22 September 2024

Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit

PierreVL: "Ich habe nie auch nur ansatzweise verstanden, was so viele Leute an dem Buch finden. Eigentlich mag ich phantastische Literatur ja schon, auch den magischen Realismus, z.B Juan Rulfo "Pedro Paramo". Auch die Liebe in den Zeiten der Cholera von Garcia Marquez habe ich total gerne gelesen.

Aber Hundert Jahre Einsamkeit habe ich bestimmt dreimal angefangen und nach ein paar dutzend Seiten entnervt weggelegt. Was soll das, ein Autor, der sich über seine eigenen Figuren lustig macht? Ich fand die ganze Handlung total klamaukig, pubertär und echt zum Fremdschämen.

Gibt es noch mehr Leute, die gerade dieses Buch exzeptionell schlecht finden?"

Fontanefan: "Nicht exzeptionell schlecht, aber: nichts für mich.

Ich habe mehr als nur ein paar dutzend Seiten gelesen und keinen Zugang gefunden. Die weiteren Werke habe ich - wenn überhaupt - nur kurz angelesen und bald aufgegeben.

Dagegen fand ich die Autobiographie von Gabriel García Márquez anregend und interessant: 2002 Vivir para contarla (Leben, um davon zu erzählen, dt. von Dagmar Ploetz; Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, ISBN 3-462-03028-0.

 Hundert Jahre Einsamkeit hat mich erfolgreich abgeschreckt.

Noch steht das Buch im Regal. Eingelegt ist eine Rezension (29.4.78) von "Der Herbst des Patriarchen". Ich bin überzeugt, dass Márquez ein bedeutender Autor ist, aber ich habe den Zugang zu seinem Werk 1976 verpasst.

Sollte ich es mit Die Liebe in den Zeiten der Cholera versuchen?

Es geht auch bei "100 Jahre ...": "Er fühlte, wie Amarantas Finger, wie warme, begierige Würmer seinen Bauch absuchten. So drehte er sich zum Schein im Schlaf zu ihr um, um jede Schwierigkeit auszuschalten, und fühlte die Hand ohne schwarze Binde, wie eine blinde Moluske zwischen die Algen seines Sehnens tauchen. Wenngleich sie so taten, als wüssten sie nicht, was sie beide wussten, und wovon jeder von beiden wusste, dass der andere es wusste, waren sie von jener Nacht an durch eine unverbrüchliche Mitwisserschaft aneinander gekettet." (S.113). 

Er kann es, aber er versteckt es unter Klamauk. Und der ist - Millionen Leser bezeugen es - offenbar ebenso oder sogar weit besser gekonnt, aber leider nichts für mich.

Bei Gelegenheit schaue ich wieder hinein.

Auf gutefrage.net schreibt Skoph zu Márquez:

"Ich meine, dass Márquez einer der sehr wenigen Menschen der Welt ist, der jeden vieler Romane fast völlig anders schreiben kann, vielleicht sogar will. [...]

"Hundert Jahre... ist kein magischer Realismus, sondern eine real-satirische Darstellung einer Dorfbevölkerung, die mit abergläubischen Ritualen ihrer Religion lebt und sich daraus zumeist entsetzlich primitiv den Alltag erklärt und auch noch so handelt,

Liebe in den Zeiten... ist magischer Realismus, weil man diese lebenslange unbefriedigende Liebesgeschichte als real annehmen kann UND erst am Ende augenscheinlich auf magischer Ebene in den Frohsinn durch glückliche Erfüllung des Lebens erhoben wird. Leider gibt es noch keine mehrteilige, um viel mehr die so feinen Details des Romans darzustellen, Verfilmung dieser epischen Poesie."

20 September 2024

Christa Wolf: Kassandra

 Christa WolfKassandra 

Zitate: 

"Die Leute des Eumelos waren an der Arbeit. Sie hatten Anhänger und der Palastschreiber und Tempeldiener gewonnen. Auch geistig müssten wir gerüstet sein, wenn der Grieche uns angreife. Die geistige Rüstung bestand in der Schmähung des Feindes (von 'Feind' war schon die Rede, eh noch ein einziger Grieche ein Schiff bestiegen hatte) und im Argwohn gegen die, welche verdächtig waren, dem Feind in die Hände zu arbeiten:/ Panthoos, der Grieche. Briseis, des abtrünnigen Kalchas  Tochter. Die weinte abends oft in meinem Schlafraum. Auch wenn sie sich, um ihn nicht in Gefahr zu bringen, von Troilos trennen würde: er ließ sie ja nicht gehen. Auf einmal war ich die Beschützerin eines gefährdeten Paares. Mein junger Bruder Troilus, der Sohn des Königs, wurde angefeindet, weil er sich eine Liebste nach seinem Geschmack nahm: Unvorstellbarer Vorgang. Tja, sagte König Priamos, schlimm, schlimm." (S.84/85) 

"Sie leisteten es sich, Mord und Totschlag weniger zu fürchten als die rollende Augenbraue ihres Königs und die Denunziation durch Eumelos. Ich leistete mir ein bißchen Voraussicht und ein kleines bißchen Trotz. Trotz, nicht Mut.

Wie lange habe ich an die alten Zeiten nicht gedacht. Es stimmt: Der nahe Tod mobilisiert noch mal das ganze Leben. Zehn Jahre Krieg. Sie waren lang genug, die Frage, wie der Krieg entstand, vollkommen zu vergessen. Mitten im Krieg denkt man nur, wie er enden wird. Und schiebt das Leben auf." (S.87)


17 September 2024

Jaques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

 Jaques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

Von Offenbach kannte ich bisher nur den  Cancan aus Orpheus in der Unterwelt und die  Oper Hoffmanns Erzählungen mit der berühmten Barcarole (die ziemlich gut).

Dass Orpheus in der Unterwelt keine tragische Oper ist, wusste ich schon lange; aber dass die Öffentliche Meinung darin eine Hauptrolle spielt und dass und wie sie erklärt, dass sie die Stelle des antiken Chores vertrete, habe ich jetzt nachdem das Reclamheft mit dem Operntext schon seit Jahrzehnten in meinem Bücherregal steht, mit Erstaunen gelesen. Ob ich das schon einmal wusste??

Hier der französische Text der Erstaufführung

Der Anfang in Maschinenübersetzung:

Die Öffentliche Meinung:

Wer bin ich? - des antiken Theaters

Ich habe den Chor perfektioniert,

Ich bin die öffentliche Meinung,

Eine symbolische Figur,

Was man einen Raisonneur nennt.

Der antike Chor im Vertrauen

Übernahm die Aufgabe, den Menschen zu erklären

Was sie im Voraus verstanden hatten,

Wenn sie klug waren.

Ich mache es besser. Ich handle selbst;

Und nehme an der Handlung teil,

Von der Palme oder dem Anathema.

Ich mache die Verteilung.

Die Frau soll sich vor mir hüten

Die ihren Mann betrügen will,

Und hüte sich auch der Ehemann

Der seiner Frau Züge machen würde! ...

(Übersetzt mit DeepL.com, kostenlose Version)

"seiner Frau Züge machen / Qui ferait des traits à sa femme" heißt im deutschen Operntext: "Seitenpfade geht".

Die gesamte Handlung der Oper bezieht sich darauf, dass Orpheus und Eurydike sich nach ihren Ehejahren inzwischen hassen und gern "Seitenpfade" gehen. Die antiken Götter Jupiter und Pluto wollen Eurydike für sich. Als Pluto Eurydike in die Unterwelt entführt hat, ist Orpheus hocherfreut; doch die Öffentliche Meinung fordert von ihm, dass er bei Jupiter Eurydike für sich zurückfordern soll.  Dieser sieht darin eine Chance, Eurydike zu verführen,  was ihm - Eurydik hat umgedacht - aber nicht gelingt. Als Orpheus jetzt Eurydike u sich nach Hause nehmen will, greift Jupiter mit seinem Blitz ein, doch in die Unterwelt lässt er sie nicht zurück, weil er sie seinem Rivalen Pluto nicht gönnt, sondern verwandelt sie in eine Bachantin (griechisch: Mänade). Nun folgt sie also als eine unter vielen (wahnsinnig, in Ekstase oder im Alkoholrausch?) dem Gott Bacchus.

Die Wikipedia zur Handlung.

"Zur Zeit der Uraufführung konnten sich viele Personen der Pariser Gesellschaft in dem Stück wiedererkennen. Die griechische Mythologie war ein beliebtes Gesprächsthema der feinen Leute, und Offenbach nahm mit seinem Orpheus den Antikenkult gehörig auf die Schippe. Selbst der regierende Kaiser Napoléon III. blieb nicht verschont. Er konnte sich in der Figur des liebestollen obersten Gottes Jupiter wiederfinden. Die Oper gefiel dem Kaiser; er nahm Offenbach die Anspielungen anscheinend nicht übel und applaudierte laut." (Wikipedia)

Die Einführung zum Operntext, der mir vorliegt, stammt aus DDR-Zeiten und sieht Offenbach hauptsächlich als Zeitkritiker und Erfinder der OperetteHoffmanns Erzählungen sieht er als enttäuschenden Rückfall in das alte Operngenre.

15 September 2024

Thomas R.P. Mielke: Inanna


































Inhalt laut Waschzettel: 
Ein Planetoid vernichtet die Hochkultur von Atlantis und lässt Europa in Dunkelheit und Eiseskälte versinken – vor über 8000 Jahren unserer Zeitrechnung. Inanna, die Göttin des Himmels und der Erde, war in die Welt geschickt worden, nach dem verlorenen Wissen der Götter zu suchen. Sie überlebt die Katastrophe, sie findet Zuflucht in den Höhlen der  Cro Magnon-Menschen. Nur langsam erwacht sie aus ihrer Benommenheit und erinnert sich an ihren Auftrag.

Es beginnt ihre Odyssee durch Europa, Kleinasien und Afrika: sie schließt sich hoch im Norden Rentierjägern an, lebt bei Fischern an der Donau, findet die Stadt der Frauen von Catal Hüyük und begegnet Gilgamesch, dem König von Uruk.
Inanna wird so zur Kulturbringer der Menschheit, sie lässt die Menschen an ihren Erfahrungen und ihrem Wissen teilhaben: sie zähmt die ersten Wölfe, erfindet den Kamin, den Zement, die Töpferscheibe und die Waage.  Das Wissen der Götter aber, das sie sucht, hat Gott Enki in seinem Palast auf dem Grund des Meeres versteckt.

Joseph Ratzinger: Aus meinem Leben

 "[...] Was war der Schott? Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Beuroner Benediktiner   Anselm Schott, das Messbuch der Kirche ins Deutsche übertragen. Es gab Ausgaben nur in deutscher Sprache, solche, in denen ein Teil der Texte lateinisch und Deutsch abgedruckt war, und solche, in denen der gesamte lateinische und daneben der deutsche Text dargeboten wurde. Ein fortschrittlicher Pfarrer hatte meinen Eltern zu ihrem Hochzeitstag 1920 den Schott geschenkt; so war das Gebetbuch in unserer Familie von Anfang an gegenwärtig. Unsere Eltern haben uns früh geholfen, den Zugang zur Liturgie zu finden. Es gab einen an das Missale angelehntes Kindegebetbuch, in dem der Fortgang der Heiligen Handlung in Bildern dargestellt war, so dass man dem Geschehen gut folgen konnte.  Dazu gab es jeweils ein Gebetswort, in dem das Wesentliche der einzelnen Abschnitte der Liturgie aufgenommen und kindlichem Beten zugänglich gemacht war. Als nächste Stufe erhielt ich einen Schott für die Kinder, in dem schon die wesentlichen Texte der Li/turgie selbst abgedruckt waren; dann den Sonntags-Schott, in dem nun die Liturgie der Sonn- und Feiertage vollständig dargeboten wurde, schließlich das vollständige Messbuch für alle Tage.  Jede neue Stufe im Zugehen auf die Liturgie war ein großes Ereignis für mich. Das jeweils neue Buch war eine Kostbarkeit, wie ich sie mir nicht schöner träumen konnte. Es war ein fesselndes Abenteuer, langsam in die geheimnisvolle Welt der Liturgie einzudringen, die sich da am Altar vor uns und für uns abspielte. Immer klarer wurde mir, dass ich da einer Wirklichkeit begegnete, die nicht irgend jemand erdacht hatte, die weder eine Behörde noch ein großer einzelner geschaffen hatte.  Dieses geheimnisvolle Gewebe von Text und Handlungen war in Jahrhunderten aus dem Glauben der Kirche gewachsen. Es trug die Fracht der ganzen Geschichte in sich und war doch zugleich vielmehr als Produkt menschlicher Geschichte. Jedes Jahrhundert hatte seine Spuren eingetragen: Die Einführungen ließen uns erkennen, was in der frühen Kirche, was aus dem Mittelalter, was aus der Neuzeit stammte.  Nicht alles war logisch, es war manchmal verwinkelt und die Orientierung gewiss nicht immer leicht zu finden. Aber gerade dadurch war dieser Bau wunderbar und war er eine Heimat. Natürlich habe ich das als Kind nicht im einzelnen erfasst, aber mein Weg mit der Liturgie war doch ein kontinuierlicher Prozeß, eines Hineinwachsens, in eine alle Individualitäten und Generationen übersteigende große Realität,  die zu immer neuem Staunen und Entdecken, Anlaß wurde. Die unerschöpfliche Realität der katholischen Liturgie hat mich durch alle Lebensphasen begleitet; so wird auch immer wieder die Rede davon sein müssen." (S.22/23). 

Joseph Kardinal Ratzinger: Aus meinem Leben, DVA 1998

14 September 2024

Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Wikipedia: Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Gone with the Wind

Den Film habe ich irgendwann vor Jahrzehnten gesehen, den Roman allenfalls angelesen, jedenfalls nicht mehr in Erinnerung. Mich erstaunte bei Blick in den Roman die Selbstsicherheit des Sklaven Peter, die mich - man wird erstaunen - an das Selbstbewusstsein von Schwarzen bei Faulkner erinnert, die den Weißen Unmündigkeit vorspielen, um sie in ihrem Unglauben zu halten. ("Sprich kein korrektes Englisch!")

Charaktere: Scarlett O'Hara: Die Hauptprotagonistin, eine starke, willensstarke Frau. Suellen und Carreen, ihre Schwestern Rhett Butler: Ein geheimnisvoller und eigenwilliger Geschäftsmann, der eine komplexe Beziehung zu Scarlett hat. Ashley Wilkes: Scarlett's Schwarm, der jedoch Melanie heiratet.   Melanie Hamilton: Scarlett's absichtslose "Rivalin" und dann Schwägerin.  Mammy: Scarletts treue Sklavin und Vertraute - Onkel Peter: Der Haussklave der seiner entscheidungsschwachen Herrin alle Entscheidungen abnimmt und so auch die Erziehung der Kinder in die Hand nimmt. 

Wie die Sehweise im gesamten Roman ist, kann ich noch nicht beurteilen.

Wikipedia: Kritik an der Sicht des Romans auf die Sklaverei

Die Darstellung der historischen Abläufe im Roman erfolgt aus der Perspektive der Protagonisten, also der der besiegten weißen Südstaatler. Alan T. Nolan kritisiert daher in The Myth of the Lost Cause and Civil War History, dass die Darstellung einem einseitig prosüdlichen Narrativ folge. Die Sklaverei und die Rolle des Ku Klux Klan nach dem Sezessionskrieg würden beschönigt, die Reconstruction und die nordstaatlichen Soldaten dagegen negativ dargestellt. Der Roman folge in diesem Sinne den typischen Topoi des Lost Cause und gebe nicht die historischen Tatsachen wieder.[9]

Sonja Zekri beurteilt den Roman als „modern in der Frauenfrage und archaisch im Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß“: Mit der repressiven Idealisierung der Südstaatenfrauen habe Mitchell nichts anfangen können, das zeige schon ihre Protagonistin. Scarlett O’Hara habe sie als eine lebenshungrige, unzerstörbare, mehrfach verheiratete, erfolgreiche Geschäftsfrau gezeichnet, habe „die übliche männliche Enttäuschung darüber, dass eine Frau über ein Gehirn verfügt“ ironisiert (so Mitchell). Auf der anderen Seite sei es ein rassistisches Buch. Entgegen entschuldigender Rede sei die Sklaverei durchaus Thema gewesen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Süden die Rassentrennung gesetzlich verankerte, habe Mitchell den Weißen alle Schuldgefühle genommen. In Form einer Romancing Slavery strahle Sklaverei im warmen Licht einer idealen Gemeinschaft. Mammy, Pork und die anderen Sklaven wüssten die Geborgenheit und Fürsorge der weißen Besitzer zu schätzen und fürchteten nichts so sehr wie die Yankees. „Die Besseren unter ihnen verschmähten ihre Freiheit und litten genauso wie ihre weiße Herrschaft“, so Mitchell.[10]


Die Darstellung ist spannend, und es ist klar, warum des Buch ein Weltbestseller und von Nazis hochgelobt worden ist. 

Für mich liegt der Wert des Buches darin, dass es mit seiner Schilderung aus der äußerst parteiischen Sicht einer Südstaatlerin, aufzeigt, wie leicht man sich Gewissenlosigkeit als Tugend umdeuten kann. Schon 1936 wird also der Leser zur Identifikation mit der Hauptperson verführt. Insofern ist also Himmlers Rede vom Holokaust als menschliche Großtat vorbereitet.

Allerdings Rhett Butler spricht (anders als Himmler) deutlich aus, dass er keinerlei moralische Rücksichten kennt, wenn es um seinen Vorteil geht, und sagt, dass er an Scarlet schätzt, dass sie genauso denkt. Scarlett ihrerseits fühlt sich darin von Butler durchschaut. 

Ob Margaret Mitchell ihrerseits sich so sehr mit der Südstaatensicht identifiziert, dass sie Scarlett benutzen will, um den Leser ganz für dies Narrativ zu gewinnen, vermag ich weiterhin noch nicht zu beurteilen.* Für mich wird aber deutlich, dass diese Sicht sich nicht mit den Menschenrechten vereinbaren lässt. Das erleichtert es, zu erkennen, wie groß die Verführbarkeit zu menschenfeindlichen Ideologien ist. Es ist nicht Dummheit, sondern menschliche Verführbarkeit, die hier vorgeführt wird. 


Inzwischen bin ich freilich auf Passagen gestoßen, die dafür sprechen, dass Mitchell ihre eigene Ansicht wiedergibt:

*  "Nur für die Sklaven gab es noch Gesetz und Recht. Der Süden lag vor den Yankees im Staub, und dabei sollte es bleiben. Es war, als habe eine boshafte Riesenhand dieses Land niedergeworfen, und die Herren von einst waren hilfloser, als ihre früheren Sklaven je gewesen waren. (S.10 832)

Die Zeitungen wurden so scharf beaufsichtigt, daß öffentlich nicht gegen die Ungerechtigkeit und Räubereien des Militärs Verwahrung eingelegt werden konnte, und wenn ein einzelner sich zur Wehr setzte, stand Gefängnis darauf. In den Gefängnissen wimmelte es von angesehenen Bürgern, und sie blieben dort ohne jede Hoffnung auf baldige Aburteilung. (S.10 840)

Mit Hilfe der gewissenlosen Abenteurer, die in der Freilassungsbehörde saßen, und unterstützt durch den Haß der Nordstaaten, der in seinem Fanatismus fast etwas Religiöses hatte, fanden sich die früheren Ackerknechte plötzlich im Besitz der Macht. Sie benahmen sich dabei so, wie es von Köpfen niedrigsten Verstandes zu erwarten war. Gleich Affen und kleinen Kindern, die man auf Kostbarkeiten losläßt, von deren Wert sie keinen Begriff hatten, kamen sie außer Rand und Band, sei es aus viehischer Zerstörungswut, sei es einfach aus Unwissenheit. [...] Früher hatten ihre weißen Besitzer ihnen befohlen; jetzt hatten sie eine neue Klasse von Herren, die Behörde und die Schieber, und deren Befehl lautete: »Ihr seid so gut wie jeder Weiße, also handelt danach. Sobald ihr den Wahlzettel für die Republikaner abgeben könnt, bekommt ihr das Eigentum der Weißen. Es ist so gut, als hättet ihr es schon. Nehmt es, wenn ihr wollt.« (S.10 860)

Die Männer wurden auf der Straße von betrunkenen Schwarzen angepöbelt, Häuser und Scheunen nachts in Brand gesteckt, Pferde, Rinder und Hühner wurden bei helllichtem Tage gestohlen, Verbrechen jeder Art begangen, und nur wenige Frevler kamen vors Gericht. All diese Schandtaten und Bedrohungen waren jedoch nichts im Vergleich zu der Gefährdung der weißen Frauen, die, zum großen Teil durch den Krieg des männlichen Schutzes beraubt, allein, in abgelegenen Gegenden und an einsamen Landstraßen wohnten. Die große Anzahl der Sittlichkeitsverbrechen an Frauen, die fortwährende Gefahr für das Leben ihrer Gattinnen und Töchter brachte die Männer des Südens in kalte, bebende Wut…" (S.10 885)


Zitat (engl.)

"[...] "Dis Miss Scarlett, ain' it? Dis hyah Peter, Miss Pitty's coachman. Doan step down in dat mud," he ordered severely, as Scarlett gathered up her skirts preparatory to descending. "You is as bad as Miss Pitty an' she lak a chile 'bout gittin' her feets wet. Lemme cahy you."

He picked Scarlett up with ease despite his apparent frailness and age and, observing Prissy standing on the platform of the train, the baby in her arms, he paused: "Is dat air chile yo' nuss? Miss Scarlett, she too young ter be handlin' Mist' Charles' onlies' baby! But we ten' to dat later. You gal, foller me, an' doan you go drappin' dat baby."

Scarlett submitted meekly to being carried toward the carriage and also to the peremptory manner in which Uncle Peter criticized her and Prissy. As they went through the mud with Prissy sloshing, pouting, after them, she recalled what Charles had said about Uncle Peter.

"He went through all the Mexican campaigns with Father, nursed him when he was wounded—in fact, he saved his life. Uncle Peter practically raised Melanie and me, for we were very young when Father and Mother died. Aunt Pitty had a falling out with her brother, Uncle Henry, about that time, so she came to live with us and take care of us. She is the most helpless soul—just like a sweet grown-up child, and Uncle Peter treats her that way. To save her life, she couldn't make up her mind about anything, so Peter makes it up for her. He was the one who decided I should have a larger allowance when I was fifteen, and he insisted that I should go to Harvard for my senior year, when Uncle Henry wanted me to take my degree at the University. And he decided when Melly was old enough to put up her hair and go to parties. He tells Aunt Pitty when it's too cold or too wet for her to go calling and when she should wear a shawl...He's the smartest old darky I've ever seen and about the most devoted. The only trouble with him is that he owns the three of us, body and soul, and he knows it."

Charles' words were confirmed as Peter climbed onto the box and took the whip.

"Miss Pitty in a state bekase she din' come ter meet you. She's feared you mout not unnerstan' but Ah tole her she an' Miss Melly jes' git splashed wid mud an' ruin dey new dresses an' Ah'd 'splain ter you. Miss Scarlett, you better tek dat chile. Dat lil pickaninny gwine let it drap."

Textzitate (deutsch):

"[...] »Du weißt ganz genau, daß es keinen Krieg gibt!« Scarlett langweilte sich. »Das ist alles nur Gerede. Ashley Wilkes und sein Vater haben Pa doch gerade vorige Woche erzählt, daß unsere Unterhändler in Washington wegen der Konföderierten Staaten mit Mr. Lincoln zu einem ... einem Freundschaftsvergleich kommen würden, und überhaupt haben die Yankees viel zu große Angst, mit uns zu kämpfen. Es gibt keinen Krieg, und ich habe es satt, davon zu hören.« [...] (S.105)

"[...] Das wellige Land in den Vorbergen Nord-Georgias wurde in Millionen Kurven gepflügt, damit der schwere Boden nicht in die Sümpfe am Fluß geschwemmt werde. Das Land war von beängstigender Röte: nach Regenfällen rot wie Blut, in der Dürre verwandelt in ziegelfarbenen Staub - der beste Baumwollboden der Welt. Es war ein liebliches Gelände mit weißen Häusern, friedlich gepflügten Feldern und trägen gelben Flüssen, doch ein Land voller Gegensätze, von blendendstem Licht und tiefstem Schatten. [...]" (S.135)

"[...] »Übrigens soll gar nicht seine Verlobung verkündet werden«, triumphierte Stuart, »sondern Ashleys mit Charlies Schwester, Miß Melanie!« In Scarletts Gesicht veränderte sich nichts, nur ihre Lippen wurden weiß wie bei jemandem, der unvorbereitet einen betäubenden Schlag empfängt und im ersten Augenblick des Schreckens nicht faßt, was ihm geschieht. Sie sah Stuart so groß und still an, daß er sie einfach für überrascht und interessiert hielt und sich nichts dabei dachte. Ein Seelenkenner war er nie gewesen. [...]" (S.268)

"[...] »Wollen denn Masters beide zu Master Wynder?« ließ sich jetzt Jeems vernehmen. »Da gibt nicht viel Abendbrot, Köchin ist tot und sie noch keine neue kaufen, und nun kochen eine Pflückerin, und die Schwarzen mir erzählen, das die schlechteste Köchin im ganzen Staat.« »Du meine Güte, warum kaufen sie sich denn keine neue Köchin?« »Wie sollen denn weißes Bettelpack sich Farbige kaufen? Die nie mehr als höchstens vier Stück haben.« In Jeems' Stimme klang unverhohlene Verachtung. Seine eigene gesellschaftliche Stellung war gesichert, denn Tarletons besaßen hundert Farbige, und wie alle Sklaven der großen Plantagenbesitzer sah er auf die kleinen Farmer herab, die nur wenige Sklaven hielten. »Ich ziehe dir das Fell über die 0hren!« Stuart war wütend. »Daß du mir Able Wynder nicht 'weißes Pack' nennst! Gewiß ist er arm, aber durchaus kein Pack, und hol mich der Teufel, wenn ich erlaube, daß irgend jemand, weiß oder schwarz, wegwerfend von ihm spricht. Einen besseren Mann gibt es nicht in der Provinz. Warum hätte die Truppe ihn sonst zum Leutnant gewählt?« [...] (S.366)

"[...] Nun erschien Mammy an der Tür der Halle, ein riesenhaftes altes Weib, mit kleinen klugen Elefantenaugen. Sie war eine Farbige reinsten Wassers, glänzend schwarz und den 0'Haras bis zum letzten Blutstropfen ergeben, Stab und Stütze für Ellen, die Verzweiflung ihrer drei Töchter, der Schrecken der anderen Dienstboten. Mammy war eine Schwarze, aber ihr Sittenkodex und ihr Stolz standen ebenso hoch, ja höher als der ihrer Eigentümer. Aufgewachsen war sie im Schlafgemach. Solange Robillards, der Mutter Ellen 0'Haras, einer unnahbar kühlen, vornehmen Französin, die Kindern und Dienstboten keine Strafe für einen Verstoß gegen die Schicklichkeit erließ. Mammy war Ellens Amme gewesen und, als Ellen heiratete, mit ihr aus Savannah nach dem Norden gekommen. Wen Mammy liebhatte, den züchtigte sie, und da ihre Liebe zu Scarlett und ihr Stolz auf sie keine Grenzen kannte, so wurde Scarlett eigentlich ohne Unterbrechung gezüchtigt.[...]" (S.768)

Gerald O'Hara, ein irischer Einwanderer, der wegen Totschlags Irland hatte verlassen müssen und sich mit Poker und Trinkfestigkeit hochgearbeitet hatte:

"[...] Der Diener namens Pork, tiefschwarz und in den erlesensten Feinheiten der Schneiderkunst beschlagen, fiel ihm in einer Nacht zu, die er mit einem Pflanzer aus St.-Simons-Island verpokerte, einem Manne, dessen Kühnheit im Bluffen der Geralds gleichkam, dessen Kopf aber dem New-0rleans - Rum nicht in gleichem Maße standhielt. Porks früherer Besitzer erbot sich, ihn um das Doppelte zurückzukaufen, aber Gerald blieb fest. Mit dem Besitz seines ersten Sklaven und nun gar des »verdammt noch mal besten Dieners an der ganzen Küste« war die erste Stufe zur Erfüllung seiner Herzenswünsche erklommen. Gerald wollte Sklavenhalter und Großgrundbesitzer werden. [...]" (S.840)

"[...] Tom Slattery besaß keine Sklaven. Mit seinen beiden ältesten Söhnen plagte er sich auf seinen paar Baumwollfeldern ab, während die Frau und die kleineren Kinder ein Stück Land zu bearbeiten suchten, welches so etwas wie einen Gemüsegarten vorstellen mochte. Aus irgendwelchen Gründen mißglückte es mit der Baumwolle fortwährend, und da Mrs. Slattery beständig ein Kind erwartete, lieferte der Garten selten genug, um ihre Schar satt zu machen. So hatte man sich daran gewöhnt, Tom Slattery bei seinen Nachbarn herumlungern und um Baumwollsamen und eine Speckseite betteln zu sehen, um sich über Wasser zu halten. Mit dem bißchen Energie, das er besaß, haßte er seine Nachbarn, weil er aus ihrer Höflichkeit die Verachtung herausfühlte, haßte er vor allem die hochnäsigen Schwarzen der Reichen. Die farbigen Bediensteten der Provinz hielten sich für etwas Besseres als das »weiße Pack«, und ihr unverblümter Hohn kränkte ihn tief, während ihre gesicherte Lebensstellung seinen Neid erweckte. Im Gegensatz zu seinem kümmerlichen Dasein waren diese Schwarzen wohlgenährt und gut gekleidet, und in Alter und Krankheit wurde für sie gesorgt. Sie waren stolz auf den Namen ihrer Besitzer und zum größten Teil auch darauf, Eigentum von Leuten zu sein, die der guten Gesellschaft angehörten, während Slattery mit allgemeiner Geringschätzung betrachtet wurde. Er hätte seinen Hof an jeden Pflanzer in der Provinz für seinen dreifachen Wert verkaufen können; man hätte das Geld gern daran gewendet, um ihn los zu sein. Ihm aber war es eine Genugtuung und ein Trotz, zu bleiben und von dem Ertrag eines Ballens Baumwolle und der Wohltätigkeit seiner Nachbarn sein Leben zu fristen. Mit allen anderen in der Provinz stand Gerald auf freundschaftlichem Fuß, und mit einigen war er eng vertraut. Wilkes, Calverts, Tarletons, Fontaines, alle freuten sich, wenn die gedrungene Gestalt auf dem schweren Schimmel ihre Auffahrt heraufgaloppiert kam. Man lächelte und ließ die hohen Gläser kommen, in die ein Gläschen Bourbon-Whisky über einen Teelöffel Zucker und etwas zerquetschte Pfefferminze gegossen war. Man mußte Gerald gern haben, und mit der Zeit entdeckten auch die Nachbarn, was die Kinder, Farbige und Hunde auf den ersten Blick herausgehabt hatten, daß hinter der lärmenden Stimme und der rauhen Formlosigkeit ein gütiges Herz, ein verständnisvolles 0hr und eine offene Brieftasche zu finden waren. Bei seiner Ankunft ging es jedesmal wie in einem Tollhaus zu. Hunde bellten, schwarze Kinder jauchzten, wenn sie ihm entgegenliefen, stritten sich darum, sein Pferd halten zu dürfen, und grinsten über seine gutmütigen Flüche. Die weißen Kinder wollten auf seinem Knie reiten, während er mit ihren Eltern über die Niedertracht der Yankees schimpfte. Die Töchter seiner Freunde vertrauten ihm ihre Liebesgeschichten an, die Söhne, die Angst hatten, ihre Spielschulden im Arbeitszimmer des Vaters zu gestehen, hatten an ihm einen Helfer in der Not. [...]" (S.870)

