15 September 2024

Thomas R.P. Mielke: Inanna

Inhalt laut Waschzettel: 

Ein Planetoid vernichtet die Hochkultur von Atlantis und lässt Europa in Dunkelheit und Eiseskälte versinken – vor über 8000 Jahren unserer Zeitrechnung. Inanna, die Göttin des Himmels und der Erde, war in die Welt geschickt worden, nach dem verlorenen Wissen der Götter zu suchen. Sie überlebt die Katastrophe, sie findet Zuflucht in den Höhlen der  Cro Magnon-Menschen. Nur langsam erwacht sie aus ihrer Benommenheit und erinnert sich an ihren Auftrag.

Es beginnt ihre Odyssee durch Europa, Kleinasien und Afrika: sie schließt sich hoch im Norden Rentierjägern an, lebt bei Fischern an der Donau, findet die Stadt der Frauen von Catal Hüyük und begegnet Gilgamesch, dem König von Uruk.
Inanna wird so zur Kulturbringer der Menschheit, sie lässt die Menschen an ihren Erfahrungen und ihrem Wissen teilhaben: sie zähmt die ersten Wölfe, erfindet den Kamin, den Zement, die Töpferscheibe und die Waage.  Das Wissen der Götter aber, das sie sucht, hat Gott Enki in seinem Palast auf dem Grund des Meeres versteckt.

Joseph Ratzinger: Aus meinem Leben

 "[...] Was war der Schott? Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Beuroner Benediktiner   Anselm Schott, das Messbuch der Kirche ins Deutsche übertragen. Es gab Ausgaben nur in deutscher Sprache, solche, in denen ein Teil der Texte lateinisch und Deutsch abgedruckt war, und solche, in denen der gesamte lateinische und daneben der deutsche Text dargeboten wurde. Ein fortschrittlicher Pfarrer hatte meinen Eltern zu ihrem Hochzeitstag 1920 den Schott geschenkt; so war das Gebetbuch in unserer Familie von Anfang an gegenwärtig. Unsere Eltern haben uns früh geholfen, den Zugang zur Liturgie zu finden. Es gab einen an das Missale angelehntes Kindegebetbuch, in dem der Fortgang der Heiligen Handlung in Bildern dargestellt war, so dass man dem Geschehen gut folgen konnte.  Dazu gab es jeweils ein Gebetswort, in dem das Wesentliche der einzelnen Abschnitte der Liturgie aufgenommen und kindlichem Beten zugänglich gemacht war. Als nächste Stufe erhielt ich einen Schott für die Kinder, in dem schon die wesentlichen Texte der Li/turgie selbst abgedruckt waren; dann den Sonntags-Schott, in dem nun die Liturgie der Sonn- und Feiertage vollständig dargeboten wurde, schließlich das vollständige Messbuch für alle Tage.  Jede neue Stufe im Zugehen auf die Liturgie war ein großes Ereignis für mich. Das jeweils neue Buch war eine Kostbarkeit, wie ich sie mir nicht schöner träumen konnte. Es war ein fesselndes Abenteuer, langsam in die geheimnisvolle Welt der Liturgie einzudringen, die sich da am Altar vor uns und für uns abspielte. Immer klarer wurde mir, dass ich da einer Wirklichkeit begegnete, die nicht irgend jemand erdacht hatte, die weder eine Behörde noch ein großer einzelner geschaffen hatte.  Dieses geheimnisvolle Gewebe von Text und Handlungen war in Jahrhunderten aus dem Glauben der Kirche gewachsen. Es trug die Fracht der ganzen Geschichte in sich und war doch zugleich vielmehr als Produkt menschlicher Geschichte. Jedes Jahrhundert hatte seine Spuren eingetragen: Die Einführungen ließen uns erkennen, was in der frühen Kirche, was aus dem Mittelalter, was aus der Neuzeit stammte.  Nicht alles war logisch, es war manchmal verwinkelt und die Orientierung gewiss nicht immer leicht zu finden. Aber gerade dadurch war dieser Bau wunderbar und war er eine Heimat. Natürlich habe ich das als Kind nicht im einzelnen erfasst, aber mein Weg mit der Liturgie war doch ein kontinuierlicher Prozeß, eines Hineinwachsens, in eine alle Individualitäten und Generationen übersteigende große Realität,  die zu immer neuem Staunen und Entdecken, Anlaß wurde. Die unerschöpfliche Realität der katholischen Liturgie hat mich durch alle Lebensphasen begleitet; so wird auch immer wieder die Rede davon sein müssen." (S.22/23). 

Joseph Kardinal Ratzinger: Aus meinem Leben, DVA 1998

14 September 2024

Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Wikipedia: Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Gone with the Wind

Den Film habe ich irgendwann vor Jahrzehnten gesehen, den Roman allenfalls angelesen, jedenfalls nicht mehr in Erinnerung. Mich erstaunte bei Blick in den Roman die Selbstsicherheit des Sklaven Peter, die mich - man wird erstaunen - an das Selbstbewusstsein von Schwarzen bei Faulkner erinnert, die den Weißen Unmündigkeit vorspielen, um sie in ihrem Unglauben zu halten. ("Sprich kein korrektes Englisch!")

Wie die Sehweise im gesamten Roman ist, kann ich noch nicht beurteilen.

Wikipedia: Kritik an der Sicht des Romans auf die Sklaverei

Die Darstellung der historischen Abläufe im Roman erfolgt aus der Perspektive der Protagonisten, also der der besiegten weißen Südstaatler. Alan T. Nolan kritisiert daher in The Myth of the Lost Cause and Civil War History, dass die Darstellung einem einseitig prosüdlichen Narrativ folge. Die Sklaverei und die Rolle des Ku Klux Klan nach dem Sezessionskrieg würden beschönigt, die Reconstruction und die nordstaatlichen Soldaten dagegen negativ dargestellt. Der Roman folge in diesem Sinne den typischen Topoi des Lost Cause und gebe nicht die historischen Tatsachen wieder.[9]

Sonja Zekri beurteilt den Roman als „modern in der Frauenfrage und archaisch im Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß“: Mit der repressiven Idealisierung der Südstaatenfrauen habe Mitchell nichts anfangen können, das zeige schon ihre Protagonistin. Scarlett O’Hara habe sie als eine lebenshungrige, unzerstörbare, mehrfach verheiratete, erfolgreiche Geschäftsfrau gezeichnet, habe „die übliche männliche Enttäuschung darüber, dass eine Frau über ein Gehirn verfügt“ ironisiert (so Mitchell). Auf der anderen Seite sei es ein rassistisches Buch. Entgegen entschuldigender Rede sei die Sklaverei durchaus Thema gewesen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Süden die Rassentrennung gesetzlich verankerte, habe Mitchell den Weißen alle Schuldgefühle genommen. In Form einer Romancing Slavery strahle Sklaverei im warmen Licht einer idealen Gemeinschaft. Mammy, Pork und die anderen Sklaven wüssten die Geborgenheit und Fürsorge der weißen Besitzer zu schätzen und fürchteten nichts so sehr wie die Yankees. „Die Besseren unter ihnen verschmähten ihre Freiheit und litten genauso wie ihre weiße Herrschaft“, so Mitchell.[10]

Zitat (engl.)

"[...] "Dis Miss Scarlett, ain' it? Dis hyah Peter, Miss Pitty's coachman. Doan step down in dat mud," he ordered severely, as Scarlett gathered up her skirts preparatory to descending. "You is as bad as Miss Pitty an' she lak a chile 'bout gittin' her feets wet. Lemme cahy you."

He picked Scarlett up with ease despite his apparent frailness and age and, observing Prissy standing on the platform of the train, the baby in her arms, he paused: "Is dat air chile yo' nuss? Miss Scarlett, she too young ter be handlin' Mist' Charles' onlies' baby! But we ten' to dat later. You gal, foller me, an' doan you go drappin' dat baby."

Scarlett submitted meekly to being carried toward the carriage and also to the peremptory manner in which Uncle Peter criticized her and Prissy. As they went through the mud with Prissy sloshing, pouting, after them, she recalled what Charles had said about Uncle Peter.

"He went through all the Mexican campaigns with Father, nursed him when he was wounded—in fact, he saved his life. Uncle Peter practically raised Melanie and me, for we were very young when Father and Mother died. Aunt Pitty had a falling out with her brother, Uncle Henry, about that time, so she came to live with us and take care of us. She is the most helpless soul—just like a sweet grown-up child, and Uncle Peter treats her that way. To save her life, she couldn't make up her mind about anything, so Peter makes it up for her. He was the one who decided I should have a larger allowance when I was fifteen, and he insisted that I should go to Harvard for my senior year, when Uncle Henry wanted me to take my degree at the University. And he decided when Melly was old enough to put up her hair and go to parties. He tells Aunt Pitty when it's too cold or too wet for her to go calling and when she should wear a shawl...He's the smartest old darky I've ever seen and about the most devoted. The only trouble with him is that he owns the three of us, body and soul, and he knows it."

Charles' words were confirmed as Peter climbed onto the box and took the whip.

"Miss Pitty in a state bekase she din' come ter meet you. She's feared you mout not unnerstan' but Ah tole her she an' Miss Melly jes' git splashed wid mud an' ruin dey new dresses an' Ah'd 'splain ter you. Miss Scarlett, you better tek dat chile. Dat lil pickaninny gwine let it drap."

