I
"Zu Damme in Flandern, als der Mai die Blüten des Hagedorns entfaltete, wurde Ulenspiegel, der Sohn des Claes, geboren. Die Gevatterin, eine weise Frau namens Katheline, hüllte ihn in warme Windeln, besah seinen Kopf und zeigte auf ein Haarbüschel. »Behaart! Er ist unter einem guten Stern geboren!« rief sie freudig aus. Aber gleich darauf klagte sie und wies auf einen kleinen schwarzen Punkt auf der Schulter des Kindes: »Ach«, heulte sie, »das ist das schwarze Stigma der Klaue des Teufels!« Da antwortete Claes: »Sollte der Herr Satan schon so früh aufgestanden sein, daß er Zeit hatte, meinen Sohn zu zeichnen?« »Er hat sich gar nicht niedergelegt«, sagte Katheline, »denn Chanteclair weckt eben die Hennen.« Und sie ging hinaus, nachdem sie das Kind in Claesens Arme gelegt hatte. Nun zerriß das Morgenrot die nächtlichen Wolken, die Schwalben schossen schreiend über die Felder dahin, und die Sonne zeigte ihr purpurn strahlendes Antlitz am Horizont. Claes öffnete das Fenster und sprach zu Ulenspiegel. »Haarichter Sohn«, sagte er, »dies ist die ehrwürdige Sonne, die kommt, das Land Flandern zu begrüßen. Sieh sie dir an, wenn du kannst, und solltest du einmal nicht aus und ein wissen und, von Zweifeln erfüllt, nicht erkennen, was du tun sollst, um gut zu tun, so bitte sie um Rat, sie ist klar und warm. Deine Aufrichtigkeit gleiche ihrer Klarheit und deine Güte ihrer Wärme.«
»Claes, mein Mann«, rief da Soetkin, »du predigst einem Tauben, komm trinken, mein Sohn!« Und die Mutter reichte dem Neugeborenen ihre schönen Flaschen der Natur.
II
Während Ulenspiegel da trank, erwachten alle Vögel im Land. Claes, der Reisigbündel machte, sah seinem Weib zu, wie es Ulenspiegel die Brust reichte. »Frau«, sagte er, »hast du dir von dieser guten Milch Vorrat angelegt?« »Die Krüge sind voll«, sagte sie, »aber das allein bereitet mir noch nicht Freude.« »Du sprichst von dieser großen Stunde sehr kläglich.« »Ich denke daran, daß in dem Ranzen, der dort an der Wand hängt, nicht ein lumpiger Patard zu finden ist.«
Claes nahm den Ranzen zur Hand, aber er hatte gut schütteln – er vernahm kein Morgenständchen klimpernder Münzen. Und er schämte sich. Da er aber seine Frau trösten wollte, sagte er: »Weshalb bist du besorgt? Haben wir nicht den Kuchen im Schrank, den Katheline uns gestern brachte? Sehe ich dort nicht ein großes Stück Rindfleisch, das dem Kind zumindest für drei Tage gute Milch verschaffen wird? Dieser Sack voll Bohnen, in jene Ecke geschmiegt, ist er ein Verkünder der Hungersnot? Ist es ein Phantom, dieses Fäßchen voll Butter? Sind sie Gespenster, diese Kompanien und Eskadronen von Äpfeln, die zu elfen in der Reihe so kriegerisch in der Vorratskammer stehen? Ist es nicht das Versprechen eines frischen Trunks, das die große, ehrwürdige Tonne Cuyte von Brügge in ihrem Bauch zu unserem Labsal birgt?« »Wir müssen«, sagte Soetkin, »wenn wir das Kind zur Taufe bringen, dem Priester zwei Patards geben und brauchen einen Gulden für den Festschmaus.«
In diesem Augenblick trat Katheline mit einem großen Blumenstrauß ein und sagte: »Ich bringe dem haarichten Kind Engelwurz, welche den Menschen vor Schlemmerei bewahrt, Fenchel, der den Satan verjagt . . .« »Hast du nicht das Kraut, das die Gulden herbeischafft?« fragte Claes. »Nein«, sagte sie. »So will ich denn nachsehen, ob es nicht im Kanal welches gibt.«
Er nahm Angelschnur und Netz zu sich und machte sich auf den Weg, sicher, dort bleiben zu können und niemand zu begegnen, denn es war erst eine Stunde vor der »oosterzon«, wie die Sonne in Flandern um sechs Uhr genannt wird. [...]