"[...] Tara verlangte gebieterisch nach einer Hausfrau. Die dicke Köchin, eine Schwarze vom Feld, die nur, weil irgend jemand die Küche versorgen mußte, zur Köchin befördert war, brachte das Essen nie zur rechten Zeit auf den Tisch, und das Hausmädchen, eine frühere Pflückerin, ließ den Staub sich auf den Möbeln häufen und hatte nie reine Wäsche zur Hand, so daß jedesmal, wenn Gäste kamen, alles drunter und drüber ging. Pork, der einzige ausgebildete farbige Bedienstete auf Tara, hatte die allgemeine Aufsicht über die anderen Dienstboten, aber selbst er war im Zusammenleben mit Gerald allmählich nachlässig geworden. Er hielt Geralds Schlafzimmer in 0rdnung und servierte mit Würde bei Tisch, aber sonst ließ er so ziemlich alles gehen, wie es wollte. Mit ihrem unfehlbaren afrikanischen Instinkt hatten die Farbige alle längst heraus, daß Gerald zu der Sorte von Hunden gehörte, die bellen und nicht beißen. Das nutzten sie schamlos aus. Fortwährend wurden zwar von Gerald schreckliche Drohungen, die Sklaven nach dem Süden zu verkaufen oder durchzupeitschen, ausgestoßen, aber noch nie war ein Sklave aus T ara verkauft worden, und gepeitscht wurde nur ein einziges Mal, weil Geralds Lieblingspferd nach einem langen Jagdtag nicht gepflegt worden war. Gerald sah mit seinen scharfen blauen Augen, wie gut bei seinen Nachbarn der Haushalt aufgezogen war und wie die Frauen mit dem glatten Haar und den rauschenden Seidenkleidern ihre Dienstboten zu regieren verstanden. Er wußte nicht, wie gehetzt diese Frauen von Sonnenaufgang bis Mitternacht waren, wie angekettet an ihre Pflicht, Küche, Kinderzimmer, Nähstube und Waschraum unter steter Aufsicht zu halten. Er sah nur das äußere Ergebnis, und das machte ihm Eindruck. Wie nötig er eine Frau hatte, wurde ihm eines Morgens klar, als er sich anzog, um zum Gerichtstag in die Stadt zu reiten. Pork hatte das gefältelte Hemd herausgesucht, aber es war von dem Mädchen so schlecht ausgebessert worden, das höchstens der Diener es noch tragen konnte. »Master Gerald«, sagte Pork und rollte das geschenkte Hemd mit Danksagungen zusammen, während Gerald vor Zorn kochte, »was Sie brauken, sein eine Frau und eine dicke Menge farbige Bedienstete.« [...]" (S.930)

"[...] »Sie haben ihn vertrieben. Vater, Pauline und Eulalia. Sie trieben ihn fort! Ich hasse sie alle, alle! Ich will sie nie wiedersehen! Weg will ich, weg und keinen von ihnen wiedersehen, weder die Stadt noch irgend etwas, was mich an ihn erinnert.« 

Als die Nacht fast vorüber war, hatte Mammy, die sich über den Kummer ihrer Herrin selbst die Augen ausgeweint hatte, Einspruch erhoben: »Aber Liebling, das kannst du nicht.« »Das will ich aber. Mr. 0'Hara ist ein guter Mann. Ich tue es, oder ich gehe nach Charleston ins Kloster.« 

Die Drohung mit dem Kloster gewann schließlich die Zustimmung des ganz verstörten, tiefgetroffenen Pierre Robillard. Er war strenger Presbyterianer, trotz seiner katholischen Familie, und der Gedanke, seine Tochter könnte Nonne werden, war ihm schrecklicher als die Heirat mit Gerald 0'Hara. Schließlich war ja gegen den Mann nichts weiter einzuwenden, als daß er nicht aus bester Familie stammte. So kam es, daß Ellen Savannah den Rücken kehrte, um es niemals wiederzusehen, und mit ihrem nicht mehr jungen Mann, mit Mammy und zwanzig bediensteten Farbigen nach Tara reiste. Im nächsten Jahr wurde das erste Kind geboren. Sie nannten es Katie Scarlett nach Geralds Mutter. Gerald war enttäuscht, weil er sich einen Sohn gewünscht hatte, aber er freute sich dann doch so sehr über die kleine schwarzhaarige Tochter, daß er jedem Sklaven auf Tara Rum ausschenken ließ und sich selbst einen tosenden, seligen Rausch antrank. (S.941)

Wenn Ellen ihren jähen Entschluß je bedauerte, so bekam es jedenfalls niemand zu wissen, am allerwenigsten Gerald, der vor Stolz schier bersten wollte, sooft er sie ansah. Ellen hatte Savannah und seine Erinnerungen hinter sich gelassen, und von dem Augenblick ihrer Ankunft auf Tara an wurde Nordgeorgia ihre Heimat. Ihr Vaterhaus, das sie auf immer verlassen hatte, war in seinen Umrissen schön und fließend wie ein Frauenleib oder wie ein Schiff mit vollen Segeln gewesen: ein blaßrosa Stuckhaus im französischen Kolonialstil, das zierlich vom Boden aufragte, mit geschwungenen Treppen und spitzenzarten Geländern; ein dämmeriges, üppiges Haus, freundlich und unnahbar. Mit ihm zugleich hatte sie die ganze Kultur zurückgelassen, die dort beheimatet war, und sie fand sich in einer so fremden Welt wieder, als hätte sie einen ganzenErdteil durchquert. Nordgeorgia war ein rauhes Land, bewohnt von einem wetterharten Volk. Auf der Hochebene, am Fuß der Blue Ridge Mountains, wogten die rötlichen Hügel, so weit das Auge reichte. Riesige Blöcke des granitenen Kerns traten überall daraus hervor, von hageren Pechkiefern überragt. [...]" (S.949)

"Für ihr Auge war das alles wild und unbändig. Es war die Küste gewohnt, die ruhige Urwaldschönheit der Inseln mit ihrer Hülle von weichem Moos und wucherndem Grün, den weißen Strand unter der tropischen Sonne, den weiten Blick über das flache, sandige Land mit seinen hohen zierlichen Palmen. Hier aber war eine Gegend, die Winterfrost und Sommerhitze kannte, und die Kraft und Tüchtigkeit der Bewohner waren ihr fremd. Freundliche Leute waren es, großherzig und von guter Laune, aber derb und aufbrausend. Die Küstenbewohner konnten sich wohl rühmen, all ihre Angelegenheiten, bis zu ihren Fehden und Duellen, mit lächelnder Anmut zu betreiben; die Leute von Nordgeorgia hatten einen Schuß Gewalttätigkeit im Blut. An der Küste schien das Leben vom Alter gereift. Hier war alles jung, lustig, frisch und rauh. Die Leute von Savannah waren alle aus gleichem Guß, gleich nach Anschauung und Herkommen, während es hier ein buntes Gemisch von Typen gab. Aus den verschiedensten Gegend en waren die Leute nach Nordgeorgia gekommen, aus anderen Teilen der Provinz, aus den beiden Carolinas und Virginia, aus Europa und vom Norden her. Einige davon waren, wie Gerald, von unverbrauchtem Blut, das hier sein Glück suchte, einige, wie Ellen, Kinder alter Geschlechter, die im Vaterhaus das Leben unerträglich gefunden und in der Ferne eine Zuflucht gesucht hatten. Viele waren ohne jeden Grund eingewandert, das rastlose Blut ihrer Väter, der Pioniere in der Wildnis, [...]" (S. 963)

"Baumwolle war das Herzblut des Landes, Baumwollaussaat und Baumwollernte der Pulsschlag der roten Erde. Aus den gekrümmten Furchen wuchsen Reichtum und Hochmut. Wenn Baumwolle schon in der ersten Generation so reich machte, wieviel reicher mußte erst die nächste werden! Die Gewißheit über den morgigen Tag gab dem Leben einen prickelnden, hohen Schwung, und die Leute genossen es so herzhaft, wie Ellen es nie begreifen konnte. Sie hatten Geld und Sklaven in Hülle und Fülle und damit Zeit genug zum Spiel, und spielen taten sie gern. Nie waren sie zu beschäftigt, [...]" (S.1,020)

"[...] »Eine kleine Dame, die die Stirn runzelt und das Kinn auf wirft und sagt 'ich will' und 'ich will nicht', kriegt keinen Mann ab«, prophezeite Mammy düster, »so eine kleine Dame soll die Augen niederschlagen und sagen 'gewiß doch' und 'Sie haben ganz recht'.« So gut sie vermochten, lehrten sie sie alles, was eine Dame wissen sollte; Scarlett aber begriff nur den äußeren Schein. Die Herzensanmut, aus der die äußere Form wachsen sollte, lernte sie nie und sah auch keinen Grund ein, sie zu lernen. Der äußere Schein genügte, die damenhaften Formen machten sie beliebt, und mehr verlangte sie nicht. Gerald prahlte damit, daß sie in fünf Provinzen die gefeiertste Schönheit sei, und nicht mit Unrecht. Fast alle jungen Männer aus der Nachbarschaft und viele von weither, aus Atlanta und Savannah, hatten ihr Heiratsanträge gemacht. Mit sechzehn Jahren sah sie, dank Mammy und Ellen, liebreizend und fügsam aus, in Wirklichkeit aber war sie eigensinnig und eitel. Sie hatte die leichterregbare Leidenschaftlichkeit ihres Vaters, aber von dem selbstlosen, duldsamen Wesen ihrer Mutter nur eine dünne Politur. Das wurde Ellen nie ganz bewußt, denn vor ihrer Mutter zeigte sie sich stets von der besten Seite, verbarg ihre Sprunghaftigkeit, unterdrückte ihren Zorn und war so sanft, wie sie nur konnte, denn ein vorwurfsvoller Blick der Mutter konnte sie bis zu Tränen beschämen." (S.1,044)

"Scarlett wollte von Herzen gern so werden wie ihre Mutter; nur gab es da eine Schwierigkeit: wer gerecht und wahrhaftig, liebevoll und selbstlos war, dem entgingen die meisten Freuden des Lebens und vor allem viele Verehrer. Das Leben aber war zu kurz, als daß man so erfreuliche Dinge versäumen durfte. Später einmal, wenn sie erst Ashleys Frau und älter war, später, wenn sie für so etwas Zeit hatte, wollte sie so sein wie Ellen. Bis dahin ... " (S.1,072)

Porks Frau Dilcey:

"Dilcey war groß und hielt sich sehr gerade. Sie hätte in jedem Alter zwischen dreißig und sechzig sein können, so glatt war ihr unbewegliches, bronzefarbenes Gesicht. Ihren Zügen sah man deutlich das Indianerblut an, das die Merkmale des Farbigen überwog. Die rote Haut, die schmale, hohe Stirn, die hervortretenden Backenknochen und die Habichtsnase, deren unteres Ende über wulstigen Lippen hing, alles verriet die Mischung der beiden Rassen. Sie trug sich mit einer selbstbeherrschten Würde, die selbst Mammys übertraf. Mammy hatte sich ihre Würde anerzogen, Dilcey lag sie im Blut. Wenn sie sprach, klang ihre Stimme nicht so verschliffen wie bei den meisten Farbigen, auch wählte sie ihre Worte sorgfältiger aus." (S.1,197)

Scarlet über Ashley:

»Woher sollte er es denn wissen? Ich habe mich ihm gegenüber immer so zimperlich und damenhaft benommen und bin in seiner Gegenwart ein solches Rührmichnichtan gewesen, daß er wahrscheinlich denkt, ich mache mir nichts aus ihm, außer höchstens als Freund. Natürlich, darum hat er nie etwas gesagt! Er hält seine Liebe für hoffnungslos, und darum ...« Geschwind eilten die Gedanken zurück in jene Zeiten, da sie ihn dabei ertappt hatte, wie er sie so seltsam ansah, da die grauen Augen, die seine Gedanken sonst so vollständig verhüllten, offen und nackt vor ihr gelegen hatten mit einem Blick voller Qual und Verzweiflung. »Er denkt, ich sei in Brent, Stuart oder Cade verliebt, daher sein enttäuschtes Herz. Und wenn er mich doch nicht haben kann, meint er sicherlich, er könne seiner Familie zu Gefallen ebensogut Melanie heiraten. Wenn er aber wüßte, daß ich ihn liebe ...« Ihr bewegliches Gemüt schnellte aus tiefster Niedergeschlagenheit empor zu seliger Erregung. Das also war die Erklärung für Ashleys Stillschweigen, für sein seltsames Verhalten. Er wußte nicht! Ihre Eitelkeit kam ihrem Wunsch zu Hilfe, Glaube wurde Sicherheit. Wenn er nur wüßte, daß sie ihn liebte, käme er eilends zu ihr. Sie brauchte nur ... »Ach!« dachte sie überglücklich und grub ihre Finger in die gesenkte Stirn. »Ich Dummkopf, warum fällt mir das jetzt erst ein! Ich muß mir etwas ausdenken, um es ihn wissen zu lassen. Er heiratet sie sicher nicht, wenn er weiß, daß ich ihn liebe! Wie könnte er denn?«  [...]" (S. 1 424)

"So aufgeregt und glücklich war sie heute morgen, daß sie mit Gerald zugleich die ganze Welt liebhatte. Sie war hübsch und wußte es genau. Ehe der Tag verging, war Ashley ihr eigen." (S.2 003)

Text (engl.)

"[...] "Dis Miss Scarlett, ain' it? Dis hyah Peter, Miss Pitty's coachman. Doan step down in dat mud," he ordered severely, as Scarlett gathered up her skirts preparatory to descending. "You is as bad as Miss Pitty an' she lak a chile 'bout gittin' her feets wet. Lemme cahy you."

He picked Scarlett up with ease despite his apparent frailness and age and, observing Prissy standing on the platform of the train, the baby in her arms, he paused: "Is dat air chile yo' nuss? Miss Scarlett, she too young ter be handlin' Mist' Charles' onlies' baby! But we ten' to dat later. You gal, foller me, an' doan you go drappin' dat baby."

Scarlett submitted meekly to being carried toward the carriage and also to the peremptory manner in which Uncle Peter criticized her and Prissy. As they went through the mud with Prissy sloshing, pouting, after them, she recalled what Charles had said about Uncle Peter.

"He went through all the Mexican campaigns with Father, nursed him when he was wounded—in fact, he saved his life. Uncle Peter practically raised Melanie and me, for we were very young when Father and Mother died. Aunt Pitty had a falling out with her brother, Uncle Henry, about that time, so she came to live with us and take care of us. She is the most helpless soul—just like a sweet grown-up child, and Uncle Peter treats her that way. To save her life, she couldn't make up her mind about anything, so Peter makes it up for her. He was the one who decided I should have a larger allowance when I was fifteen, and he insisted that I should go to Harvard for my senior year, when Uncle Henry wanted me to take my degree at the University. And he decided when Melly was old enough to put up her hair and go to parties. He tells Aunt Pitty when it's too cold or too wet for her to go calling and when she should wear a shawl...He's the smartest old darky I've ever seen and about the most devoted. The only trouble with him is that he owns the three of us, body and soul, and he knows it."

Charles' words were confirmed as Peter climbed onto the box and took the whip.

"Miss Pitty in a state bekase she din' come ter meet you. She's feared you mout not unnerstan' but Ah tole her she an' Miss Melly jes' git splashed wid mud an' ruin dey new dresses an' Ah'd 'splain ter you. Miss Scarlett, you better tek dat chile. Dat lil pickaninny gwine let it drap."

Scarlett looked at Prissy and sighed. Prissy was not the most adequate of nurses. Her recent graduation from a skinny pickaninny with brief skirts and stiffly wrapped braids into the dignity of a calico dress and starched white turban was an intoxicating affair. She would never have arrived at this eminence so early in life had not the exigencies of war and the demands of the commissary department on Tara made it impossible for Ellen to spare Mammy or Dilcey or even Rosa or Teena. Prissy had never been more than a mile away from Twelve Oaks or Tara before, and the trip on the train plus her elevation to nurse was almost more than the brain in her little black skull could bear. The twenty-mile journey from Jonesboro to Atlanta had so excited her that Scarlett had been forced to hold the baby all the way. Now, the sight of so many buildings and people completed Prissy's demoralization. She twisted from side to side, pointed, bounced about and so jounced the baby that he wailed miserably.

Scarlett longed for the fat old arms of Mammy. Mammy had only to lay hands on a child and it hushed crying. But Mammy was at Tara and there was nothing Scarlett could do. It was useless for her to take little Wade from Prissy. He yelled just as loudly when she held him as when Prissy did. Besides, he would tug at the ribbons of her bonnet and, no doubt, rumple her dress. So she pretended she had not heard Uncle Peter's suggestion.

"Maybe I'll learn about babies sometime," she thought irritably, as the carriage jolted and swayed out of the morass surrounding the station, "but I'm never going to like fooling with them." And as Wade's face went purple with his squalling, she snapped crossly: "Give him that sugar-tit in your pocket, Priss. Anything to make him hush. I know he's hungry, but I can't do anything about that now."

Prissy produced the sugar-tit, given her that morning by Mammy, and the baby's wails subsided. With quiet restored and with the new sights that met her eyes, Scarlett's spirits began to rise a little. When Uncle Peter finally maneuvered the carriage out of the mudholes and onto Peachtree Street, she felt the first surge of interest she had known in months. How the town had grown! It was not much more than a year since she had last been here, and it did not seem possible that the little Atlanta she knew could have changed so much.

For the past year, she had been so engrossed in her own woes, so bored by any mention of war, she did not know that from the minute the fighting first began, Atlanta had been transformed. The same railroads which had made the town the crossroads of commerce in time of peace were now of vital strategic importance in time of war. Far from the battle lines, the town and its railroads provided the connecting link between the two armies of the Confederacy, the army in Virginia and the army in Tennessee and the West. And Atlanta likewise linked both of the armies with the deeper South from which they drew their supplies. Now, in response to the needs of war, Atlanta had become a manufacturing center, a hospital base and one of the South's chief depots for the collecting of food and supplies for the armies in the field.

Scarlett looked about her for the little town she remembered so well. It was gone. The town she was now seeing was like a baby grown overnight into a busy, sprawling giant.

Atlanta was humming like a beehive, proudly conscious of its importance to the Confederacy, and work was going forward night and day toward turning an agricultural section into an industrial one. Before the war there had been few cotton factories, woolen mills, arsenals and machine shops south of Maryland—a fact of which all Southerners were proud. The South produced statesmen and soldiers, planters and doctors, lawyers and poets, but certainly not engineers or mechanics. Let the Yankees adopt such low callings. But now the Confederate ports were stoppered with Yankee gunboats, only a trickle of blockade-run goods was slipping in from Europe, and the South was desperately trying to manufacture her own war materials. The North could call on the whole world for supplies and for soldiers, and thousands of Irish and Germans were pouring into the Union Army, lured by the bounty money offered by the North. The South could only turn in upon itself. [...]"

gutenberg.net.au/ 

Wikipedia: Kritik an der Sicht des Romans auf die Sklaverei

Die Darstellung der historischen Abläufe im Roman erfolgt aus der Perspektive der Protagonisten, also der der besiegten weißen Südstaatler. Alan T. Nolan kritisiert daher in The Myth of the Lost Cause and Civil War History, dass die Darstellung einem einseitig prosüdlichen Narrativ folge. Die Sklaverei und die Rolle des Ku Klux Klan nach dem Sezessionskrieg würden beschönigt, die Reconstruction und die nordstaatlichen Soldaten dagegen negativ dargestellt. Der Roman folge in diesem Sinne den typischen Topoi des Lost Cause und gebe nicht die historischen Tatsachen wieder.[9]

Sonja Zekri beurteilt den Roman als „modern in der Frauenfrage und archaisch im Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß“: Mit der repressiven Idealisierung der Südstaatenfrauen habe Mitchell nichts anfangen können, das zeige schon ihre Protagonistin. Scarlett O’Hara habe sie als eine lebenshungrige, unzerstörbare, mehrfach verheiratete, erfolgreiche Geschäftsfrau gezeichnet, habe „die übliche männliche Enttäuschung darüber, dass eine Frau über ein Gehirn verfügt“ ironisiert (so Mitchell). Auf der anderen Seite sei es ein rassistisches Buch. Entgegen entschuldigender Rede sei die Sklaverei durchaus Thema gewesen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Süden die Rassentrennung gesetzlich verankerte, habe Mitchell den Weißen alle Schuldgefühle genommen. In Form einer Romancing Slavery strahle Sklaverei im warmen Licht einer idealen Gemeinschaft. Mammy, Pork und die anderen Sklaven wüssten die Geborgenheit und Fürsorge der weißen Besitzer zu schätzen und fürchteten nichts so sehr wie die Yankees. „Die Besseren unter ihnen verschmähten ihre Freiheit und litten genauso wie ihre weiße Herrschaft“, so Mitchell.[10]


noch unkorrigiert:

»Nun, Scarlett?« Ashleys Stimme drang durch das Dröhnen in ihren Ohren zu ihr und stürzte sie in äußerste Verwirrung. Er stand in der Halle und schaute durch den Türspalt zu ihr herein, ein belustigtes Lächeln auf den Lippen. »Vor wem versteckst du dich? Vor Charles oder vor den Tarletons?« Sie schluckte. Er hatte also bemerkt, wie die Männer sie umschwärmt hatten! Wie unaussprechlich lieb stand er da mit seinen lächelnden Augen; wie aufgeregt sie war! Sie konnte nicht sprechen, sie streckte nur die Hand aus und zog ihn herein. Er trat ein, erstaunt, aber voller Neugierde. In ihrer Erscheinung lag etwas Gespanntes, in ihren Augen eine Glut, wie er sie nie an ihr gesehen hatte, und sogar in dem gedämpften Licht war die Röte ihrer Wangen sichtbar. Unwillkürlich schloß er die Tür hinter sich und faßte ihre Hand. »Was ist?« fragte er fast flüsternd. Als seine Hand sie berührte, erbebte sie. Jetzt würde es geschehen, genau wie sie es sich erträumt hatte. Tausend zusammenhanglose Gedanken schossen ihr durch den Sinn, nicht einen davon konnte sie fassen und in Worte kleiden. Sie konnte nur bebend zu ihm aufblicken. Warum sagte er nichts? »Was ist?« wiederholte er. »Willst du mir ein Geheimnis sagen?« Plötzlich hatte sie ihre Sprache wiedergefunden, und ebenso plötzlich fiel Ellens jahrelange Erziehung von ihr ab, und Geralds irisches Blut brach ohne Hemmung aus ihr hervor. »Ja ... ein Geheimnis. Ich liebe dich.« Einen Augenblick war es so überwältigend still zwischen ihnen, als hätten beide aufgehört zu atmen. Dann kam ihr zitterndes Wesen zur Ruhe, und Glück und Stolz erfüllten sie ganz. Warum hatte sie das nicht eher getan? Wieviel einfacher war dies als all die damenhaften Winkelzüge, die man sie gelehrt hatte. Und nun suchten ihre Augen die seinen. Seine Augen waren bestürzt, ungläubig und ... was noch? So hatte Gerald geblickt an dem Tage, da sein Lieblingspferd sich das Bein gebrochen hatte und er es erschießen mußte. Warum kam ihr das jetzt in den Sinn? Ein dummer Gedanke! Warum sah Ashley so sonderbar aus und sagte nichts? Dann fiel etwas wie eine Maske über sein Gesicht. Er lächelte galant. »Genügt es dir denn nicht, jedes andern Mannes Herz heute gewonnen zu haben?« sagte er in dem alten, zärtlichen Neckton. »Nun, mein Herz hat dir immer gehört, das weißt du. Du hast dir die Zähne daran gewetzt.« Da ging etwas verkehrt ... ganz verkehrt! So war es nicht geplant. Aus dem tollen Gedankensturm in ihrem Hirn begann eine Vorstellung Gestalt zu gewinnen. Irgendwie ... aus irgendeinem Grunde ... handelte Ashley so, als dächte er, sie wollte nur mit ihm spielen. Dabei wußte er, daß das nicht der Fall war. Darüber täuschte sie sich nicht.

(S.2,618)

Wenn jemand aus den Südstaaten einmal seinen Koffer packte und zwanzig Meilen auf Besuch reiste, so dauerte ein solcher Besuch selten kürzer als einen Monat, meist aber länger. Die Leute waren ebenso begeistert Gast wie Gastgeber, und es war nichts Ungewöhnliches, daß Verwandte zu den Weihnachtsferien kamen und bis in den Juli hinein blieben. Junge Paare, die auf der Hochzeitsreise ihre übliche Besuchsrunde machten, blieben oft, wenn es ihnen irgendwo gefiel, bis zur Geburt des zweiten Kindes. Häufig kamen ältere Tanten und 0nkel am Sonntag zum Mittagessen und blieben, bis sie Jahre später begraben wurden. Ein Gast war kein Problem. Das Haus war groß, die Dienstboten waren zahlreich, und einige Mäuler mehr zu sättigen war in dem Lande des Überflusses eine Kleinigkeit.

(S.2,689

Ein Land, wo die Männer zufrieden waren, wo ihnen nicht widersprochen und sie in ihr er Eitelkeit nicht verletzt wurden, mußte ein angenehmer Aufenthaltsort für Frauen sein. Das wußten sie und richteten sich danach. Die Männer vergalten es ihnen reichlich mit Ritterlichkeit und Verehrung. Sie gönnten den Damen von Herzen alles in der Welt, nur nicht ihren Verstand. Scarlett ließ dieselben Künste wie Melanie spielen, jedoch mit vollendeter Geschicklichkeit. Der Unterschied zwischen den beiden Mädchen bestand darin, daß Melanie die Menschen, Scarlett aber sich selber glücklich machen wollte.

(S.2,700)

Scarlett war erst siebzehn Jahre und von prachtvoller Gesundheit und Lebenskraft, und Charles' Familie tat das Menschenmögliche, um sie glücklich zu machen. Wenn es nicht ganz gelang, so war das nicht ihre Schuld, denn niemand konnte die Wunde in ihrem Herzen heilen, die zu schmerzen begann, sobald Ashleys Name genannt wurde. Und Melanie nannte ihn so oft! Aber Melanie und Pitty waren unermüdlich, immer neue Linderungsmittel für den Kummer herauszufinden, mit dem sie sich nach ihrer Meinung herumquälte. Sie taten alles, um sie zu zerstreuen. Sie nahmen es peinlich genau mit ihrer Ernährung, mit ihrer Ruhe und ihren Spazierfahrten. Sie bewunderten nicht nur über die Maßen Scarletts Temperament, ihren schlanken Wuchs, ihre zierlichen Hände und Füße, ihre weiße Haut, sondern sagten es ihr auch oft und streichelten und umschmeichelten und küßten sie immer aufs neue. An Liebkosungen lag Scarlett nichts, aber sie sonnte sich in den Schmeicheleien.

(S.2,767

Sie war siebzehn Jahre alt, und ihre Füße warteten noch auf viele ungetanzte Tänze. Das Leben ging in grauen Uniformen, mit Sporengeklirr, in geblümten 0rgandykleidem und mit Banjoklang an ihr vorüber.

(S.2,903)

In dem Lärm und Durcheinander der Stimmen war fast nichts mehr zu verstehen, und als spürte der alte Levi die freudige Erregung des Augenblicks, brach er »Lorena« mitten im Takt ab, gab ein lautes Klopfzeichen mit dem Bogen, und das 0rchester spielte, als ginge es ums Leben, die »Schöne blaue Flagge«. Hunderte stimmten ein, sangen mit, jubelten das Lied wie einen einzigen Hochruf.

(S.2,917)

Wie konnte denn der Heimat ein Unglück widerfahren, wenn diese hochgemute graue Mauer der heldenhaftesten und ritterlichsten Männer, die je auf der Welt gelebt hatten, sich zwischen ihr und den Yankees erhob! Aller Herzen waren übervoll von Hingabe und Stolz, übervoll von der gerechten Sache der Konföderierten, deren endgültiger Sieg zum Greifen nahe war. »Stonewall« Jacksons Erfolge im Shenandoahtal und die Niederlage der Yankees in der siebentägigen Schlacht um Richmond ließen daran keinen Zweifel. Wie konnte das bei solchen Heerführern wie Lee und Jackson auch anders sein? Noch ein Sieg, dann lagen die Yankees am Boden und bettelten um Frieden.

(S.2,928

Natürlich stand auch der britische Adel auf seilen der Konföderierten, wie eben Aristokraten gegen ein Gesindel von Geldmachern zusammenhielten.

(S.2,930)

Scarletts Herz pochte in der stürmischen Erregung, endlich wieder unter Menschen zu sein. Aber der Ausdruck einer schwärmerischen Begeisterung auf allen Gesichtern, die sie nicht teilte und nur halb verstand, dämpfte ihre Freude.

(S.2,935)

Der Krieg kam ihr durchaus nicht als etwas Heiliges, sondern als etwas sehr Lästiges und Sinnloses vor.