Textzitate (deutsch):

"[...] »Du weißt ganz genau, daß es keinen Krieg gibt!« Scarlett langweilte sich. »Das ist alles nur Gerede. Ashley Wilkes und sein Vater haben Pa doch gerade vorige Woche erzählt, daß unsere Unterhändler in Washington wegen der Konföderierten Staaten mit Mr. Lincoln zu einem ... einem Freundschaftsvergleich kommen würden, und überhaupt haben die Yankees viel zu große Angst, mit uns zu kämpfen. Es gibt keinen Krieg, und ich habe es satt, davon zu hören.« [...] (S.105)

"[...] Das wellige Land in den Vorbergen Nord-Georgias wurde in Millionen Kurven gepflügt, damit der schwere Boden nicht in die Sümpfe am Fluß geschwemmt werde. Das Land war von beängstigender Röte: nach Regenfällen rot wie Blut, in der Dürre verwandelt in ziegelfarbenen Staub - der beste Baumwollboden der Welt. Es war ein liebliches Gelände mit weißen Häusern, friedlich gepflügten Feldern und trägen gelben Flüssen, doch ein Land voller Gegensätze, von blendendstem Licht und tiefstem Schatten. [...]" (S.135)

"[...] »Übrigens soll gar nicht seine Verlobung verkündet werden«, triumphierte Stuart, »sondern Ashleys mit Charlies Schwester, Miß Melanie!« In Scarletts Gesicht veränderte sich nichts, nur ihre Lippen wurden weiß wie bei jemandem, der unvorbereitet einen betäubenden Schlag empfängt und im ersten Augenblick des Schreckens nicht faßt, was ihm geschieht. Sie sah Stuart so groß und still an, daß er sie einfach für überrascht und interessiert hielt und sich nichts dabei dachte. Ein Seelenkenner war er nie gewesen. [...]" (S.268)

"[...] »Wollen denn Masters beide zu Master Wynder?« ließ sich jetzt Jeems vernehmen. »Da gibt nicht viel Abendbrot, Köchin ist tot und sie noch keine neue kaufen, und nun kochen eine Pflückerin, und die Schwarzen mir erzählen, das die schlechteste Köchin im ganzen Staat.« »Du meine Güte, warum kaufen sie sich denn keine neue Köchin?« »Wie sollen denn weißes Bettelpack sich Farbige kaufen? Die nie mehr als höchstens vier Stück haben.« In Jeems' Stimme klang unverhohlene Verachtung. Seine eigene gesellschaftliche Stellung war gesichert, denn Tarletons besaßen hundert Farbige, und wie alle Sklaven der großen Plantagenbesitzer sah er auf die kleinen Farmer herab, die nur wenige Sklaven hielten. »Ich ziehe dir das Fell über die 0hren!« Stuart war wütend. »Daß du mir Able Wynder nicht 'weißes Pack' nennst! Gewiß ist er arm, aber durchaus kein Pack, und hol mich der Teufel, wenn ich erlaube, daß irgend jemand, weiß oder schwarz, wegwerfend von ihm spricht. Einen besseren Mann gibt es nicht in der Provinz. Warum hätte die Truppe ihn sonst zum Leutnant gewählt?« [...] (S.366)

"[...] Nun erschien Mammy an der Tür der Halle, ein riesenhaftes altes Weib, mit kleinen klugen Elefantenaugen. Sie war eine Farbige reinsten Wassers, glänzend schwarz und den 0'Haras bis zum letzten Blutstropfen ergeben, Stab und Stütze für Ellen, die Verzweiflung ihrer drei Töchter, der Schrecken der anderen Dienstboten. Mammy war eine Schwarze, aber ihr Sittenkodex und ihr Stolz standen ebenso hoch, ja höher als der ihrer Eigentümer. Aufgewachsen war sie im Schlafgemach. Solange Robillards, der Mutter Ellen 0'Haras, einer unnahbar kühlen, vornehmen Französin, die Kindern und Dienstboten keine Strafe für einen Verstoß gegen die Schicklichkeit erließ. Mammy war Ellens Amme gewesen und, als Ellen heiratete, mit ihr aus Savannah nach dem Norden gekommen. Wen Mammy liebhatte, den züchtigte sie, und da ihre Liebe zu Scarlett und ihr Stolz auf sie keine Grenzen kannte, so wurde Scarlett eigentlich ohne Unterbrechung gezüchtigt.[...]" (S.768)

Gerald O'Hara, ein irischer Einwanderer, der wegen Totschlags Irland hatte verlassen müssen und sich mit Poker und Trinkfestigkeit hochgearbeitet hatte:

"[...] Der Diener namens Pork, tiefschwarz und in den erlesensten Feinheiten der Schneiderkunst beschlagen, fiel ihm in einer Nacht zu, die er mit einem Pflanzer aus St.-Simons-Island verpokerte, einem Manne, dessen Kühnheit im Bluffen der Geralds gleichkam, dessen Kopf aber dem New-0rleans - Rum nicht in gleichem Maße standhielt. Porks früherer Besitzer erbot sich, ihn um das Doppelte zurückzukaufen, aber Gerald blieb fest. Mit dem Besitz seines ersten Sklaven und nun gar des »verdammt noch mal besten Dieners an der ganzen Küste« war die erste Stufe zur Erfüllung seiner Herzenswünsche erklommen. Gerald wollte Sklavenhalter und Großgrundbesitzer werden. [...]" (S.840)

"[...] Tom Slattery besaß keine Sklaven. Mit seinen beiden ältesten Söhnen plagte er sich auf seinen paar Baumwollfeldern ab, während die Frau und die kleineren Kinder ein Stück Land zu bearbeiten suchten, welches so etwas wie einen Gemüsegarten vorstellen mochte. Aus irgendwelchen Gründen mißglückte es mit der Baumwolle fortwährend, und da Mrs. Slattery beständig ein Kind erwartete, lieferte der Garten selten genug, um ihre Schar satt zu machen. So hatte man sich daran gewöhnt, Tom Slattery bei seinen Nachbarn herumlungern und um Baumwollsamen und eine Speckseite betteln zu sehen, um sich über Wasser zu halten. Mit dem bißchen Energie, das er besaß, haßte er seine Nachbarn, weil er aus ihrer Höflichkeit die Verachtung herausfühlte, haßte er vor allem die hochnäsigen Schwarzen der Reichen. Die farbigen Bediensteten der Provinz hielten sich für etwas Besseres als das »weiße Pack«, und ihr unverblümter Hohn kränkte ihn tief, während ihre gesicherte Lebensstellung seinen Neid erweckte. Im Gegensatz zu seinem kümmerlichen Dasein waren diese Schwarzen wohlgenährt und gut gekleidet, und in Alter und Krankheit wurde für sie gesorgt. Sie waren stolz auf den Namen ihrer Besitzer und zum größten Teil auch darauf, Eigentum von Leuten zu sein, die der guten Gesellschaft angehörten, während Slattery mit allgemeiner Geringschätzung betrachtet wurde. Er hätte seinen Hof an jeden Pflanzer in der Provinz für seinen dreifachen Wert verkaufen können; man hätte das Geld gern daran gewendet, um ihn los zu sein. Ihm aber war es eine Genugtuung und ein Trotz, zu bleiben und von dem Ertrag eines Ballens Baumwolle und der Wohltätigkeit seiner Nachbarn sein Leben zu fristen. Mit allen anderen in der Provinz stand Gerald auf freundschaftlichem Fuß, und mit einigen war er eng vertraut. Wilkes, Calverts, Tarletons, Fontaines, alle freuten sich, wenn die gedrungene Gestalt auf dem schweren Schimmel ihre Auffahrt heraufgaloppiert kam. Man lächelte und ließ die hohen Gläser kommen, in die ein Gläschen Bourbon-Whisky über einen Teelöffel Zucker und etwas zerquetschte Pfefferminze gegossen war. Man mußte Gerald gern haben, und mit der Zeit entdeckten auch die Nachbarn, was die Kinder, Farbige und Hunde auf den ersten Blick herausgehabt hatten, daß hinter der lärmenden Stimme und der rauhen Formlosigkeit ein gütiges Herz, ein verständnisvolles 0hr und eine offene Brieftasche zu finden waren. Bei seiner Ankunft ging es jedesmal wie in einem Tollhaus zu. Hunde bellten, schwarze Kinder jauchzten, wenn sie ihm entgegenliefen, stritten sich darum, sein Pferd halten zu dürfen, und grinsten über seine gutmütigen Flüche. Die weißen Kinder wollten auf seinem Knie reiten, während er mit ihren Eltern über die Niedertracht der Yankees schimpfte. Die Töchter seiner Freunde vertrauten ihm ihre Liebesgeschichten an, die Söhne, die Angst hatten, ihre Spielschulden im Arbeitszimmer des Vaters zu gestehen, hatten an ihm einen Helfer in der Not. [...]" (S.870)

"[...] Tara verlangte gebieterisch nach einer Hausfrau. Die dicke Köchin, eine Schwarze vom Feld, die nur, weil irgend jemand die Küche versorgen mußte, zur Köchin befördert war, brachte das Essen nie zur rechten Zeit auf den Tisch, und das Hausmädchen, eine frühere Pflückerin, ließ den Staub sich auf den Möbeln häufen und hatte nie reine Wäsche zur Hand, so daß jedesmal, wenn Gäste kamen, alles drunter und drüber ging. Pork, der einzige ausgebildete farbige Bedienstete auf Tara, hatte die allgemeine Aufsicht über die anderen Dienstboten, aber selbst er war im Zusammenleben mit Gerald allmählich nachlässig geworden. Er hielt Geralds Schlafzimmer in 0rdnung und servierte mit Würde bei Tisch, aber sonst ließ er so ziemlich alles gehen, wie es wollte. Mit ihrem unfehlbaren afrikanischen Instinkt hatten die Farbige alle längst heraus, daß Gerald zu der Sorte von Hunden gehörte, die bellen und nicht beißen. Das nutzten sie schamlos aus. Fortwährend wurden zwar von Gerald schreckliche Drohungen, die Sklaven nach dem Süden zu verkaufen oder durchzupeitschen, ausgestoßen, aber noch nie war ein Sklave aus T ara verkauft worden, und gepeitscht wurde nur ein einziges Mal, weil Geralds Lieblingspferd nach einem langen Jagdtag nicht gepflegt worden war. Gerald sah mit seinen scharfen blauen Augen, wie gut bei seinen Nachbarn der Haushalt aufgezogen war und wie die Frauen mit dem glatten Haar und den rauschenden Seidenkleidern ihre Dienstboten zu regieren verstanden. Er wußte nicht, wie gehetzt diese Frauen von Sonnenaufgang bis Mitternacht waren, wie angekettet an ihre Pflicht, Küche, Kinderzimmer, Nähstube und Waschraum unter steter Aufsicht zu halten. Er sah nur das äußere Ergebnis, und das machte ihm Eindruck. Wie nötig er eine Frau hatte, wurde ihm eines Morgens klar, als er sich anzog, um zum Gerichtstag in die Stadt zu reiten. Pork hatte das gefältelte Hemd herausgesucht, aber es war von dem Mädchen so schlecht ausgebessert worden, das höchstens der Diener es noch tragen konnte. »Master Gerald«, sagte Pork und rollte das geschenkte Hemd mit Danksagungen zusammen, während Gerald vor Zorn kochte, »was Sie brauken, sein eine Frau und eine dicke Menge farbige Bedienstete.« [...]" (S.930)

