18 November 2023

Steffen Mau u.a.: Triggerpunkte

 In jedem Buchladen zu haben oder zu bestellen: Mau: Triggerpunkte

Aus den Rezensionen:

Dass sich 84 Prozent der Befragten Anerkennung für geschlechtliche Selbstbestimmung wünschen, findet Apin verblüffend (tz)

"ökonomisch schlechter und besser Gestellte unterscheiden sich gar nicht so sehr durch ihre Werte und die Einschätzung politischer Dringlichkeiten, sondern allenfalls in ihrer Ansicht über die Art und Weise, wie Politik und Gesellschaft damit umgehen sollen" (Welt)

 "überraschende Einsichten zu Kipppunkten und verblüffenden Allianzen" (FAZ)

Interview:

Die heutige Polarisierung der Gesellschaft, erklären die Soziologen Steffen Mau und Thomas Lux im Tagesspiegel-Gespräch mit Hans Monath. 

Die Lebenseinstellungen sind gar nicht so unterschiedlich, wie es nach außen scheint. Trotzdem gibt es in der Gesellschaft bestimmte "Triggerpunkte": "Das sind Sollbruchstellen der öffentlichen Debatte, bei denen sachliche Diskussionen in emotionale umschlagen und sich die Menschen anders positionieren, als sie es zuvor getan haben", führt Mau aus. "Viele Menschen haben aus unterschiedlichen Gründen Vorbehalte gegen Gendersternchen, befürworten in ihrer großen Mehrheit aber die Gleichberechtigung und gleiche Bezahlung von Frauen und Männer. Ein Triggerpunkt, also Auslöser von politischer Emotionalisierung, sind in diesem Zusammenhang etwa Verhaltensvorschriften. Wenn bestimmte Akteure sagen, du musst dich grundsätzlich verändern, in der Art, wie du sprichst, und das auch in deinem privaten Raum, dann provoziert das Reaktanz, also Abwehr, und viele sagen: Das mache ich jetzt nicht mehr mit."

Mitschriftversuch:

Steffen Mau zu Gast bei Silke Hohmann: Ist unsere Gesellschaft wirklich so gespalten?  - über das Buch Triggerpunkte von Stefan Mau u.a.

80% sagen: Die Ungleichheit hat sich vergrößert, aber dennoch besteht kein ernsthaftes Interesse an Umverteilung

Der Grund: Gewerkschaft u. Linke sind inzwischen zu schwach, deshalb wird die reale Ungleichheit weniger beachtet.

Heute gibt es eher horizontale Konflikte

Triggerpunkte: Genderstern, Lastenfahrrad, SUV werden weit mehr beachtet als der Konflikt zwischen Reich und Arm.

Meritokratie war in 70er Jahren bei höheren Schichten angesehen (Rechtfertigung der eigenen Position); heute aber wird sie oft in der Arbeiterklasse vertreten: denn damit wird eine Kritik an sozialen Transfers an Migranten begründet. (Es ist also ein Konflikt innerhalb der Gruppe der sozial und wirtschaftlich Benachteiligten.)

Klima: nicht Streit zwischen Klimaleugnern und Dramatisierenden; vielmehr geht der Streit jetzt mehr um Lastenverteilung bei der Umwandlung/Transformation;

Ökologie:

Sicht der Mittelklasse: eine Frage des Lebensstils

Sicht der Arbeiterklasse: Klassenfrage im Werden, Lastenausgleich,

Wer muss sich wieviel verändern?

Es gibt keine Generationenkluft, es stehen nicht Jugendliche (FFF) gegen Ältere. Denn von den 16-29Jährigen haben nur 62%, von den Älteren (über 60 J.) haben  75% große Sorge wegen des Klimawandels

Genderfrage: Die übliche Vermutung ist: Es geht um einen Wertewandel: Jung aufgeschlossen, Ältere dagegen, aber real ist es gar nicht so.

Untersuchungsmethode der Studie: Es wurden Fokusgruppen gebildet, d.h. z.B.  Alt und Jung, Stadt und Land diskutierten miteinander

Dann wurde verglichen, was für  Argumente die jeweiligen Gruppen verwendeten.

Als Triggerthemen wurden dafür kontroverse Überschiften angeboten wie  "Eigene Zeiten für die Benutzung von Schwimmbädern allein für Transpersonen", "Einschränkungen speziell für Migranten aus arabischen Ländern".

Stichworte, die Auseinandersetzungen triggern (hoch emotional werden lassen) sind solche die repräsentativ für moralische Grundpositionen sind: z.B. Messerstecher, Lastenfahrrad, ...

Verallgemeinerbare Prinzipien für Triggerpunkte sind z.B Sonderrechte für Minderheiten, umgekehrte Diskriminierung (Ausstellungsbesuch speziell für Schwarze - dagegen protestieren Personen, die selbt gar nicht in die Ausstellung gehen wollen).

Es geht dabei um das Gefühl eines Kontrollverlusts. um den Verlust individueller Autonomie, gerade im Konflikt mit gesellschaftlich Benachteiligten. Z.B. bei Sprachpolitik, die angeblich  "von denen da oben" vertreten würde, aber in Wirklichkeit von Benachteiligten propagiert wird.