(S.2,945)

Alle andern Männer und Frauen schienen ihr wie benebelt von ihrer Vaterlandsliebe; sie allein, Scarlett 0'Hara-Hamilton, hatte den klaren irischen Verstand, der sich nicht bestechen ließ; aber keiner durfte je die Nüchternheit ihrer Anschauungen erfahren! Welche Empörung würde es hervorrufen, wenn sie plötzlich aufs Podium spränge und sagte, der Krieg möge aufhören, damit sie alle wieder heimkehren und sich um ihre Baumwolle kümmern könnten, damit es wieder Gesellschaften und Verehrer und blaßgrüne Kleider in Hülle und Fülle gäbe!

(S.2,962

Sie kam sich in dem heißen schwarzen Taft, der kaum ihre Handgelenke freiließ und bis ans Kinn zugeknöpft war, wie eine Krähe vor und mußte geduldig zusehen, wie so viele unscheinbare Mädchen sich gutaussehenden Männern an den Arm hängten. Und alles, weil Charles die Masern gehabt hatte. Nicht einmal den Heldentod in der Schlacht war er gestorben, womit sie wenigstens noch hätte prahlen können.

(S.2,972

War es nicht ein furchtbarer Unsinn, die ganze Mädchenzeit hindurch zu lernen, wie man Männer gewinnt, und seine Fähigkeiten dann nur ein oder zwei Jahre gebrauchen zu dürfen?«

(S.2,979

Die Männer anderer Frauen ließ man gänzlich ungeschoren, um nicht ins Gerede zu kommen. Aber mit den jungen unverheirateten Männern war das eine andere Sache! Ihnen konnte man leise zulachen, mit den Augen konnte man viel Aufregendes versprechen, bis der Mann Himmel und Erde in Bewegung setzte, um mit einem allein zu sein. War man aber allein, so konnte man tiefgekränkt oder sehr böse sein, wenn er zu küssen versuchte. Man konnte ihn dann dazu bringen, sich zu entschuldigen, daß er sich wie ein Schuft benommen habe, und ihm so lieb verzeihen, daß es ihm den Kopf vollends verdrehte. Manchmal ließ man sich auch küssen. Dann weinte man hernach und behauptete, nicht zu wissen, was über einen gekommen sei, und nun könne er wohl nie wieder Achtung vor einem haben. Dann trocknete er einem die nassen Augen und machte meistens einen Heiratsantrag, um so seine Achtung gleich zu beweisen. 0h, wieviel ließ sich doch mit Junggesellen anfangen!

(S.3,167

»Ja. Bei unserem ersten, so ereignisreichen Zusammentreffen dachte ich bei mir selbst, ich hätte endlich ein Mädchen getroffen, das nicht nur schön, sondern auch mutig ist. Nun aber sehe ich, daß Sie nur schön sind.« »Soll das etwa heißen, daß ich ein Feigling bin?« »Allerdings. Sie haben nicht den Mut, zu sagen, was Sie meinen. Als ich Ihnen zuerst begegnete, dachte ich: da ist unter Millionen endlich ein Mädchen einmal nicht wie die andern Gänse, die alles glauben und nachplappern, was Mama ihnen sagt, einerlei, was sie dabei empfinden, die alle ihre Gefühle unter einem Strom von süßer Heuchelei verbergen; ich dachte, Miß 0'Hara ist ein Mädchen von seltenem Temperament, sie weiß, was sie will, und scheut sich nicht, es auszusprechen - oder Vasen zu zerschmeißen. « »Dann«, sagte sie mit aufbrechender Wut, »werde ich Ihnen auf der Stelle sagen, was ich von Ihnen denke. Wenn Sie überhaupt eine Spur von Kinderstube hätten, dann wären Sie nie hergekommen und hätten nie mit mir gesprochen, dann hätten Sie gewußt, daß Sie mir aus den Augen zu bleiben haben. Aber Sie sind kein Gentleman! Sie sind ein unerzogener Flegel! Sie meinen, weil Ihre verdammten kleinen Boote schneller fahren als die der Yankees, hätten Sie ein Recht, tapfere Männer und Frauen, die alles für die heilige Sache opfern, zu verhöhnen ...« »Halten Sie ein!« bat er lachend. »Sie fingen ganz hübsch an und sagten, was Sie dachten, aber nun kommen Sie mir wieder mit der heiligen Sache. Ich mag nichts mehr davon hören, und ich wette, Sie auch nicht.

(S.3,187

»Bei mir ist das Blockadebrechen kein Heldentum, sondern lediglich ein Geschäft. Ich mache Geld damit. Wenn das nicht mehr geht, nehme ich meinen Abschied. Was halten Sie nun davon?« »Ich halte Sie für einen ganz gewöhnlichen Dollarjäger, genau wie die Yankees.« »Genauso!« grinste er. »Die Yankees helfen mir beim Dollarjagen. Vor einem Monat bin ich mit meinem Boot schnurstracks in den Hafen von New York gefahren und habe eine Ladung an Bord genommen.« Wider ihren Willen horchte Scarlett auf. »Wie, und die Yankees haben Sie nicht in Grund und Boden geschossen?« »Sie Unschuldsengel, die Yankees dachten gar nicht daran. Es gibt eine Menge wackerer Patrioten in der Union, die gar nicht abgeneigt sind, den Konföderierten Waren zu verkaufen und dabei zu Geld zu kommen. Ich laufe New York an, kaufe bei einer Firma alles Nötige zusammen und bin wieder verschwunden. Wird mir dort der Boden zu heiß, so fahre ich nach Nassau, wohin die gleichen Patrioten der Union mir Pulver, Kanonenkugeln und Reifröcke bringen. Das ist bequemer, als nach England zu fahren. Manchmal ist es nicht ganz einfach, in Charleston oder Wilmington damit durchzukommen, aber Sie haben keine Ahnung, was ein bißchen Gold alles ausrichtet.« »0h, ich wußte, daß die Yankees gemein sind, ich wußte aber nicht ...« »Wozu vertuschen, daß die Yankees ein anständiges Stück Geld damit verdienen, daß sie die Warenbestände der Union ausverkaufen. In hundert Jahren kräht kein Hahn mehr danach. Daß die Konföderierten am Ende doch Prügel bekommen, steht fest, und warum sollten diese Leute dabei nicht verdienen?« »Wir, Prügel?« »Selbstverständlich. « »Wollen Sie bitte gehen ... oder ich lasse meinen Wagen holen und fahre nach Hause, umSie loszuwerden.« »Sie hitzköpfige kleine Rebellin«, sagte er und lachte über das ganze Gesicht. Dann verbeugte er sich und machte sich gemächlich davon, und sie blieb, bis zum Rande erfüllt von ohnmächtiger Wut und Empörung, zurück. Eine Enttäuschung brannte in ihr, aus der sie nicht klug wurde. Es war die Enttäuschung eines Kindes, das seine Träume in Stücke gehen sieht. Wie durfte er sich unterstehen zu behaupten, die Konföderierten würden Prügel bekommen!

(S.3,206

»Was hattet ihr beiden da zu flüstern?« wandte sich Melanie an Scarlett, als ihre Kunden sich entfernt hatten. »Mrs. Merriwether hat die ganze Zeit über ein Auge auf dich gehabt, und du, Liebes, kennst ihre Zunge!« »Ach, dieser Mann ist unmöglich ... ein ungezogener Flegel«, sagte Scarlett, »und die alte Merriwether laß nur reden. Ich habe keine Lust mehr, mich ihr zuliebe wie ein Lamm aufzuführen.« »Aber Scarlett!« rief Melanie bestürzt.

(S.3,217

»Meine Herren, wenn Sie mit der Dame Ihrer Wahl eine Polonäse anführen möchten, müssen Sie auf Ihre Dame bieten. Ich bin der Auktionator. Der Ertrag geht an das Lazarett. « Mitten im Wedeln hielten die Fächer plötzlich inne, und ein erregtes Gemurmel lief durch den Saal. Die Ecke der alten Damen geriet in Aufruhr. Mrs. Meade, die ihrem Mann in einer Aktion, die sie mißbilligte, doch von Herzen gern beistehen wollte, befand sich im Nachteil. Die Damen Elsing, Merriwether und Whiting hatten rote Köpfe vor Entrüstung, aber die gesamte Landwehr stimmte einen begeisterten Hochruf an, in den alle andern Gäste in Uniform einfielen. Die jungen Mädchen klatschten in die Hände und liefen vor Aufregung umher. »Findest du nicht ... es ... es ist doch ein bißchen wie eine Sklavenauktion«, sagte Melanie leise und sah etwas unsicher zu dem unternehmungslustigen Doktor, der bisher in ihren Augen eine Autorität gewesen war, hinüber.

(S.3,238

»Mrs. Charles Hamilton - hundertfünfzig Dollar in Gold!«

(S.3,244

Scarlett hörte eine Stimme, die sie zuerst gar nicht als ihre eigene erkannte: »Ja, ich tanze!« Sie sprang auf die Füße, das Herz hämmerte ihr so wild, daß sie glaubte umsinken zu müssen, hämmerte in dem Triumphgefühl, daß sie nun wieder der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, das begehrteste aller anwesenden Mädchen war, und, und, ach, vor allem in der Erwartung, wieder tanzen zu dürfen. »Ach, laß sie reden, was schert es mich!« flüsterte sie toll vor Aufregung vor sich hin. Zurückgeworfenen Hauptes kam sie aus ihrer Bude hervor, klapperte mit den Hacken wie mit Kastagnetten und öffnete mit einem Ruck den schwarzen Fächer, so weit es irgend ging. Einen flüchtigen Augenblick sah sie Melanies ungläubiges Gesicht, die Mienen der Chaperons, die enttäuschten Blicke der Mädchen, die begeisterte Zustimmung der Soldaten.

(S.3,265

»Zur Sache bitte! Haben Sie sich je daran gekehrt, was andere Frauen sagen?« »Wenn Sie es durchaus wissen wollen - nein! Heute abend ist es mir einerlei.« »Bravo! Endlich fangen Sie an, selber zu denken. Das ist der Anfang aller Weisheit.« »Ach, aber ...« »Wenn man erst soviel über Sie geredet hat wie über mich, dann wird Ihnen auch nicht mehr daran liegen. Denken Sie doch, in Charleston gibt es kein Haus mehr, in dem ich noch empfangen werde. Nicht einmal, was ich für die gerechte heilige Sache tue, löst den Bann.« »Wie schrecklich!« »Durchaus nicht. Ehe Sie nicht Ihren guten Ruf verloren haben, merken Sie gar nicht, was für ein Laster er ist.« »Was Sie sagen, ist unerhört!« »Unerhört und wahr. Immer vorausgesetzt, daß Sie Mut haben - oder Geld, kommen Sie auch ohne guten Ruf aus.« »Für Geld kann man nicht alles kaufen.« »Das muß Ihnen jemand gesagt haben. Auf solche Plattheit wären Sie nie von selbst verfallen. Was kann man denn nicht dafür kaufen?« »Nun, ich weiß nicht recht ... jedenfalls kein Glück und keine Liebe.« »Meistens doch. Mindestens kann man ansehnlichen Ersatz dafür kaufen.« »Haben Sie denn so viel Geld, Kapitän Butler?«

(S.3,281

»Das Reich, in dem wir leben. Der Süden, die Konföderierten Staaten, das Baumwollreich - es bricht uns jetzt unter den Füßen zusammen. Das aber wollen die meisten Dummköpfe nicht einsehen. Sie werden ihren Vorteil erst aus der Lage zu ziehen suchen, die nach dem Zusammenbruch entsteht. Ich ziehe ihn aus dem Zusammenbrach selbst.« »Dann glauben Sie also wirklich, wir werden geschlagen?« »Ja, warumdenn Vogel Strauß spielen?« »Ach Gott, ist das alles langweilig! Können Sie eigentlich jemals auch etwas Hübsches sagen, Kapitän Butler?« »Macht es Ihnen Freude, wenn ich Ihnen sage, daß Ihre Augen zwei Goldfischhäfen gleichen, die bis zum Rand mit dem klarsten grünen Wasser gefüllt sind? Und wenn die Fische an die 0berfläche kommen, wie in diesem Augenblick, dann sind sie verteufelt reizend.« »Ach, das mag ich gar nicht ... Ist die Musik nicht wunderbar? Ach, ich könnte ewig so weitertanzen. Ich habe gar nicht gewußt, wie sehr ich es vermißt habe.« »Sie sind die schönste Tänzerin, die ich je im Arm gehalten habe.« »Kapitän Butler, Sie dürfen mich nicht so fest anfassen. Alles schaut auf uns.« »Wenn es niemand sähe, hätten Sie dann auch etwas dagegen?« »Kapitän Butler, Sie vergessen sich.« »Nicht einen Augenblick. Wie könnte ich, solange ich Sie im Arm halten ... Was ist das für ein Walzer, ist er neu?« »Ja. Ist er nicht herrlich? Den haben wir von den Yankees gekapert.« »Wie heißt er?« »Wenn der grausige Krieg zu Ende ...« »Wie sind die Worte? Singen Sie sie mir vor.« »>Liebste, weißt dunoch, das letztemal, Als wir zwei uns sahn? Als du mir zu Füßen knietest Und von der Liebe sprachst? Ach, wie stolz du vor mir standest Ganz in Grau, Als du schwurst, mich nie zu lassen, Nie das Vaterland. Ach, nun wein' ich, einsam, t raurig, Seufzer, Tränen, ach, umsonst! Wenn der grause Krieg zu Ende, Wollenwirunswiedersehen! < Natürlich hieß es >Ganzin Blau<, aber wir habenes in >Grau< umgeändert ... Ach, Sie tanzen so gut Walzer, Kapitän Butler. Sie wissen doch, große Männer können das selten. Und zu denken, daß es nun Jahre dauert, bis ich wieder tanzet«

(S.3,419

Es machte Scarlett Freude, von ihren Heldentaten zu hören. Es war eine Freude am Eigentum. War ein Mann einmal ihr Verehrer gewesen, so betrachtete sie ihn immer weiter als ihr Eigentum, und alles, was er leistete, gereichte ihr zur Ehre. »Ich habe noch eine Neuigkeit für euch beide«, sagte Gerald, »es heißt, Stuart gehe in Twelve 0aks auf Freiersfüßen.«

(S.3,527

Auch das Lazarett war nun nicht mehr so schlimm. Nach einer Krankheit waren die Männer alle so lenkbar und zugänglich und fielen einem geschickten Mädchen in die Hand, wie auf Tara die reifen Pfirsiche, wenn man den Baum nur ganz sacht schüttelte. Sie kehrte mit dem Labetrunk zu ihrem Vater zurück und dankte Gott, daß der berühmte 0'Harasche Irenschädel der Schlacht von gestern abend doch nicht gewachsen gewesen war. 0b wohl Rhett Butler da seine Hand im Spiel hatte? An einem Nachmittag der folgenden Woche kam Scarlett müde und gereizt aus dem Lazarett nach Hause. Müde, weil sie den ganzen Mor gen auf den Beinen gewesen war, und gereizt, weil Mrs. Merriwether ihr einen harten Verweis erteilt hatte, daß sie sich zu einem Soldaten aufs Bett gesetzt hatte, um ihm den Arm zu verbinden. Tante Pittypat und Melanie standen in ihren schönsten Hüten mit Wade und Prissy vor der Tür und wollten gerade die übliche Besuchsrunde machen. Scarlett bat um Entschuldigung, daß sie sie nicht begleiten könnte, und ging in ihr Zimmer hinauf.

(S.3,563

Ich liege nächtelang wach, wenn das Lager schon längst zur Ruhe ist, und blicke in die Sterne hinauf. Immer wieder stelle ich mir die Frage: >Warum bist du hier, Ashley Wilkes, und wofür kämpfst du?< Gewiß nicht für Ehre und Ruhm. Der Krieg ist ein schmutziges Geschäft, und Schmutz ist mir zuwider. Ich bin keine Soldatennatur und suche nicht leeren Ruhm vor den Mündungen der Kanonen. Und doch bin ich hier im Felde, ich, der ich niemals etwas anderes sein sollte als ein Mann der Arbeit. Die Trompeten bringen mein Blut nicht in Wallung, die Trommeln reißen meinen Fuß nicht mit sich fort. Ich sehe allzu deutlich, daß wir verraten sind, verraten von unserem eigenen Hochmut, von unserem Wahn, einer von uns werde mit einem Dutzend Yankees fertig und König Baumwolle könne die Welt regieren. Verraten auch von Phrasen, Schlagwörtern, Vorurteilen und Gehässigkeiten aus dem Munde derer, die wir geachtet und verehrt haben ...

(S.3,623

Hat er sich einmal zu etwas entschlossen, so kann niemand tapferer sein als er, aber er lebt iii seinem Innern anstatt draußen in der Welt. Er haßt es, in die unruhige Welt hinaus zu müssen. Hätte ich aber dieses eine an ihm schon damals verstanden, ich weiß, er hätte mich geheiratet.« Ihre Sehnsucht nach ihm hatte sich seit dem Tage, da sie sich zuerst in ihn verliebte, nicht geändert. Immer noch war die mädchenhafte Schwärmerei für den Mann, den die kindliche Seele nicht begreift, die Anbetung dessen, der alles hat, was sie nicht hat, in Scarlett lebendig.

(S.3,641

Sie ging durch das Zimmer an den Spiegel und ordnete voller Zufriedenheit ihr glattes Haar. Ihre Stimmung hob sich wie immer beim Anblick ihrer schönen weißen Haut und ihrer schrägen grünen Augen, und sie lächelte, um ihre reizenden Grübchen zu erproben. Während sie so beglückt ihr Spiegelbild betrachtete, vergaß sie alles andere und dachte nur noch daran, wie gern Ashley immer ihre Grübchen gehabt hatte. Nichts trübte ihre Freude an dem eigenen jugendlichen Zauber und der erneuten Gewißheit von Ashleys Liebe. Sie schloß die Tür auf und ging leichten Herzens die halbdunkle gewundene Treppe hinunter, und nach wenigen Stufen fing sie an, den Walzer vor sich hin zu trällern: »Wenn der grause Krieg zu Ende.«Der

(S.3,652

Das konföderierte Geld war beängstigend im Werte gesunken, und die Preise für Nahrungsmittel und Kleidung stiegen entsprechend. Die Requirierungen rissen solche Lücken in die Vorräte, daß man in Atlanta bei den Mahlzeiten sich schon einschränken mußte. Weißes Mehl war so knapp, daß man Maisbrot statt der gewohnten Semmeln, Waffeln und Zwiebacke aß, die Schlächterläden führten fast überhaupt kein 0chsenund Hammelfleisch mehr, und das wenige vorhandene kostete so viel, daß nur die Reichsten es sich leisten konnten.

(S.3,656

Die Blockade hatte die Häfen der Konföderierten immer enger umschlossen, und Luxuswaren wie Tee, Kaffee, Seide, Parfüms, Modezeitschriften und Bücher wurden knapp und teuer. Selbst die billigsten Baumwollwaren stiegen schwindelnd im Preise, und die Damen machten voller Trübsal die alten Kleider für das neue Jahr noch einmal zurecht. Webstühle, auf denen sich der Staub vieler Jahre gesammelt hatte, wurden vom Boden geholt und in fast jedem Salon in Gebrauch genommen. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder und Farbigen, alle trugen handgewebte Stoffe. Das Grau verschwand als Farbe der Uniformen fast völlig. An seiner Stelle erschien das Nußbraun der handgewebten Stoffe. Zuzeiten war in den Lazaretten die Knappheit an Chinin, 0pium, Chloroform und Jod besorgniserregend.

(S.3,663

Für Scarlett aber, die nun frisch aus der Puppe ihrer Witwenschaft geschlüpft war, bedeutete der Krieg eitel Fröhlichkeit und Erregung. Nicht einmal die kleinen Entbehrungen an Kleidung und Ernährung bekümmerten sie, so glücklich war sie, wieder in der Welt zu sein. Wenn sie an die stumpfsinnigen Zeiten des vergangenen Jahres dachte, kam ihr das neue Leben wie eine einzige Zerstreuung vor.

(S.3,667

Sie konnte Ashley lieben und tat es, aber das hinderte sie nicht, an anderen Männern ihre Reize zu erproben.

(S.3,675

Männer, die darauf gefaßt sein mußten, binnen einer Woche zu sterben, konnten nicht ein Jahr lang darauf warten, ein Mädchen auch nur mit Vornamen nennen zu dürfen. Sie hatten auch keine Lust, sich d en umständlichen festgelegten Formen des Werbens zu unterwerfen, die vor dem Kriege unumstößliche Geltung hatten. Sie hielten womöglich schon nach drei bis vier Monaten um ein Mädchen an, und die Mädchen, die doch wußten, daß eine Dame dem Herrn mindestens die ersten drei Male einen Korb zu geben hatte, stürzten sich schon beim ersten Antrag kopfüber in das Jawort. Durch diese Formlosigkeit bereitete der Krieg Scarlett viel Freude.

(S.3,692

So flogen die Herbstmonate dieses Jahres 1862 dahin.

(S.3,695

Ellen war von früh bis spät auf den Beinen. Sie war mager geworden und immer ganz mit ihren Gedanken beschäftigt. Die Requisitionen für die konföderierten Truppen wurden von Monat zu Monat größer, und Ellen hatte alle Hände voll zu tun, größere Erträgnisse aus Tara herauszuwirtschaften. Sogar Gerald hatte zum erstenmal seit langen Jahren wieder reichlich zu tun. Er hatte keinen Ersatz für den Aufseher Jonas Wilkerson finden können und ritt nun selbst über seine Felder und sah nach dem Rechten.

(S.3,724

Er hatte etwas Aufregendes an sich, das sie sich nicht erklären konnte und das ihn von allen Männern unterschied, die sie bisher kennengelernt hatte. Die Anmut seines athletischen Körpers hatte etwas Atemberaubendes, so daß schon sein Eintreten in ein Zimmer ihr etwas wie einen körperlichen Stoß versetzte. Seine Frechheit und der unbeirrbare freundliche Spott in seinen dunklen Augen forderte ihren heißen Wunsch heraus, ihn zu besiegen. »Es ist fast, als wäre ich in ihn verliebt!« dachte sie erschrocken, »aber das bin ich nicht, und ich begreife es einfach nicht.« Aber das aufregende Gefühl wollte nicht weichen.

(S.3,736

Die Damen trugen handgeschnitzte Haarspangen aus Holz und überzogen Eicheln mit Stoff, um sie als Knöpfe zu verwenden.

(S.3,749

Scarlett dagegen war insgeheim derselben Ansicht wie Tante Pitty. Auch sie hatte das Gefühl, daß er für keine Frau Achtung empfände, außer vielleicht für Melanie.

(S.3,755

»Ich kann nicht einsehen, warum Sie gegen Melanie soviel höflicher sind als gegen mich«, bemerkte Scarlett eines Nachmittags unzufrieden, als Melanie und Pitty sich zur Mittagsruhe zurückgezogen hatten und sie mit Rhett Butler allein war. Eine Stunde lang hatte sie zugesehen, wie Rhett geduldig das Garn hielt, das Melanie zum Stricken aufwickelte. Sie hatte den gleichmütigen und undurchdringlichen Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkt, als Melanie voller Stolz von Ashley und seiner Beförderung erzählte.

(S.3,762

»Ich bin viel hübscher als sie«, fuhr sie fort, »ich sehe nicht ein, warum Sie gegen sie soviel höflicher sind.« »Darf ich zu hoffen wagen, daß Sie eifersüchtig sind?« »0h, bilden Sie sich das nur ja nicht ein!« »Wieder eine Hoffnung zertrümmert! Wenn ich gegen Mrs. Wilkes höflicher bin, so deshalb, weil sie es verdient. Sie ist einer der ganz wenigen gütigen, aufrichtigen und selbstlosen Menschen, die ich je gekannt habe. Aber möglicherweise sind diese Eigenschaften Ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Außerdem ist sie bei all ihrer Jugend eine der wenigen wirklich vornehmen Damen, die zu kennen ich den Vorzug gehabt habe.«

(S.3,775

»Sie sind ganz einfach ein Schuft.« »Soll ich nun deswegen in Wut geraten? Es tut mir leid, Sie da enttäuschen zu müssen. Sie können mich nicht dadurch in Wut bringen, daß Sie mir die Wahrheit sagen. Ich bin ein Schuft - warum auch nicht? Wir wohnen in einem freien Lande, da darf man ein Schuft sein, wenn man dazu Lust hat. Nur Heuchler wie Sie, meine liebe Dame, die Sie nicht minder schwarz von Herzen sind als ich, aber es zu verbergen suchen, fahren aus der Haut, wenn man sie bei ihrem rechtmäßigen Namen nennt.«

(S.3,792

Sein Ruf wurde jedesmal, wenn die Matronen von Atlanta zum Klatsch zusammenkamen, noch ein bißchen schlechter, aber damit freilich wurde sein Nimbus für die jungen Mädchen nur immer noch größer. Die meisten von ihnen waren ganz unschuldige Kinder und hatten wohl einmal gehört, er benähme sich »locker mit Frauen« ; wie aber ein Mann das eigentlich machte, war ihnen keineswegs klar. Auch hörten sie raunen, daß kein Mädchen vor ihm sicher sei. Bei einem solchen Ruf war es immerhin verwunderlich, daß er seit seinem ersten Erscheinen in Atlanta keinem Mädchen auch nur die Hand geküßt hatte. Aber das machte ihn nur immer noch geheimnisvoller und aufregender.

(S.3,845

Den Damen war es nie ganz geheuer, wenn sie ihn mit ihren Modefragen bestürmten, aber sie taten es trotzdem. Sie waren von der Modewelt abgeschnitten wie gestra ndete Seeleute, denn nur wenig Zeitschriften schlüpften durch die Blockade. Die französischen Damen hätten sich den Kopf rasieren und Bärenmützen tragen können, hier hätte man nichts davon gewußt. Rhett Butlers ausgezeichnetes Gedächtnis war daher ein guter Ersatz für »Godeys Damenalmanach«. Er hatte ein unfehlbares Auge für all die modischen Kleinigkeiten, die den Frauen am Herzen liegen.

(S.3,860

Er machte sich offenbar ein Vergnügen daraus, nicht nur die Wohlgesinnten in Atlanta vor den Kopf zu stoßen, sondern auch sich selbst im denkbar schlechtesten Licht erscheinen zu lassen. Wenn man ihm eine Schmeichelei über seine Tapferkeit s agte, erwiderte er sanft, er habe in der Gefahr immer Angst, genau wie die braven Jungen an der Front.

(S.3,915

»Alle Kriege sind heilig«, sagte er, »für die, die mitkämpfen müssen. Wenn die Leute, die den Krieg erklären, ihn nicht heiligsprächen, wer wäre dann so dumm, zu kämpfen? Aber einerlei, mit welchem Feldgeschrei die Narren, die kämpfen, angefeuert werden, und einerlei, was für edle Zwecke die Redner dem Krieg unterschieben, er hat doch immer nur eine einzige Ursache: das Geld. Alle Kriege sind in Wirklichkeit Streitereien um Geld.

(S.3,960

»Ashley schrieb mir«, fuhr Melanie schnell fort, »wir sollten lieber nicht gegen die Yankees kämpfen, wir seien durch Staatsmänner und Redner mit Schlagworten und Vorurteilen dazu verleitet worden. Er sagt, nichts auf der Welt könne das wiedergutmachen, was der Krieg uns noch antun würde. Er sagt auch, es sei überhaupt nichts Ruhmreiches daran, nichts als Schmutz und Elend.« »Ach, der Brief war es«, dachte Scarlett, »das also wollte er damit sagen?« »Das kann ich nicht glauben«, erwiderte Mrs. Merriwether mit unerschütterlichem Ton. »Duhast ihn mißverstanden.« »Ich mißverstehe Ashley nie«, antwortete Melanie ruhig, wenn auch mit bebenden Lippen. »Ich verstehe ihn ganz und gar. Er meint dasselbe wie Kapitän Butler und sagt es nur nicht in so unverschämtem Ton.« »Du solltest dich schämen, einen anständigen Menschen wie Wilkes mit einem Schurken wie Kapitän Butler zu vergleichen. Auch du hältst also von unserer großen Sache nichts!« »Ich ... ich weiß nicht, was ich denken soll«, begann Melly unsicher. Ihre feurige Aufwallung hatte sie verlassen, und nun erschrak sie über ihren eigenen Freimut. »Ich würde für unsere Sache sterben. Ashley auch, aber ... ich meine ... ich will lieber den Männern das Denken überlassen, weil sie so viel gescheiter sind.«

(S.3,980

Scarlett sagte nichts. Sie drückte nicht einmal die Hand, die Melanie trostbedürftig in die ihre geschoben hatte. Sie hatte nur zu einem Zweck Ashleys Briefe gelesen - um Gewißheit zu bekommen, ob er sie noch liebte. Nun hatte Melanie vielen Stellen, die Scarlett nur mit den Augen gelesen hatte, einen neuen Sinn gegeben. Sie war bestürzt, daß jemand, der so makellos vollkommen war wie Ashley, mit einem so verdorbenen Menschen wie Rhett Butler einen Gedanken gemeinsam haben konnte. Sie dachte: »Beide sehen sie die Wahrheit über diesen Krieg, aber Ashley ist bereit, dafür zu sterben. Rhett nicht. Und ich finde, daran erkennt man Rhetts gesunden Menschenverstand.« Sie hielt einen Augenblick inne, erschrocken, daß sie so etwas über Ashley hatte denken können. »Beide sehen sie die gleiche schreckliche Wahrheit, und Rhett hat seine Freude daran, sie zu erkennen und die Leute damit rasend zu machen - Ashley aber erträgt diese Erkenntnis kaum.«

(S.3,993

Es wimmelte in Wilmington von Spekulanten, die Bargeld hatten und ganze Schiffsladungen aufkauften, um sie bis zur nächsten Preissteig erung zurückzuhalten. Diese blieb niemals aus, denn bei zunehmender Knappheit am Notwendigsten schnellten die Preise immer weiter in die Höhe. Die bürgerliche Bevölkerung mußte entweder sich behelfen oder zu Spekulationspreisen kaufen. Die Armen und Minderbemittelten aber litten immer härtere Entbehrungen. Gleichzeitig sank der Wert des konföderierten Geldes, und mit seinem schnellen Sinken erhob sich eine wilde Leidenschaft für jederlei Luxus. Die Blockadebrecher hatten den Auftrag, hereinzubringen, was irgend lebensnotwendig war. Der Handel mit Luxusartikeln war ihnen nur als Nebengeschäft gestattet. Jetzt aber füllten sie ihre Schiffsräume mit kostspieligem Tand und hatten keinen Platz für die Waren, die das Land für den nackten Lebensunterhalt brauchte. Die Lage wurde dadurch weiter verschlimmert, daß es nur eine einzige Eisenbahnlinie von Wilmington nach Richmond gab. Während Fässer mit Mehl und Kisten mit Schinken zu Tausenden an den Zwischenstationen verdarben, weil sie nicht befördert werden konnten, fanden die Spekulanten, die Wein, Kaffee und Seidenstoffe zu verkaufen hatten, immer noch Mittel und Wege, ihre Waren zwei Tage nach der Landung in Wilmington bereits nach Richmond gelangen zu lassen. Jetzt erhob das Gerücht offener seine Stimme, wonach Rhett Butler nicht nur die Waren seiner vier eigenen Schiffe, sondern auch die Ladungen anderer Schiffe aufkaufen und für weitere Preissteigerungen zurückhalten sollte. Es hieß, er stehe an der Spitze einer Gesellschaft, die über eine Million Dollar Kapital verfüge und ihren Sitz in Wilmington habe und sich damit befasse, Blockadewaren gleich am Kai aufzukaufen. Diese Gesellschaft besitze, so ging das Gerede, Dutzende von Speichern dort und in Richmond, die bis oben angefüllt seien mit Nahrungsmitteln und Stoffen. Die Erbitterung gegen ihn und seine Mitspekulanten wuchs von Tag zu Tag.