"[...] »Sie haben ihn vertrieben. Vater, Pauline und Eulalia. Sie trieben ihn fort! Ich hasse sie alle, alle! Ich will sie nie wiedersehen! Weg will ich, weg und keinen von ihnen wiedersehen, weder die Stadt noch irgend etwas, was mich an ihn erinnert.« 

Als die Nacht fast vorüber war, hatte Mammy, die sich über den Kummer ihrer Herrin selbst die Augen ausgeweint hatte, Einspruch erhoben: »Aber Liebling, das kannst du nicht.« »Das will ich aber. Mr. 0'Hara ist ein guter Mann. Ich tue es, oder ich gehe nach Charleston ins Kloster.« 

Die Drohung mit dem Kloster gewann schließlich die Zustimmung des ganz verstörten, tiefgetroffenen Pierre Robillard. Er war strenger Presbyterianer, trotz seiner katholischen Familie, und der Gedanke, seine Tochter könnte Nonne werden, war ihm schrecklicher als die Heirat mit Gerald 0'Hara. Schließlich war ja gegen den Mann nichts weiter einzuwenden, als daß er nicht aus bester Familie stammte. So kam es, daß Ellen Savannah den Rücken kehrte, um es niemals wiederzusehen, und mit ihrem nicht mehr jungen Mann, mit Mammy und zwanzig bediensteten Farbigen nach Tara reiste. Im nächsten Jahr wurde das erste Kind geboren. Sie nannten es Katie Scarlett nach Geralds Mutter. Gerald war enttäuscht, weil er sich einen Sohn gewünscht hatte, aber er freute sich dann doch so sehr über die kleine schwarzhaarige Tochter, daß er jedem Sklaven auf Tara Rum ausschenken ließ und sich selbst einen tosenden, seligen Rausch antrank. (S.941)

Wenn Ellen ihren jähen Entschluß je bedauerte, so bekam es jedenfalls niemand zu wissen, am allerwenigsten Gerald, der vor Stolz schier bersten wollte, sooft er sie ansah. Ellen hatte Savannah und seine Erinnerungen hinter sich gelassen, und von dem Augenblick ihrer Ankunft auf Tara an wurde Nordgeorgia ihre Heimat. Ihr Vaterhaus, das sie auf immer verlassen hatte, war in seinen Umrissen schön und fließend wie ein Frauenleib oder wie ein Schiff mit vollen Segeln gewesen: ein blaßrosa Stuckhaus im französischen Kolonialstil, das zierlich vom Boden aufragte, mit geschwungenen Treppen und spitzenzarten Geländern; ein dämmeriges, üppiges Haus, freundlich und unnahbar. Mit ihm zugleich hatte sie die ganze Kultur zurückgelassen, die dort beheimatet war, und sie fand sich in einer so fremden Welt wieder, als hätte sie einen ganzenErdteil durchquert. Nordgeorgia war ein rauhes Land, bewohnt von einem wetterharten Volk. Auf der Hochebene, am Fuß der Blue Ridge Mountains, wogten die rötlichen Hügel, so weit das Auge reichte. Riesige Blöcke des granitenen Kerns traten überall daraus hervor, von hageren Pechkiefern überragt. [...]" (S.949)

"Für ihr Auge war das alles wild und unbändig. Es war die Küste gewohnt, die ruhige Urwaldschönheit der Inseln mit ihrer Hülle von weichem Moos und wucherndem Grün, den weißen Strand unter der tropischen Sonne, den weiten Blick über das flache, sandige Land mit seinen hohen zierlichen Palmen. Hier aber war eine Gegend, die Winterfrost und Sommerhitze kannte, und die Kraft und Tüchtigkeit der Bewohner waren ihr fremd. Freundliche Leute waren es, großherzig und von guter Laune, aber derb und aufbrausend. Die Küstenbewohner konnten sich wohl rühmen, all ihre Angelegenheiten, bis zu ihren Fehden und Duellen, mit lächelnder Anmut zu betreiben; die Leute von Nordgeorgia hatten einen Schuß Gewalttätigkeit im Blut. An der Küste schien das Leben vom Alter gereift. Hier war alles jung, lustig, frisch und rauh. Die Leute von Savannah waren alle aus gleichem Guß, gleich nach Anschauung und Herkommen, während es hier ein buntes Gemisch von Typen gab. Aus den verschiedensten Gegend en waren die Leute nach Nordgeorgia gekommen, aus anderen Teilen der Provinz, aus den beiden Carolinas und Virginia, aus Europa und vom Norden her. Einige davon waren, wie Gerald, von unverbrauchtem Blut, das hier sein Glück suchte, einige, wie Ellen, Kinder alter Geschlechter, die im Vaterhaus das Leben unerträglich gefunden und in der Ferne eine Zuflucht gesucht hatten. Viele waren ohne jeden Grund eingewandert, das rastlose Blut ihrer Väter, der Pioniere in der Wildnis, [...]" (S. 963)

"Baumwolle war das Herzblut des Landes, Baumwollaussaat und Baumwollernte der Pulsschlag der roten Erde. Aus den gekrümmten Furchen wuchsen Reichtum und Hochmut. Wenn Baumwolle schon in der ersten Generation so reich machte, wieviel reicher mußte erst die nächste werden! Die Gewißheit über den morgigen Tag gab dem Leben einen prickelnden, hohen Schwung, und die Leute genossen es so herzhaft, wie Ellen es nie begreifen konnte. Sie hatten Geld und Sklaven in Hülle und Fülle und damit Zeit genug zum Spiel, und spielen taten sie gern. Nie waren sie zu beschäftigt, [...]" (S.1,020)

"[...] »Eine kleine Dame, die die Stirn runzelt und das Kinn auf wirft und sagt 'ich will' und 'ich will nicht', kriegt keinen Mann ab«, prophezeite Mammy düster, »so eine kleine Dame soll die Augen niederschlagen und sagen 'gewiß doch' und 'Sie haben ganz recht'.« So gut sie vermochten, lehrten sie sie alles, was eine Dame wissen sollte; Scarlett aber begriff nur den äußeren Schein. Die Herzensanmut, aus der die äußere Form wachsen sollte, lernte sie nie und sah auch keinen Grund ein, sie zu lernen. Der äußere Schein genügte, die damenhaften Formen machten sie beliebt, und mehr verlangte sie nicht. Gerald prahlte damit, daß sie in fünf Provinzen die gefeiertste Schönheit sei, und nicht mit Unrecht. Fast alle jungen Männer aus der Nachbarschaft und viele von weither, aus Atlanta und Savannah, hatten ihr Heiratsanträge gemacht. Mit sechzehn Jahren sah sie, dank Mammy und Ellen, liebreizend und fügsam aus, in Wirklichkeit aber war sie eigensinnig und eitel. Sie hatte die leichterregbare Leidenschaftlichkeit ihres Vaters, aber von dem selbstlosen, duldsamen Wesen ihrer Mutter nur eine dünne Politur. Das wurde Ellen nie ganz bewußt, denn vor ihrer Mutter zeigte sie sich stets von der besten Seite, verbarg ihre Sprunghaftigkeit, unterdrückte ihren Zorn und war so sanft, wie sie nur konnte, denn ein vorwurfsvoller Blick der Mutter konnte sie bis zu Tränen beschämen." (S.1,044)

"Scarlett wollte von Herzen gern so werden wie ihre Mutter; nur gab es da eine Schwierigkeit: wer gerecht und wahrhaftig, liebevoll und selbstlos war, dem entgingen die meisten Freuden des Lebens und vor allem viele Verehrer. Das Leben aber war zu kurz, als daß man so erfreuliche Dinge versäumen durfte. Später einmal, wenn sie erst Ashleys Frau und älter war, später, wenn sie für so etwas Zeit hatte, wollte sie so sein wie Ellen. Bis dahin ... " (S.1,072)

Porks Frau Dilcey:

"Dilcey war groß und hielt sich sehr gerade. Sie hätte in jedem Alter zwischen dreißig und sechzig sein können, so glatt war ihr unbewegliches, bronzefarbenes Gesicht. Ihren Zügen sah man deutlich das Indianerblut an, das die Merkmale des Farbigen überwog. Die rote Haut, die schmale, hohe Stirn, die hervortretenden Backenknochen und die Habichtsnase, deren unteres Ende über wulstigen Lippen hing, alles verriet die Mischung der beiden Rassen. Sie trug sich mit einer selbstbeherrschten Würde, die selbst Mammys übertraf. Mammy hatte sich ihre Würde anerzogen, Dilcey lag sie im Blut. Wenn sie sprach, klang ihre Stimme nicht so verschliffen wie bei den meisten Farbigen, auch wählte sie ihre Worte sorgfältiger aus." (S.1,197)

Scarlet über Ashley:

»Woher sollte er es denn wissen? Ich habe mich ihm gegenüber immer so zimperlich und damenhaft benommen und bin in seiner Gegenwart ein solches Rührmichnichtan gewesen, daß er wahrscheinlich denkt, ich mache mir nichts aus ihm, außer höchstens als Freund. Natürlich, darum hat er nie etwas gesagt! Er hält seine Liebe für hoffnungslos, und darum ...« Geschwind eilten die Gedanken zurück in jene Zeiten, da sie ihn dabei ertappt hatte, wie er sie so seltsam ansah, da die grauen Augen, die seine Gedanken sonst so vollständig verhüllten, offen und nackt vor ihr gelegen hatten mit einem Blick voller Qual und Verzweiflung. »Er denkt, ich sei in Brent, Stuart oder Cade verliebt, daher sein enttäuschtes Herz. Und wenn er mich doch nicht haben kann, meint er sicherlich, er könne seiner Familie zu Gefallen ebensogut Melanie heiraten. Wenn er aber wüßte, daß ich ihn liebe ...« Ihr bewegliches Gemüt schnellte aus tiefster Niedergeschlagenheit empor zu seliger Erregung. Das also war die Erklärung für Ashleys Stillschweigen, für sein seltsames Verhalten. Er wußte nicht! Ihre Eitelkeit kam ihrem Wunsch zu Hilfe, Glaube wurde Sicherheit. Wenn er nur wüßte, daß sie ihn liebte, käme er eilends zu ihr. Sie brauchte nur ... »Ach!« dachte sie überglücklich und grub ihre Finger in die gesenkte Stirn. »Ich Dummkopf, warum fällt mir das jetzt erst ein! Ich muß mir etwas ausdenken, um es ihn wissen zu lassen. Er heiratet sie sicher nicht, wenn er weiß, daß ich ihn liebe! Wie könnte er denn?«  [...]" (noch ohne Seitenangabe)


Text (engl.)

"[...] "Dis Miss Scarlett, ain' it? Dis hyah Peter, Miss Pitty's coachman. Doan step down in dat mud," he ordered severely, as Scarlett gathered up her skirts preparatory to descending. "You is as bad as Miss Pitty an' she lak a chile 'bout gittin' her feets wet. Lemme cahy you."

He picked Scarlett up with ease despite his apparent frailness and age and, observing Prissy standing on the platform of the train, the baby in her arms, he paused: "Is dat air chile yo' nuss? Miss Scarlett, she too young ter be handlin' Mist' Charles' onlies' baby! But we ten' to dat later. You gal, foller me, an' doan you go drappin' dat baby."

Scarlett submitted meekly to being carried toward the carriage and also to the peremptory manner in which Uncle Peter criticized her and Prissy. As they went through the mud with Prissy sloshing, pouting, after them, she recalled what Charles had said about Uncle Peter.

"He went through all the Mexican campaigns with Father, nursed him when he was wounded—in fact, he saved his life. Uncle Peter practically raised Melanie and me, for we were very young when Father and Mother died. Aunt Pitty had a falling out with her brother, Uncle Henry, about that time, so she came to live with us and take care of us. She is the most helpless soul—just like a sweet grown-up child, and Uncle Peter treats her that way. To save her life, she couldn't make up her mind about anything, so Peter makes it up for her. He was the one who decided I should have a larger allowance when I was fifteen, and he insisted that I should go to Harvard for my senior year, when Uncle Henry wanted me to take my degree at the University. And he decided when Melly was old enough to put up her hair and go to parties. He tells Aunt Pitty when it's too cold or too wet for her to go calling and when she should wear a shawl...He's the smartest old darky I've ever seen and about the most devoted. The only trouble with him is that he owns the three of us, body and soul, and he knows it."

Charles' words were confirmed as Peter climbed onto the box and took the whip.

"Miss Pitty in a state bekase she din' come ter meet you. She's feared you mout not unnerstan' but Ah tole her she an' Miss Melly jes' git splashed wid mud an' ruin dey new dresses an' Ah'd 'splain ter you. Miss Scarlett, you better tek dat chile. Dat lil pickaninny gwine let it drap."

Scarlett looked at Prissy and sighed. Prissy was not the most adequate of nurses. Her recent graduation from a skinny pickaninny with brief skirts and stiffly wrapped braids into the dignity of a calico dress and starched white turban was an intoxicating affair. She would never have arrived at this eminence so early in life had not the exigencies of war and the demands of the commissary department on Tara made it impossible for Ellen to spare Mammy or Dilcey or even Rosa or Teena. Prissy had never been more than a mile away from Twelve Oaks or Tara before, and the trip on the train plus her elevation to nurse was almost more than the brain in her little black skull could bear. The twenty-mile journey from Jonesboro to Atlanta had so excited her that Scarlett had been forced to hold the baby all the way. Now, the sight of so many buildings and people completed Prissy's demoralization. She twisted from side to side, pointed, bounced about and so jounced the baby that he wailed miserably.

Scarlett longed for the fat old arms of Mammy. Mammy had only to lay hands on a child and it hushed crying. But Mammy was at Tara and there was nothing Scarlett could do. It was useless for her to take little Wade from Prissy. He yelled just as loudly when she held him as when Prissy did. Besides, he would tug at the ribbons of her bonnet and, no doubt, rumple her dress. So she pretended she had not heard Uncle Peter's suggestion.

"Maybe I'll learn about babies sometime," she thought irritably, as the carriage jolted and swayed out of the morass surrounding the station, "but I'm never going to like fooling with them." And as Wade's face went purple with his squalling, she snapped crossly: "Give him that sugar-tit in your pocket, Priss. Anything to make him hush. I know he's hungry, but I can't do anything about that now."

Prissy produced the sugar-tit, given her that morning by Mammy, and the baby's wails subsided. With quiet restored and with the new sights that met her eyes, Scarlett's spirits began to rise a little. When Uncle Peter finally maneuvered the carriage out of the mudholes and onto Peachtree Street, she felt the first surge of interest she had known in months. How the town had grown! It was not much more than a year since she had last been here, and it did not seem possible that the little Atlanta she knew could have changed so much.

For the past year, she had been so engrossed in her own woes, so bored by any mention of war, she did not know that from the minute the fighting first began, Atlanta had been transformed. The same railroads which had made the town the crossroads of commerce in time of peace were now of vital strategic importance in time of war. Far from the battle lines, the town and its railroads provided the connecting link between the two armies of the Confederacy, the army in Virginia and the army in Tennessee and the West. And Atlanta likewise linked both of the armies with the deeper South from which they drew their supplies. Now, in response to the needs of war, Atlanta had become a manufacturing center, a hospital base and one of the South's chief depots for the collecting of food and supplies for the armies in the field.

Scarlett looked about her for the little town she remembered so well. It was gone. The town she was now seeing was like a baby grown overnight into a busy, sprawling giant.

Atlanta was humming like a beehive, proudly conscious of its importance to the Confederacy, and work was going forward night and day toward turning an agricultural section into an industrial one. Before the war there had been few cotton factories, woolen mills, arsenals and machine shops south of Maryland—a fact of which all Southerners were proud. The South produced statesmen and soldiers, planters and doctors, lawyers and poets, but certainly not engineers or mechanics. Let the Yankees adopt such low callings. But now the Confederate ports were stoppered with Yankee gunboats, only a trickle of blockade-run goods was slipping in from Europe, and the South was desperately trying to manufacture her own war materials. The North could call on the whole world for supplies and for soldiers, and thousands of Irish and Germans were pouring into the Union Army, lured by the bounty money offered by the North. The South could only turn in upon itself. [...]"

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Wikipedia: Kritik an der Sicht des Romans auf die Sklaverei

Die Darstellung der historischen Abläufe im Roman erfolgt aus der Perspektive der Protagonisten, also der der besiegten weißen Südstaatler. Alan T. Nolan kritisiert daher in The Myth of the Lost Cause and Civil War History, dass die Darstellung einem einseitig prosüdlichen Narrativ folge. Die Sklaverei und die Rolle des Ku Klux Klan nach dem Sezessionskrieg würden beschönigt, die Reconstruction und die nordstaatlichen Soldaten dagegen negativ dargestellt. Der Roman folge in diesem Sinne den typischen Topoi des Lost Cause und gebe nicht die historischen Tatsachen wieder.[9]

Sonja Zekri beurteilt den Roman als „modern in der Frauenfrage und archaisch im Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß“: Mit der repressiven Idealisierung der Südstaatenfrauen habe Mitchell nichts anfangen können, das zeige schon ihre Protagonistin. Scarlett O’Hara habe sie als eine lebenshungrige, unzerstörbare, mehrfach verheiratete, erfolgreiche Geschäftsfrau gezeichnet, habe „die übliche männliche Enttäuschung darüber, dass eine Frau über ein Gehirn verfügt“ ironisiert (so Mitchell). Auf der anderen Seite sei es ein rassistisches Buch. Entgegen entschuldigender Rede sei die Sklaverei durchaus Thema gewesen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Süden die Rassentrennung gesetzlich verankerte, habe Mitchell den Weißen alle Schuldgefühle genommen. In Form einer Romancing Slavery strahle Sklaverei im warmen Licht einer idealen Gemeinschaft. Mammy, Pork und die anderen Sklaven wüssten die Geborgenheit und Fürsorge der weißen Besitzer zu schätzen und fürchteten nichts so sehr wie die Yankees. „Die Besseren unter ihnen verschmähten ihre Freiheit und litten genauso wie ihre weiße Herrschaft“, so Mitchell.[10]

11 September 2024

Rückbesinnung: Christa Wolf - Was ist nach 1989 falsch gelaufen, was hätte es gebraucht, um Fehlentwicklungen zu verhindern

 In "Ein Tag im Jahr" hat Christa Wolf seit ihrem 31. Lebensjahr immer wieder ihr Leben dokumentiert und das Denken, das zu diesem Leben gehörte. Das ist mutig.

Ich komme immer wieder auf das Buch zurück, versuche dabei auch, Stellen zu finden, die ich vielleicht noch nicht gelesen habe, finde aber in der Phase relativ kurz (5-10 Jahre) vor dem 9.11.1989 und und der Phase danach (5-10 J.) immer wieder so viel, was mich beeindruckt, dass ich den Eindruck, festhalten und vertiefen möchte. 

In ihrem Gespräch mit Günter Gaus 1993 spricht sie von Krisen, teilweise klinischer Depression, die ihr dazu verholfen haben, nach Phasen der Anpassung zu sich selbst zu finden. Die Art, wie sie das tut, vermittelt einen sehr unmittelbaren Eindruck, den ich als Verstärkung zu dem schriftlich Festgehaltenen der Lektüre noch hinzufügen möchte. 

Gaus fragt, wie man es von ihm kennt, hart. 

Im Tagebucheintrag von 1999 wird deutlich, dass sie schon länger mit ihm befreundet ist. Es geht um die Zeit nach seiner 3. Chemotherapie, er sagt auf Band "es gehe 'ganz gut' " und "er fragt, ob wir uns am 10. Oktober, dem Wahlsonntag, bei uns sehen können. Ich denke sehr oft an ihn, mir liegt so viel daran, daß er die Krankheit 'besiegt' - aber ist das nicht schon wieder ein Wort aus einer ganz falschen Kategorie für den Vorgang, den ich so sehr für ihn erhoffe?"

Wenn man das Gespräch hört, ist klar, dass Gaus - wie eigentlich immer in diesen Gesprächen - seine Gesprächspartnerin dazu bringen will, dass sie sich deutlich darstellt.  Ich frage mich, ob er es vielleicht sogar im Bewusstsein tut, dass sie durch die Art, wie sie auf diese harten Fragen reagiert, beim Zuschauer und -hörer gewinnt. Gerade in einer Situation, wo sie wegen der Anfeindungen bewusst Abstand von der deutsche Öffentlichkeit gesucht hat, sich mit dem Interview aber auch wieder hineinbegibt. 

Ich möchte empfehlen, Die Lektüre von "Ein Tag im Jahr" mit dem Sehen und Hören des Interviews zu verbinden. 

Mein Eindruck ist, dass mit "Fridays for Future" etwas von der Veränderung von unten herauf passiert ist, die sich Wolf am Ende des Gesprächs erhofft, und dass mit der Verurteilung der Parteinahme Greta Thunbergs für die angegriffenen Palästinenser auf dem Gazastreifen etwas von dem passiert ist, was Christa Wolf widerfahren ist, als ihr ihre IM-Tätigkeit vorgeworfen wurde.

Die moralische Autorität, die beide Frauen durch ihren mutigen Einsatz für eine grundlegende Veränderung gewonnen haben, soll ihnen genommen werden, weil man sonst nicht weitermachen könnte wie bisher. 

Christa Wolf gefährdete das Gefühl, mit dem Westen habe das Gute über das Minderwertige gesiegt. Greta Thunberg verdeutlicht zu sehr die Herausforderung, die die Klimakatastrophe bedeutet.

Diese Parallele sehe ich persönlich. Aber auch ohne das scheint mir die Verbindung der Lektüre von "Ein Tag im Jahr" in Verbindung mit Wolfs Gespräch mit Gaus sehr fruchtbar

Ganz allgemein scheinen mir die Gespräche von Günter Gaus mit Persönlichkeiten aus der ehemaligen DDR wertvoll für ein Verständnis der heutigen Situation:












Steffi Spira 1991



02 September 2024

Fürst Pückler-Muskau über seine Besichtigung ägyptischer Altertümer II: Nubien

(zum vorhergehenden Text)

Dritter Teil Nubien und Sudan Vom Verfasser der Briefe eines Verstorbenen 

" 'Nun schau der Geist nicht vorwärts nicht zurück, Die Gegenwart allein – sei unser Glück!' Goethe 

Tempel von Phtur, Haffir, Dongola  [Hafir]

Die Altertümer von Sedenga sind unbedeutend. Nur eine Säule des größeren Tempels steht noch vollständig in einem weiten Trümmerhaufen, und alle die herabgefallenen Ornamente des Gebäudes wie die erhaltne Säule selbst sind in schlechtem Stil und verraten ein neueres, wahrscheinlich römisches Bauwerk. Etwas weiter abwärts sieht man die Ruinen eines zweiten Tempels mit den Stummeln zweier Säulen, alles aus gewöhnlichem Kalkstein und von gleich geringer Qualität der Arbeit. Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem vier Stunden von hier jenseits der Hügelkette von Dschebel-Dosch, welche die Provinz Sokkot von der von Mahaß trennt, gelegenen, auch in seiner wildesten Zerstörung noch erstaunungswürdigen großen Tempel von Phtur, ein Werk der Pharaonen, dem gegenüber in einem lieblichen Haine am Flusse unser Lager aufgeschlagen worden war. (S. 333)

"[...] um uns zu melden, daß sich nur einige hundert Schritte weit vom Ufer entfernt ein Nilpferd im Flusse zeige, das sich schon seit mehreren Wochen in dieser Gegend aufhalte. Im schnellsten Lauf eilten wir hinab und sahen sogleich den ungeheuren Kopf des Untiers wie einen schwarzen Felsen aus dem Wasser schauen, ohne daß es lange Zeit die mindeste Bewegung damit machte." (S. 334)

"[...] Erregte aber das Ungetüm eben ihre Aufmerksamkeit nicht, so richtete sich diese ausschließlich auf uns. Sie sahen erstaunt auf unsre Perspektive, bewunderten mit Entzücken ein mit Perlmutter ausgelegtes Messer des Doktors, gerieten aber wie wahre Südseeinsulaner in eine halbtolle Freude, als ich ihnen einen Spiegel bringen ließ, dessengleichen vorher keiner von ihnen gesehen zu haben schien. Es war auffallend, daß die jungen Männer dabei ungleich mehr Eitelkeit und Behagen am Anblick ihrer eignen Person zeigten als die Mädchen. Fast alle trugen eine Art Rosenkranz von Glasperlen um den Hals oder um den Arm geschlungen, an denen ein Ledertäschchen mit einem darin verwahrten Amulette hing, das ihre Schriftgelehrten, die Faki, für sie schreiben und sich gut dafür bezahlen lassen." (S.335)

"Um den Zustand ihrer Sitten etwas näher kennenzulernen, gab ich dem einen jungen Manne, der uns begreiflich gemacht, daß das hübscheste der gegenwärtigen Mädchen seine Schwester sei, durch Zeichensprache zu verstehen, er möge sie abends allein zu unseren Zelten schicken, wozu ich die Pantomime des Schlafens machte. Er und das Mädchen lachten, doch nahm er sogleich den Ring, den ich ihm geschenkt, vom Finger, und ich glaubte schon, er wolle ihn mir entrüstet zurückgeben, als er ihn in die Höhe hielt und so geschickt wie ein Taubstummer dazu ausdrückte, daß, wenn ich noch einen dergleichen hergäbe, seine Schwester kommen werde. Sehr tugendhaft in unserem Sinne scheinen also diese Naturkinder eben nicht zu sein, und für einen Missionär hätte dies eine gute Gelegenheit zu einer Predigt abgegeben. Die beiden Alten waren höchst komische Originale. Der eine hatte eine ägyptische, durchstochne Goldmünze (Kari) in ein Papier gewickelt in der Hand und machte trotz allem Abweisen je nach fünf Minuten immer einen neuen Versuch, dieses Goldstück, welches er wahrscheinlich nicht für echt hielt, uns gegen Silberpiaster zu verwechseln; der andere trug zwei Stücke hier gefertigte grobe Leinwand auf dem Kopfe und bemühte sich mit gleich unabweisbarer Beharrlichkeit, sie uns zu verkaufen, alles mit einer solchen Geduld, Sanftmut, Höflichkeit und dem ernstwürdevollsten Benehmen eines Diplomaten, der um Provinzen handelt, daß wir am Ende nicht mehr widerstehen konnten, uns beide Gegenstände aufdringen zu lassen." (S.336)

"Da nur wenige der zusammengestürzten Materialien zu andern Zwecken weggeführt worden sind, so hat man Mühe, über die enormen Haufen von Ruinen hinwegzuklettern, welche alle Teile des Tempels anfallen. Wir störten hier eine Hyäne auf, die sich aber sogleich wieder unter dem Mauerwerk verkroch, ohne daß wir sie außerhalb desselben fliehen sahen, so daß sie also wahrscheinlich ein festes Malepartus hier hatte, in das sie sich vor uns zurückzog." (S. 337)

"Der Zufall wollte, daß wir, um einen passenden, vor dem kalten Wind geschützten Fleck zu einigen Stunden Ruhe aufzufinden, einen andern Weg als die Karawane einschlugen. Dies rettete einem Matrosen von der Barke, der die Karawane begleitete, wahrscheinlich das Leben; denn auf seinem Tiere eingeschlafen, hatte er sich unbemerkt von ihr entfernt, und wir fingen ihn auf, als er in größter Angst, um sie wieder aufzusuchen, grade in voller Eile die falsche Richtung nach dem Innern gewählt hatte. Verirrung ist aber hier eine bedenkliche Sache, und es vergeht kaum ein Jahr, wo nicht Gouvernementskuriere oder sonst einzelne Reisende in der Wüste verschwinden, ohne daß man je wieder etwas von ihnen hört. Die Schnelligkeit und Ausdauer, mit der diese Kuriere die größten Touren auf so unbequemen Tieren und bei so großer Hitze zurücklegen, geht fast ins Unglaubliche, und wir fanden deren oft in der nächtlichen, schauerlichen Einsamkeit dieser Wüsten ganz allein neben ihrem Dromedare in den Sand gebettet und den Zügel um den Arm gewickelt ausruhen, um Mensch und Tier einige Stunden des erfrischenden Schlafes genießen zu lassen. Erst nach 9 Uhr, bei schon sehr heißer Sonne, erreichten wir Fakir-Bint, wo der vorige Gouverneur von Dongola als fromme Stiftung eine Moschee mit einem Khan erbaut hat, in dem jeder Reisende unentgeltlich Obdach und gekühltes Wasser erhält. Zu diesem letztern Zweck sind die durchsickernden Krüge, welche in Khene gefertigt werden, ein wahrhaft unschätzbares Hilfsmittel in diesen Ländern, und da man sie nicht immer vorrätig findet, so tut jeder Reisende wohl, sich im voraus mit der größtmöglichsten Quantität derselben zu versehen. Das laueste Wasser, wenn es dem Luftzuge nur einige Stunden ausgesetzt bleibt, wird kühl darin und in der Nacht eiskalt. Nach acht oder vierzehn Tagen aber verstopfen sich die Poren des Kruges, und er tut dann nicht mehr ganz dieselben Dienste; dabei sind diese Geschirre auch so zerbrechlich, daß der geringste Anstoß sie beschädigt oder ganz zerschellt; in der Hand wiegen sie so leicht wie eine Feder. Man hat zwar in mehreren Ländern Gefäße mit ähnlichen Eigenschaften, keine aber, die ich kenne, sind an schneller Wirksamkeit den Krügen von Khene zu vergleichen." (S.339)

"Distanz betrug nur fünf deutsche Meilen oder zehn Stunden. Schon nach der ersten Hälfte des Weges trat die Wüste ganz in den Hintergrund, und die allerdings sehr vernachlässigten Ebnen von Dongola begannen, sich allmählich vor uns auszubreiten. Wir fanden auf denselben fast ebensoviel wieder verlassnes als angebautes Land, weil in den letzten Jahren schwere epidemische Krankheiten eine Menge Menschen hingerafft haben. Auch finden hier wirklich häufige Auswanderungen nach dem Darfur statt, wo jetzt ein sehr unternehmender, fremde Kolonien begünstigender Sultan herrscht, dessen weite Länder sich täglich vergrößern und von mehreren Sklavenhändlern, mit denen ich mich unterhielt, als ein Paradies der Fülle und des Wohllebens geschildert werden." (S. 339)

"Haffir, das über eine Stunde vom Nil entfernt liegt, verriet schon durch bessre Häuser, sorgfältigere Kultur und einen gewissen mehr zivilisierten Anstrich der Einwohner wie durch die Anwesenheit ägyptischer Offiziere mit einem Detachement von dreißig Mann die Nähe der Hauptstadt. Auch hier war der Kascheff ein gebildeter Mann und kein Türke, sondern ein Eingeborner. In Haffir beginnen die weißen Ameisen, die schrecklichen Termiten, welche alle Effekten zerstören, ihre Verheerungen. Namentlich lieben sie Bücher so sehr, daß sie einen ganzen Folianten in einer Nacht fast rein aufzufressen imstande sind, wie ich später ein Beispiel davon beim Doktor Iken in Dongola mit eignen Augen sah."(S.340)

"Diese Engarebs sind ein ebenso dauerhaftes als bequemes Möbel, und ich habe eins derselben, das mir abwechselnd als Bett, Sofa oder Gartenbank diente, zwei Jahre lang mit mir geführt und zuletzt als Modell auch glücklich noch mit nach Europa zurückgebracht. Es besteht aus einem Rahmen von sehr festem Holze mit vier kurzen, gedrechselten Füßen. Ein Netz überspannt das Ganze, welches aus in Streifen geschnittner frischer Ochsenhaut angefertigt ist und, durch das Trocknen sich eng zusammenziehend, der Lagerstätte ebensoviel Dauerhaftigkeit als Elastizität gibt. Das Engareb widersteht tagelangem Regen wie der glühenden Sonnenhitze gleich gut, und man braucht nur einen Teppich darauf zu legen, um sich den bequemsten, vor Insekten gesicherten Ruhesitz zu verschaffen, der überdies ein so geringes Gewicht hat, daß er auf das leichteste überall hin zu transportieren ist. Man benutzt hier die erwähnten Hautstreifen auch noch zur Verfertigung mehrerer anderer Gegenstände, und sonst dienten sie sogar zu grausamen Exekutionen, indem man den Delinquenten damit fest an einen Baum band und dort der Wirkung der Sonne so lange überließ, bis die allgemach zusammentrocknenden Riemen ihn langsam zerquetscht hatten." (S.342)

"Als ich am Abend mein Portefeuille revidierte, fand ich mit nicht geringem Schrecken, daß der vorletzte Band meines Reisejournals darin fehlte. Ein Autor hängt an solchen Dingen wie an Schätzen, obgleich dies nur eine Torheit sein mag. Aus der angestellten Untersuchung ging hervor, daß das Buch in Haffir, welches wir mitten in der Nacht, noch im Dunkeln, verließen, im Zelte übersehen und vergessen worden sein müsse. Ich schickte sogleich einen unsrer arabischen Leute auf dem schnellsten Dromedare darnach ab, der es auch am Morgen darauf glücklich wiederbrachte. Dies war jedoch nur einem günstigen Zufall zu danken, denn schon hatte man unter Anführung des Kascheffs alle Häuser des Dorfes vergebens durchsucht, und mein Araber saß wieder bereits auf seinem Dromedare, um unverrichteter Sache zurückzukehren, als ihm einer der Landleute gegen das Versprechen der Verschwiegenheit und eines Bakschischs verriet, daß das gesuchte Buch sich zwei Stunden von hier bei einem Faki befände, der sehr wirksame Amulette gegen das grassierende Fieber daraus zu schneiden beabsichtige. Zu meiner großen Zufriedenheit hatte diese Illustration meiner unbedeutenden Schriftzüge noch kaum begonnen, als der Araber bei dem Diebe eintraf und mit Hilfe seines Kurbatsch die schnelle Restitution erzwang. Ich erhielt alles bis auf ein einziges herausgeschnittenes Blatt, was leicht zu ergänzen war, intakt wieder. [...]

Die plagenden Insekten Ägyptens dagegen: Wanzen, Flöhe, Läuse und selbst Moskitos waren zur Seltenheit geworden und wurden später gar nicht mehr angetroffen. Es muß hier zu heiß für sie sein. Dafür quälen einen aber kleine Ameisen, die sich in Kleider und Betten einnisten, und auch vor den Termiten hat man die Effekten fortwährend in acht zu nehmen. Alle Lebensmittel schienen uns in Dongola von besondrer Güte zu sein, besonders das Schlachtfleisch, und die Preise blieben noch immer sehr gering. Auch bereitet man hier eine Art Bier aus Durra, Bilbil genannt, was bis Khartum hinauf üblich ist und leichtem Nachbier gleicht, das etwas sauer zu werden anfängt. In der Hitze ist es nicht unangenehm und kühlend, muß aber wenigstens alle zwei Tage frisch gemacht werden. In Gärung übergehend, verändert es seinen Geschmack und wird zu einem sehr berauschenden, der Gesundheit nachteiligen Getränk. Frisch bereitet, empfindet jedoch niemand unter uns üble Folgen davon." (S.343)

"[...] besuchte ich den Gouverneur in seinem Lehmpalast, wo er außer seinen Weibern auch eine große Anzahl junger abessinischer und Negerknaben unterhält, deren weibische und kokette Manieren einem Europäer nicht wenig sonderbar vorkommen. Die Sklaven sind übrigens hier nicht wohlfeiler als in Kahira, und Doktor Koch mußte einen jungen Burschen von fünfzehn Jahren mit 2000 Piastern (500 Franken) bezahlen. Nachher besahen wir in Begleitung des Mudirs die Indigofabriken, welche Mehemed Ali angelegt hat und welche jetzt drei Qualitäten Indigo liefern, wovon die erste dem indischen gleichkommt. [...] " (S.344)

"Alles dem Gouvernement gelieferte Getreide, Reis usw. muß auch wiederum allen, die es verlangen, nach des Vizekönigs Vorschrift, um jeden Mangel zu vermeiden, für einen festgesetzten, allerdings etwas erhöhten, aber nicht unbilligen Preis wieder verkauft werden, wenn sie es zum eignen Bedarf brauchen. Um dies zu umgehen, bediente man sich in Dongola folgenden Mittels. Ein reicher Kaufmann im Ort und ein koptischer Beamter des Gouverneurs, der mit einigen Tausend Piastern Gehalt einen zwanzigmal größern Aufwand macht, hatten angeblich grade in der Zeit, wo ich mich in Dongola befand, bereits alle Vorräte der Regierung zu dem bestimmten Preise aufgekauft. Wer nun noch etwas bedurfte, wurde unter diesem Vorwand abgewiesen und auf die Zeit vertröstet, wo wieder neue Vorräte eingegangen wären. Von der Not gezwungen, die kein Warten zuließ, mußten daher die Leute ihren Bedarf nun zu doppelten und dreifachen Preisen von jenen beiden genannten Herren privatim erkaufen, die den Gewinnst mit dem Mudir teilten. Ebenso üben die Militärbeamten in diesen vom Sitz der Hauptregierung zu entfernten Gegenden teils bei der Rekrutierung, teils bei andern Gelegenheiten eine drückende Tyrannei aus, von der die betreffenden Individuen sich fortwährend durch Geld loszukaufen gezwungen sind. Diese Mißbräuche mögen allerdings zu den partiellen Auswanderungen beitragen, finden aber ihren Grund nur in der beispiellosen Immoralität der vornehmeren Klassen und sind nicht anders abzustellen, wenn auch Mehemed Ali alle Jahre fünfzig Gouverneuren die Köpfe abschlagen ließe – was auch der schlechteste Türke doch mit philosophischer Ruhe nur wie eine unabwendbare Schickung Gottes ansieht – als durch bessere Erziehung einer neuen Generation." (S.345)

"Nicht für Damen [Fußnote: Der folgende Absatz ist in der Buchausgabe auf dem Kopf stehend gedruckt. ] Sie haben den Ruf, sehr galant zu sein, jedoch nur für Geld, da ihnen die abscheuliche Operation des Zunähens und Wiederaufschneidens sowie das gänzliche Abschneiden eines andern Teils der Genitalien fast alles natürliche Gefühl benimmt. Es gibt Weiber, welche die erste Operation zehnmal erlitten haben, da es ganz gewöhnlich ist, daß der Ehemann, wenn er auf einige Zeit verreist, durch das Zunähen seiner Ehehälfte sich ihrer Treue zu versichern sucht, diese aber nicht aus Liebe, sondern nur aus Interesse während seiner Abwesenheit sich wieder aufschneiden, und vor seiner Rückkehr abermals zunähen läßt. Alte Weiber, die eigens dazu bestellt sind, verrichten dies kannibalische Geschäft. Auf wie tiefer Stufe hier überhaupt die Sittlichkeit und alle Achtung der Menschenrechte stehen, lehrte mich noch ein anderes Beispiel. Das elende Haus, welches mir der Gouverneur anfänglich angewiesen hatte und das ich nicht annahm, stand deshalb leer, weil der Besitzer durch den Mudir auf zwei Jahre von seinem Amte suspendiert und exiliert worden war. Weshalb aber erlitt er diese gelinde Strafe? – Weil er einen seiner Diener, den er mit seiner Lieblingssklavin «en flagrant délit» überrascht hatte, ohne weiteres im Hofe seines Hauses spießen ließ!" (S.349)

Nilfahrt nach Meravi. Ambukol, Dschebel-Barkal 

"Nachdem ich also die wenigen Merkwürdigkeiten, welche Maraka oder Neu-Dongola aufzuweisen hat, welches erst seit Mehemed Alis Eroberung des Landes zur Hauptstadt desselben wurde, hinlänglich besichtigt, meine zahlreiche europäische Korrespondenz beschickt und meine Tagebücher in Ordnung gebracht, wobei ich dennoch keinen Abend versäumt hatte, des Tages Last und Hitze durch ein kühles Bad im Nil zu erfrischen, schiffte ich mich am 1. Mai mit gutem Wind nebst meinem kleinen Gefolge auf zwei Barken des Mudirs nach Meravi ein." (S.349)

"Der größte Saki, welcher vier Feddan (ungefähr einen Magedeburger Morgen) bewässern kann, die bei der ersten Ernte 40 Ardep Frucht geben mögen, zahlt nur 15 spanische Taler und die kleineren im Verhältnisse. Es existieren keine weitern Naturalleistungen, wohl aber bleibt es den Vorstehern der Distrikte überlassen, einen Teil (doch gesetzlich nie mehr als fünf Ardep) der obigen Summe in Naturalien zu verlangen nach einem vom Gouvernement jährlich festgesetzten Tarif, welche Naturalien aber immer vom Ganzen der Abgabe deduziert werden müssen. Diese Einrichtung mag zwar häufig zu Mißbräuchen Gelegenheit geben, dient aber auf der andern Seite bei rechtlichen Vorgesetzten auch oft dazu, dem Fellah die Entrichtung seiner Abgaben zu erleichtern, und ich habe davon selbst im Verlauf meiner Reise mehrere Beispiele gesehen, wo der Landbauer sehr froh war, in Naturalien bezahlen zu dürfen." (S.350)

"Wer aber die Bewohner dieser Gegenden kennt und lange beobachtet hat, wird gestehen müssen, daß grade dies der angemessenste Zustand für sie ist und der einzige, der sie vom Nichtstun und Verderben abhalten kann, weil er sie zur Arbeit zwingt. Ginge die schlechte Administration, deren Kontrolle hier so schwierig ist, gleichen Schritt mit den Forderungen der Regierung, so würde kein Elend unter der Population stattfinden und man weder Auswanderer noch verlassne Fluren sehen. Es würde dann in den Staaten Mehemed Alis nur derjenige Zustand der arbeitenden Klassen eintreten, von dem schon der, jetzt zwar aus der Mode gekommene, deshalb aber nicht minder praktisch philosophische Voltaire in seinem Siècle de Louis XIV. sagt: «Le manœeuvre doit etre réduit au nécessaire pour travailler; telle est la nature de l'homme (und des Fellah mehr als jedes andern). Il faut que ce grand nombre soit pauvre, mais il ne faut pas qu'il soit misérable.» Dies ist auch die Ansicht Mehemed Alis, und gewiß ist es eine Narrheit, alle Leute in Überfluß und Luxus leben lassen zu wollen, weil es eben unmöglich ist. [...]

Nachdem wir Debbeh, von wo die Karawanen nach Kordofan abgehen, passiert hatten, konnten wir nur äußerst langsam vorwärtsdringen, weil sich der Nil von Debbeh an beinah gegen Norden wendet und der Wind uns grade daher entgegenblies. Glücklicherweise ist die Einrichtung getroffen, daß bei solcher Gelegenheit die Einwohner allen Gouvernementsschiffen hilfreiche Hand leisten müssen, was ihnen auch wenig Beschwerde macht, da die Schiffahrt im ganzen sehr gering ist und sie sich überdem von Saki zu Saki ablösen, also kaum eine Viertel- oder halbe Stunde mit dem Schiffsziehen beschäftigt bleiben. Ein eigentümliches, gellendes und weithin schallendes Geschrei kündigt die Ankunft jeder Abteilung beim nächsten Saki an, worauf die Ablösung auch immer so schnell wie auf englischen Poststationen erfolgte." (S.352)

"Am 5ten erreichten wir Ambukol, den Sitz eines Kascheffs, welches auf der Hälfte Weges zwischen Debbeh und Meravi liegt, auf den Karten aber ganz falsch plaziert ist. Es war eben Markt daselbst, der in einem Sandfelde neben den Lehmhütten des Dorfes abgehalten wurde. Nichts konnte ärmlicher sein, dennoch bestand die Hälfte der Waren aus europäischen Produkten, als: kleine Spiegel, Glasperlen, geringe Eisenwaren und einige grobe englische Kattune. Das übrige bot nur die ordinärsten Landesprodukte dar, meistens zur Konsumtion gehörig, und das einzige mir Neue, was ich antraf, waren ein Paar bunte Sandalen aus dem Hedschas, die ich ziemlich teuer erkaufte. Der Kascheff war ein hübscher, kriegerisch aussehender Mann, der mich in seinem Hause mit einer recht guten türkischen Mahlzeit bewirtete, während der Boden des Zimmers (um die Luft darin abzukühlen) außerhalb der Matte, auf der wir saßen, fortwährend mit Wasser begossen wurde. An den ungetünchten Erdwänden hingen schöne Waffen und mitten darunter eine altertümliche Zither von wunderlicher Form mit drei Saiten. Der Kascheff, welcher ein großer Liebhaber der Musik zu sein schien, spielte uns selbst nach Tisch ein ohrzerreißendes Stück darauf vor, [...]

Der Kascheff von Meravi ward mir durchgängig als ein sehr rechtlicher Mann gerühmt, auch zeichnet sich seine Provinz, welche 1200 Sakis enthält, durch ein besonders blühendes Ansehen und eine sichtlich größere Wohlhabenheit der Einwohner aus. " (S.354)

"die reiche Stadt Napata" (S.355)

"[...] Meravi erreichten, scheinbar quer vor dem Nile liegend, der hier einem weiten See gleicht, am Horizonte sichtbar geworden." (S.355)

"[...] beim Dorfe Barkal von dessen Schech empfangen, einem jungen Manne von großer Schönheit, der kaum 18 Jahre zählen konnte und den mehrere tiefe Schnitte in die Backen, die hier üblich zu werden anfangen und als Zierde dienen sollen, nur wenig entstellten. Er war vom Stamme der Schaki-Araber, von rotbrauner Farbe und verband mit dem fast allen Arabern natürlichen Anstande eine Grazie der Manieren, die in jedem europäischen Salon Beifall erlangt haben würde. (S.357)

"Die kolossalen Widder aus grauem Granit vor dem Eingang, deren Herr Rüppel ebenfalls gedenkt, sind jetzt erst ganz freigegraben und außerhalb unter Reisighütten (zum Transport nach Kahira bestimmt) aufgestellt worden. [...]

Wir wandten uns jetzt nach den pyramidalischen Grabmonumenten, die sich kaum einige Minuten von dem letzterwähnten Tempel entfernt in zwei Gruppen darstellen, wovon die eine nur wenige, die andere mehr als doppelt so viele, meistens sehr wohl konservierte Pyramiden enthält." (S. 360)

"Sie sehen zum Teil so glatt und unversehrt aus, als wären sie eben erst fertig geworden, und in einer derselben, auf die ich hinaufstieg, was ohne Schwierigkeiten bewerkstelligt werden konnte, da jede Steinlage eine bequeme Stufe bildet und nur die vier Kanten der Pyramide von oben herab mit einem polierten, runden Steinwulst ohne Absatz überkleidet sind – fand ich auf der Höhe einen hölzernen Querbalken inwendig eingemauert, der durch das Herabfallen eines Steines sichtbar geworden war und, obgleich dadurch dem Wind und Wetter ausgesetzt, sich dennoch so frisch und intakt erhalten hatte, als sei er neu. Keine dieser Pyramiden ist über 80 Fuß hoch und ihre Form weit schmaler in der Basis und spitzer zulaufend als die der ägyptischen. Fast alle haben nach Süden zu einen niedrigen kastenartigen Vorbau mit einer Türöffnung, und es scheint, daß hier die Leichen versenkt wurden. Bis jetzt hat noch keine erschöpfende Untersuchung deshalb stattgefunden, wiewohl man sieht, daß öfters dergleichen begonnen wurde. Einige dieser Eingänge sind erst später angesetzt, einige mit den Pyramiden zugleich aufgeführt worden, was man stets sehr deutlich unterscheiden kann. Nur in wenigen fanden wir Skulpturen, deren Formen weicher und üppiger waren, als es der ägyptische Stil mit sich bringt. Eins dieser Hautrelief-Bilder stellte eine Königin auf ihrem Throne dar, dessen Fußgestell aus Löwen bestand, die mit einer reichen Decke behangen waren. Auch diese Tiere waren nicht im ägyptischen Stil, sondern eher persischen Darstellungen dieser Art ähnlich. [...]