IV
Man nannte Ulenspiegels Vater in Damme Claes, den Kooldraeger oder Köhler. Claes hatte schwarze Haare, hellblinkende Augen, und seine Haut war von der Farbe seiner Handelsware, ausgenommen an Sonn- und Feiertagen, wenn in seiner Hütte Überfluß an Seife war. Er hatte eine kleine, eckige Figur, war aber stark und trug ein fröhliches Gesicht zur Schau.
Wenn der Tag zu Ende war und der Abend sich niedersenkte, ging er in irgendeine Kneipe, die auf dem Wege nach Brügge lag, um seine Gurgel, die von Kohle geschwärzt war, mit Cuyte zu spülen, und die freundlichen Frauen traten unter ihre Türen und riefen ihm lachend zu: »Guten Abend, Köhler, und klares Bier!« »Guten Abend und einen Gatten, der nicht schläfrig ist!« antwortete Claes.
Die Mädchen, die gruppenweise von den Feldern heimkamen, stellten sich so vor ihn hin, daß sie ihn am Weitergehen verhinderten, und sagten zu ihm: »Was zahlst du, wenn wir dich durchlassen? Ein scharlachrotes Band, einen goldenen Ring, ein paar Schühlein von Samt oder einen Gulden zum Taschengeld?« Claes aber nahm eine um die Mitte, ließ seinen Mund gerade dorthin treffen, wo ihm dies junge Fleisch am nächsten kam, und küßte ihr die Wangen oder den Hals, dann sagte er: »Das übrige, meine Schätzchen, verlangt von eurem Liebsten.« Dann gingen sie hell auflachend ihres Weges.
Die Kinder erkannten Claes an seiner mächtigen Stimme und an dem Dröhnen seiner Stiefel schon von weitem, liefen ihm entgegen und sagten: »Guten Abend, Kohlenträger!« »Gott gebe auch euch einen guten Abend, meine Engelchen«, sagte dann Claes, »kommt mir aber nicht zu nahe, sonst mache ich Negerlein aus euch.« Die Kleinsten waren kühn und näherten sich dennoch, da faßte er eines bei seinem Wämslein und fuhr ihm mit seinen schwarzen Händen über das frische Mündchen, dann schickte er es, selbst lachend, wieder weg, zur großen Freude aller andern.
Soetkin, Claesens Frau, war ein gutes Eheweib, sie stand mit dem Morgenrot auf und war fleißig wie eine Ameise. Sie und Claes bearbeiteten zu zweit das Feld, das ihnen gehörte, und spannten sich wie Rinder vor den Pflug. Das war ein schweres Ziehen, aber noch weit schwerer war's, die Egge fortzubringen, jenes Ackergerät, dessen hölzerne Zähne die harte Erde aufreißen sollen. Trotzdem blieben ihre Herzen froh, und sie sangen sich ein Lied zur Arbeit, mochte da die Erde auch noch so hart sein. Vergeblich sandte die Sonne ihre heißesten Strahlen herab, vergeblich auch zog die Egge, beugte ihnen die Knie und bereitete ihren Schultern die heftigsten Anstrengungen, wenn sie anhielten und Soetkin wandte Claes ihr süßes Gesicht zu, das er, diesen Spiegel ihrer zärtlichen Seele, küßte, dann vergaßen sie aller großen Mühseligkeiten. [...]"