(S.4,082

Scarlett, unsere Lebensweise hier im Süden ist so veraltet wie das Lehnssystem des Mittelalters. Ein Wunder nur, daß sie immer noch vorhanden ist. Aber sie mußte verschwinden, und nun geschieht es.

(S.4,093

Sie hatte so lange unter Leuten gelebt, die ihre Gefühle höflich verbargen oder beschönigten, daß es sie beunruhigte, ihre eigenen Gedanken, in so klare Worte gefaßt, zu vernehmen.

(S.4,140

Sie hielt die Schachtel mit beiden Händen fest. Das süße Ding, mit dem sie so jung und bezaubernd aussah, sollte ein anderes Mädchen tragen? Nie im Leben! Einen Augenblick lang kam ihr der Gedanke an Pittys und Melanies Entsetzen. Sie dachte daran, was alle sagen würden, und ihr schauderte. Aber die Eitelkeit war stärker. »Ich ändere ihn nicht, ich verspreche es Ihnen. Aber nun geben Sie ihn mir.«

(S.4,158

»Ich verführe Sie mit schönen Geschenken so lange, bis von Ihren Mädchenidealen nichts mehr übrig ist und Sie mir auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind«, sagte er. »Nimm von Herren nichts als Bonbons und Blumen an, Kindchen«, spottete er, und sie brach in Kichern aus. »Sie sind ein gerissener Gauner, mit Ihrer schwarzen Seele, Rhett Butler. Sie wissen sehr gut, daß man einen so hübschen Hut nicht ausschla gen kann.« Seine Augen blitzten spöttisch und waren dennoch zugleich voller Huldigung für ihre Schönheit.

(S.4,176

»Also immer lassen Sie sich bezahlen? Und was erwarten Sie nun von mir?« »Das werden wir sehen.« »Nun, wenn Sie sich einbilden, ich heirate Sie, um den Hut zu bezahlen, so irren Sie sich«, sagte sie dreist und gab dem Hut einen kecken Stoß, daß die Feder wippte. Unter seinem kleinen Schnurrbart glitzerten die weißen Zähne. »Gnädige Frau, Sie tun sich zuviel Ehre an. Ich heirate weder Sie noch jemand anders. Ich bin nicht zumHeiraten geschaffen.« »Nein, wirklich!« Sie war verblüfft und beschloß, daß er sich nun endlich eine Freiheit herauszunehmen habe. »Ich habe nicht einmal die Absicht, Ihnen auch nur einen Kuß zu geben.« »Warumaber spitzen Sie denn so das Mündchen?« »0h«, fuhr sie auf, als sie sich plötzlich im Spiegel sah und bemerkte, daß ihre roten Lippen in der Tat voller Bereitschaft geschürzt waren. »0h!« brach sie noch einmal los, verlor die Fassung und stampfte mit dem Fuß auf. »Sie sind der unverschämteste Mensch, den ich jemals gesehen habe. Ich mache mir gar nichts daraus, wenn Sie mir für immer aus den Augen gehen!« »Wenn das wirklich Ihres Herzens Meinung wäre, dann würden Sie mit dem Fuß auf den Hut stampfen, statt auf den Boden. Mein Gott, wie Sie sich nur aufregen! Aber wie Sie vermutlich wissen, steht es Ihnen prachtvoll! Kommen Sie, Scarlett, stampfen Sie tüchtig auf den Hut, damit ich sehe, was Sie von mir und meinen Geschenken halten.«

(S.4,205

Sie machte sich nicht klar, daß es Rhett Butler war, der das Gefängnis ihrer Witwenschaft gesprengt hatte, damit sie unter den jungen Mädchen wieder die Königin sei, nachdem ihre Tage als junge Schönheit schon gezählt sein sollten. Sie erkannte auch nicht, daß sie sich unter seinem Einfluß weit von Ellens Lehren entfernt hatte. Die Wandlung war so allmählich vor sich gegangen. Ein einmaliger kleiner Verstoß gegen die Sitten schien immer ganz ohne alle Beziehung zu dem nächsten, und keiner davon schien mit dem Kapitän verknüpft zu sein. Ihr wurde nicht klar, daß sie auf seine Anleitung hin gegen viele Gesetze des Damenanstandes, die Ellen ihr strengstens eingeschärft, verstoßen hatte. Sie sah nur, daß sie noch nie einen so kleidsamen Hut wie diesen getragen hatte, der sie zudem keinen Cent kostete, und daß Rhett in sie verliebt sein mußte, mochte er es nun zugeben oder nicht. Und zugeben sollte er es, dafür wollte sie schon sorgen.

(S.4,249

»Sie sagte, sie hätte alle Damen beobachtet, die ins Lazarett gingen, und gemeint, ich hätte ein ... ein freundliches Gesicht, deshalb hat sie mich angehalten. Sie hätte etwas Geld und wollte, ich sollte es nehmen und für das Lazarett verwenden und keiner Seele sagen, woher es käme. Was ist das aber für Geld! Bei dem Gedanken ist mir ganz schwarz vor den Augen geworden. Ich war außer mir und wünschte nur schnell wegzukommen und sagte ihr hastig: >0 ja, wirklich, wie lieb von Ihnen<, oder ähnliches dummes Zeug, und sie lächelte und sagte: >Das ist wirklich christlich von Ihnen<, und steckte mir dieses schmutzige Taschentuch in die Hand. Puh, riechst du das Parfüm?« Melanie zeigte ein sehr schmutziges und stark parfümiertes Männertaschentuch, in das einige Münzen eingeknotet waren. »Sie sagte >danke< und noch so etwas, als wolle sie mir nun jede Woche Geld bringen, und in diesem Augenblick fuhr 0nkel Peter vorbei und sah mich.« Melanie sank weinend auf das Kissen. »Und als er sah, mit wem ich zusammenstand, rief er mich an. Im Leben hat mich niemand so einfach mit >Hallo< angerufen. Und dann sagte er: >Auf der Stelle steigen Sie hier in den Wagen!< Ich tat es natürlich, und den ganzen Heimweg schimpfte er mich aus, und ich durfte ihm nichts erklären. Er sagte, er wollte es Tante Pitty erzählen. Scarlett, bitte, geh du hinunter und sag ihm, er möchte schweigen. Auf dich hört er vielleicht. Tantchen stirbt, wenn sie erfährt, daß ich die Frau auch nur angesehen habe. Bitte!« »Ja, gleich, wir wollen einmal sehen, wieviel Geld darin ist. Es fühlt sich so schwer an.« Sie löste den Knoten, und eine Handvoll Goldmünzen rollten auf das Bett. »Scarlett, das sind ja fünfzig Dollar in Gold!« Melanie war entgeistert, als sie die glänzenden Münzen zählte. »Sag, findest du es recht, Geld, das ... das ... daher stammt, für unsere Soldaten zu gebrauchen? Meinst du nicht, Gott versteht am Ende, daß sie doch nur helfen wollte, und sieht nicht darauf, ob das Geld befleckt ist? Wenn ich daran denke, wieviel das Lazarett noch braucht ...«

(S.4,282

Das Weihnachtsfest war für Atlanta und den ganzen Süden glücklich und froh gewesen. Die konföderierten Truppen hatten einen überwältigenden Sieg bei Fredericksburg errungen. Die Toten und Verwundeten der Yankees zählten nach Tausenden. Es herrschte allgemeiner Jubel, daß das Schicksal sich wendete. Die Armee bestand jetzt aus kampfgewohnten Soldaten, ihre Heerführer hatten sich bewährt, und alle waren überzeugt, daß die Yankees, wenn mit dem Frühling der Kampf von neuem begann, ein für allemal vernichtet würden. Der Frühling kam, und der Kampf begann von neuem. Im Mai errangen die Konföderierten abermals einen großen Sieg bei Chancellorsville. Der Süden frohlockte. Ganz nahe der Heimat war ein feindlicher Kavallerievorstoß nach Georgia den Konföderierten zum Sieg ausgeschlagen. Immer wieder lachten die Leute und klopften einander auf den Rücken und sagten: »Jawohl! wenn der alte Nathan Bedford Forrest erst hinter ihnen her ist, dann machen sie lange Beine!«

(S.4,330

Am 3. Juli schwiegen plötzlich alle Drähte aus dem Norden. Das dauerte bis zum Mittag des vierten, und nun begannen bruchstückhafte und verstümmelte Berichte ins Hauptquartier nach Atlanta durchzusickern. In Pennsylavanien war es in der Nähe einer kleinen Stadt namens Gettysburg zu harten Kämpfen gekommen, die zu einer großen Schlacht mit Lees gesammelter Streitmacht anwuchsen. Die Nachrichten kamen undeutlich und langsam. Die Schlacht hatte ja auf feindlichem Gebiet stattgefunden. Die Berichte mußten zunächst durch Maryland, wurden nach Richmond weitergegeben und gelangten dann erst nach Atlanta. Die

(S.4,446

»Ach, Rhett, warum müssen Kriege sein? Es wäre besser gewesen, die Yankees hätten die Schwarzen losgekauft ... oder wir hätten sie umsonst freigegeben ... als alles dies zu erleben.« »Es handelt sich nicht um die Schwarzen, Scarlett. Sie sind nur der Vorwand. Krieg wird es immer geben, denn die Männer lieben den Krieg. Die Frauen nicht, aber die Männer. Ja, sie lieben ihn mehr als die Liebe der Frauen.« Sein Mund verzog sich zu dem gewohnten spöttischen Lächeln, der Ernst war wieder aus seinem Gesicht gewichen. Er grüßte mit seinem breiten Panamahut. »Leben Sie wohl. Ich suche Dr. Meade auf. Ich fürchte, für die Ironie, die darin liegt, daß gerade ich ihm diese Nachricht bringen muß, hat er im Augenblick keinen Sinn. Aber später ist es ihm wahrscheinlich ein grauenhafter Gedanke, daß ihm ein schurkischer Spekulant einen Heldentod berichtet hat.«

(S.4,494

Ashley Wilkes in seiner verblichenen, geflickten Uniform, dem die Sommersonne das blonde Haar fast weiß gebleicht hatte, war ein ganz anderer als der ruhige Junge mit den versonnenen Augen, den sie vor dem Kriege bis zur Verzweiflung geliebt hatte. Erst jetzt ging ihr diese Liebe wirklich durchs Herz. Jetzt war gebräunt und hager, was sonst hell und schlank gewesen war, und der lange, goldblonde Schnurrbart, den er nach Kavalleristenart um den Mund herabhängend trug, machte ihn zum Urbild eines Soldaten. Er hielt sich militärisch stramm in seiner alten Uniform, die Pistole hing ihm am abgetragenen Halfter, die verbeulte Degenscheide klappte gegen die hohen Stiefel, und die abgenutzten Sporen hatten einen matten Glanz. Ashley Wilkes, Major der Konföderierten Staaten von Amerika. Man sah ihm an, daß er jetzt gewohnt war, zu befehlen und Gehorsam zu finden. Ein ruhiges Selbstvertrauen lag in seinem Wesen, ernste Furchen begannen sich um seinen Mund abzuzeichnen. Die eckigen Schultern und der kühle Glanz seiner Augen waren Scarlett neu und fremd. War er einst lässig, gleichmütig und verträumt gewesen, so war er jetzt katzenhaft wach und angespannt gleich einem, dessen Nerven beständig wie Geigensaiten straffgezogen sind. In seinen Augen lag etwas Angestrengtes und Pflichtbesessenes.

(S.4,518

Wie hatte sie nur während dieser zwei Jahre andere Männer ansehen können! Wie hatte sie deren Verliebtheit ertragen können, wo doch Ashley auf der Welt war!

(S.4,687

»Ich denke gern daran, daß ich dich vielleicht besser kenne als die meisten anderen und daß ich das Schöne sehe, das tief in dir verborgen liegt ...« Er hielt inne und ließ ihr Gesicht aus seinen Händen gleiten, aber seine Augen hingen noch an den ihren. Sie wartete noch einen Augenblick, atemlos, ob er wohl fortfahre. Ihr ganzes Ich stand auf den Zehenspitzen und lauschte, ob er die drei Zauberworte ausspreche. Sie kamen nicht . Inbrünstig forschte sie in seinem Gesicht. Ihr bebten die Lippen, als sie sah, daß er schon zu Ende gesprochen hatte. Als da ihre Hoffnungen zum zweitenmal zerstört waren, ertrug ihr Herz es nicht länger, und unter heißen schmerzenden Tränen setzte sie sich nieder. Da hörte sie aus der Einfahrt vor dem Fenster das bedrohliche Geräusch, das den unaufschiebbaren Abschied ankündigte. 0nkel Peter holte den Wagen heraus, der Ashley zum Bahnhof fahren sollte.

(S.4,699

Sanft legte er die Anne um sie und neigte den Kopf zu ihrem Gesicht hinab. Kaum berührten seine Lippen die ihren, da flogen ihre Arme um seinen Hals, als wollte sie ihn ersticken. Einen flüchtigen unbeschreiblichen Augenblick lang drückte er ihren Körper fest an sich, dann fühlte sie plötzlich, wie alle seine Muskeln sich strafften. Er ließ den Hut zu Boden fallen und löste ihre Arme von seinem Halse.

(S.4,706

Plötzlich bückte er sich, um seinen Hut aufzuheben, und sie tat einen einzigen Blick in sein Gesicht. Es war das unseligste Antlitz, das sie je in ihrem Leben erblicken sollte. Ein Antlitz, dem alle Beherrschung verlorengegangen war. Seine Liebe zu ihr stand darin geschrieben und die Freude darüber, daß sie ihn liebte, doch im Kampf damit waren Scham und Verzweiflung. »Leb wohl«, sagte er heiser.

(S.4,760

Atlanta lag jetzt im Mittelpunkt allen Geschehens. Die Städter hatten an Mühsal, Entbehrungen, Krankheit und Tod ebenso unbarmherzig zu leiden wie das übrige Gebiet der Konföderierten Staaten, aber als Stadt hatte Atlanta im Kriege mehr gewonnen als verloren. Sein Herz schlug noch warm und kräftig, und durch die Eisenbahnen, seine Arterien, pulste der endlose Strom von Mannschaften, Munition und Kriegsbedarf.

(S.4,778

Da, als an einem Märztage voll Schnee und Regen jedermann zu Hause geblieben war, fiel der böse Schlag. Melanie teilte ihr freudestrahlend und verschämt gesenkten Kopfes mit, daß sie ein Kind bekommen würde. »Dr. Meade sagte, Ende August oder im September«, berichtete sie. »0 h, Scarlett, ist es nicht wunderbar? Ich habe dich so um Wade beneidet und mich nach einem Kinde gesehnt. Ich hatte solche Angst, ich bekäme vielleicht nie eins. Ach, ein Dutzend möchte ich haben!«

(S.4,807

Aber ihr kam kein Gebet. Nur die bodenlose Furcht fiel sie an, Gott habe um ihrer Sünde willen sein Angesicht von ihr abgewandt. Sie hatte einen verheirateten Mann geliebt und versucht, ihn seiner Frau wegzunehmen. Zur Strafe hatte Gott ihm das Leben genommen. Sie wollte beten, aber sie konnte ihre Augen nicht zum Himmel erheben. Sie wollte weinen, aber ihr kam keine Träne. Ihr war, als fülle eine Flut heißer, brennender Tränen ihre Brust, aber fließen wollten sie nicht .

(S.4,870

Als Rhett Butler aufbrach, fragte Scarlett ihn zornig: »Wenn Sie es gewesen wären, hätten Sie sich von den Yankees anwerben lassen, um aus dem Lager zu kommen, und waren dann desertiert?« »Selbstverständlich!«Rhett Butler lächelte unter seinem Schnurrbart. »Warum hat denn Ashley es nicht getan?« »Er ist ein Gentleman«, sagte Rhett, und Scarlett wunderte sich, daß man in dieses eine schöne, ehrenhafte Wort so viel bittere Menschenverachtung legen konnte. DRITTES BUCH

(S.4,874

Es kam der Mai 1864, ein heißer, trockener Mai, der die Blüte in den Knospen verdorren ließ, und die Yankees unter General Sherman standen wieder in Georgia.

(S.5,028

Glauben an die Unbesiegbarkeit der Truppen hatte man noch immer nicht verloren. Aber schon geriet das Vertrauen auf die Kriegskunst des alten Joe ins Wanken. Die »Neue-Hoffnung-Kirche« lag nur fünfunddreißig Meilen von Atlanta entfernt! Der General hatte sich von den Yankees in drei Wochen um fünfundsechzig Meilen zurückdrängen lassen. Warum hielt er die Yankees nicht auf, anstatt sich immer weiter zurückzuziehen? Ein Dummkopf war er, und Graubärte aus der Landwehr und Leute aus dem Landsturm, die wohlgeborgen in Atlanta saßen, versicherten ungeschminkt, sie hätten den Feldzug geschickter zu führen verstanden. Sie zeichneten Landkarten auf die Tische, um ihre Meinungen darzulegen. Als die grauen Reihen sich immer mehr lichteten und der General zu neuen Rückwärtsbewegungen gezwungen war, forderte er verzweifelt eben diese Männer beim Gouverneur an, aber der Landsturm fühlte sich zu Hause am sichersten.

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Chloroform war jetzt so knapp, daß es nur noch bei den schlimmsten 0perationen gebraucht wurde, und 0pium war eine Kostbarkeit, die man nur noch benutzte, um den Hoffnungslosen aus dem Leben zu helfen, und nicht mehr, um Lebenden die Schmerzen zu lindern; Chinin und Jod gab es überhaupt nicht mehr. Ja, Scarlett hatte es alles satt und hätte viel darum gegeben, sich wie Melanie mit Schwangerschaft entschuldigen zu können. Dies war in jenen Tagen ungefähr die einzige Entschuldigung, die man gelten ließ.

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Da fiel ihr Blick auf einen singenden schwarzen Riesen in der vordersten Reihe. Er war weit über sechs Fuß hoch, ein ebenholzfarbiger Goliath, der mit der biegsamen Anmut eines kräftigen Tieres einherschritt und der Schar Ton und Takt des Liedes »Moses, zieh dahin« angab, während seine weißen Zähne im dunklen Angesicht blitzten. Unmöglich konnte es auf der Welt einen zweiten so hochgewachsenen Farbigen mit einer so kräftigen Stimme geben wie Big Sam, den Vorarbeiter auf Tara. Was aber hatte Big Sam hier, so weit von zu Hause, zu suchen, gerade jetzt, wo in der Plantage kein Aufseher und er Geralds rechte Hand w ar? Als sie sich halb vom Sitz erhob, um besser zu sehen, erblickte der Mann sie, und sein schwarzes Gesicht zerbarst in einem Grinsen beglückten Wiedererkennens. Er blieb stehen, ließ die Schaufel sinken und rief seinen Gefährten zu: »Allmächtiger! Das sein Miß Scarlett. Hallo, Elias, Apostel, Prophet! Da sein Miß Scarlett!« Verwirrung kam in die Reihen, unentschlossen und grinsend blieb der Trupp stehen. Big Sam aber lief quer über die Straße auf den Wagen zu, drei seiner Gefährten hinter ihm drein, und hinter ihm her erscholl die gereizte Stimme des kommandierenden 0ffiziers: »Wollt ihr wohl ins Glied zurück, Kerls! Antreten, sage ich, oder ich will euch ... Ach, das ist ja Mrs. Hamilton. Guten Morgen, gnädige Frau, guten Morgen, Herr ... Was treiben Sie hier und wiegeln meine Leute zu Meuterei auf! Ich habe heute schon genug Arbeit mit den Burschen gehabt.«

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»Herr Jesus, Miß Scarlett, haben Miß nicht hören? Wir doch sollen für die weißen Herren die Gräben machen, wo sie sich verstecken, wenn Yankees kommen!« Hauptmann Randall und die Insassen des Wagens verbissen sich das Lachen, als sie diese Auffassung vom Zweck des Schützengrabens vernahmen. »Master Gerald kriegen natürlich beinahe einen Wutanfall, als sie mich holen. Er sagen, er ohne mich nicht fertig werden, aber Miß Ellen sagen: >Nimm ihn, Master Kennedy, die Konföderierten haben Big Sam noch nötiger als wir<, und sie mir einen Dollar geben und sagen, ich soll genau tun, was die weißen Herren mir befehlen, und nun sein wir alle hier.«

(S.5,238

Nun, daß Sie immer noch eine romantische Backfischleidenschaft für ihn hegen und pflegen, die er erwidert, soweit seine ehrenwerte Natur es ihm gestattet. Auch, daß Mrs. Wilkes davon nichts ahnt und daß ihr alle beide sie an der Nase führt. Ich verstehe also fast alles; nur eins verstehe ich nicht, und es reizt meine Neugierde. Hat der ehrenwerte Ashley seine unsterbliche Seele jemals durch einen Kuß auf Ihren Mund in Gefahr gebracht?« Steinernes Schweigen und ein abgewendetes Gesicht waren die Antwort. »Gut, er hat Sie also geküßt, vermutlich, als er hier auf Urlaub war. Nun aber ist er wahrscheinlich tot, und Sie hegen seinen Kuß in Ihrem Herzen. Doch ich bin überzeugt, Sie kommen schließlich darüber hinweg, und wenn Sie seinen Kuß vergessen haben, will ich ...« Wie eine Rasende wandte sie sich ihm zu: »Scheren Sie sich zum Teufel!« brach es aus ihr hervor, und in den halbgeschlossenen grünen Augen funkelte die Wut. »Lassen Sie mich aussteigen, ehe ich über das Rad weg hinausspringe. Ich wünsche nie wieder ein Wort mit Ihnen zu reden!« Er hielt an, aber ehe er aussteigen und ihr heraushelfen konnte, sprang sie mit einem Satz auf die Straße. Mit dem Reifen ihres Rockes blieb sie dabei am Wagen hängen, und für einen Augenblick boten sich Unterröcke und Hosen den Blicken des Publikums von Five Points dar. Rhett Butler lehnte sich hinaus und machte sie frei. 0hne ihn auch nur noch eines Blickes zu würdigen, rauschte sie davon; er aber lachte in sich hinein und schnalzte seinem Pferde zu.

(S.5,279

Manche dieser Leute waren völlig unbewaffnet; man hatte ihnen weder Gewehre noch Munition austeilen können. Sie hofften, sich später mit den Waffen gefallener und gefangener Yankees ausrüsten zu können. Viele trugen Buschmesser im Stiefel und dicke Stöcke mit Eisenspitzen in der Hand, die unter dem Namen »Joe Browns Piken« bekannt waren. Hier und da hatte ein Glücklicherer eine alte Muskete mit Feuersteinschloß über der Schulter und ein Pulverhorn am Gürtel hängen. Johnston hatte rund zehntausend Mann auf dem Rückzug verloren, er brauchte zehntausend Mann ganz frischer Truppen. »Und jetzt bekommt er dies!« dachte Scarlett erschrocken.

(S.5,686

Es war unerhört von einem Manne, zu wissen, woran die Frauen dachten, und obendrein davon zu reden. Man kam sich wie nackend vor. Scarlett fühlte sich so gern in den Augen der Männer als ein geheimnisvolles Rätselwesen und wußte doch, daß Rhett sie durchschaute wie Glas.

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»Welch ein Glück, Sie allein anzutreffen«, sagte er leise. Etwas in seiner Stimme trieb ihr Herz zu angenehm rascheren Schlägen, und sie spürte, wie sie errötete. Auf diesen Ton in Männerstimmen verstan d sie sich, und sie wußte, er kündigte ihr eine Liebeserklärung an. Ach, welch eine Freude! Wenn er nun von seiner Liebe sprach, wie wollte sie ihn zur Strafe für all seine höhnischen Bemerkungen quälen! Dann waren sie miteinander quitt. Sogar für jene schreckliche Demütigung, da er Zeuge gewesen war, wie sie Ashley geohrfeigt hatte, wollte sie Rache nehmen. Und dann wollte sie ihm in sanftem Ton mitteilen, sie könne ihm nicht mehr als eine Schwester sein, und sich mit Ehre und Würde aus der Affäre ziehen.

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»Lachen Sie nicht«, sagte er, ergriff ihre Hand, drehte sie um und drückte seine Lippen in die Handfläche. Als sie die Wärme seines Mundes spürte, sprang etwas Urlebendiges auf sie über und rann ihr liebkosend durch Mark und Bein. Seine Lippen glitten zu ihrem Handgelenk hinauf. Sie suchte ihre Hand wegzuziehen. Er mußte ja an ihrem Pulsschlag fühlen, wie ihr Herz immer hurtiger schlug. Damit hatte sie nicht gerechnet, mit diesem verräterisch aufsteigenden Verlangen, ihm mit den Händen im Haar zu wühlen und seine Lippen auf… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

(S.5,704

»Scarlett, du hast mich gern, nicht wahr?« Das klang schon mehr nach dem, was sie erwartete. »Nun, manchmal«, antwortete sie vorsichtig. »Wenn Sie sich nicht wie ein Flegel benehmen.« Er lachte von neuem und legte ihre Handfläche an seine rauhe Wange.  »Ich glaube, du hast mich gern, weil ich ein Flegel bin. Du hast in deinem umhüteten Leben so wenig Flegel kennengelernt, die mit allen Wassern gewaschen sind, daß ich gerade, weil ich anders bin als alle anderen, einen eigenen Reiz für dich habe.« Diese Wendung hatte sie wiederum nicht erwartet. Sie versuchte vergeblich, ihm die Hand zu entziehen. »Das ist nicht wahr. Ich habe wohlerzogene Männer gern, bei denen man sich darauf verlassen kann, daß sie immer Gentleman bleiben.« »Du meinst solche, die sich von dir einschüchtern lassen. Aber es kommt nicht auf das Wort an. Es ist einerlei.« Wieder bedeckte er die Innenfläche ihrer Hand mit Küssen, wieder überlief es ihr prickelnd den Nacken. »Aber du hast mich gern. Könntest du mich jemals lieben, Scarlett?« »Nun ist es soweit!« dachte sie triumphierend, und mit wohlberechneter Kälte erwiderte sie: »Ganz gewiß nicht. Sie müßten sich dann bedeutend bessere Manieren angewöhnen.« »Diese Absicht habe ich keineswegs. Dann könnten Sie mich also nicht lieben? Das eben hatte ich auch gehofft. Ich habe Sie zwar schrecklich gern, aber… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

(S.5,718

»Sie hatten es also gehofft! Ach, daß ich diese Hoffnungen enttäuschen muß! Ich sollte Sie eigentlich lieben, denn Sie sind reizend und für nutzlose Künste so begabt! Viele Damen aber sind begabt und reizend und ebenso nutzlos wie Sie. Nein, ich liebe Sie nicht. Aber ich habe Sie ganz schrecklich gern - wegen Ihres geschmeidigen Gewissens, wegen der Selbstsucht, die Sie so selten zu verbergen wissen, und wegen der praktischen Gescheitheit, die, wie ich fürchte, von einem nicht allzu entfernten bäuerlichen irischen Vorfahren stammt. Unterbrechen Sie mich nicht«, bat er und drückte ihre Hand fester. »Ich habe Sie gern, weil ich dieselben Eigenschaften besitze, und gleich und gleich gesellt sich gern. Ich sehe, Sie pflegen immer noch das Andenken an den göttlichen Mr. Wilkes mit dem holzgeschnitzten Gesicht, der jetzt wahrscheinlich seit Monaten im Grabe… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

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Ich begehre Sie mehr, als ich je ein Weib begehrt habe, und ich habe länger auf Sie gewartet als je auf eine andere Frau.« Ihr verging der Atem vor Verblüffung bei seinen letzten Worten. Trotz all seiner Beleidigungen und Unverschämtheiten liebte er sie also doch und war nur zu eigensinnig, es zu gestehen. Nun, sie wollte ihm… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

(S.5,730

»Du lieber Himmel, nein! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das Heiraten mir nicht liegt!« »Ja ... aber ... was ...« Er stellte sich vor sie hin, legte die Hand aufs Herz und machte ihr eine burleske Verbeugung. »Liebste«, sagte er ruhig, »ich appelliere an deinen Verstand. 0hne dich erst verführt zu haben, bitte ich dich hiermit feierlich, meine Geliebte zu werden.« »Geliebte!« Ihr Gewissen schrie dieses Wort, schrie ihr zu, sie sei auf das niedrigste beschimpft worden. Aber in Wirklichkeit fühlte sie sich gar nicht beschimpft. Was in ihr aufwallte, war nur wütende Empörung darüber, daß er sie für so dumm hielt. Er mußte sie schon für sehr dumm halten, wenn er ein solches Ansinnen an sie richtete, anstatt ihr den Heiratsantrag, den sie erwartete, zu machen. Wut, verletzte Eitelkeit und Enttäuschung brachten ihr Gemüt in einen wilden Aufruhr, und ehe ihr überhaupt einfiel, von welchen Höhen moralischer Entrüstung herab sie ihn zurückweisen sollte, platzte sie mit dem ersten Satz heraus, der sich ihr auf die Lippen drängte: »Geliebte! Was hätte ich weiter davon als ein halbes Dutzend Bälge!« Schon aber blieb ihr der Mund vor… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

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die sich die praktische Seite einer Sache ansieht, ohne ein großes Geschrei über Sünde und Moral dabei zu erheben. Jede andere Frau wäre zuerst in 0hnmacht gefallen und hätte mir dann die Tür gewiesen.« Scarlett sprang, dunkelrot vor Scham, auf die Füße.

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Ich ... sage es meinem Vater, und der erschießt Sie!« Er nahm seinen Hut und verbeugte sich, und im Lampenlicht sah sie, wie er unter dem Schnurrbart lächelnd die Zähne entblößte. Er schämte sich keineswegs, sondern hatte seinen Spaß an ihrer Aufregung und beobachtete sie mit lebhafter Neugierde. Sie drehte sich schroff auf dem Absatz um und ging ins Haus. Sie packte die Tür fest an, um sie krachend ins Schloß zu werfen, konnte aber den Haken, der sie festhielt, nicht lösen. Angestrengt mühte sie sich damit ab. »Darf ich Ihnen helfen?« fragte er.

(S.5,754

Als sie das erste Stockwerk erreicht hatte, vernahm sie, wie er geflissentlich, wie sie es gewollt, die Tür zuschmetterte.

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Als die heißen Augusttage zu Ende gingen, hörte die Beschießung plötzlich auf.

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Scarlett lechzte nach Briefen aus Tara und versuchte, trotz allem ein tapferes Gesicht zu machen. Es schien ihr eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit die Belagerung begonnen hatte. Ihr war, als habe sie ihr ganzes Leben mit dem Kanonendonner in den 0hren verbracht, bis diese unheimliche Ruhe hereinbrach. Und doch hatte die Belagerung erst vor dreißig Tagen angefangen.

(S.5,791

Schließlich kam ein Kurier mit der beruhigenden Nachricht, die Yankees seien zurückgeschlagen worden. Aber sie waren bis nach Jonesboro hinein vorgestoßen, hatten den Bahnhof verbrannt, die Telegraphenverbindungen zerstört und drei Meilen Schienen aufgerissen, ehe sie sich zurückzogen.

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Als der Kurier in einem Staubwirbel davonritt, öffnete Scarlett mit bebenden Fingern Geralds Brief. Die Papierknappheit war in den Südstaaten so groß, daß Gerald seine Mitteilungen zwischen die Zeilen ihres letzten Briefes an ihn geschrieben hatte, und sie waren deshalb schwer zu entziffern. »Liebe Tochter, Deine Mutter und beide Mädchen haben den Typhus, sie sind sehr krank, aber wir wollen das Beste hoffen. Als Deine Mutter sich zu Bett legte, trug sie mir auf, Dir zu schreiben, Du möchtest unter keinen Umständen nach Hause kommen und Dich und den Jungen der Ansteckung aussetzen. Sie läßt Dich herzlich grüßen und bittet Dich, für alle zu beten.« Für sie beten! Scarlett flog die Treppe hinauf, fiel vor dem Bett auf die Knie und betete, wie sie nie zuvor gebetet hatte. Dies waren keine Rosenkranzformeln, sondern immer dieselben inbrünstigen Worte: »Mutter Gottes, laß sie nicht sterben! Ich will gut werden, wenn du sie nicht sterben läßt! Bitte, bitte, laß sie nicht sterben!«

(S.5,815

Ellen krank - vielleicht sterbend! Ellen war nie krank gewesen. Der Gedanke allein war unglaublich und rührte an die Grundfesten von Scarletts Lebensgefühl. Ellen war nie krank, sondern sie pflegte Kranke und machte sie wieder gesund. Scarlett wollte nach Hause. Sie begehrte nach Tara wie ein verängstigtes Kind, das verzweifelt nach der einzigen Zufluchtsstätte ruft, welche es kennt.

(S.5,837

Während sie noch hinausschaute, drang ein ferner Laut an ihr 0hr: ganz leise und gedämpft wie das erste ferne Grollen eines heraufziehenden Gewitters. »Regen«, dachte sie und fügte, auf dem Lande groß geworden, in Gedanken hinzu: »Wir brauchen ihn nötig.« Aber gleich darauf wußte sie, daß es kein Gewitter war, sondern Kanonendonner.

(S.5,843

Vielleicht waren in dieser Minute die Yankees in Tara!

(S.5,867

»Scarlett, ich habe hier gelegen und nachgedacht und möchte dich um etwas Großes bitten.« Sie faßte ihre Hand fester. »Wenn ich sterbe - nimmst du dann mein Kind?«

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Scarlett, du sollst mein Kind haben. Versprich es mir, und wenn es ein Junge ist, erzieh ihn wie Ashley. Ist es aber ein Mädchen ... dann wollte ich, es gliche dir.«

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»Nun gut, ich versprech es«, sagte Scarlett und sah sie verwundert an. War Melanie wirklich so dumm, daß sie nicht wußte, was Ashley ihr bedeutete? 0der wußte sie alles und meinte, Scarlett müsse gerade um ihrer Liebe willen für Ashleys Kind sorgen?

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Schon aus diesem Grunde haßte sie die Yankees, weil sie ihr den richtigen Kaffee mit Zucker und Rahm raubten.

(S.5,931

»Einerlei, was sie sagt«, unterbrach Scarlett sie verzweifelt. »Binde dir eine reine Schürze um und lauf hinüber ins Lazarett. Ich gebe dir einen Brief für Dr. Meade mit. Wenn er nicht da ist, gib ihn Dr. Jones oder einem der anderen Ärzte, und wenn du dich dieses Mal nicht mehr beeilst, ziehe ich dir bei lebendigem Leibe das Fell über die 0hren.« »Jawohl, Miß.« »Frage einen der Herren, wie die Kämpfe stehen. Wenn sie es nicht wissen, geh zum Bahnhof und frag die Lokomotivführer, die die Verwundeten hereinbrachten; frag, ob bei Jonesboro gekämpft wird.« »Allmächtiger Gott, Miß?« In Prissys schwarzem Gesicht malte sich die Panik. »Die Yankees sein doch nicht in Tara?« »Ich weiß es nicht. Du sollst es ja gerade in Erfahrung bringen.« »Allmächtiger! Miß, was tun sie nun mit meiner Ma!« Prissy fing an laut zu heulen. »Laß das Heulen, Miß Melanie hört es. Binde dir schnell eine andere Schürze um.« Scarlett warf ein paar hastige Zeilen auf den Rand von Geralds let ztem Brief, das einzige Stück Papier im Hause. Als sie es zusammenfaltete, fiel ihr Blick auf Geralds Worte: »Deine Mutter ... Typhus ... unter keinen Umständen nach Hause kommen ...« Sie schluchzte beinahe. Wäre nicht Melanie, sie bräche noch in dieser Minute auf, und wenn sie Schritt für Schritt zu Fuß nach Hause gehen müßte.

(S.5,947

Auch Melanie schwieg, nur von Zeit zu Zeit verzerrte sich ihr stilles Gesicht vor Schmerz. Danach sagte sie jedesmal: »Nein, es ist nicht so schlimm«, und Scarlett wußte, daß sie log. Lautes Schreien wäre ihr lieber gewesen als dieses stille Dulden. Es war sonderbar, aber sie brachte keinen Funken von Mitgefühl auf. Die eigene Not zehrte zu sehr an ihrem Gemüt.

(S.6,000

Die Yankees kamen. Die Armee zog ab. Was sollten sie tun? Wohin sollten sie fliehen? Sie konnten nicht fliehen, denn Melanie lag im Bett und erwartete das Kind. Ach, warum mußten Frauen Kinder bekommen!

(S.6,019

In der erbarmungslosen Sonne lagen Hunderte von Verwund eten, Schulter an Schulter, Sohle an Sohle, in Reih und Glied. Die Schienen und die Seitenstraßen entlang und in den Wagenschuppen lagen sie in endlosen Reihen. Einige steif und still, andere wanden sich stöhnend unter der heißen Sonne. Überall schwärmten die Fliegen um sie herum, krochen ihnen summend übers Gesicht, überall waren Blut, Schmutz, Bandagen, Gestöhn, gellende Flüche und Schmerzensschreie, wenn die Krankenträger die Leute anhoben. Der Geruch von Schweiß, Staub und Kot stieg in sengend heißen Wellen empor. Scarlett wurde bei dem Gestank übel.

(S.6,067

Der Doktor kam nicht. Sie mußte sehen, wie sie sich selbst half.

(S.6,081

Wenn doch ihr Herz aufhören wollte zu hämmern, zu trommeln und zu jagen. Ihr war, als schnitte das Korsett ihr die Rippen mittendurch. Könnte sie doch nur einmal bis tief in den Bauch hinein Atem holen!

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»Um Gottes willen, Miß Scarlett!« Prissys Augen rollten vor Angst im Kopf. »Um Gottes willen, wir müssen Doktor haben! Ich ... ich ... Miß Scarlett, ich weiß nicht keine Ahnung, wie Kinder holen. Ma mir immer verboten dabeisein, wenn Kinder kommen!« »Du

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»Ich gelogen, Miß Scarlett, gelogen! Ich weiß auch nicht, war um gelogen, nur einmal bei einem Baby ich haben zugesehen, und Ma mich deswegen schrecklich verprügeln I« Scarlett starrte sie fassungslos an, und Prissy versuchte sich loszureißen. Einen Augenblick lang wollte Scarlett es nicht glauben, aber als sie endli ch begriff, übermannte sie der Zorn. Nie im Leben hatte sie einen Sklaven geschlagen, aber jetzt versetzte sie mit der ganzen Kraft ihres müden Armes der schwarzen Wange eine schallende 0hrfeige. Prissy kreischte aus Leibeskräften und versuchte, sich frei zu machen. Da hörte das Stöhnen im zweiten Stock auf, und mit schwacher, bebender Stimme rief Melanie: »Scarlett, bist du es? Bitte, bitte komm!«

(S.6,118

Zuerst hatte sie versucht, das Schreien zu unterdrücken, und sich auf die Lippen gebissen, bis sie wund waren, aber Scarlett, deren Nerven nicht minder wund waren, hatte heiser gesagt: »Melly, um Gottes willen, laß das Unterdrücken. Schrei, wenn dir danach zumute ist. Niemand hört dich außer uns.«

(S.6,134

»Erzähl mir was, bitte, erzähl mir was«, hauchte sie. Scarlett schwatzte etwas vor sich hin, bis Melanie von neuem nach dem Handtuchknoten griff und sich zu winden begann. Einmal kam Wade auf Zehenspitzen die Treppe herauf und stand wehklagend draußen vor der Tür: »Wade hungrig!« Scarlett erhob sich, um zu ihm hinauszugehen, aber Melanie flüsterte: »Bitte, laß mich nicht allein, ich kann es nur aushalten, wenn du da bist.« Scarlett

(S.6,143

Als die Dämmerung hereinbrach und Prissy die Lampe anzündete, wurde Melanie schwächer. Immer wieder rief sie in Fieberphantasien nach Ashley, bis Scarlett von der wilden Lust ergriffen wurde, diesen unheimlichen, eintönigen Ruf in den Kissen zu ersticken. Vielleicht kam der Doktor schließlich doch noch?

(S.6,155

»Sie kommen«, flüsterte Melanie und verbarg ihr Gesicht im Kissen. Sie ließ sich nicht täuschen. Gedämpft kam es von ihrem Bett her: »Mein armes, armes Kindchen!« und nach einer langen Pause: »0 Scarlett, du darfst nicht hierbleiben, du mußt mit Wade fortgehen.« Was Melanie da sagte, war nichts anderes, als was Scarlett selber gedacht hatte. Als sie es aber mit Worten hörte, brachte es sie in Wut und beschämte sie, als stünde ihre heimliche Feigheit ihr deutlich auf dem Gesicht g eschrieben. »Sei keine Gans, ich habe keine Angst. Du weißt, daß ich dich hier nicht allein lasse.«

(S.6,164

Alles war überstanden. Melanie war nicht tot, und der kleine Junge, wie ein Kätzchen quiekend, bekam von Prissys Händen sein erstes Bad. Melanie schlief. Wie konnte sie nach so schauerlichen Schmerzen und einer so unzulänglichen Geburtshilfe, die eher weh tat als half, noch schlafen! Scarlett war überzeugt, sie selbst wäre bei solcher Behandlung zugrunde gegangen. Aber als alles vorüber war, hatte Melanie sogar, so leise, daß Scarlett sich über sie beugen mußte, um es zu verstehen, das Wort: »Danke ...« geflüstert. Dann war sie eingeschlafen. Scarlett hatte ganz vergessen, daß auch sie damals nach Wades Geburt sogleich eingeschlummert war.

(S.6,173

0ben hörte sie Schritte gehen, dann schlossen sich ihre Augen, und etwas wie Schlaf überkam sie. Nach einer unbestimmten Weile stand Prissy neben ihr und schwatzte vergnügt auf sie ein. »Das haben wir gut machen, Miß Scarlett ... das machen Ma auch nicht besser.« Müde starrte Scarlett sie an, zu müde, um sie noch auszuschalten und ihr all ihre Untaten vorzuhalten; wie sie sich einer Erfahrung gerühmt hatte, die sie nicht besaß, ihre Angst, ihre täppische Ungeschicklichkeit, ihre völlige Unbrauchbarkeit in der Not; wie sie die Schere verlegt, das Wasser vergossen, das Neugeborene fallen gelassen hatte. Und nun tat sie sich mit ihrer Leistung groß. Die Yankees wollten die Farbigen befreien! Nun, wohl bekomm es ihnen. Sie

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Was sollte sie tun, wie konnten sie entfliehen, an wen sich wenden? Alle hatten sie im Stich gelassen. Plötzlich fiel ihr Rhett Butler ein, und jede Furcht verschwand. Warum hatte sie nicht heute morgen an ihn gedacht, während sie kopflos umhergeirrt war. Sie haßte ihn, aber er war stark und unerschrocken und fürchtete die Yankees nicht. Er befand sich noch in der Stadt. Natürlich war sie ihm sehr böse. Er hatte das letztemal Unverzeihliches gesagt. Aber in Augenblicken höchster Not mußte man darüber hinwegsehen. Zudem besaß er Pferd und Wagen. Ach, warum hatte sie nicht eher an ihn gedacht! Er konnte sie alle aus dieser gottverlassenen Stadt und von den Yankees fortfuhren, irgendwohin. Fieberhaft sprach sie auf Prissy ein. »Du weißt, wo Kapitän Butler wohnt, im Atlanta-Hotel? Schön, lauf dahin, so schnell du kannst, und

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Als Pnssy immer noch unschlüssig von einem Fuß auf den andern trat, gab ihr Scarlett einen Stoß, der sie beinahe kopfüber die Haustreppe hinuntergeworfen hätte. »Jetzt gehst du, oder ich verkaufe dich als Pflückerin nach dem Süden!« Unter Heulen und Zähneklappern hatte sich Prissy endlich auf den Weg treppabwärts gemacht. Die Gartenpforte schlug, und Scarlett rief ihr nach: »Beeil dich! Beeil dich, dumme Gans!«

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Während sie noch am Fensterbrett lehnte, ertönte eine gewaltige Explosion, lauter als aller Geschützlärm, den sie je vernommen hatte. Eine riesige Flamme riß den ganzen Himmel entzwei. Dann folgten weitere Explosionen. Die Erde bebte. Die Scheiben über ihrem Kopf klirrten und fielen mit Getöse herab. Die ganze Welt war in eine tosende, lodernde, weithin bebende Hölle verwandelt, während eine ohrenzerreißende Explosion der andern folgte.

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Ihr war, als hätte es von nebenan leise gerufen. Aber sie achtete dessen nicht. Jetzt hatte sie keine Zeit mehr für Melanie, sondern nur noch für die Angst, die ihr den Flammen gleich durch die Adern züngelte. Sie glich einem zu Tode erschrockenen Kind, das den Kopf im Schoß der Mutter bergen und nichts mehr sehen and hören will.

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In dem nervenerschütternden Lärm unterschied sie Schritte, die, immer zwei Stufen überschlagend, die Treppe heraufpolterten, und eine Stimme winselte wie ein Jagdhund, der sich verirrt hat. Prissy stürzte ins Zimmer auf Scarlett zu und umklammerte sie so heftig, als wollte sie sie zerreißen. »Die Yankees?«rief Scarlett. »Nein, Miß, unsere Herren!« kreischte Prissy und drückte die Nägel noch tiefer in Scarletts Arm. »Die haben Gießerei angezündet und Militärlager und Speicher und haben, o Gott, siebzig Güterwagen mit Kanon enkugeln und Pulver in Luft gesprengt, und, Herr Jesus, wir alle zusammen brennen auf!«

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Wenn es irgendwo ein Pferd gab, so würde Rhett Butler es auch bekommen, denn ein schneidiger Kerl war er doch. Wenn er ihr aus dieser Not half, wollte sie ihm alles verzeihen. Fliehen! Unter Rhetts Schutz hatte sie keine Angst. Dem Himmel sei Dank für Rhett Butler. Als dieser Hoffnungsstrahl aufleuchtete, wurden ihre Gedanken wieder nüchterner.

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Eigentlich hätte Scarlett zu Melanie gehen und sie beruhigen sollen. Die Kranke mußte ja vor Angst umkommen

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Es war wie das Ende der Welt. Aber immer noch konnte sie sich nicht dazu überwinden, jenes Zimmer zu betreten.

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Der Lärm machte sie wütend, denn Prissy benahm sich ebenso ziellos wie sie selbst. Sie gab ihr sinnloses Packen auf und setzte sich nieder. Es war unmöglich, etwas anderes zu tun, als mit pochendem Herzen dazusitzen und auf Rhett zu warten.

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Sie zitterte vor Kälte, obwohl ihnen die Glut der Flammen schon heiß ins Gesicht schlug. Dies war die Hölle, und sie befanden sich mitten darin. Hätte sie nur ihre bebenden Knie in der Gewalt, sie spränge aus dem Wagen und liefe schreiend die dunkle Straße, die sie gekommen waren, wieder zurück, bis

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Von der höllischen Glut, die um sie her loderte, hob sich sein dunkles Profil scharf ab, wie der Kopf auf einer antiken Münze, schön, grausam und kaum noch menschlich. Als sie seinen Arm berührte, wandte er ihr sein Gesicht zu. Seine Augen erstrahlten nicht weniger fürchterlich als die Feuersbrunst. Es schien Scarlett, als erfüllte all das Grauenhafte, das sie umgab, ihn mit einer wilden, lustigen und verachtungsvollen Freude. »Hier«,

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Wohl eine Ewigkeit lang fuhren sie durch diese feurige Hölle, und dann auf einmal befanden sie sich wieder im Halbdunkel. Während sie so die Straße entlang und über die Schienen polterten, gebrauchte R hett regelmäßig, fast automatisch, die Peitsche. Verschlossen und geistesabwesend blickte er vor sich hin, als hätte er vergessen, wo er sich befand.

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»Ach, Rhett«, flüsterte sie und faßte seinen Arm. »Was hätten wir ohne Sie angefangen! Ich bin so froh, daß Sie nicht bei der Armee sind.« Er wandte den Kopf und sah sie mit einem Blick an, vor dem sie zurückschreckend seinen Arm fahren ließ. In seinen Augen war dieses Mal kein Spott, nackt lagen sie vor ihr, Zorn und etwas wie ratlose Verwunderung las sie darin. Doch schon verzogen sich wieder seine Lippen, und er wandte sich ab.

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Der Haß verschlug ihr die Worte. Seine Füße knirschten über den Kies der Straße. Einen Augenblick tauchten seine breiten Schultern im Dunkel auf, dann war er verschwunden. Eine Weile hörte sie noch seine Schritte, dann verklangen sie. Langsam kehrte sie mit wankenden Knien zum Wagen zurück. Warum war er fortgegangen, in die Finsternis hinein, in den Krieg, in eine verlorene Sache, in eine toll gewordene Welt? Warum war Rhett gegangen, der die Frauen und den Schnaps liebte, gutes Essen und we iche Betten, Vergnügen, Behagen und die Reize der Sinne, der den Süden haßte und die Narren verhöhnte, die für ihn kämpften?

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Schaudernd erinnerte sie sich, wie oft sie das bockbeinige Pferd in Äcker und Felder getrieben hatte, sobald sie Soldaten kommen hörte und nicht wußte, ob es Freunde oder Feinde waren. Ihre Angst, daß ein Husten, ein Niesen oder Wades ewiger Schluckauf sie den marschierenden Truppen verrieten.

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Zwischen den Sklavenhäusern und den verräucherten Fundamenten fanden sie den Brunnen. Sein Dach war noch heil, der Eimer hing tief unten im Wasser. Mit vereinten Kräften wanden sie das Seil in die Höhe, und als der Eimer voll klaren, schimmernden Wassers aus der dunklen Tiefe aufstieg, setzte Scarlett ihn an die Lippen, schlürfte gierig und verschüttete dabei Wasser über ihren ganzen Körper. Sie trank, bis Prissys klägliches »Ich auch Durst, Missis!« sie an die Bedürfnisse der andern gemahnte.

(S.6,652

Warum war sie gegen jeden gesunden Menschenverstand diesen sinnlosen Weg gegangen! Warum hatte sie Melanie und das Kind mit sich geschleppt! Besser wäre es gewesen, sie wären in Atlanta umgekommen, als nach der Folter dieses Sonnentages im rüttelnden Wagen vor den stummen Ruinen von Tara zu sterben. Aber Ashley hatte Melanie Scarletts Fürsorge anvertraut.

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Scarlett, ich noch nie etwas mit Kühen zu tun haben, ich bin kein HofSklaven, ich bin ein HausSklaven.« »Ein Eselsnigger bist du, und Pas schlimmster Einfall war es, dich zu kaufen«, sagte Scarlett langsam, zu müde, um zu schelten. »Wenn ich je wieder meinen Arm gebrauchen kann, bekommst du etwas mit dieser Peitsche.« »So«, dachte sie bei sich, »nun habe ich >Nigger< gesagt, und das hat Mutter nie haben wollen.« Prissy rollte wild mit den Augen und warf zuerst einen Blick auf das unbewegliche Gesicht ihrer Herrin und dann auf die kläglich brüllende Kuh. 0ffenbar hielt sie Scarlett für die geringere Gefahr, sie klammerte sich an die Wagenbretter und rührte sich nicht vom Fleck. Mit steifen Gliedmaßen kletterte Scarlett vom Sitz herab. Prissy war nicht die einzige, die Angst vor Kühen hatte. Auch Scarlett war immer vor ihnen bange gewesen, selbst die sanftmütigste war ihr unheimlich erschienen, aber dieses Mal konnte sie ihren kleinen Ängsten nicht nachgeben, da die großen mit solcher Gewalt über sie herfielen. Zum Glück war die Kuh von der sanftesten Gemütsart. In ihrem Schmerz hatte sie nach menschlicher Hilfe gesucht und ließ es sich ruhig gefallen, daß Scarlett ihr ein Ende des zerrissenen Unterrocks am Hörn befestigte. Das andere Ende wurde hinten an den Wagen gebunden, so fest es die wunden Finger vermochten. Als sie wieder auf den Bock steigen wollte, überkam sie eine ungeheure Müdigkeit, und plötzlich wurde ihr schwarz vor den Augen. Sie mußte sich amWagen festhalten, umnicht hinzufallen. Melanie schlug die Augen auf, sah Scarlett neben sich und flüsterte: »Liebes, sind wir zu Hause?«

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»Ich bin es - Katie Scarlett. Ich bin heimgekomm en.« Gerald kam ihr stumm, wie ein Schlafwandler, entgegen und zog das steife Bein nach. Er trat an sie heran und sah ihr blinzelnd in das Gesicht, als hielte er sie für einen Spuk. Er streckte die Hand aus und legte sie ihr auf die Schulter. Scarlett erbebte, als wäre sie aus einem Alpdruck zu einem Vorgefühl der Wirklichkeit erwacht. »Tochter«, sagte er mit Anstrengung. »Meine Tochter.« Dann schwieg er wieder.

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Er war nur noch ein kleiner, gebrochener alter Mann. Nun

(S.6,753

Pork kam die Stufen herunter. Scarlett griff ihn beim Arm. Pork, ein Stück von Tara, vertraut wie seine Mauern und Wege! Sie fühlte heiße Tränen über ihren Händen, als Pork sie ungeschickt streichelte und rief: »Freu' mich aber, daß Sie wieder da sind, Miß! Freu' mich so sehr ...«

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Nun nahm Scarlett alles in die Hand.

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»Deine Mutter ist gestern gestorben.«

(S.6,773

Seltsam, daß sie jetzt außer der furchtbaren Erschöpfung, die ihre Glieder wie mit Eisenketten gefesselt hielt, und außer dem Hunger, der ihre Knie erzittern ließ, nichts weiter empfand. An Mutter wollte sie später denken. Jetzt mußte sie dies von sich wegschieben, sonst würde sie stumpfsinnig wie Gerald dahinstolpern oder eintönig wie Wade vor sich hin schluchzen müssen. Pork kam die breiten dunklen Stufen auf sie zugeschritten und schien sich an Scarlett drängen zu wollen wie ein frierendes Tier ans Feuer.

(S.6,799

»Und die Hügel mit den Bataten?« Auf seinen dicken Lippen erglänzte es wie ein freudiges Lächeln: »Miß Scarlett, die Bataten hab' ich ganz vergessen. Die müssen noch dasein. Die Yankees haben nie keine mit Augen gesehen und meinen, das wären bloß Wurzeln.« »Wenn der Mond aufgeht, lauf hinüber, grab welche aus und röste sie. Maismehl ist nicht da? Keine getrockneten Erbsen? Keine Hüh ner?«

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»Pork, was ist aus dem Kornbranntwein geworden, den Pa im eichenen Fasse unter der Laube vergraben hatte?« Wieder erhellte etwas wie ein Lächeln das schwarze Gesicht, ein Lächeln der Freude und Hochachtung.

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»0h, Miß Scarlett, das Faß hab' ich reinweg vergessen. Aber, Miß Scarlett, der Whisky ist noch nicht gut. Er liegt erst seit einem Jahr, und Whisky ist überhaupt nicht gut für Damen.«

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Wie dumm die Farbigen waren! Nie dachten sie an etwas, bevor man es ihnen ausdrücklich sagte. Eine solche Gesellschaft wollten die Yankees nun befreien! »Für diese Dame hier und für Pa ist er gut genug. Grab ihn schnell aus, Pork, bring uns zwei Gläser, Pfefferminz und Zucker, und ich mische uns einengutenPfefferminz- Whisky.« Er sah sie vorwurfsvoll an. »Miß Scarlett, wir haben auf Tara schon lange keinen Zucker mehr, und die Pferde haben den ganzen Pfefferminz gefressen, und alle Gläser haben sie uns zerschlagen.« »Wenn er noch einmal >sie< sagt, schreie ich auf«, dachte Scarlett und sagte laut: »Dann lauf rasch und hole den Whisky, wir trinken ihn ungemischt.« Gleich darauf rief sie ihn noch einmal zurück. »Warte, Pork, ich vergesse das Wichtigste! Ich habe ein Pferd und eine Kuh mitgebracht. Die Kuh muß schleunigst gemolken werden. Spann das Pferd aus und gib ihm Wasser. Sag Mammy, sie soll nach der Kuh sehen und sie anbinden. Miß Melanies Kind stirbt, wenn es nichts zu essen bekommt und ...« »Miß Melly hat... keine ...?« Verschämt hielt Pork inne. »Miß Melanie hat keine Milch.« Du lieber Gott, Mutter fiele in 0hnmacht, wenn sie das hörte. »Miß Scarlett, Dilcey kann für Miß Mellys Kleines sorgen. Dilcey hat auch gerade ein Kind gehabt und hat genug für beide.« »Ihr habt wieder ein Kind bekommen, Pork?« Kinder, nichts als Kinder. Warum machte Gott so viele Kinder? Aber das tat nicht Gott, das taten die dummen Menschen. »Ja, Miß, ein großer, dicker schwarzer Junge.« »Sag Dilcey, sie braucht nicht bei den Mädchen zu bleiben. Ich kümmere mich um sie. Sie soll Miß Mellys Baby versorgen und für Miß Melly tun, was sie kann. Und Mammy soll nach der Kuh sehen und das arme Pferd in den Stall bringen.«

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»Ich sagte ihnen, sie sollten nur das Haus über drei sterbenden Frauen anzünden ... wir würden es doch nicht verlassen. Der junge 0ffizier war ein Gentleman.« »Ein Yankee ein Gentleman?« »Ein Gentleman. Er galoppierte davon und kam bald danach mit einem Militärarzt zurück, der sich die Mädchen und Mutter ansah.« »Du hast einen der verfluchten Yankees zu ihnen ins Zimmer gelassen?« »Er hatte 0pium. Wir hatten keines. Er hat deine Schwestern gerettet. Suellen hatte Blutungen. Er war so, wie ein Arzt sein muß. Und als er bestätigte, sie seien schwer krank, haben sie das Haus nicht angezündet. In Scharen kamen sie herein, ein General und sein Stab. Alle Zimmer haben sie besetzt, außer demKrankenzimmer. Die Soldaten ...« Wieder stockte er. Er war zu müde, um weiterzusprechen. Sein stoppeliges Kinn sank schwer auf die Brust herab. Mit Mühe begann er von neuem. »Sie schlugen überall rings um das Haus herum ihre Lager auf, in der Baumwolle und im Korn. Die Wiese war ganz blau von ihren Uniformen. In jener Nacht brannten tausend Lagerfeuer. Sie rissen die Zäune nieder und verbrannten das Holz, um darauf zu kochen; danach die Scheunen, die Ställe und das Räucherhaus. Kühe, Schweine und Hühner haben sie geschlachtet ... sogar meine Truthühner. Alles haben sie genommen, sogar die Bilder, die Möbel, das Porzellan ...« »Und das Silber?« »Pork und Mammy haben das Silber irgendwo versteckt, vielleicht im Brunnen. Ich kann mich jetzt nicht mehr darauf besinnen. Dann haben sie von hier, von Tara aus eine Schlacht geschlagen. Es war ein entsetzlicher Lärm, wie immerfort welche angaloppiert kamen und durchs Haus trampelten. Und dann die Kanonen von Jonesboro, wie Donner klang es, die Mädchen mußten es hören und sagten immer wieder: >Pa, der Donner soll still sein.<« »Und Mutter? Wußte sie, daß Yankees im Hause waren ?« »Sie wußte von nichts.« »Gott sei Dank«, sagte Scarlett. »Das also ist Mutter erspart geblieben.«

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»Und dann zogen sie weiter.« Er schwieg lange und suchte endlich nach Scarletts Hand. »Nun bin ich froh, daß du wieder da bist«, sagte er leise. Von der Hintertür war ein Scharren zu vernehmen. Pork war seit v ierzig Jahren dazu erzogen worden, sich die Schuhe abzutreten, ehe er ins Haus trat, und er vergaß es auch jetzt nicht.