Wie es häufig hier der Fall ist, haben die Eingebornen den Platz um die alten Grabmäler auch zum eignen Kirchhof erwählt und eine Menge von alten Töpferscherben, die um den Berg her liegen, zur Ausschmückung ihrer modernen Ameisenhäufchen sorgsam benutzt." " (S.361)

"Oben angelangt, hat man eine ausgedehnte Wüstenaussicht, und nahe jenseits des Flusses erblickten wir die große Pyramidengruppe von Nur oder El Belal in klarster Nähe. Herr Rüppel gibt die Entfernung dieser Pyramiden, die er nicht besucht hat und die man selbst zu Fuß bequem in drei Stunden erreicht, als sieben Stunden weit an, obgleich er versichert, den Dschebel-Barkal bestiegen zu haben, von welchem er sich doch sogleich durch den bloßen Augenschein hätte überzeugen müssen, daß die Entfernung in grader Richtung von hier kaum zwei Stunden beträgt. Eine so handgreifliche Unzuverlässigkeit kam mir auffallend bei einem Schriftsteller vor, der die Vorrede zu seinem Werke mit folgenden herausfordernden Worten beginnt: «In gegenwärtiger Zeit scheint eine wahre Schreibwut sehr viele Gelehrte und noch bei weitem mehr Ungelehrte befallen zu haben. [...] 

Damen werden ersucht, das nun folgende, selbst wenn sie griechisch lesen können, ebenfalls zu überschlagen.[Fußnote: Die folgenden Absätze sind nicht in griechischer, sondern in deutscher Sprache, aber griechischer Schrift geschrieben; in deutscher Schrift lauten sie: Als Beitrag zur Schilderung der Landessitten mag auch noch Folgendes dienen. Am Abend ehe ich Ouad-Medina verließ, erschien im Audienzsaale des Kascheffs, zu welchem jeder Zutritt hat, ein junger Mann, der völlig wie eine Frau, und in noch übertriebnerem Schmuck gekleidet war; auch in allen Manieren dem weiblichen Geschlecht, mit einem Anflug von Karikatur nachzuahmen suchte. Ich erkundigte mich bei dem neben mir sitzenden Arzte des Kascheff's, was diese Verkleidung bedeute? «Oh», erwiderte dieser mit einer ausdrucksvollen Pantomime, «das hier ist die beliebteste Soldatenhure in Ouad-Medina, die man alle Nächte in der Nähe der Kaserne antreffen kann.» Der nämliche junge Mann, der zugleich den öffentlichen Possenreißer zu spielen schien, sagte nachher zum Kascheff selbst, als dieser ihm einige Neckereien adressirte, die auf sein Handwerk Bezug hatten: «O, laßt mich in Frieden und gebt mir lieber einen Backschis, denn wenn Ihr es nicht thut, und ich mit leeren Händen nach Hause komme, so wird mein Kind schreien, das Ihr mir im vorigen Jahr gemacht habt.» Alle Welt schien diese spaßhafte Antwort sehr ergötzlich zu finden. Ein andresmal sah ich, von einem weiten Männerkreise, auch meistens Soldaten, umgeben, ein Mädchen den gewöhnlichen laskiven Tanz des Orients ausführen, aber in einem remarkablen Kostüme. Denn sie war völlig nackt, und hatte nur eine lange Schnur von bunten Glasperlen um den Hals, an der ein monströser, schwarzgefärbter Priap tief herabhing, der unter dem wildesten Applaus und Gelächter der Umstehenden bei allen obskönen Bewegungen ihres Körpers mit agierte."  (S.466)

"alle diese krassen Unsittlichkeiten sind, besonders beim Militär, durch die Gesetze sehr streng verpönt, aber so weit ins Land hinein reichen diese Gesetze kaum mehr, und auch in unmittelbarer Nähe bleiben sie großentheils unwirksam, da diese uralten Gewohnheiten oft, je schlechter sie sind, desto schwerer ausgerottet werden. Der Kultus des Priapus, so alt als die Welt, hatte sich ja bis in die neueren Zeiten sogar im Katholizismus dergestalt fortvererbt, daß in Italien an mehr als an einem Orte Thonbilder desselben Weibern, um sie fruchtbar zu machen, als Reliquie umgehangen wurden, und in Frankreich selbst ein Heiliger aus dem alten Gotte gemacht ward. [...]

Fernerer Aufenthalt im Sudan. Mandera 

Nachdem meine Reisegesellschaft durch einen neuen hier gekauften oder vielmehr losgekauften Sklaven und einen lebendigen Strauß vermehrt worden war, wandte ich am 15. Mai mein Segel vorläufig wieder dem Norden zu. Ein heftiger konträrer Wind zwang uns, den größten Teil der Fahrt bis Abu Haraß zu kreuzen, was uns den Vorteil, nun mit dem Strome zu schwimmen, wenig genießen ließ, aber das Gute hatte, mir endlich eine glückliche Krokodiljagd zu verschaffen. Die Sonne war schon ihrem Untergange nahe und Abu Haraß im Angesicht, als einer der Matrosen mir meldete, daß vier Krokodile nicht fünfzig Schritte von uns entfernt auf einer Sandinsel lägen. Ich eilte schleunigst aufs Verdeck und sah mit Verwunderung, daß keins dieser bisher so scheuen Tiere sich bei unsrer Annäherung regte, sondern alle wie erstarrt bewegungslos mit offnem Rachen liegenblieben. Sogleich ergriff ich die geladne Muskete eines der uns begleitenden Soldaten und feuerte auf das nächste, welches ungefähr 12 Fuß in der Länge maß, traf es auch unter dem Panzer, aber doch nicht hinlänglich, um es zu töten. Es fuhr erschrocken auf und sprang mit der blitzschnellen Behendigkeit einer Eidechse ins Wasser, das es mit seinem Blute rötete, ohne daß die andern sich weder durch dies Schauspiel noch den Knall des Schusses stören ließen." (S.469)

"Jetzt reichte mir Ackermann mein Gewehr, das ich ohne Zeitverlust auf das letzte und kleinste abdrückte und es glücklich erlegte, da die Kugel grade in seinen aufgesperrten Rachen fuhr und so mehrere edle Teile nacheinander verletzte. Das noch junge Krokodil blieb, fast ohne zu zucken, wie schon tot ausgestreckt liegen. Als wir aber eilig aufs Land sprangen und uns alle darüber herwarfen, um uns seiner ohne Zeitverlust zu bemächtigen, raffte es sich noch einmal auf und kroch ziemlich schnell dem Flusse zu, erhielt aber auf dem kurzen Wege von den Negern so viel furchtbare Keulenschläge auf Hals und Kopf, daß es mit Blut überströmt bald regungslos und nun allem Anschein nach auch wirklich tot von neuem liegen blieb. Es war aber noch keineswegs so weit mit ihm gekommen, denn nach wenig Sekunden gab es mit großer Gewalt einen perfiden Schlag mit seinem Schweif, der mich selbst beinah getroffen hätte und einen der Matrosen so heftig in den Sand warf, daß seine Pfeife mehrere Ellen hoch gen Himmel flog. Wirklich, die Lebenszähigkeit bei diesen Tieren geht fast ins Unglaubliche. Als diesem von uns erlegten schon die Haut größtenteils abgezogen war, sowie alle Eingeweide ausgenommen, und man sich eben damit beschäftigte, zum Behuf des Ausstopfens die Knochen aus den Beinen zu lösen, gab es noch einen letzten galvanischen Schweifschlag, der im Augenblick den darum formierten dichten Menschenkreis wie Spreu auseinanderfegte, obgleich sich die Erschrockenen schnell wieder lachend und jubelnd darum herreihten. Denn sie freuten sich auf die leckere Mahlzeit, und in der Tat ward während der Nacht der ganze Vorrat von dem stark nach Moschus duftenden Fleische mit großem Genuß von den afrikanischen Gourmands verzehrt. [...]

Das unglückliche Opfer unsrer Jagdlust war ein Weibchen, und bevor man ihm den Bauch aufschnitt, hatte man uns dessen Geschlechtsteile gezeigt, die in Größe wie in Form auffallend den menschlichen gleichen. Man versichert, daß, wenn diese Tiere sich begattet haben, das Weibchen mehrere Stunden lang wie ohnmächtig auf dem Rücken liegen bleibt, in welchem Zustande man es dann sehr leicht und ganz gefahrlos töten kann. Ja, es soll sogar nichts Seltnes sein, daß Neger diese Lethargie… " (S.470)

"Jetzt erst erfuhr ich die volle Wahrheit über Mandera. Statt 12-16 Stunden Entfernung, wie man zuerst versichert, fand es sich nun, daß es vier bis fünf Tagesmärsche weit sei, ohne auf dieser Strecke einem einzigen Brunnen zu begegnen. Dies mache, sagte der Efendi, 150 Kamele allein für den Transport des Wassers nötig, weil sie sich fortwährend truppweise ablösen müßten, um immer frisches Wasser aus dem Nil herbeizuholen. Mit weniger könne ich nicht auskommen, da die Araberstämme in dieser Gegend sich fast alle…" (noch ohne Seitenangabe)