Störung des Spielfelds (ungesättigte Konflikte)

Einstiegsfenster für neue Art des politischen Diskurs

Triggerpunkt sorgen für Affektpolitik, Erregungsgesellschaft; z.B. der Streit über gendergerechte Sprache wird extra angeheizt.

Die Spaltung entsteht nicht an der Basis, sondern wird von Meinungsmachern von oben in die Gesellschaft hineingetragen.

Mau hat das schon früher beobachtet, ist aber überrascht von der Geschwindigkeit der Dynamik. Der Grund dafür dürfte sein, dass das Ausmaß und Tempo der Veränderungen die Veränderungsbereitschaft überfordern (Stichwort: Veränderungserschöpfung).

Mau war in  Meseberg beim Koalitionsgespräch:

Darüber berichtet die ZEIT:

"Die Ökologie nennt Mau [...] eine "Klassenfrage im Werden". Die Sorge vor der Bedrohung durch den Klimawandel werde zwar (anders als früher) durch alle Schichten hinweg geteilt, was die Strategien dagegen angehe, erkenne man jedoch deutliche Klassenunterschiede.

Die unteren Schichten seien nicht per se gegen eine ökologische Transformation, jedoch seien die Bedenken hier andere als im grün geneigten Bürgertum: 50 Prozent der Produktionsarbeiter sorgten sich etwa vor einem Wohlstandsverlust durch die Klimawende, in den kulturellen Oberschichten seien es nur 20 Prozent. Mau und seine Kollegen schreiben von einer "Ökologie der Arbeiterklasse", die sich mithilfe ihrer Daten erkennen lasse: Für die unteren Schichten werde die ökologische Frage in erster Linie ökonomisch vermittelt. Dem abstrakten Nutzen des Klimaschutzes stünden die unmittelbaren Kosten entgegen, und Klimapolitik erscheine als Bedrohung, wenn sie nicht explizit mit Verteilungsmaßnahmen einhergehe." (Die ZEIT 17.11.23)

Was folgt also aus alledem für die Grünen im Herbst 2023?

Es folgt zum Beispiel, dass es eine sehr schlechte Idee war, ein Heizungsgesetz niederzuschreiben, ohne sich Gedanken über die soziale Absicherung gemacht zu haben. Es folgt, dass es überdies eine sehr schlechte Idee wäre, weiterhin auf eine Entkopplung der deutschen Wirtschaft von China zu drängen, ohne zugleich darüber zu reden, wer dafür bezahlt, wenn die Waren dadurch am Ende teurer werden (weil man in China günstiger produzieren kann als in Deutschland). Zu viele Kompromisse oder zu wenige; zu radikal oder nicht radikal genug – das sind womöglich die falschen Fragen. Tatsächlich wird es für die Grünen darum gehen, wie der Anspruch, eine Politik für die "Breite der Gesellschaft" (Robert Habeck) zu betreiben, dazu passt, dass man die Wirkungen ebenjener Politik in den Grünen-fernen Schichten so regelmäßig unterschätzt. Wie wollen sie eine Polarisierung der Gesellschaft vermeiden, wenn sie selbst Teil der Polarisierung sind?

In den Führungszirkeln der Partei hat sich schon einmal die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Gemisch aus ideologischer Anmutung (Atomkraft) und sozialer Blindheit (Heizungen) so ungefähr das Gefährlichste ist, was man sich anrühren konnte. Viel wird, so kann man es den Gesprächen entnehmen, derzeit darüber diskutiert, wie man die Zukunftssorgen in der Gesellschaft adressieren kann und zugleich verhindern, dass diese vollumfänglich auf die Grünen projiziert werden. Wie man Interessengegensätze beim Klimaschutz politisieren kann, ohne zugleich zurückzufallen in ein bequemes Freund-Feind-Denken. Und wie geht man damit um, dass die sogenannte Menschheitsaufgabe derzeit politisch und gesellschaftlich erkennbar zum Minderheitsanliegen schrumpft?

Es sind große, grundsätzliche Fragen. Nicht nur für die Grünen. Denn selbst wenn die irgendwann in der Opposition oder, noch besser, mit ihren gottverdammten Wärmepumpen auf irgendeiner voll isolierten Insel sitzen, wird das Heizen mit Gas teurer 

 Politiker fragen sich:

Wie geht man damit um?

1. Selber auf Leidenschaft setzen

2.Ignorierung

3. Resultatorientierung

Die Medien setzen auf Leidenschaft um Aufmerksamkeit zu erreichen. Dshalb Überrepräsentation von Randpositionen (bei sozialen Medien wird das durch Algorithmen noch verstärkt).

Aus Gefühlspolarisierung wird Realpolarisierung.

Ohne Kontakte zu Andersmeinenden entsteht eine Tendenz zu Stereotypen.

Wie soll man vorgehen?

USA sind abschreckend, wie in Europa Koalitionen schwächen Polarisation ab, aber dennoch gibt es auch innerhalb von Koalitionen vermehrt Streit.

Ein Mittel wäre, statt  Triggerpunkte zu diskutieren, reale Konflikte zu betrachten und zu lösen versuchen. 



Keine Kommentare: