26 November 2016

Wieland: Kosmopoliten

Es gibt eine Art von Sterblichen, deren schon von den Alten hier und da unter dem Namen der Kosmopoliten Erwähnung getan wird, und die – ohne Verabredung, ohne Ordenszeichen, ohne Loge zu halten, und ohne durch Eidschwüre gefesselt zu sein – eine Art von Brüderschaft ausmachen, welche fester zusammen hängt als irgend ein anderer Orden in der Welt. Zwei Kosmopoliten kommen, der eine von Osten, der andere von Westen, sehen einander zum ersten Male, und sind Freunde; – nicht vermöge einer geheimen Sympathie, die vielleicht nur in Romanen zu finden ist; – nicht, weil beschworne Pflichten sie dazu verbinden; sondern, weil sie Kosmopoliten sind. In jedem andern Orden gibt es auch falsche oder wenigstens unwürdige Brüder: in diesem hingegen ist dies eine völlige Unmöglichkeit; und das ist, deucht uns, kein geringer Vorzug der Kosmopoliten vor allen andern Gesellschaften, Gemeinheiten, Innungen, Orden und Brüderschaften in der Welt. Denn wo ist eine von allen diesen, welche sich rühmen könnte, daß sich niemals ein Ehrsüchtiger, ein Neidischer, ein Geiziger, ein Wucherer, ein Verleumder, ein Prahler, ein Heuchler, ein Zweizüngiger, ein heimlicher Ankläger, ein Undankbarer, ein Kuppler, ein Schmeichler, ein Schmarotzer, ein Sklave, ein Mensch ohne Kopf oder ohne Herz, ein Pedant, ein Mückensäuger, ein Verfolger, ein falscher Prophet, ein Gaukler, ein Plusmacher und ein Hofnarr in ihrem Mittel befunden habe? Die Kosmopoliten sind die einzigen, die sich dessen rühmen können. Ihre Gesellschaft hat nicht vonnöten, durch geheimnisvolle Zeremonien und abschreckende Gebräuche, wie ehmals die Ägyptischen Priester, die Unreinen von sich auszuschließen. Diese schließen sich selbst aus, und man kann eben so wenig ein Kosmopolit scheinen wenn man es nicht ist, als man sich ohne Talent für einen guten Sänger oder Geiger ausgeben kann. Der Betrug würde an den Tag kommen, so bald man sich hören lassen müßte. Die Art, wie die Kosmopoliten denken, ihre Grundsätze, ihre Gesinnungen, ihre Sprache, ihr Phlegma, ihre Wärme, sogar ihre Launen, Schwachheiten und Fehler, lassen sich unmöglich nachmachen, weil sie für alle, die nicht zu ihrem Orden gehören, ein wahres Geheimnis sind. Nicht ein Geheimnis, das von der Verschwiegenheit der Mitglieder, oder von ihrer Vorsichtigkeit nicht behorcht zu werden, abhängt; sondern ein Geheimnis, auf welches die Natur selbst ihren Schleier gedeckt hat. Denn die Kosmopoliten könnten es ohne Bedenken bei Trompetenschall durch die ganze Welt verkündigen lassen, und dürften sicher darauf rechnen, daß außer ihnen selbst kein Mensch etwas davon begreifen würde. [...]
«Du scherzest», erwiderte unser Mann: «die Abderiten sollten zum Gefühl, wo es ihnen fehlte, gekommen sein? Ich kenne sie zu gut. Darin liegt eben ihre Krankheit, daß sie dies nicht fühlen.» «Indessen», sagte der andre, «ist nichts gewisser, als daß ich jetzt nicht in Abdera wäre, wenn die Abderiten nicht von dem nämlichen Übel, wovon du sprichst, geplagt würden. Die armen Leute!» «Ah! nun versteh ich dich! Deine Berufung konnte eine Wirkung ihrer Krankheit sein, ohne daß sie es selbst wußten. Laß doch sehen! – Ha! da haben wirs. Ich wette, sie haben dich kommen lassen, um dem ehrlichen Demokrit so viel Aderlässe und Niesewurz zu verordnen, als er vonnöten haben möchte, um ihres gleichen zu werden! Nicht wahr?» «Du kennst deine Leute vortrefflich, wie ich sehe, Demokrit: aber um so kaltblütig von ihrer Narrheit zu reden, muß man so daran gewöhnt sein wie du.» «Als ob es nicht allenthalben Abderiten gäbe.» «Aber Abderiten in diesem Grade! Vergib mir, wenn ich deinem Vaterlande nicht so viel Nachsicht schenken kann als du. [...]
Wir sehen uns aber genötigt, uns von dem günstigen und billig denkenden Leser vorher eine kleine Gnade auszubitten, an deren großmütiger Gewährung ihm selbst am Ende noch mehr gelegen ist als uns. Und dies ist – aller widrigen Eingebungen seines Kakodämons ungeachtet, sich ja nicht einzubilden, als ob hier unter verdeckten Namen, die Rede von den Theaterdichtern, den Schauspielern, und dem Parterre seiner lieben Vaterstadt die Rede sei. Wir leugnen zwar nicht, daß die ganze Abderitengeschichte in gewissem Betracht einen doppelten Sinn habe: aber ohne den Schlüssel zu Aufschließung des geheimen Sinnes, den unsere Leser von uns selbst erhalten sollen, würden sie Gefahr laufen, alle Augenblicke falsche Deutungen zu machen. Bis dahin also ersuchen wir sie Per genium, dextramque, Deosque Penates, sich aller unnachbarlichen und unfreundlichen Anwendungen zu enthalten, und alles was folgt, so wie dies ganze Buch, in keiner andern Gemütsverfassung zu lesen, als womit sie irgend eine andre oder neue unparteiische Geschichtserzählung lesen würden. [...]

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