(S.6,906

»Aber wie kann ich denn mit dem Niggerpack weglaufen. Miß Scarlett, wo doch Ihr Pa so gut gewesen, mich und meine kleine Prissy kaufen, und Ihre Ma immer so freundlich zu mir gewesen!« »Setz dich, Dilcey. Das Kleine trinkt? Und wie geht es Miß Melanie?« »Dem Kind fehlt nichts, es hat nur Hunger. Was ein hungriges Kind braucht, hab' ich. Und Miß Melly geht es auch gut, sie stirbt nicht, Miß Scarlett, ängstigen Sie sich nicht, ich habe zu viele Weiße und Schwarze gesehen, denen es ging wie Miß Melly. Sie ist gewaltig müde und hat auch Angst für das Baby, aber ich sie beruhigen und ihr etwas aus der Flasche geben, und nun schläft sie.«

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Nie wieder konnte Scarlett sich wie ein Kind sicher unter des Vaters Dach schlafen legen und sich in die schirmende Liebe ihrer Mutter einhüllen wie in ein weiches Federbett. Jetzt gab es keine Sicherheit mehr und keinen Hafen, in den sie steuern konnte. Niemand war da, auf dessen Schultern sie ihre Last absetzen konnte. Der Vater war alt und stumpf, die Schwestern waren krank, die Kinder hilflos, Melanie zart und schwach, und die Farbigen blickten in kindlichem Vertrauen zu ihr auf und erwarteten, bei Ellens Tochter die Zuflucht zu finden, die Ellen ihnen stets gewesen war. Vor

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Sie sah alles mit anderen Augen als zuvor an, denn irgendwo auf dem langen Weg hierher hatte sie die Kindheit endgültig abgestreift. Heute abend war sie zum letztenmal in ihrem Leben wie ein Kind gew artet worden. Jetzt war sie eine Frau, und die Jugend war vergangen. Morgen, schon morgen wollte sie sich das Joch auf den Nacken legen. Wieviel gab es zu tun! Sie wollte in Tara bleiben und es behalten, Tara, ihren Vater und ihre Schwestern, Melanie und Ashleys Kind und die Farbigen.

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Alle die Schattengestalten, deren Blut durch Scarletts Adern floß, wogten still durch das mondhelle Zimmer. Alle hatten sie das Ärgste, was das Schicksal über sie verhängte, auf sich genommen und das Beste daraus geschmiedet. Und Scarlett erkannte: Tara war ihr Schicksal, ihr Kampf , Tara mußte sie erobern. Waren all diese Gestalten, die ihr wortlos Mut zuflüsterten, Wirklichkeit, oder träumte sie nur? »0b ihr seid oder nicht«, murmelte sie im Einschlummern, »gute Nacht ... und habt Dank.«

(S.7,121

Jenseits von Tara waren die Welt und der Krieg, aber auf der Plantage waren die Welt und der Krieg nur noch als Erinnerung vorhanden, die abgewehrt werden mußte. Alles andere trat zurück vor den Forderungen der leeren Mägen.

(S.7,148

Sie merkte nicht, daß der kleine Junge in engster Nachbarschaft mit einem Entsetzen lebte, das tief in seinem Herzen eingewurzelt war und über das Verständnis eines Erwachsenen hinausging. Die Angst war Wades Lebensgefährte, sie durchschüttelte ihm die Seele, daß er nachts schreiend davon erwachte.

(S.7,175

Sie herrschte auf Tara jetzt unumschränkt, und wie bei manchen Menschen, die plötzlich zur Macht gelangen, traten all ihre herrschsüchtigen Triebe in den Vordergrund. Sie war nicht von Natur hart, sie fühlte sich im Gegenteil selber unsicher und ängstlich, deshalb gerade wurde sie schroff, damit die anderen ihre innere Hilflosigkeit nicht gewahrten. Außerdem machte sie die Erfahrung, daß es ihren überreizten Nerven wohltat, die Leute anzuschreien und einzuschüchtern. Sie blieb sich über ihre eigene Veränderung nicht im Unklaren. Manchmal, wenn auf ihre schroffen Befehle hin Pork die Unterlippe vorschob oder Mammy knurrte, kam ihr wohl die Frage, wo ihre guten Manieren geblieben seien. All die Sanftmut und Höflichkeit, die Ellen ihr anerzogen hatte, waren von ihr abgefallen wie die Blätter von den Bäumen beim ersten kalten Herbstwind. Unermüdlich hatte Ellen ihr eingeprägt: »Sei entschieden, aber milde mit Untergebenen, besonders mit Schwarzen.«

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Sie überlegte sich nicht, daß Ellen eine unabsehbare Reihe ruhiger Jahre vor sich gesehen hatte, alle so ereignislos und friedsam wie die ihres eigenen Lebens, als sie ihre Tochter gelehrt harte, sanft und liebenswürdig, ehrenhaft und gütig, bescheiden und wahrhaftig zu sein.

(S.7,215

Ihre Liebe zu dieser Heimat war der Teil ihres Lebens, der unwandelbar blieb, wenn alles andere sich wandelte. Nirgends sonst in der Welt gab es ein Land wie dieses. Wenn sie es anschaute, ging ihr eine Ahnung darüber auf, warum Kriege geführt wurden. Rhett hatte unrecht, wenn er sagte, es geschähe um des Geldes willen. Nein, gekämpft wurde um das wogende Gelände, in das der Pflug weich seine Furchen zog, um die Weiden mit dem grünen Gras, um die trägen Flüsse und die weißen Häuser, die kühl zwischen den Magnolien standen. Das war das einzige, was des Kampfes wert war,

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Sie wollte Tara halten, und müßte sie auch jeden, der dort wohnte, zu Tode schinden. 26

(S.7,389

Kein Gespenst stand auf und suchte sie in den langen Nächten heim, wenn sie zu müde war, um schlafen zu können. In der Erinnerung überfiel sie kein Entsetzen und quälten sie keine Gewissensbisse. Noch vor einem Monat hätte sie eine solche Tat nicht vollbringen können. Die niedliche Mrs. Hamilton mit ihren Grübchen und ihren klingenden 0hrringen in ihrer reizenden, hilflosen Art nun hatte sie das Gesicht eines Mannes zu Brei geschossen und ihn hastig in einem notdürftig gescharrten Loch vergraben. Scarlett lächelte grimmig vor sich hin, wenn sie an das Entsetzen dachte, das eine solche Vorstellung bei allen, die sie kannten, hervorrufen würde. »Ich muß mich wohl ein wenig verändert haben, seit ich heimgekommen bin«, dachte sie, »sonst hätte ich es nicht gekonnt. Nun ist es abgetan und vorbei; jedenfalls habe ich mich nicht wie ein Feigling benommen.« Diese Erinnerung blieb in den Untergründen ihres Gemütes, und jedesmal, wenn sie künftig etwas Unangenehmes und Schweres zu verrichten hatte, gab sie ihr Kraft. »Ich habe einen Mord begangen«, pflegte sie sich dann zu sagen, »wie sollte ich denn dies nicht können?« Der Panzer von Härte, der sich um ihr Herz zu legen begonnen hatte, als sie im Gemüsegarten zu Twelve 0aks auf der Erde lag, wuchs und wurde immer noch härter.

(S.7,441

Alle Schwarzen sind fort, wer soll sie pflücken?« sprach Großmama ihr mit spöttischen Blicken nach. »Was fehlt denn Ihren hübschen Pfötchen, Miß, und denen Ihrer Schwestern?« »Ich? Baumwolle pflücken?« sagte Scarlett entgeistert, als hätte die alte Dame ihr ein Verbrechen zugemutet. »Wie eine schwarze Pflückerin? Wie die weißen Proleten, wie die Slatterys?« »Kommen Sie mir mit Proleten! Was seid ihr für ein verweichlichtes Geschlecht! Das kann ich Ihnen sagen, Miß, als ich ein Mädchen war, verlor mein Vater sein ganzes Vermögen, und ich war nicht zu gut dazu, mit den Händen zu arbeiten, auch auf dem Felde, bis später Geld genug da war, Schwarze zu kaufen. Ich habe meine Reihen durchgehackt und meine Baumwolle gepflückt und kann es wieder, wenn Not am Mann ist, und soweit wird es wohl bald sein. Weiße Proleten, da hört doch alles auf.«

(S.7,458

»Warum haben sie Calverts Haus nicht abgebrannt?« »Das Haus wurde durch das vereinte Gewäsch der zweiten Mrs. Calvert und ihres Sklavenaufsehers Hilton gerettet«, sagte die alte Miß, die die frühere Erzieherin immer noch als »die zweite Mrs. Calvert«, bezeichnete, obwohl die erste Mrs. Calvert schon seit zwanzig Jahren tot war. »Wir halten getreu zu der Union«, äffte die alte Dame und sprach die Worte verächtlich durch ihre lange magere Nase. »Cathleen sagte, die beiden hätten hoch und heilig geschworen, alle Familienmitglieder seien Yankees, und dabei liegt Mr. Calvert tot auf dem Schlachtfeld am Rapidan und Raifort bei Gettysburg, und Cade steht in Virginia bei der Armee.

(S.7,464

Aber das hat ein Mann davon, wenn er eine Yankeefrau heiratet - keinen Stolz - keine Ehre, immer nur denken sie an die eigene Haut. Wie kommt es, daß sie Tara nicht abgebrannt haben?« Einen Augenblick zögerte Scarlett mit der Antwort Die nächste Frage mußte nun sein, wie es zu Hause ging, was die liebe Mutter mache. Aber erzählen, daß Ellen tot war, konnte sie nicht.

(S.7,523

Und dieser Mangel an Angst hat mir viel Schwierigkeiten gemacht und mich um manches Glück betrogen. Gott hat die Frau zu einem furchtsamen Wesen erschaffen, und eine Frau, die sich nicht fürchtet, hat etwas Unnatürliches ... Scarlett, behalten Sie immer etwas, wovor Sie sich fürchten - so wie Sie immer etwas behalten sollten, was Sie liebhaben ...« Ihre Stimme verlor sich. Schweigend stand sie da und suchte über ein halbes Jahrhundert hinweg den Tag, an dem sie sich noch gefürchtet hatte. Über Scarlett kam die Ungeduld. Sie hatte gedacht, Großmama würde ihr vielleicht einen Weg aus ihren Kümmernissen zeigen. Aber wie alle alten Leute war sie auf Dinge zu sprechen gekommen, die geschehen waren, ehe irgend jemand geboren war, und die niemanden etwas angingen. »Nun gehen Sie nach Hause, Kind«, sagte die alte Dame plötzlich. »Schicken Sie Pork heute nachmittag mit dem Wagen. Und denken Sie nicht, Sie könnten je Ihre Last abwerfen. Das können Sie nicht. Ich weiß es.«

(S.8,220

Wenn nur männliche Hilfe vorhanden wäre! Nicht der Verlust der Schwarzen war das Schlimmste, sondern der Verlust der jungen Männer. Ach, wenn sie alle da wären, deren Namen in den Verlustlisten gestanden hatten! Dann könnte man es schaffen. Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Wenn sie nun wieder heiratete? Aber nein, daran war nicht zu denken. Sie hatte nie einen anderen gewollt als Ashley. Aber angenommen, sie wollte doch wieder heiraten ... war denn jemand zum Heiraten da? Der Gedanke war erschütternd.

(S.8,274

30 In den warmen Sommertagen nach dem Friedensschluß wurde Tara völlig aus seiner Einsamkeit herausgerissen. Monatelang schleppten sich bärtige, zerlumpte, ewig hungrige Vogelscheuchen mit wunden Füßen den roten Hügel nach Tara hinauf, hockten auf den schattigen Verandastufen, baten um etwas zu essen und um ein Nachtlager. Das waren die konföderierten Soldaten, die heimkehrten. Die Eisenbahn hatte die Reste von Johnstons Heer aus Nordcarolina nach Atlanta gebracht und dort abgesetzt. Von Atlanta aus begannen sie ihre Wanderung zu Fuß. Als der Strom von Johnstons Truppen vorüber war, kamen die erschöpften Veteranen der Virginia-Armee

(S.8,286

Heimwärts, heimwärts! Von nichts anderem mochten sie sprechen. Nicht von Schlachten, Heldentaten, Wunden und Gefangenschaft und auch nicht von der Zukunft. Später wollten sie alles Geschehene in ihren Erzählungen Wiederaufleben lassen und ihren Kindern und Enkeln von all ihren tollen Streichen, kühnen Beutezügen und wilden Sturmangriffen, von den Märschen, Entbehrungen und Verwundungen berichten. Aber jetzt nicht. Manchem fehlte ein Arm, ein Bein oder ein Auge, viele trugen Narben, die ihnen bei feuchtem Wetter ihr Leben lang weh tun sollten. Aber das waren jetzt Kleinigkeiten. Alte und Junge, Schweigsame und Gesprächige, reiche Pflanzer und arme Trapper ... alle hatten sie zweierlei miteinander gemeinsam: Läuse und die Ruhr. Der Soldat hatte sich an seine Läuse so gewöhnt, daß er sich ihrer kaum noch bewußt wurde und auch in Gegenwart von Damen sich unbekümmert kratzte. Und die Ruhr, der Blutfluß, wie die Damen sie beschönigend nannten, hatte wohl keinen, vom Gemeinen bis zum General, verschont. Vier Jahre waren sie nie richtig satt geworden; vier Jahre immer nur zähe, unreife, halbverdorbene Proviantrationen, das war an keinem spurlos vorübergegangen. Jeder, der in Tara haltmachte, war entweder eben erst von der Ruhr geheilt oder litt noch immer daran. »Es ist im ganzen konföderierten Heer kein heiles Eingeweide mehr«, bemerkte Mammy düster, als sie über dem Herde schwitzend den bitteren Trank der Brombeerwurzeln braute, der Ellens Heilmittel gegen solche Beschwerden gewesen war. »Ich denke immer noch, nicht die Yankees haben unsere Gentlemen geschlagen, das haben ihre eigenen Gedärme getan, und wenn die Eingeweide zu Wasser werden, kann kein Gentleman mehr kämpfen.«

(S.8,464

Nach und nach fand die ganze Familie den Weg in Wills Zimmer, um alle erdenklichen Kümmernisse auszukramen. Sogar Mammy erschien, nachdem sie zuerst den gehörigen Abstand gewahrt hatte, weil er nicht vom besten Stand war und nur zwei Sklaven besessen hatte. Als er wieder durchs Haus humpeln konnte, fing er an, Spankörbe zu verfertigen und die beschädigten Möbel auszubessern. Er verstand sich aufs Schnitzen, und Wade war beständig in seiner Nähe, weil er ihm Spielzeug schnitzte, das einzige, das der kleine Junge hatte. Wenn Will im Hause war, konnte man ihm getrost Wade und auch die beiden Kleinen überlassen, während die Erwachsenen ihren Pflichten nachgingen. Er beaufsichtigte sie so gut wie Mammy, und einzig Melly verstand es noch besser als er, die Babys, wenn sie schrien, zu beruhigen.

(S.8,535

Melly faßte sich mit der abgezehrten Hand nach der Kehle, ihr Gesicht wurde noch bleicher, die braunen Augen waren ins Riesenhafte vergrößert. Scarlett glaubte, sie fiele in 0hnmacht, und sprang auf die Füße. Aber im nächsten Augenblick war Melanie die Stufen hinuntergestürzt und flog, leicht wie ein Vögelchen, den Kies hinunter. Der verblichene Rock wehte zurück, ihre Arme streckten sich aus. Da wußte Scarlett die Wahrheit und spürte sie wie einen Schlag vor den Kopf. Sie taumelte gegen die nächste Säule zurück, als der Mann sein Gesicht mit dem schmutzigen blonden Bart erhob, stillstand und nach dem Hause starrte, als wäre er zu müde, auch nur einen einzigen Schritt zu machen. Ihr Herz tat einen Sprung, stockte und begann alsbald zu hämmern, während Melanie sich mit lautem, wirrem Gestammel dem schmutzigen Ankömmling in die Arme warf und sein Kopf sich zu ihr hinabbeugte. Beseligt lief Scarlett zwei Schritte vorwärts, konnte aber nicht weiter, weil Will sie am Rock festhielt. »Verderben Sie es ihnen nicht«, sagte er ruhig. »Loslassen, Sie Esel, lassen Sie mich los, es ist Ashley!« Er ließ ihren Rock nicht los. »Schließlich ist er doch ihr Mann, nicht wahr?« fragte er ruhig. In dem verworrenen Gefühl des Glückes und einer ohnmächtigen Wut blickte Scarlett ihn an und gewahrte in der ruhigen Tiefe seiner Augen einen Ausdruck des Verständnisses und des Mitleids. VIERTES BUCH         An einem kalten Januarnachmittag des Jahres 1866 saß Scarlett im Schreibzimmer vor einem Brief an Tante Pitty, in dem sie ihr zum zehnten Male auseinandersetzte, warum weder sie noch Melanie noch Ashley nach Atlanta zurückkommen und bei ihr wohnen konnten.

(S.8,585

Will und Ashley hatten einander das Wort gegeben, mancherlei vor Scarlett zu verheimlichen. Auf die Geißel des Krieges war die viel schlimmere Geißel des Wiederaufbaus gefolgt, und die beiden Männer waren übereingekommen, seine schrecklichen Einzelheiten zu verschweigen, wenn sie zu Hause die allgemeine Lage besprachen. Und wenn Scarlett sich überhaupt die Mühe machte, ihnen zuzuhören, so ging das meiste bei ihr zu dem einen 0hr hinein und zum anderen wieder hinaus. Ashley hatte gesagt, der Süden werde wie ein erobertes Land behandelt und die Politik der Eroberer werde von Rachsucht geleitet Aber solche Behauptungen sagten Scarlett gar nichts. Politik war Sache der Männer. Will behauptete, nach seiner Ansicht sei der Norden darauf aus, daß der Süden nicht wieder auf die Beine käme. Nun, dachte Scarlett, die Männer mußten sich eben immer über irgendwelche Torheiten aufregen. Was sie selbst betraf - die Yankees waren damals nicht mit ihr fertig geworden und sollten es auch jetzt nicht. Das richtigste war, wie ein Pferd zu arbeiten und sich über die neue Regierung nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Der Krieg war ja schließlich vorüber. Scarlett hatte nicht begriffen, daß alle Spielregeln auf den Kopf gestellt waren und ehrliche Arbeit nicht mehr ihren gerechten Lohn eintrug. Georgia stand jetzt tatsächlich unter Kriegsrecht Die Yankees hatten ihre Garnisonen überall, die Sklavenbefreiungsbehörde herrschte unbeschränkt und regelte alles nach Willkür und Belieben. Diese Behörde, die die Union zur Befreiung der früheren Sklaven eingerichtet hatte, zog die Sklaven zu Tausenden aus den Plantagen in die Städte und Dörfer. Von dieser Behörde aus wurden sie erhalten, solange sie arbeitslos herumlungerten; von dort aus wurde ihr Geist gegen ihre früheren Eigentümer vergiftet. Geralds alter Sklavenaufseher Jonas Wilkerson hatte die Bezirksstelle Jonesboro zu leiten, und sein Assistent war Hilton, Cathleen Calverts Mann. Beide verbreiteten geflissentlich das Gerücht, die Südstaatler und Demokraten warteten nur auf eine gute Gelegenheit, die Sklaven wieder zu Sklaven zu machen, und die einzige Hoffnung der Schwarzen sei der Schutz, den sie von der Behörde und der Republikanischen Partei empfingen.

(S.8,608

Wilkerson und Hilton hatten die Macht, Scarlett in jedes Geschäft dreinzureden, das sie abschloß, und für alles, was sie kaufte oder verkaufte, die Preise festzusetzen.

(S.8,609

ihrem Glück war Scarlett bisher sehr wenig mit den beiden in Berührung gekommen. Will hatte sie überredet, das Geschäftliche ihm zu überlassen, während sie die Plantage leitete. In seiner ruhigen Art hatte er mehrere Schwierigkeiten beigelegt und ihr nichts davon gesagt. Wenn es sein mußte, konnte er mit Schiebern und Yankees fertig werden, aber nun war ein Problem aufgetaucht, das ihm über den Kopf wuchs. Über die Steuereinschätzung von Tara und die Gefahr der Zwangsversteigerung mußte Scarlett sofort unterrichtet werden.

(S.8,619

»Wieviel Zuschlag sollen wir denn bezahlen?« »Dreihundert Dollar.« Einen Augenblick brachte sie kein Wort hervor. Ebensogut hätten es drei Millionen Dollar sein können. »Ja ...«, stotterte sie, »ja ... dann müssen wir wohl irgendwie dreihundert Dollar aufbringen.« »Ja, Miß Scarlett, und dazu einen Regenbogen und ein oder zwei Monde.« »Ja, aber Will! Sie können doch Tara nicht unter den Hammer bringen ...« Seine gutmütigen blauen Augen enthielten mehr Haß und Bitterkeit, als sie ihnen zugetraut hatte. »Nicht? Sie können es, sie tun es, und sie tun es sogar gern! Miß Scarlett, unser Land ist schnurstracks zur Hölle gefahren.

(S.8,625

In diesem Staat hat kein Demokrat das Stimmrecht, wenn er im Jahre 65 mit mehr als zweitausend Dollar zu Buch gestanden hat. Damit fallen Leute wie Ihr Pa, Mr. Tarleton, McRaes und Fontaines einfach aus. Niemand hat Stimmrecht, der im Krieg Oberst oder etwas Höheres war, und ich möchte wetten, Miß Scarlett, gerade aus Georgia haben es mehr bis zum Oberst gebracht als aus irgendeinem anderen konföderierten Staat Und niemand hat Stimmrecht, der unter der konföderierten Regierung Beamter war; damit fallen wieder alle vom Notar bis zum Richter aus, und die Wälder stecken voll von solchen Leuten.*

* Zum Stimmrecht der Südstaatler vor dem Bürgerkrieg heißt es in der Wikipedia

"Trotz seiner geringeren Bevölkerungszahl nahm der Süden mit seiner reichen Pflanzeraristokratie bis zum Bürgerkrieg die politisch und gesellschaftlich führende Rolle innerhalb der USA ein. So kamen zum Beispiel die meisten Präsidenten aus den Sklavenstaaten. Zudem wog die Stimme eines weißen Südstaatlers bei Wahlen ungleich schwerer als die eines Nordstaatlers. Denn die Anzahl der Abgeordneten, die ein Staat ins Repräsentantenhaus entsenden durfte, hing von seiner Einwohnerstärke ab. Jedem der Südstaaten aber wurde die Zahl der dort lebenden afroamerikanischen Sklaven zu drei Fünfteln angerechnet, obwohl diesen selbst das Wahlrecht verwehrt war. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts schritten Industrialisierung und Bevölkerungswachstum im Norden zwar rasch voran, so dass sich das wirtschaftliche Gewicht immer mehr zu seinen Gunsten verschob. Gleichzeitig aber gewannen die Stimmen der Südstaatler im Kongress an Gewicht, da die Anzahl ihrer Sklaven zwischen 1780 und 1860 von 500.000 auf 4 Millionen anstieg.[18] 

(S.8,629

wie die Yankees den Treueid abgefaßt haben, kann überhaupt niemand, der vor dem Krieg etwas war, heute stimmen, die Tüchtigen nicht, die Vornehmen nicht, die Reichen nicht. -

(S.8,633

Ich leiste den Eid nicht, und wenn ich nie wieder stimmen sollte. Aber solche Schufte wie Jonas Wilkerson und Hilton und solch Bettelpack wie die Slatterys und MacIntoshs, die können stimmen, die sitzen jetzt an den leitenden Stellen. Und wenn sie jemanden ein dutzendmal für neue Steuern belangen wollen, so können sie es. Und ein Sklaven kann einen weißen Mann umbringen, ohne dafür gehenkt zu werden, und er kann eine weiße Frau ...« Er hielt betroffen inne, und beide dachten an das Schicksal einer einsamen weißen Frau auf einer abgelegenen Farm bei Lovejoy. »Alles können die Sklaven uns antun, und die Freilassungsbehörde und die Soldaten stehen mit ihren Gewehren hinter ihnen, und wir können nicht einmal stimmen.«

(S.8,710

»Ich scheue mich vor der nackten Wirklichkeit. - Es ist wie ein Fluch. Vor dem Kriege war mir das Leben nicht wirklicher als ein Schattenspiel auf einem Vorhang, und so war es mir lieb. Ich habe allzu scharfe Umrisse nicht gern, lieber sehe ich sie ein wenig verwischt ...« Er hielt inne und lächelte matt. Als der kalte Wind durch sein dünnes Hemd blies, schauderte er ein wenig zusammen. »Mit anderen Worten, Scarlett, ich bin ein Feigling.«

(S.8,716

»Das ist nicht wahr. Wäre ein Feigling bei Gettysburg auf die Kanone gestiegen und hätte die Truppe wieder gesammelt? Hätte der General persönlich Melly einen Brief geschrieben, wenn du ein Feigling wärst ...« »Das ist nicht Mut«, sagte er müde. »Der Kampf ist wie Wein. Er steigt den Feiglingen ebenso rasch in den Kopf wie den Helden. Auf dem Schlachtfeld kann jeder Wicht tapfer sein, wenn es heißt, tapfer zu sein oder zu sterben.

(S.8,721

Bei jedem anderen, der solche Worte sprach, hätte Scarlett sie verächtlich als eine Koketterie empfunden, aber Ashley meinte wirklich, was er sagte, und in seinen Augen war etwas, was sie nicht zu fassen vermochte. Der Winterwind fegte ihr um die feuchten Enkel, wieder schauderte sie zusammen, aber weniger vor Kälte als vor Grauen über seine Worte. »Ashley, wovor fürchtest du dich?«

(S.8,726

Ich nehme es schwer, daß die Schönheit des alten Lebens verlorengegangen ist. Scarlett, vor dem Kriege war das Leben schön, ein Ebenmaß lag darüber wie über der griechischen Kunst.

(S.8,729

Ich weiß wohl, es war ein Schattenspiel, dem ich zusah. Allem, was nicht Schatten war, ging ich aus dem Wege, Menschen und Verhältnissen, und ich grollte ihnen, wenn sie sich eindrängten. Auch dich habe ich zu fliehen gesucht. Scarlett. Du warst zu sehr voller Leben, zu wirklich, und ich war feige genug, lieber unter Schatten und Träumen zu sein.« »Aber ... aber ... Melly?« »Melly ist unter allen Träumen der edelste. Ihre Gestalt gehört in meine Träume, und wäre der Krieg nicht gewesen, ich hätte mein Leben zu Ende gelebt und wäre zufrieden in Twelve 0aks begraben worden, zufrieden damit, daß das Leben vor meinen Augen vorbeizog, ohne mich hineinzureißen.

(S.8,737

Das Schlimmste waren die Menschen, mit denen ich leben mußte. Immer hatte ich mich vor den Menschen gehütet und behutsam meine wenigen Freunde gewählt. Aber der Krieg hat mich gelehrt, daß ich mir eine Traumwelt mit Schattenfiguren erschaffen hatte. Im Kriege habe ich gesehen, wie die Menschen in Wirklichkeit sind. Aber gelernt habe ich nicht, wie ich mit ihnen leben soll.

(S.8,740

Ich bin nicht wie du, Scarlett, die du das Leben bei den Hörnern nimmst und es biegst nach deinem Willen. Mir ist angst.«

(S.8,748

»Wenn du Angst hast, wir könnten verhungern ... ach, Ashley, wir schlagen uns schon ir gendwie durch!« Einen Augenblick lang kehrten seine Augen zu ihr zurück, weit offen und kristallgrau und von Bewunderung erfüllt. Dann entwichen sie wieder in unerreichbare Ferne, und schweren Herzens begriff sie, daß es nicht der Hunger war, woran er gedacht hatte. Ihr war, als sprächen sie in verschiedenen Sprachen miteinander. Aber sie liebte ihn so sehr, daß ihr jetzt, während er wieder zurückwich, zumute war, als ginge die Sonne unter und ließe sie in der traurigen Kälte der Dämmerung zurück. Am liebst en hätte sie ihn bei den Schultern genommen und an sich gezogen, damit er spüre, daß sie Fleisch und Blut war und nicht eine Gestalt aus Büchern und Träumen. Könnte sie sich doch nur einmal eins mit ihm fühlen!

(S.8,755

»Der Hunger? Nein, der Hunger ist es nicht ...«, sagte er. Verzweifelt dachte Scarlett, Melanie verstünde ihn sicher. Sie und er redeten immer solch närrisches Zeug miteinander. Er fürchtete nicht das, was sie fürchtete, nicht den nagenden leeren Magen, den scharfen Winterwind,

(S.8,757

Ihm schauderte vor etwas anderem, wovon sie nichts wußte.