1909 schrieb Stefan Zweig über dies Werk:
Eulenspiegel Redivivus
Charles De Coster: Die Mär von Ulenspiegel und Lamme Goedzak
Endlich ist »Die belgische Bibel«, das dichterische Evangelium des flandrischen Volkes, ins Deutsche übersetzt worden. Man mag denken über Übertragungen wie man will, man mag mit Recht erbittert sein, wie sehr unsere Literatur mit gleichgültigen, langweiligen, unbedeutsamen Erzeugnissen aus Frankreich überschwemmt wird, mag gehässig geworden sein, hat man anderseits gesehen, wie ablehnend, wie feindlich und verächtlich sich die Franzosen allen deutschen Kunstwerken verschließen: hier wird man dennoch aufrichtig jubelnd ein Werk begrüßen. Denn die Übersetzung des Charles de Coster ist Gewinst für unser deutsches künstlerisches Empfinden, Abzahlung einer ungetilgten Schuld und vor allem, es ist eine Aufgabe, eine Verpflichtung für das deutsche Publikum. Hier ist nicht ein gerechter oder ungerechter Weltruhm zu bestätigen, einer Weltbewunderung noch ein Quentchen Begeisterung beizutun, sondern hier haben die Deutschen Gelegenheit, einem fast Namenlosen den Ruhm zu schenken. So wie einst Gobineau in Frankreich unbekannt blieb und erst durch die stürmische Liebe der Deutschen in Frankreich allmählich bemerkt wurde, so wie Maeterlinck und Verhaeren in Deutschland heute noch immer tiefer und voller verstanden werden als im vergeßlichen und leichtfertigen Paris, so glaube ich, wird es auch diesmal Deutschland sein, das den Ruhm des stammverwandten de Coster erst begründen wird. Unstern hat über sein Schicksal in Frankreich immer gewaltet. Schon zu seinen Lebzeiten hat man diesen tapferen und gewaltigen Dichter mißachtet, und noch heute ist sein Name Schall und Rauch. Ich erinnere mich, wie ich vor Jahren einmal in Paris einem französischen Dichter mit so stürmischer Begeisterung von diesem unvergänglichen Werke erzählte, daß er sich sofort zum Ankauf entschloß. Wir wanderten von Buchhandlung zu Buchhandlung, in keiner war das Werk vorrätig, in den allerwenigsten kannte man es auch nur dem Namen nach. Es blieb nichts übrig, als es von dem kleinen versteckten Verleger in Brüssel zu bestellen. Den Deutschen wird es leichter gemacht. Eugen Diederichs hat es in seinen Verlag übernommen, Friederich v. Oppeln-Bronikowski so meisterhaft übersetzt, daß es wie ein Original wirkt. Und es ist nun an Deutschland, diesem großen verkannten Künstler Rechtfertigung zu gewähren dafür, daß es dreißig Jahre nichts von ihm und seinem Werke wußte.
Dreifach ist sie berechtigt, die Rechtfertigung in Deutschland. Denn vor allem: de Coster ist in Deutschland geboren, in München 1827. Ich glaube nicht, daß man bisher in der Isarstadt stolz gewesen ist auf diesen Künstler (dessen Namen das Konversationslexikon bisher noch als überflüssig erachtet hat), aber ich bin sicher, kein Größerer ward dort in diesem Jahrhundert geboren. Zum zweiten ist Deutschland de Coster Dank schuldig, weil er es liebte. Aus deutschen Volksquellen trinkt seine Kunst ihre tiefste Kraft. Schillers Don Carlos und Goethes Reineke Fuchs standen dem Ulenspiegel – wie jüngst eine vortreffliche Untersuchung nachwies – als Paten zur Seite. Und zum dritten muß es geliebt werden aus dem rein menschlichen Gefühl, daß hier ein ungeheures Unrecht gut zu machen ist, das Gleichgültigkeit und Uninteresse an einem Lebenden und noch an dem Toten begangen hat.
