; er frißt das Lamm wie den Hammel, und ich hab unsern Pfarrer sagen hören, er tritt mit gleichem Fuß in die hohen Burgen der Könige wie in die niederen Hütten der Armen. Dieser große Herr ist weit gewalttätiger als wählerisch; vor nichts ekelt es ihm, von allem frißt er, und alles ist ihm recht, und mit Leuten von jeder Art, jeglichem Lebensalter, jedem Rang und Stand füllt er seinen Zwerchsack. Er ist kein Schnitter, der sein Mittagsschläfchen hält; zu jeder Stunde mäht und schneidet er, dürres wie frisches Kraut, und er verschlingt und schluckt alles ungekaut hinunter, was ihm vorgesetzt wird, denn er hat einen Wolfshunger, der nie zu sättigen ist; und obschon er keinen Wanst hat, so ist's doch, als hätte er die Wassersucht und als dürste ihn nach dem Leben aller Lebenden, wie einer einen Krug frisches Wasser hinuntertrinkt.« »Nicht weiter, Sancho«, fiel Don Quijote hier ein; »bleib fest im Sattel und fall nicht herunter; denn wahrlich, was du in deiner Bauernsprache über den Tod gesagt hast, das hätte auch ein guter Prediger sagen können. Ich sage dir, Sancho, wenn du soviel Bildung hättest wie gute Anlagen, könntest du auf eine Kanzel steigen und weit in der Welt herum allerhand Schönes predigen.« [...]
»O Quitéria, so bist du endlich barmherzig geworden, jetzt, wo dein Erbarmen zum Dolche werden muß, mir das Leben vollends zu rauben; denn schon habe ich nicht Kräfte mehr, daß ich die Wonne ertragen könnte, von dir zu deinem Gatten erkoren zu werden, oder daß ich dem Schmerz Einhalt tun könnte, der schon eilig mir mit dem grausigen Schatten des Todes die Augen umhüllen will! Was ich von dir erbitte, ist dies eine, o du mein Unglücksstern: Wenn du jetzt meine Hand begehrst und die deine mir reichen willst, so tu es nicht aus leerer Gefälligkeit oder um mich abermals zu täuschen, sondern bekenne und erkläre, daß du deinem Willen nicht Gewalt antust, vielmehr sie mir reichst als einem rechtmäßigen Ehegatten; denn es wäre unrecht, wenn du in dieser Todesnot mich täuschen und Verstellung gegen den üben wolltest, der stets so wahr gegen dich gewesen.« Während er dies sprach, wurde er wiederholt ohnmächtig, und alle Anwesenden dachten, jede Ohnmacht würde seinen Lebenshauch mit sich fortnehmen. Quitéria, züchtig und verschämt, ergriff Basilios Hand mit ihrer Rechten und sagte: »Keine Gewalt vermag je meinen Willen zu beugen, und so, mit der größten Willensfreiheit, deren ich fähig bin, reiche ich dir die Hand als dein rechtmäßiges Weib und nehme die deinige an, sofern du mir sie aus freiem Entschlüsse reichst, ohne daß das Unglück, in welches deine Verzweiflungstat dich gebracht, dir das Bewußtsein stört oder vernichtet.« »Ja, so reiche ich sie dir«, entgegnete Basilio, »weder verstört noch wirr im Geiste, sondern mit dem klaren Verstande, den es dem Himmel gefiel mir zu verleihen, und so gebe und übereigne ich mich dir als deinen Ehegatten.« »Und ich mich dir als Gattin«, sprach Quitéria dagegen, »ob du nun lange Jahre lebest oder ob man dich aus meinen Armen zu Grabe trägt.« »Dafür, daß dieser Bursche so schwer verwundet ist«, bemerkte hier Sancho Pansa, »spricht er wirklich viel. Macht doch, daß er von seinem verliebten Gerede abläßt und an das Heil seiner Seele denkt; sie schwebt ihm zwar eigentlich schon auf den Lippen, sitzt ihm aber meines Erachtens noch immer fest auf der Zunge.« Als nun Basilio und Quitéria die Hände verschlungen hielten, gab ihnen der Pfarrer gerührt und mit Tränen seinen Segen und betete zum Himmel, der Seele des Neuvermählten glückselige Ruhe zu gewähren. Aber dieser hatte kaum den priesterlichen Segen empfangen, da sprang er rasch und behende auf die Füße und zog mit unerhörter Verwegenheit den Degen heraus, dem sein Körper als Scheide gedient hatte. Die Umstehenden alle gerieten in Erstaunen, und einige unter ihnen, die mehr Einfalt als Scharfsinn besaßen, begannen mit lauter Stimme zu rufen: »Wunder, ein Wunder!« Jedoch Basilio entgegnete: »Saget nicht Wunder, Wunder, sondern List, nur List.« Der Pfarrer trat erstaunt und außer sich näher und befühlte mit beiden Händen die Wunde und fand, daß die Klinge dem Basilio keineswegs durch Fleisch und Rippen gegangen war, sondern durch eine eiserne Röhre, die an der richtigen Stelle geschickt angebracht und mit Blut gefüllt war; das Blut, wie man später erfuhr, war so zubereitet, daß es nicht gerinnen konnte. Nach alledem hielten sich der Pfarrer und Camacho nebst den meisten Umstehenden für betrogen und verhöhnt. Die Neuvermählte indes schien den Spaß durchaus nicht übelzunehmen; im Gegenteil, als sie hörte, diese Vermählung könne nicht gültig sein, entgegnete sie, sie erkläre die Ehe aufs neue für rechtskräftig. Daraus schlössen denn alle, die ganze Sache sei mit Wissen und Willen beider so geplant worden, und Camacho und seine Anhänger wurden darob so erbittert, daß sie ihre Rache der Gewalt der Fäuste anheimstellen wollten; es wurden nicht wenige Schwerter gezogen, und die Gegner stürmten auf Basilio ein, dem zur Hilfe wohl ebenso viele Schwerter aus der Scheide fuhren. Aber Don Quijote, hoch zu Roß, kam allen zuvor, und den Speer im Arm, wohlgedeckt mit seinem Schild, zwang er alle, ihm Raum zu geben. Sancho, welchen derlei Auftritte nimmermehr... [...]
Nur allein dem guten Sancho verdüsterte sich das Gemüt, da er nun die Unmöglichkeit sah, Camachos prachtvolles Mahl und Fest abzuwarten, das bis in die Nacht hinein dauerte, und so folgte er ratlos und betrübt seinem Herrn, der mit Basilios Genossenschaft von dannen zog. So ließ er die Fleischtöpfe Ägyptens hinter sich zurück, wiewohl er sie in seinem Herzen mitnahm, da ihr beinahe schon verzehrter und aufgegessener Abhub, den er im Schöpfeimer bei sich führte, ihm die Herrlichkeit und Fülle des verlorenen Glücks vor Augen stellte. Und also, in Trauer versunken und in Gedanken verloren, wenn auch frei von Hunger, folgte er auf seinem Grauen den Spuren Rosinantes. [...]
(Cervantes: Don Quijote, 2. Teil)

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