(S.8,759

»Vergib mir meine Worte, Scarlett. Ich kann mich dir nicht verständlich machen, weil du nicht weißt, was Furcht heißt. Du bist beherzt wie ein Löwe und hast nicht eine Spur von Phantasie. Um beides beneide ich dich. Dir macht es nichts aus, der Wirklichkeit dein Leben lang ins Gesicht zu sehen, und nie wirst du ihr entfliehen wollen wie ich. « Fliehen! Das war das einzige verständliche Wort, das er gesprochen hatte. Ashley war des Kampfes müde wie sie und wollte fliehen. Sie atmete rasch. »Ashley, du irrst dich, ich möchte auch fliehen! Ich bin es alles so müde!«

(S.8,778

Kannst du ehrlich sagen, daß du mich nicht liebst ?« Er holte tief Atem und erwiderte rasch: »Nein, ich liebe dich nicht.«  »Du lügst.« »Und wenn ich löge ...« in Ashleys Stimme lag eine tödliche Ruhe, »so ist das etwas, was wir nicht miteinander erörtern können.« »Du meinst ...« »Glaubst du, ich könnte fortgehen und Melanie und das Kind verlassen, selbst wenn ich sie beide haßte! Ich könnte Melanie das Herz brechen und die beiden der Barmherzigkeit fremder Menschen überlassen? Scarlett, bist du wahnsinnig? Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Du könntest doch auch deinen Vater und die beiden Mädchen nicht verlassen. Du bist für sie verantwortlich wie ich für Melanie und das Kind. Und ob du ihrer müde bist oder nicht, sie sind da. Du mußt es ertragen.« »Ich könnte sie verlassen, denn ich bin ihrer müde und über drüssig.«

(S.8,786

»Ich weiß, wie müde, wie überdrüssig du ihrer aller bist, darum spri chst du so. Du hast die Last von drei Männern getragen. Aber ich will dir helfen ... ich bleibe nicht immer so unbeholfen wie jetzt.« »Nur auf eine einzige Weise kannst du mir helfen«, erwiderte sie dumpf. »Du mußt mit mir fortgehen, wir müssen irgendwo neu anfangen, um glücklich zu werden. Hier hält uns nichts.« »Nichts«, sagte er ruhig, »nur die Ehre.«

(S.8,794

Sie ließ den Kopf auf die Hände sinken und weinte. Er hatte sie nie weinen sehen. Er hatte nicht geglaubt, daß eine Frau von ihrer Art weinen könnte. Reue und Zärtlichkeit wallten ihn ihm auf. Sogleich war er bei ihr und hatte sie in seinen Armen, wiegte sie tröstend, drückte den dunklen Kopf an sein Herz und flüsterte: »Laß das, liebes Herz! ... Mein tapferes Kind, nicht weinen!« Als er sie berührte, fühlte er, wie sie sich in seinen Armen verwandelte. In dem schlanken Körper, den er umfing, stak Zauberkraft. In den grünen Augen, die zu ihm aufblickten, funkelte eine weiche, erregende Glut. Plötzlich war es nicht mehr öder Winter. Für Ashley war es wieder Frühling, halbvergessener, erquickender Frühling, rauschend, murmelnd und grün, voller Behagen und Gleichmut, sorglose Tage, da die Träume der Jugend ihn noch wärmten. Die bitteren Jahre waren verschwunden. Er sah ihre roten, bebenden Lippen, die sich ihm zuwandten, und küßte sie.

(S.8,803

Als er sie dann jäh losließ, konnte sie nicht allein stehen und griff nach dem Zaun, um sich zu stützen. Ihre Augen glühten vor Liebe und Triumph, als sie zu ihm aufsah. »Du liebst mich! Du liebst mich! Sag es, o sag es!«

(S.8,807

»Laß das!« sagte er, »nicht! Sonst vergesse ich mich.« Sie lächelte strahlend heiß. Zeit und Raum waren vergessen. Sie spürte nur noch seinen Mund auf dem ihren. Da begann er sie plötzlich zu schütteln, und er schüttelte sie, bis ihr schwarzes Haar sich löste und ihr über die Schultern herabfiel, schüttelte sie wie in wilder Wut über sie - und über sich selbst.

(S.8,812

»Es ist alles meine Schuld, nicht deine, und es soll nie wieder geschehen. Ich gehe fort und nehme Melanie und das Kind mit.« »Du gehst?« rief sie in höchster Angst. »Nein, nein!« »Doch, bei Gott! Glaubst du, ich bleibe hier, nachdem dies geschehen ist und wieder geschehen könnte?« »Ach, Ashley, du kannst ja nicht fort, wohin solltest du denn? Du liebst mich ja!« »Soll ich es durchaus sagen? Gut, ich sage es. Ich liebe dich.« Er beugte sich mit einer solchen Wildheit über sie, daß sie gegen den Zaun zurückwich. »Ich liebe dich, deinen Mut, deinen Eigensinn, dein Feuer, deine völlige Herzlosigkeit. Wie sehr ich dich liebe?

(S.8,820

»Wenn du ebenso fühltest ... und mich doch nicht genommen hast ... dann liebst du mich nicht.« »Du kannst mich ja doch nie verstehen.« Sie versanken in Schweigen und starrten einander an. Plötzlich schauerte Scarlett zusammen. Als käme sie von einer langen Reise zurück, gewahrte sie auf einmal, daß es Winter war und die Felder mit ihren hartgefrorenen Stoppeln vor ihr lagen. Es fror sie sehr.

(S.8,825

»Es bleibt mir nichts«, sagte sie endlich. »Nichts zu lieben, nichts, wofür ich kämpfen könnte. Mit dir ist es aus und mit Tara auch bald.« Er sah sie lange an, dann bückte er sich und nahm einen kleinen roten Lehmklumpen vomBoden auf. »Doch, eins ist dir geblieben«, sagte er, und geisterhaft kehrte sein altes Lächeln, das ihn selbst und sie zu verspotten schien, auf sein Gesicht zurück. »Etwas, das du mehr liebst als mich, wenn du es vielleicht auch nicht weißt. Du hast immer noch Tara.«

(S.8,831

Sie sah Ashley an, und es dämmerte ihr, wie reinen Herzens er war und daß ihre leidenschaftlichen Hände, daß alle irdischen Dinge ihm nichts anhaben konnten. Und wenn er daran zugrunde ging, Melanie verließ er nie. Und wenn er bis an das Ende seines Lebens sich in Liebe zu Scarlett verzehren sollte, nie würde er sich an ihr vergreifen und immer danach ringen, sie von sich fernzuhalten.

(S.8,834

Gastfreundschaft, Treue und Ehre, diese Worte bedeuteten ihm mehr als sie. Kalt lag der Lehm in ihrer Hand, und wieder schaute sie den Klump en an. »Ja«, sagte sie, »dies habe ich noch.«

(S.8,842

Ashley sah ihr nach, wie sie im Gehen die schmalen, mageren Schultern straffte, und das ging ihm tiefer zu Herzen als alle Worte, die sie gesprochen hatte. 32

(S.8,898

Diese verdammten Sklavenfreunde wagten es, herzukommen und sie wegen ihrer Armut zu verhöhnen!

(S.8,906

Sie schloß die Tür, lehnte sich dagegen und stand größere Angst aus als zu der Stunde, da Shermans Soldaten kamen und plünderten. Damals erschien ihr als das Schlimmste, das je geschehen könnte, daß Tara ihr über dem Kopf angezündet würde. Aber dies war schlimmer - daß diese gemeinen Menschen hier in diesem Hause wohnen sollten und ihren gemeinen Freunden vorprahlen, sie hätten die stolzen 0'Haras vor die Tür gesetzt. Vielleicht brachten sie gar Sklaven zum Essen und Schlafen mit her. Und Will hatte ihr erzählt, Jonas mache sich sehr wichtig damit, auf gleichem Fuß mit den Sklavenn zu verkehren, er esse mit ihnen, besuche sie in ihren Häusern, fahre mit ihnen in seinem Wagen spazieren und lege ihnen den Armumdie Schultern.

(S.8,917

Was ihr soeben eingefallen war, lag so nahe, daß sie gar nicht begreifen konnte, warum sie nicht eher darauf gekommen war. »Rhett muß mir das Geld geben. Ich verkaufe ihm die Diamantohrringe, oder ich borge das Geld von ihm und verpfände ihm die 0hrringe, bis ich es zurückzahle.« Der Stein, der ihr vom Herzen fiel, war so schwer, daß ihr einen Augenblick ganz schwach wurde. Sie würde die Steuern bezahlen und Jonas Wilkerson ins Gesicht lachen! Aber dem glücklichen Einfall folgte erbarmungslos die Ernüchterung auf dem Fuße. »Ich brauche ja die Steuersumme nicht nur für dieses Jahr. Nach diesem Jahre kommt das nächste und so fort mein ganzes Leben lang. Wenn ich dieses Mal alles bezahle, treiben sie mir nächstes Mal die Steuern noch weiter in die Höhe, bis sie mich vor die Tür setzen können.

(S.8,924

Die Yankees und die Schufte, die mit ihnen an einem Strang ziehen, haben mich nun soweit, wie sie mich haben wollten. In ewiger Angst werde ich leben vor dem Augenblick, da sie mir doch noch die Luft abschnüren; an nichts anderes werde ich mehr denken können, als Geld zusammenzukratzen, ich werde mich totarbeiten für nichts und wieder nichts und zusehen müssen, wie man mir meine Baumwolle stiehlt

(S.8,944

Seine Frau. Mrs. Rhett Butler. Ein kleiner Widerwille regte sich tief unter dem kalten Denken, regte sich schwach und wurde zur Ruhe gebracht.

(S.8,963

In der trüben Winterdämmerung langte sie am Ende des mühseligen Weges an, den sie in der Nacht, da Atlanta fiel, angetreten hatte. Als verwöhntes, selbstsüchtiges Kind hatte sie sich damals aufgemacht in der Fülle der Jugend und des Gefühls, sehr ratlos noch vor dem Leben. Jetzt am Ende des Weges war von diesem Kinde nichts mehr übrig. Hunger und harte Arbeit, Angst und beständige Anspannung, die Schrecken des Krieges und die Schrecken des Wiederaufbaus hatten alle Wärme, alle Jugend, alle Weichheit von ihr genommen. Um ihr Wesen hatte sich eine harte Schale gebildet, die in den endlosen Monaten nach und nach, Schicht um Schicht, immerundurchdringlicher geworden war. Aber bis heute hatte zweierlei Hoffnung sie aufrechtgehalten. Sie hatte gehofft, daß nach dem Ende des Krieges das Leben allmählich in seine alten Bahnen zurückgleiten würde, und gehofft, daß Ashleys Heimkehr dem Leben wieder einen Sinn geben könnte. Beides war nicht in Erfüllung gegangen. Der Anblick von Jonas Wilkerson in der Einfahrt von Tara hatte ihr klargemacht, daß für sie und den ganzen Süden der Krieg nie zu Ende ging.

(S.8,983

Heute noch wollte sie der Familie mitteilen, daß sie nach Atlanta ginge, um Geld aufzutreiben und wenn nötig eine Hypothek auf das Gut zu beschaffen.

(S.9,180

Als sie, mit der watschelnden Mammy hinter sich, die Pfirsichstraße entlangging, fand sie die Fußsteige genauso voller Menschen wie mitten im Kriege, und in der wiederauferstandenen Stadt herrschte das gleiche Hasten und Jagen, bei dem ihr Herz vor Freude gepocht hatte, als sie zu ihrem ersten Besuch hergekommen war. Es schienen ihr noch ebenso viele Fuhrwerke wie damals zu sein, die durch die Schmutzlöcher rumpelten, nur fehlten die Krankenwagen der Konföderierten;

(S.10,043)

Scarlett wußte, daß auch sie sich sehr verändert hatte. Sonst hätte sie all das nicht tun können, was sie seit ihrem letzten Aufenthalt in Atlanta getan hatte. Sonst hätte das nicht für sie in Betracht kommen können, was sie jetzt so verzweifelt wünschte. Aber zwischen der Härte der anderen und ihrer eigenen war ein Unterschied, welcher, konnte sie im Augenblick nicht feststellen. Vielleicht bestand er darin, daß es für sie nichts gab, was sie unter keinen Umständen tun würde, und für die andern so vieles, was sie um keinen Preis tun würden, und wenn es sie das Leben kostete. Vielleicht auch darin, daß sie keine Hoffnung mehr hatten und mit lächelnder Miene das Leben an sich vorüberziehen ließen. Das aber konnte Scarlett nicht. Sie konnte nicht das Leben an sich vorbeigehen lassen. Sie mußte es leben, und es war zu unbarmherzig, zu feindlich, als daß sie auch nur hätte versuchen können, es mit einem Lächeln zu beschönigen. Den liebenswürdigen Mut und den unerschütterlichen Stolz ihrer Freunde erkannte Scarlett nicht. Sie sah nur eine törichte Halsstarrigkeit, die wohl die Tatsachen zur Kenntnis nahm, aber sich lächelnd weigerte, ihnen ins Gesicht zu sehen.

(S.10,058

Sie konnte nicht wie diese Menschen sein und dem Untergang einer Welt gleichmütig zusehen, als ginge es sie nichts an. Sie fühlte sich gejagt wie ein Fuchs und floh mit zerspringendem Herzen, um sich in den Bau zu retten, ehe die Hunde über sie herfielen. Plötzlich haßte sie sie alle, weil sie anders waren als sie selbst und ihren Verlust mit einer Haltung trugen, die sie nicht aufbringen konnte und wollte.

(S.10,065

Sie würde sich nicht als Dame fühlen, bis ihr Tisch wieder mit Silber und Kristall beladen war und würzige Speisen darauf dampften, bis sie ihre eigenen Pferde im Stall und einen eigenen Wagen hatte, bis schwarze Hände und nicht weiße die Baumwolle von Tara pflückten. Dies war der Unterschied! Die Dummköpfe sahen nicht ein, daß man ohne Geld keine Dame sein konnte!

(S.10,070

In diesem einen Punkt hatten die Yankees recht, auch wenn sie sonst überall irrten; es gehörte Geld dazu, Dame zu sein. Ellen hätte sich auch der äußersten Armut nie geschämt, aber Scarlett schämte sich, weil sie wirkliche Not litt und Sklavenarbeit tun sollte.

(S.10,093

Wäre er nur nicht so schüchtern! Er erinnerte sie an ein scheues altes Feldkaninchen. Hätte er nur etwas von der glühenden Leidenschaftlichkeit der Tarletonschen Jungens oder etwas von Rhett Butlers grober Unverfrorenheit! Dann freilich besäße er auch den Spürsinn, die Verzweiflung zu wittern, die unmittelbar hinter ihren züchtig auf und nieder schlagenden Lidern lauerte. Aber er kannte die Frauen so wenig, daß er nichts von dem ahnte, was in ihr vorging. Das war ihr Glück, aber ihre Achtung vor ihmwuchs dabei nicht. Vierzehn Tage darauf heiratete sie Frank Kennedy, nachdem er ihr so stürmisch den Hof gemacht hatte, daß sie ihm errötend gestand, es benähme ihr den Atem und sie vermöchte seiner Glut nicht länger zu widerstehen.

(S.10,184

Wie alle Männer war er enttäuscht, als er sehen mußte, daß eine Frau Verstand hatte.

(S.10,199

Schon früh lernte Frank in seiner Ehe, daß das Leben höchst angenehm war, wenn er seiner Frau ihren Willen ließ.

(S.10,238

Frank ist zu gutmütig, und das nutzen die Leute aus. Hätte er nur die Hälfte dieses Geldes eingetrieben, er hätte die Sägemühle kaufen können und dabei noch das Geld für meine Steuern übrig gehabt.« Weiter dachte sie: »Nun aber stelle man sich Frank vor, wenn er eine Sägemühle betreibt! Heiliger Strohsack! Wenn er schon den Laden wie eine wohltätige Stiftung aufzieht, wie will er dann mit einer Sägemühle Geld verdienen? Die käme ja binnen einem Monat zur Zwangsversteigerung. Wahrhaftig, ich könnte den Laden besser führen als er, und die Sägemühle auch, wenn ich auch nichts vom Holzhandel verstehe.«

(S.10,258)

Sie hörte ihn im Geist schon stöhnen, wenn sie mit solchen Vorschlägen käme. Seinen Freunden Schmuck und Landbesitz fortnehmen! Aber es mußte sein.

(S.10,291

Einfluß ist alles, Scarlett. Denke daran, wenn du einmal verhaftet wirst. Einfluß ist alles. Schuld und Unschuld sind nur Doktorfragen.« »Ich möchte einen Eid darauf schwören, daß Sie nicht unschuldig waren.« »Nein, jetzt, da ich aus dem Netz heraus bin, gebe ich offen zu, daß ich schuldig bin wie Kain. Ich habe den Sklaven umgebracht. Er wurde unverschämt gegen eine Frau, und was blieb einem Gentleman da anderes übrig? Und da ich nun einmal beim Beichten bin, muß ich auch bekennen, daß ich einen Yankeesoldaten nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit in einer Kneipe erschossen habe. Diese Lappalie ist mir aber nicht angekreidet worden, und so hängt deswegen vielleicht längst irgendein anderer armer Teufel am Galgen.«

(S.10,355)

0bwohl seine Fragen peinlich unverblümt waren, zeugten sie doch von einer freundschaftlichen Anteilnahme. Er war einer, dem sie die Wahrheit sagen konnte, und das tat ihr wohl. Es war schon lange her, daß sie über sich selbst und ihre Beweggründe jemandem die Wahrheit hatte sagen können. Sobald sie aussprach, was sie dachte, tat alle Welt entrüstet. Ein Gespräch mit Rhett war nur mit der Erleichterung und dem Behagen zu vergleichen, das ein Paar alte Schuhe bot, nachdem man in zu engen getanzt hatte. »Du hast das Geld für die Steuern bekommen? Sage mir nicht, daß auf Tara noch der Wolf vor der Tür steht.« Ein neuer Ton klang in seiner Stimme. Sie blickte auf, um seinen dunklen Augen zu begegnen, und gewahrte etwas darin, was sie zuerst erschreckte und verwirrte, aber dann ein Lächeln hervorzauberte, ein zutrauliches, reizendes Lächeln, das nur noch selten auf ihrem Gesicht zu sehen war. Was für ein elender Querkopf war er doch, aber wie nett konnte er zuweilen sein! Jetzt begriff sie, warum er eigentlich gekommen war. Nicht, um sie zu verhöhnen, sondern um sich zu überzeugen, ob sie das Geld, nach dem sie so verzweifelt verlangt hatte, auch bekommen hätte. Kaum in Freiheit, war er eilends zu ihr gegangen, ohne sich jedoch seine Eile anmerken zu lassen, um ihr das Geld zu leihen, falls sie es noch brauchte, und doch quälte und kränkte er sie. (S.10,619)

Scarlett hatte für die meisten ihrer Nachbarn nicht viel übrig und war mit ihrer Mühle viel zu beschäftigt, als daß sie den Verkehr entbehrte. Ihr war es einerlei, wenn die Besuche ausblieben. Aber Frank empfand es bitter. Sein Leben lang hatte er sich von dem Satz leiten lassen: »Was sagen die Leute?«, und jetzt mußte er wehrlos die unaufhörlichen Verstöße seiner Frau gegen die gesellschaftlichen Sitten mit ansehen. Er empfand, daß ihn alle über die Achsel ansahen, weil er Scarlett gestattete, sich zu »emanzipieren«. Aber wenn er ihr mit Einwendungen, Vorwürfen oder Verboten kam, entlud sich ein Gewitter über seinem Haupte. Sie konnte schnell in Wut geraten und länger böse bleiben, als er es je bei einer Frau erlebt hatte. Selbst wenn alles zum besten stand, war es oft erschreckend, wie schnell und vollständig sich die lustige, liebevolle Gattin, die ein Liedchen vor sich hin summte, während sie durchs Haus ging, in einen ganz anderen Menschen verwandeln konnte: er brauchte nur zu sagen: »An deiner Stelle würde ich ...«, dann brach der Sturm schon los.

(S.10,709)

Die armen Sklavenseelen glauben Wort für Wort, was diese Schufte ihnen einreden und vergessen, was wir alles für sie getan haben. Nun reden die Yankees davon, die Schwarzen sollen das Stimmrecht bekommen und wir nicht. Es gibt ja kaum eine Handvoll von Demokraten in der ganzen Provinz, denen nicht das Stimmrecht entzogen ist, seitdem keiner mehr abstimmen darf, der für die Konföderierten gekämpft hat. Wenn sie den Sklaven das Stimmrecht geben, ist es mit uns aus. Verflucht noch mal, es ist doch unser Staat! Er gehört doch nicht den Yankees! Bei Gott, Scarlett, es ist nicht zu ertragen, und es wird auch nicht ertragen! Wir tun etwas dagegen, und wenn es wieder Krieg gibt! Bald haben wir die Sklaven als Richter und als Gesetzgeber, schwarze Affen aus den Dschungeln ...« (S.10,744)

Die Sklaven hatten die Oberhand, und hinter ihnen standen die Bajonette der Yankees. Man konnte umgebracht und vergewaltigt werden, und nichts wurde dagegen getan. Wenn jemand sich rächte, so wurde er von den Yankees aufgehängt, ohne von Richtern und Geschworenen verhört zu werden. Die Yankeeoffiziere konnten, ohne sich im geringsten um irgendwelche Gesetze zu kümmern, ein Standgericht inszenieren und einem Südstaatler den Strick um den Hals legen. »Was sollen wir tun?« dachte sie und rang in hilfloser Herzensangst die Hände. »Was sollen wir gegen solche Lumpen machen, die einen Kerl wie Tony aufhängen wollen, nur weil er einen betrunkenen Sklaven und einen weißen Schuft umgebracht hat, um die Frauen seiner Familie zu beschützen. Es ist nicht zu ertragen!« Sie erbebte, zum erstenmal in ihrem Leben sah sie Menschen und Ereignisse von ihrer eigenen Person losgelöst und erkannte, daß es nicht allein auf die verängstigte, hilflose Scarlett ankam.

(S.10,757)

In den Gesichtern der beiden Männer, die jetzt eben über die Kerzenflamme hinweg einander ins Auge blickten, hatte sie etwas gelesen, was ihr Mut und Angst zugleich machte: den Zorn, der keine Worte fand, und die Entschlossenheit, die vor nichts zurückschreckt. Zum ersten Male fühlte sie sich mit ihren Landsleuten verbunden, einig in ihren Befürchtungen, ihrer Bitterkeit und ihrer Entschlossenheit. Nein, es war nicht zu ertragen. Der Süden war zu schön, als daß er kampflos preisgegeben werden durfte. Die Yankees sollten ihn nicht zertrampeln. Er durfte nicht an unwissende Sklaven, die von Whisky und Freiheit besoffen waren, ausgeliefert werden.

(S.10,773)

»Einen Wahlzettel?« Sie war verzweifelt. »Was hilft denn ein Wahlzettel, wenn die Schwarzen verrückt werden, weil die Yankees ihnen das Herz gegen uns vergiften!« Frank fuhr geduldig in seinen Erklärungen fort, aber der Gedanke, daß Wahlzettel der Not abhelfen sollten, war zu verwickelt, als daß sie ihm folgen konnte. Voller Dankbarkeit überlegte sie sich, daß Jonas Wilkerson ihnen nun nie wieder auf Tara das Leben zur Hölle machen konnte, und dachte an Tony. »Die armen Fontaines! Nun ist nur noch Alex da, und auf Mimosa gibt es so viel Arbeit. Warum hatte Tony nicht soviel Verstand, es nachts und heimlich zu tun! Er könnte sich daheim bei der Frühjahrsbestellung viel nützlicher machen als in Texas.«

(S.10,788)

Frank meinte, das Stimmrecht könnte ihnen dazu verhelfen. Aber was machte ein Stimmzettel aus! Die guten Familien im Süden bekamen ihn doch nicht wieder. Es gab nur ein einziges sicheres Bollwerk gegen alles Ungemach, das das Schicksal bringen konnte, und das war Geld. Fieberhaft verlangte sie nach viel Geld, das sie vor dem Unglück beschützte. Unvermittelt

(S.10,791)

erzählte sie ihm, daß sie ein Kind erwarte. Nach Tonys Flucht wurde Tante Pittys Haus noch wochenlang immer wieder von den Soldaten der Yankees durchsucht. Zu jeder beliebigen Zeit drangen sie unangemeldet ein. Sie schwärmten durch alle Zimmer, stellten Fragen, öffneten Schränke, stöberten in Waschkörben herum und schauten unter die Betten.

(S.10,817)

Wenn Scarlett sich in diesem kalten Frühling des Jahres 1866 in ihrer Umgebung umsah, wurde ihr klar, was dem ganzen Süden bevorstand. Sie mochte schwerer arbeiten, als je ihre Sklaven es getan hatten, sie mochte durch ihre eigene Entschlossenheit Schwierigkeiten überwinden, für die ihr vergangenes Leben ihr keinerlei Rüstzeug mitgegeben hatte, dennoch konnte das wenige, was sie so schwer errungen hatte, ihr jeden Augenblick wieder entrissen werden. Es gab für sie keine gesetzliche Hilfe, keine Instanz, wo sie ihr Recht verlangen konnte, außer den Standgerichten mit ihrer schrankenlosen Willkür. Nur für die Sklaven gab es noch Gesetz und Recht. Der Süden lag vor den Yankees im Staub, und dabei sollte es bleiben. Es war, als habe eine boshafte Riesenhand dieses Land niedergeworfen, und die Herren von einst waren hilfloser, als ihre früheren Sklaven je gewesen waren. (S.10,832)

Die Zeitungen wurden so scharf beaufsichtigt, daß öffentlich nicht gegen die Ungerechtigkeit und Räubereien des Militärs Verwahrung eingelegt werden konnte, und wenn ein einzelner sich zur Wehr setzte, stand Gefängnis darauf. In den Gefängnissen wimmelte es von angesehenen Bürgern, und sie blieben dort ohne jede Hoffnung auf baldige Aburteilung. (S.10,840)

Die Sklaven hatten das Stimmrecht noch nicht bekommen, aber der Norden war gewillt, es ihnen zu gewähren. Sie sollten zugunsten des Nordens stimmen, und daher war nichts für die Sklaven gut genug. (S.10,844)

Die Haussklaven, der höherstehende Teil der schwarzen Bevölkerung, blieben zu Tausenden bei ihren weißen Herrschaften und taten schwere Arbeit, die in früheren Zeiten unter ihrer Würde gewesen war. Auch viele treue Ackerknechte weigerten sich, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, doch stammten die schlimmsten Unruhestifter in den Horden der Freigelassenen zum großen Teil aus der Klasse der Feldsklaven. (S.10,851)

Mit Hilfe der gewissenlosen Abenteurer, die in der Freilassungsbehörde saßen, und unterstützt durch den Haß der Nordstaaten, der in seinem Fanatismus fast etwas Religiöses hatte, fanden sich die früheren Ackerknechte plötzlich im Besitz der Macht. Sie benahmen sich dabei so, wie es von Köpfen niedrigsten Verstandes zu erwarten war. Gleich Affen und kleinen Kindern, die man auf Kostbarkeiten losläßt, von deren Wert sie keinen Begriff hatten, kamen sie außer Rand und Band, sei es aus viehischer Zerstörungswut, sei es einfach aus Unwissenheit. Zur Ehre der Sklaven, auch der einfältigsten, konnte immer wieder beobachtet werden, daß nur wenige aus Bosheit handelten, und diese hatten schon in den Tagen der Sklaverei zum Abschaum gehört. Als Menschenklasse waren sie kindlichen Gemüts, leicht lenkbar und aus langer Übung gewohnt zu gehorchen. Früher hatten ihre weißen Besitzer ihnen befohlen; jetzt hatten sie eine neue Klasse von Herren, die Behörde und die Schieber, und deren Befehl lautete: »Ihr seid so gut wie jeder Weiße, also handelt danach. Sobald ihr den Wahlzettel für die Republikaner abgeben könnt, bekommt ihr das Eigentum der Weißen. Es ist so gut, als hättet ihr es schon. Nehmt es, wenn ihr wollt.« (S.10,860)

Vom Lande strömten sie in Scharen in die Stadt, und in den ländlichen Bezirken lag die Feldarbeit danieder. Schon wimmelte es in Atlanta von ihnen, und noch immer kamen sie zu Hunderten herbei, faul und gefährlich infolge der neuen Lehre, die ihnen beigebracht wurde. (S.10,862)

In den schmutzigen Hütten, in denen sie zusammengepfercht hausten, brachen Blattern, Typhus und Tuberkulose aus. In früheren Zeiten waren sie gewohnt gewesen, in Krankheitsfällen von ihrer Herrin gepflegt zu werden; jetzt wußten sie sich nicht zu helfen. Früher hatten sie die Fürsorge für ihre Alten und Kleinen ihren Besitzern überlassen, jetzt fühlten sie sich für ihre Hilfsbedürftigen nicht verantwortlich. Die Freilassungsbehörde aber steckte viel zu tief in der Politik, um einzuspringen, wo früher die Plantagenbesitzer für sie gesorgt hatten. Verlassene Sklavenkinder liefen wie scheue Tiere durch die Stadt, bis gutherzige Weiße sie in ihrer Küche aufnahmen und großzogen. Schwarze Greise saßen einsam, ratlos und verängstigt mitten im städtischen Getriebe auf dem Bordstein und flehten die vorübergehenden Damen an: »Missis, bitte Missis, schreiben Sie an meinen alten Herrn, daß ich hier bin. Dann kommt er und holt seinen alten Sklaven wieder. 0 Jesus, Jesus, ich habe genug von der Freiheit!« Als die Freilassungsbehörde erkannte, was sie angerichtet hatte, versuchte sie, die Schwarzen zu ihren früheren Eigentümern zurückzuschicken. Ihnen wurde gesagt, wenn sie zurückkehrten, so täten sie es als freie Arbeiter, für die in einem geschriebenen Vertrag der Tagelohn festgelegt werde. Die Älteren kehrten daraufhin… (S.10,875)

Jetzt waren es nicht nur die Agitatoren der Behörden und die Schieber, die sie zum Saufen und Raufen ermunterten, sondern auch der Whisky selbst, und Ausschreitungen waren unvermeidlich. Weder Leben noch Eigentum war vor ihnen sicher, und die rechtlosen Weißen zitterten vor ihnen. Die Männer wurden auf der Straße von betrunkenen Schwarzen angepöbelt, Häuser und Scheunen nachts in Brand gesteckt, Pferde, Rinder und Hühner wurden bei helllichtem Tage gestohlen, Verbrechen jeder Art begangen, und nur wenige Frevler kamen vors Gericht. All diese Schandtaten und Bedrohungen waren jedoch nichts im Vergleich zu der Gefährdung der weißen Frauen, die, zum großen Teil durch den Krieg des männlichen Schutzes beraubt, allein, in abgelegenen Gegenden und an einsamen Landstraßen wohnten. Die große Anzahl der Sittlichkeitsverbrechen an Frauen, die fortwährende Gefahr für das Leben ihrer Gattinnen und Töchter brachte die Männer des Südens in kalte, bebende Wut… (S.10,885)

Es bot sich das merkwürdige Schauspiel, daß die eine Hälfte eines Volkes versuchte, der anderen Hälfte mit der Spitze des Bajonetts die Herrschaft der Sklaven aufzuzwingen, von denen viele vor kaum einem Menschenalter noch in den Urwäldern Afrikas gelebt hatten. Sie sollten das Stimmrecht bekommen, und den meisten ihrer früheren Eigentümer wurde es verweigert. (S.10,890)

Viele Männer urteilten sehr nüchtern über General Lees Wort und Beispiel und waren wie er bereit, den Treueid zu leisten, Bürger zu werden und das Vergangene zu vergessen, aber es wurde ihnen nicht erlaubt. Andere, denen man nichts in den Weg gelegt hätte, weigerten sich und verschmähten es, einer Regierung Treue zu schwören, die sie absichtlich jeder Grausamkeit und Demütigung auslieferte. Scarlett hörte immer wieder, bis sie hätte schreien mögen, das Wort: »Ich hätte den verfluchten Eid längst geleistet, wenn sie ehrlich und anständig… 

(S.10,904

Es war, als könnte Atlanta nicht anders als in der Hast leben, wie auch die jeweiligen Umstände sein mochten. Savannah, Charleston, Augusta, Richmond, New 0rleans hasteten nie. Das war geschmacklos und yankeehaft. Gerade damals aber war Atlanta geschmackloser und yankeehafter als je zuvor und je nachher. Neue Leute strömten von allen Seiten herein, von morgens bis abends war des Gewimmels und Getöses in den Straßen kein Ende.