Denn ein Märtyrer ist Charles de Coster gewesen. Er hat zu einer Zeit begonnen, wo in Belgien keine Literatur war, wo sich Zeitungen und Verleger für heimische Kunst nicht interessierten, wo Paris der Leitstern allen guten Geschmackes war. Er aber kehrte sich nicht an Geschmack und Neigung, sondern schrieb fünfzehn Jahre lang ohne Aussicht auf einen materiellen oder künstlerischen Erfolg unbeugsam den Hymnus an sein heimisches Volk, das ihn verhungern ließ und mißachtete. Es hat sich nicht konstatieren lassen, wie viel ihm der Verleger für dieses Lebenswerk zahlte, der gleiche Verleger, der im gleichen Jahre 300 000 Francs an Victor Hugo für einen Roman bar auszahlte, aber es muß wenig gewesen sein. Denn er schleppte sich mühsam auf kleinen Berufen durchs Leben, endete schließlich als Literaturlehrer in der Kriegsschule, wo ihn die jungen Burschen – nicht um seines Werkes willen! sondern für seine herzliche Art, seine kavaliermäßige Erscheinung und seinen unbeugsamen Humor – innig liebten. Niemand kannte ihn. Zwei alte Jungfrauen, eine Krämerin und eine Verkäuferin waren die einzigen, denen er seine großen Hoffnungen erzählen konnte, ohne verlacht zu werden. Zu früh gekommen, starb er auch zu früh, im Jahre 1879. Starb wie Johannes, ohne den Heiland gesehen zu haben, starb knapp vor den Jahren, wo sich die Erfüllung seiner patriotischen Träume so wunderbar verwirklichte. Von der künstlerischen Generation, die Belgien die Achtung der Welt eroberte, von den Constantin Meunier, Maeterlinck, Verhaeren, hat er nur den einen gekannt, Camille Lemonier, der ihm die Grabrede sprach. Er war der einzige von der literarischen Jugend, der am Sarge stand – die Priester hatten den Beistand verweigert, weil er in seinem Werke den Gedanken der Freiheit als höchsten Besitz und höchstes Ziel Belgiens gepriesen hatte –, er und dann noch die Kadetten in ihren schmucken Uniformen, die den freundlichen Lehrer beweinten. Aber keiner von ihnen wußte, einen wie großen Künstler man in das arme Grab von Jxelles hinabsenkte.
Denn Charles de Coster hat den Roman des Tyll Ulenspiegel geschrieben, ein unvergeßliches und unvergängliches Werk. Wie die Ilias urweltlich, kraftvoll und unvergleichlich am Anfange der griechischen Literatur, so steht es einsam und überragend in seiner Zeit. Ein solches Werk kann nur ein ganz Verkannter, ein ganz Einsamer schreiben. Einsamkeit zerbricht den Künstler oder sie erhebt ihn unendlich. Hätte er auf nur irgendeinen materiellen Erfolg rechnen können, er hätte sein Werk vielleicht beschleunigt, vielleicht gekürzt, vielleicht in kleineren Proportionen begonnen. Aber er wußte, daß er von dieser Generation nichts hoffen konnte, so schuf er für die nächste. Fünfzehn Jahre hat er an dieses Werk gewandt. Er hat Reisen gemacht, um alle Orte und ihr Kolorit zu studieren, er hat die deutschen, die holländischen, die flämischen, die französischen Dokumente, alle Archive durchstöbert, er hat nicht geeilt, nicht gehastet, er hat gehungert und gedarbt, nur um aus seinem Lebenswerk ein Werk zu schaffen. Und es ist ein Buch geworden, ein Volksbuch ohnegleichen. Wenn es noch nicht so populär in Belgien ist wie es sein sollte, so liegt dies an äußeren Umständen, an der Kostspieligkeit der Ausgabe, an der inneren Schwere und Trägheit der Rasse. Aber ein Volksbuch wird es werden, weil es aus Volksquellen genährt ist und weil es eine unsäglich stürmische begeisterte Liebe für Land und Menschen atmet. Es ist die Geschichte Till Eulenspiegels, des fröhlichen Narren. Aber seinen Possen und Narreteien gelten nur die ersten Kapitel des ersten Buches, dann taucht aus dem heiteren Maskenspiel plötzlich das ernste Antlitz des Schicksals. De Coster hat seinen Ulenspiegel in die große Epoche seines Vaterlandes gestellt, in den Aufstand der Niederlande gegen die Spanier. Die Inquisition lastet wie ein Alp auf dem freudigen Volke, in jeder Stadt, in jedem Dorfe flammen die Brandstöße mit den zuckenden Gestalten der Häretiker, »und der König erbt«, der finstere und grausame Philipp von Spanien, fern im Escorial, wo er die Tiere quält, die Menschen schaudern macht und Unheil sinnt gegen alle Lebensfreudigkeit. Das heitere Land wird bald zum Schrecken gezwungen. Und auch Till Eulenspiegel, der Schalksnarr verliert sein Lachen, wie er seinen Vater auf der Folter sieht und dann am Holzstoße. Aus der Asche des Vaters nimmt die Mutter eine Handvoll, schüttet sie in ein Seidentäschchen und hängt es Eulenspiegel um den Hals. Und nun schlägt bei jedem Schritte diese furchtbare Mahnung an sein Herz. Aus dem Landstörtzer wird ein Geuse, einer der Kämpfer gegen Spanien. Während er Possen treibt am Markte, hetzt er das Volk gegen Philipp auf, während er durch das Land arglos zu trollen scheint, bringt er Botschaften und geheime Sendungen an den Prinzen von Oranien und schließlich, wie der große Kampf entbrennt, ist aus dem Schalksnarren ein Soldat geworden, der nicht früher rastet, als bis die Freiheit Flanderns gewonnen ist.
Hinter diesem Kampfe aber ringen höhere Gewalten. So lebenswahr, so herzlich echt diese Figuren sind, sie bedeuten doch im Grunde Symbole eines Höheren. Der Kampf Flanderns und Spaniens ist der Kampf zwischen Lebensfreudigkeit und Askese, zwischen Pan und Christus. Ulenspiegel ist das Symbol der Seele Flanderns, ist die ewige Heiterkeit, der unbeugsame Wille zum Leben. Wie man ihn als einen Toten einscharrt am Ende des Buches, schüttelt er den Sand weg von sich und springt lebendig wieder auf. »Begräbt man Tyll Ulenspiegel, den Geist von Flandern? Er kann schlafen, aber sterben, nein.« Das Unsterbliche der Lebensfreude in seinem Volke wollte de Coster schildern, den urewigen Kampf von Freiheit gegen Unterdrückung, den Sieg des Lebens über seine Widersacher. Darum wird es auch nie aufhören, stark und lebendig zu wirken, Generationen, die ermatten, wieder aufzufrischen zu neuer Sehnsucht, es wird jung bleiben wie Eulenspiegel, der nicht alt werden kann, weil er in jeder Menschenseele neu aufblüht als die freudige Heiterkeit an allen irdischen Dingen.
Ich weiß nicht, wie oft und oft ich in diesem Werke schon gelesen habe, im französischen Original wie nunmehr in der Übertragung. Niemals bin ich müde geworden, denn es ist ein so ungeheurer Reichtum an Leben darin, eine so einzige Fülle von Episoden, eine geradezu simplizianische Abenteuerfülle. Jede Figur ist ein Kabinettstück, Lamme der Vielfraß, Ulenspiegels Sancho Pansa, Nele, das frische Mädchen, und dagegen die schwarze Silhouette Philipps und die verzerrten Masken der Verräter. Es ist so neu in seiner ganzen Diktion, ein Gemälde aber wie Mosaik, zerteilt in vielleicht 400 Aventuren, kleine Genrebilder, etwa im Sinne Gobineaus und von denen manches erinnert an die delikaten Bilder von Breughel oder Teniers, mancherlei an die Schwelgerei Rubens' oder das tragische Halbdunkel Rembrandts. Dokumente sind hier lebendig geworden, Kostüme um lebendige Menschen geschlungen, Historie zur Poesie gestaltet. Man fühlt, daß ein ganzes Leben und die ganze Mühe eines so einsamen Lebens hier versammelt ist und daß nicht die Kraft dieses Einzelnen nur darin wirkend ist, sondern die künstlerische Gewalt einer ganzen Rasse, die endlich ihren Dichter gefunden hat.
Nun ist es deutsch zu lesen, dieses herrliche Buch. Es hat nicht verloren durch die Übertragung, im Gegenteil, die niederdeutschen Ausdrücke, die aus dem Französischen wie Klippen aus einer schäumenden Flut herausragen, glätten sich hier in dem ein wenig altertümelnden Deutsch, das Oppeln-Bronikowski seiner Übertragung gegeben hat. Man muß ihm dankbar sein, daß er an ein so umfangreiches Werk – 600 Seiten stark ist dieser Roman – seine Mühe und künstlerische Kraft gewandt hat, dankbar auch Eugen Diederichs, der sich kühn an dieses Buch gewagt hat (das ich seit fünf Jahren, wie oft schon, deutschen Verlegern vergeblich empfohlen habe). Ich hoffe, man wird es lesen und lieben. Hier ist ein Kranz zu gewinnen für Deutschland: Wieder einmal zu zeigen, daß bei uns unbekümmert um die Gleichgültigkeit anderer Nationen ein gewaltiges Werk mit aller Liebe und Begeisterung gewürdigt werden kann und selbst den Heimatlosen eine neue Heimat geboten wird.