(S.10,909

Der Krieg hatte die Bedeutung Atlantas für den Süden ein für allemal erwiesen, und der Name der bisher unbedeutenden Stadt war weit und breit bekannt geworden. Die Eisenbahnlinien, um die Sherman einen ganzen Sommer lang gekämpft, für die er Tausende von Männern geopfert hatte, brachten der Stadt, die ihnen ihr Dasein verdankte, auch jetzt wieder neues Leben.

(S.10,922

Die ehrsamen Bürger waren entsetzt, als Atlanta plötzlich ein blühendes, verrufenes Unzuchtsviertel hatte, größer und belebter als vor dem Kriege. Die ganze Nacht klimperten dort hinter herabgelassenen Jalousien die Klaviere, Gelächter und wüste Lieder schallten auf die Straße, dazwischen war hin und wieder ein Schrei oder ein Pistolenschuß zu hören. Die Insassen dieser Häuser waren dreister als die Dirnen der Kriegszeit. Sonntags nachmittags rollten sogar die eleganten geschlossenen Wagen der Frauenzimmer durch die Hauptstraße, voll von aufgeputzten Mädchen, die hinter herabgelassenen Seidengardinen ein wenig Luft schöpfen wollten. Unter diesen Weibern war Belle Watling die Bekannteste. Sie hatte jetzt ein eigenes Haus eröffnet, ein großes zweistöckiges Gebäude, neben dem sich die Nachbarhäuser wie schäbige Kaninchenställe ausnahmen. (S.10,928)

jeden Abend spielte dort eine Sklavenkapelle. (S.10,933)

Jeder wußte, daß eine Person wie Belle Watling selbst nie so viel Geld hatte verdienen können, um ein derartig üppiges Lokal zu errichten. Es mußte jemand mit Vermögen hinter ihr stehen. Rhett Butler hatte nie den Anstand gehabt, seine Beziehungen zu ihr zu leugnen. Es lag auf der Hand, daß er und kein anderer der Geldgeber war. Belle selbst machte einen überaus wohlhabenden Eindruck, wenn man sie in ihrem geschlossenen Wagen mit dem unverschämten gelben Sklaven auf dem Bock vorbeifahren sah. (S.10,952)

Scarlett sah dies alles, erlebte es Tag für Tag, kam auch des Nachts nicht davon los und war in beständiger Angst, was als nächstes geschehen könnte. Sie wußte, sie und Frank standen schon auf der schwarzen Liste der Yankees, Tonys wegen, und jeden Augenblick konnte das Unglück über sie hereinbrechen. Aber gerade jetzt konnte sie sich unmöglich dahin zurückwerfen lassen, von wo sie ausgegangen war, gerade jetzt, da ein Kind kommen sollte, da die Mühle den ersten Gewinn abwarf und Tara auf ihre Zuschüsse angewiesen war, bis im Herbst die Baumwolle hereinkam. (S.10,958)

Kapitel 38

In dem Chaos dieses Frühlings 1866 hatte sie nur den einen Gedanken: mit der Mühle Geld zu verdienen. Geld gab es genug in Atlanta, die Fülle der Neubauten gab ihr die gewünschte Gelegenheit, und wenn sie nur nicht ins Gefängnis kam, konnte sie sicher Geld verdienen. Aber dann, so sagte sie sich wieder und wieder, müßte sie leise treten und vorsichtig sein, sich Beleidigungen und Ungerechtigkeiten gefallen lassen (S.10,962)

Sie haßte die unverschämten freigelassenen Sklaven so gut wie jeder andere, und sie erzitterte jedesmal vor Grimm, wenn sie ihre frechen Bemerkungen und ihr herausforderndes Gelächter hörte, sobald sie vorüberging. Aber nicht ein einziges Mal schaute sie sie auch nur mit Verachtung an. Sie haßte die Schieber und die Gesinnungslumpen, die mühelos reich wurden, während sie sich abplagte, aber sie sagte nichts. Niemand in Atlanta konnte eine größere Abscheu vor den Yankees haben als sie, denn der bloße Anblick einer blauen Uniform ließ die Wut in ihr hochsteigen, aber sogar im Familienkreis schwieg sie darüber. Mochten andere ins Gefängnis kommen, weil sie ihre Gesinnung aussprachen, und aufgehängt werden, weil sie dem Ku-Klux-Klan angehörten. (S.10,970)

Nur bis zum Juni! Von da ab mußte Scarlett zu Hause bleiben, bis das Kind geboren war. Schon schüttelten die Leute die Köpfe über sie, weil sie sich in ihrem Zustand überhaupt noch zeigte. Das tat eine Dame nicht. (S.10,972)

Nur bis zum Juni! Bis dahin mußte die Mühle so gut gehen, daß sie sich nicht mehr selbst darum zu kümmern brauchte, [...]" (S.10,975)

Weil sie den zaghaften Frank ständig anspornte, ging der Laden jetzt besser, und sogar einige der ausstehenden Gelder kamen herein. Aber all ihre Hoffnungen hatte sie auf die Sägemühle gesetzt. (S. 10,992)

"Sobald sie aber mit ihrer Fraulichkeit nichts ausrichtete, wurde sie kalt und geschäftlich und scheute sich nicht, ihre Konkurrenten mit eigenem Verlust zu unterbieten, falls sie damit einen neuen Kunden erwerben konnte. Sie scheute sich auch nicht, minderwertige Waren zu gutem Preise zu verkaufen, wenn sie glaubte, vor Entdeckung sicher zu sein, und machte sich kein Gewissen daraus, die anderen Holzhändler in Verruf zu bringen." (S. 10,998)

Was Ellen von einer Tochter denken würde, die log und derartige Geschäftspraktiken anwandte, stand außer Zweifel. (S. 11,004)

"[...] die Ritterlichkeit des Südens schützte sie. Eine Dame aus dem Süden konnte zwar über einen Herrn Unwahrheiten erzählen, aber ein Herr aus dem Süden konnte nicht eine Dame der Lüge beschuldigen. (S. 11,066)

Damals hatte Scarlett in ihrem eigenen Herzen nur wenig Raum für Ehrlichkeit, aber auf das, was sie bei sich selbst so gering einschätzte, legte sie umso größeren Wert bei anderen.

(S. 11,084

Mit der Zeit wurde sie immer gereizter, denn jeder ersparte Dollar bedeutete zugleich, einen Dollar mehr zu verlieren, wenn das Unglück über sie kam.

(S. 11,105

Scarlett wußte wohl, wie sehr sie ins Gerede gekommen war, aber sie kehrte sich nicht daran. Sie haßte die Yankees immer noch genauso ingrimmig wie damals, als sie kamen, um Tara niederzubrennen, aber sie konnte ihren Haß verbergen. Wollte sie Geld verdienen, so mußten die Yankees herhalten, und nach ihrer bisherigen Erfahrung waren freundliche Mienen und gute Worte immer noch das sicherste Mittel, Geschäfte zu machen.

(S. 11,130

Bald aber stellte sich heraus, daß der Verkehr mit den Frauen der 0ffiziere Anforderungen ste llte, mit denen Scarlett nicht gerechnet hatte. Zwar gab sie nichts darum, mit ihnen in Berührung zu kommen, und hätte es sogar am liebsten vermieden. Aber diese Frauen waren entschlossen, mit ihr zu verkehren. Sie empfanden eine gewaltige Neugier in bezug auf den Süden und seine Frauen, und Scarlett gab ihnen die erste Gelegenheit, sie zu befriedigen.

(S. 11,139

Für diese Frauen der Yankees war »0nkel Toms Hütte« eine 0ffenbarung, die nur der Bibel nachstand, und sie wollten wissen, wieviel Bluthunde jeder Südstaatler zum Aufspüren seiner entlaufenen Sklaven hielt. Sie wollten Scarlett nicht glauben, als sie ihnen erzählte, daß Sie in ihrem Leben nur einen einzigen Bluthund gesehen habe,

(S. 11,174

Hier im Süden verstehen sie nicht, mit den Sklavenn umzugehen. Sie verwöhnen sie zu Tode.«

(S. 11,180

Wenn sie Vorteil davon gehabt hätte, so würde sie selbst Beschimpfungen ihrer eigenen Tugend und Ehrlichkeit ruhig hingenommen haben. Aber als sie sah, wie diese Frauen dem alten treuen Schwarzen mit ihren dummen Bemerkungen weh taten, zündete es bei ihr wie in einem Pulverfaß.

(S. 11,191

Diese Weiber hatten 0nkel Peter weh getan - Peter, der mit dem alten 0berst Hamilton den mexikanischen Krieg mitgemacht hatte, der seinen Herrn im Arm gehalten, als er starb, der Melanie und Charles aufgezogen und die hilflose, närrische Pittypat behütet hatte,

(S. 11,194

Und diese Frauen sagten, sie könnten den Sklavenn nicht trauen!

(S. 11,196

»Sie reden von mir, als bin ich ein Maultier und verstehe sie nicht, und als bin ich aus Afrika und weiß nicht, wovon sie sprechen!« Peter schnaufte vernehmlich. »Und sie nennen mich Sklaven, und mich hat noch nie ein Weißer >Sklaven< genannt,

(S. 11,206

Scarlett dachte: »Verfluchte dumme Narren sind doch die Yankees. Diese Weiber meinen, weil 0nkel Peter schwarz ist, habe er keine 0hren, zu hören, und kein Gefühl, empfindlich wie ihr eigenes, das schmerzt, wenn es verletzt wird. Sie wissen nicht, daß Sklaven behutsam behandelt werden wollen wie Kinder, geleitet, gelobt, gestreichelt, ausgescholten. Sie verstehen nichts von den Sklavenn und von den Beziehungen zwischen ihnen und uns. Und doch haben sie den Krieg geführt, um sie zu befreien, [...] (S. 11,211

Einem Schwarzen nicht trauen! Scarlett traute ihnen weit mehr als den meisten Weißen, sicherlich mehr als allen Yankees. (S. 11,221

»Und doch haben sie euch befreit«, sagte sie laut. 

»Nein, Missis, mich haben sie nicht befreit, ich lasse mich von solchem Pack nicht befreien. Ich gehöre noch immer Miß Pittypat, und wenn ich sterbe, legt sie mich ins Hamiltonsche Familiengrab, wo ich hingehöre. Meine Miß bekommt Zustände, wenn ich ihr erzähle, wie Sie mich von den Yankeefrauen haben beleidigen lassen.« 

»Das habe ich doch nicht getan!« rief Scarlett erschrocken. 

»Das haben Miß doch getan!« Peter schob die Lippe womöglich noch weiter vor. »Die Sache ist so: Sie und ich, wir haben nichts bei den Yankees zu suchen, dann konnten sie mich auch nicht beleidigen. Wenn Sie nicht mit ihnen sprechen, hatten sie auch keine Gelegenheit, mich wie ein Maultier und einen aus Afrika zu behandeln. Und Sie sind nicht einmal für mich eingetreten.« 

»Aber ich habe ihnen doch gesagt, du gehörst zur Familie!« Der Tadel traf Scarlett tief.

 »Das ist nicht eintreten für mich, da ist bloß Tatsache«, erwiderte Peter. »Miß Scarlett, Sie brauchen ja keinen Umgang mit den Yankees zu haben, das hat auch keine andere Dame. [...]" (S. 11,232)

"Einem Südstaatler konnte nichts Schmählicheres begegnen, als daß seine Dienstboten schlecht von ihm dachten." (S. 11,237)

Scarlett, Sie haben gar nichts davon, daß Sie bei den Yankees und bei weißen Schurken gut angeschrieben sind, wenn Ihre eigenen Leute nichts von Ihnen halten.« 

Damit war die Lage so treffend wie nur möglich gekennzeichnet, und Scarlett verfiel in ein grimmiges Schweigen. Freilich, die Eindringlinge und Eroberer waren mit ihr zufrieden, ihre Familie dagegen und ihre Nachbarn waren es nicht. Sie wußte alles, was in der Stadt über sie geredet wurde. (S. 11,246)

Ach, eines Tages! Wenn es wieder Ordnung auf der Welt gab, dann  wollte auch sie sich endlich zurücklehnen und die Hände in den Schoß legen und eine vornehme Dame sein, wie Ellen, hilflos und behütet, wie es sich für eine Dame geziemt.              (S. 11,247)

Wenn sie nur erst wieder Geld hatte! Dann konnte sie sich erlauben, gütig und sanft zu sein wie Ellen und an andere zu denken und an das, was sich schickt. (S. 11,247)

Kapitel 39

 Der Frühling ging hin. Die kühlen Regengüsse des April wurden von der balsamischen Wärme und Farbenpracht des Mai abgelöst. (S.12,352)

Die alten Freunde wurden kühler und die Angehörigen immer noch freundlicher, noch auf reizender besorgt und immer noch blinder für das, was Scarlett eigentlich wollte. In diesen Tagen der Sorge und des Kampfes gab es auf der Welt für sie nur einen einzigen verläßlichen und verständnisvollen Menschen, und das war Rhett Butler. (S.12,356)

Häufig war er von Atlanta abwesend und befand sich auf einer seiner geheimnisvollen Reisen nach New Orleans, die er ihr nie näher erklärte, von denen sie aber in einem Anflug von Eifersucht glaubte, daß sie einer oder gar mehreren Frauen galten. Seitdem jedoch Onkel Peter sich geweigert hatte, sie zu kutschieren, blieb er immer häufiger und für immer längere Zeiträume in Atlanta. (S. 12,361)

Er machte jetzt keine Besuche mehr bei Tante Pitty, wahrscheinlich um Frank und die alte Dame zu schonen, die über einen männlichen Besuch, solange Scarlett in andern Umständen war, entsetzt gewesen wären. Aber zufällig traf er Scarlett fast jeden Tag. Immer wieder kam er an ihren Einspänner herangeritten, wenn sie einsame Strecken über die Pfirsichstraße oder die Decaturstraße hinaus bis zu den Mühlen fuhr. (S. 12,367

Oftmals fragte sie sich, ob er sie wirklich nur zufällig treffe. Als die Wochen vergingen und die Erregung in der Stadt über Schandtaten der Neger zunahm, kam es immer häufiger vor. Aber warum suchte er sie gerade jetzt auf, da sie am unvorteilhaftesten aussah? Absichten hatte er sicher nicht auf sie, wenn er überhaupt je solche gehabt hatte, worüber ihr jetzt oft Zweifel aufstiegen. Seit Monaten hatte er nicht einmal im Spaß mehr auf ihr peinliches Gespräch im Gefängnis angespielt. Ashley hatte er nie mehr erwähnt, auch keinerlei ungezogene Bemerkungen darüber gemacht, daß er »sie begehre«. (S. 12,487

Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß die Damen Sie vielleicht auch deshalb nicht mögen, weil Ihr Betragen ihre Ehemänner und Söhne an den Galgen bringen kann? Wenn der Ku-Klux-Klan noch mehr unter den Negern aufräumt, nehmen die Yankees Atlanta so hoch, daß Sherman der Stadt noch wie ein Engel vorkommen wird. Ich weiß, was ich sage. Ich bin doch mit den Yankees auf du und du. Schmählich zu sagen, aber sie behandeln mich wie einen der Ihren und reden offen mit mir. Sie wollen den Ku-Klux-Klan vernichten, und wenn sie die ganze Stadt auf einmal abbrennen und jeden zehnten Mann aufhängen müßten. Das könnte unangenehm werden für Sie, Scarlett, dann könnten Sie Ihr Geld verlieren, und man kann nie wissen, wo ein Präriebrand aufhört, wenn er einmal angefangen hat. (S. 12,640)

»Ich möchte Ihre Zustimmung haben, daß ich Suellen heirate.« Scarlett hielt sich am Sitz fest, denn sie wäre fast vor Überraschung hintenübergefallen. Suellen heiraten! Sie hatte es nicht für möglich gehalten, daß sich noch jemand finden würde, der Suellen heiratete, nachdem sie ihr Frank Kennedy weggenommen hatte. Wer trug denn wohl Verlangen nach Suellen? »Aber Will!« »Das heißt wohl, daß Sie nichts dagegen haben?« »Dagegen? Nein, aber ... Will, ich bin ganz sprachlos. Sie wollen Suellen heiraten? Will, ich dachte immer, Sie hätten Carreen gern.« Will wandte kein Auge vom Pferd und trieb es mit lockeren Zügeln an. In seinem Gesicht veränderte sich nichts. Aber ihr war, als hätte er leise geseufzt. »Das war einmal«, sagte er. »Will sie denn nichts von Ihnen wissen?« »Ich habe sie nie gefragt.« »Ach, Will, Sie sind zu dumm. Fragen Sie sie doch. Sie ist doppelt soviel wert wie Suellen.« »Scarlett, Sie wissen vieles nicht, was in Tara vorgegangen ist. Sie haben uns die letzten Monate nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt.« (S. 12,673)

»Sie haben mir den wahren Grund nicht gesagt. Wenn ich das Haupt der Familie bin, so kann ich beanspruchen, ihn zu erfahren.« »Sie haben recht«, entgegnete Will, »und Sie werden mich verstehen. Ich kann Tara nicht lassen. Es ist meine Heimat, Scarlett, die einzige wirkliche Heimat, die ich in meinem Leben gehabt habe, und ich habe jeden Stein dort lieb. Ich habe dort gearbeitet, als sei es mein Eigentum und wenn man von Herzen Arbeit an etwas wendet, gewinnt man es lieb. Verstehen Sie, was ich meine?« Sie verstand, was er meinte, und ihr Herz kam ihm warm entgegen, weil er das, was ihr das Liebste war, auch liebhatte. »Und ich sehe die Dinge jetzt so an: Ihr Pa ist nicht mehr da. Carreen geht ins Kloster. Da bleiben Suellen und ich allein übrig, und ich könnte natürlich nicht auf Tara bleiben, wenn ich Suellen nicht heirate. Sie wissen, wie die Leute reden.« »Aber Will, da sind doch Melanie und Ashley ... « Als Ashleys Name fiel, wandte er sich ihr zu und sah sie mit seinen blassen unergründlichen Augen an. Wieder hatte sie das Gefühl, daß Will von ihr und Ashley alles wußte, alles verstand und weder ja noch nein dazu sagte. »Sie gehen bald fort.« »Fort? Wohin? Tara ist ihnen doch auch Heimat.« »Nein, es ist nicht ihre Heimat. Das ist es ja, worunter Ashley leidet. Tara ist nicht sein Heim, und er hat dort nicht das Gefühl, sein Brot zu verdienen. Er ist nur ein kümmerlicher Landwirt, und das weiß er auch. Weiß Gott, er tut sein Bestes, aber er ist nicht dafür geschaffen. Wenn er Holz spaltet, so ist es der reine Zufall, wenn ihm das Beil nicht in den Fuß geht. (S. 12,695)

Ihr Geist arbeitete fieberhaft, Ashley durfte nicht nach dem Norden! Dann sah sie ihn womöglich niemals wieder. Obwohl sie ihn seit Monaten nicht gesehen und seit dem verhängnisvollen Gespräch im Obstgarten nicht allein mit ihm gesprochen hatte, war doch kein Tag vergangen, da sie nicht an ihn gedacht und sich nicht gefreut hatte, daß er unter ihrem Dach in guter Hut war. Sie hatte an Will keinen Dollar geschickt ohne den frohen Gedanken, daß er Ashley das Leben erleichtern sollte. (S. 12,709)

Sie war bereit, alles zu tun, um ihn nur in der Nähe zu haben und sein helles Lächeln aufleuchten zu sehen, alles, um vielleicht einmal einen unbewachten Blick aus seinen Augen zu erhaschen, aus dem sie las, daß er noch etwas auf sie gab. Aber sie gelobte sich, ihn niemals wieder zu Worten der Liebe zu treiben und ihn niemals seine dumme Ehre vergessen zu lassen, die er höher hielt als die Liebe. (S. 12,746)

»Einerlei. Ich will dir aber noch etwas anderes sagen. Was Suellen nie verwunden hat, ist, daß du Frank Kennedy geheiratet hast, und ich kann es ihr nicht verdenken. Weißt du, gegen die leibhaftige Schwester war das ein schlechter Streich.« Scarlett hob den Kopf von seiner Schulter wie eine gereizte Klapperschlange, die zubeißen will. »So, ein schlechter Streich? Halt deinen schlechten Mund, Will Benteen! Was kann ich dafür, daß er mich lieber hatte als sie?« »Du bist ein gerissenes Mädchen, Scarlett, und wirst schon etwas dafür können, daß er dich lieber hatte. Mädchen können immer etwas dafür. Du hast sicherlich das Deine getan. (S. 12,775)

>Miß Suellen<, habe ich gesagt, >warum in drei Teufels Namen quälen Sie Ihren armen Pa und erinnern ihn an Ihre arme Ma? Meistens ist ihm gar nicht klar, daß sie tot ist, und nun kommen Sie und reiben es ihm unter die Nase.< Aber sie warf nur den Kopf zurück und lachte: >Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten. Sie werden sich eines Tages noch alle freuen.< Miß Melanie hat mir gestern Abend erzählt, daß Suellen ihr von ihren Plänen gesprochen hat, sie habe aber keine Ahnung gehabt, daß es Suellen Ernst damit war. Sie sagte, sie habe nicht darüber gesprochen, weil sie den bloßen Gedanken so unerhört fand.«           (S. 12,798)

Scarlett, ich wette, dein Pa hat meistens gar nichts verstanden, wovon sie überhaupt sprach. Damit hat sie gerechnet und gehofft, er würde den Treueid leisten und nicht einmal wissen, daß er es tat.« »Pa den Treueid leisten!« schrie Scarlett. »In den letzten Monaten war er richtig schwachsinnig geworden. Darauf wird sie sich wohl verlassen haben. Vergiß nicht, von uns ahnte ja niemand etwas. Wir wußten, daß sie irgend etwas im Schilde führte, aber nicht, daß sie deine tote Ma benutzte, um ihm vorzuhalten, seine Töchter gingen in Lumpen, wo er doch von den Yankees hundertfünfzigtausend Dollar bekommen könnte.« »Hundertfünfzigtausend Dollar«, murmelte Scarlett vor sich hin, und ihr Grauen vor dem Treueid schwand. Was für einen Haufen Geld! Um das zu bekommen, brauchte man nur der neuen Regierung den Treueid zu leisten, welcher besagt, daß man immer die Regierung unterstützt und nie ihren Feinden Beistand und Vorschub geleistet habe. Hundertfünfzigtausend Dollar für eine so kleine Lüge. Sie konnte Suellen nicht verurteilen. Gott im Himmel, deswegen hatte Alex sie auspeitschen wollen, deswegen wollte die ganze Provinz sie in Stücke reißen? Zu dumm waren sie alle. Was konnten sie mit dem Geld nicht alles anfangen. Was machte eine so kleine Lüge denn aus. Schließlich war alles, was man den Yankees abnehmen konnte, ehrlich verdientes Geld, einerlei, wie man dazu kam. (S.12,905)

Suellen hatte, ob willentlich oder nicht, den Tod ihres Vaters herbeigeführt und sollte wenigstens den Anstand haben, sich vor der feindseligen Nachbarschaft zusammenzunehmen.

(S.12,908

Nach der Auffassung der Leute hatte sie etwas noch Schlimmeres getan als ihren Vater ermordet. Sie hatte ihn zu beschwatzen versucht, dem Süden die Treue zu brechen, und das empfand diese grimmig festgefügte Gemeinschaft als einen Schlag gegen ihre eigene gemeinsame Ehre. Sie hatte die feste Front gesprengt, in der die Provinz der Welt entgegentrat. Mit ihrem Versuch, von den Yankees Geld zu erschleichen, hatte sie sich auf eine Stufe mit den Schiebern und Gesinnungslumpen gestellt, mit den Feinden, die sie noch ingrimmiger haßten als alle Soldaten der Yankees. Sie, die Tochter einer alten treuen konföderierten Pflanzerfamilie, war zum Feinde übergelaufen und hatte damit über jede Familie der Provinz Schande gebracht.

(S.13,497

Des weiteren war Melanie sowohl von dem >Verein zur Verschönerung der Soldatengräber< wie von der >Nähgemeinschaft für die Witwen und Waisen der Konföderierten< zur Schriftführerin ernannt worden. Diese neue Ehrung wurde ihr nach einer erregten gemeinsamen Sitzung der beiden Vereine angetragen, die in Tätlichkeiten zu enden und lebenslängliche Freundschaften zu zerreißen drohte. In dieser Sitzung hatte sich die Frage erhoben, ob auf dem Grabe eines Unionssoldaten, falls es neben dem eines konföderierten Soldaten läge, das Unkraut auch zu beseitigen sei oder nicht. Die verwahrlosten Yankeegräber nämlich machten alle Anstrengungen der Damen, die Ruhestätten ihrer eigenen Toten zu verschönern, zuschanden. Jäh loderte das Feuer des Zwistes empor, das unter engen Taillen geschwelt hatte. Die beiden Organisationen spalteten sich und standen einander unversöhnlich gegenüber. Die Nähgemeinschaft war für, die Damen aus dem Verschönerungsverein waren ungestüm gegen das Jäten. Mrs. Meade sprach diesen Damen aus der Seele, als sie sagte: »Auf den Yankeegräbern Unkraut jäten? Für zwei Cents grübe ich alle Yankees aus und würfe sie auf den Schindanger der Stadt.« Nach diesen tönenden Worten sprangen die Mitglieder beider Vereinigungen von ihren Sitzen, jede Dame sagte ihre Meinung, und keine hörte zu. Die Sitzung wurde in Mrs. Merriwethers Salon abgehalten, und Großpapa Merriwether, der in die Küche verbannt worden war, berichtete später, es wäre genau solch Getöse gewesen wie bei dem Artilleriefeuer, das die Schlacht bei Franklin eröffnete. Und, fügte er hinzu, in der Schlacht bei Franklin sei es viel weniger lebensgefährlich zugegangen als bei dieser Damensitzung. Wie es geschah, wußte niemand, aber Melanie brach sich durch die aufgeregte Menge Bahn und verschaffte sich mit ihrer sanften Stimme im Tumult Gehör. Die Angst vor der empörten Versammlung schnürte ihr den Hals zu, aber sie ließ nicht locker und rief immer wieder: »Aber bitte, meine Damen«, bis der Lärm sich legte. »Ich wollte sagen ... ich meine, ich habe schon lange nachgedacht, wir ... wir sollten dort nicht nur das Unkraut ausjäten, sondern Blumen pflanzen. Es ist mir einerlei, was Sie von mir denken, aber wenn ich Blumen zum Grabe des lieben Charlie bringe, lege ich auch einige auf das Grab des unbekannten Yankee daneben. Es ... es sieht gar so verlassen aus.«

(S.13,518

»Meine Damen«, flehte sie, »bitte, lassen Sie mich ausreden! Ich weiß, ich habe nicht das Recht, etwas dazu zu sagen, denn außer Charlie habe ich keinen meiner Lieben verloren, und ich weiß, Gott sei Dank, wo er liegt. Aber es sind heute viele unter uns, die nicht wissen, wo ihre Söhne, ihr Mann oder ihr Bruder begraben liegen, und ... « Sie konnte nicht weitersprechen. Im Zimmer war es jetzt totenstill. Mrs. Meades flammende Augen blickten düster. Sie hatte nach der Schlacht die lange Reise nach Gettysburg gemacht, um Darcys Leiche heimzubringen, aber das Grab war nicht zu finden gewesen. Mrs. Allan zuckte es um den Mund. Ihr Mann und ihr Bruder waren bei dem unseligen Streifzug Morgans nach Ohio mitgeritten, und als letztes hatte sie von ihnen gehört, daß sie am Ufer des Ohio beim Sturmangriff der feindlichen Kavallerie gefallen waren. Sie wußte nicht, wo sie lagen.

(S.13,528

»Ihre Gräber liegen irgendwo im Lande der Yankees, wie die Yankeegräber hier, und wie schrecklich wäre es für uns, wenn eine Yankeefrau sagte, sie wolle sie ausgraben und ... « Mrs. Meade stieß einen kurzen Laut des Grauens hervor. »Aber wie wohl täte es uns zu wissen, daß irgendwo Yankeefrauen auf den Gräbern unserer Männer das Unkraut entfernten und sie mit Blumen schmückten, obwohl es feindliche Gräber sind. Wenn Charlie tot im Norden läge, wäre es mir ein Trost zu wissen, daß jemand ... Ach, meine Damen, es ist mir einerlei, wie Sie denken ... « Jetzt brach ihre Stimme wieder: »Ich trete aus beiden Vereinen aus und werde von jetzt ab jedes Unkraut, das ich auf einem Yankeegrab finde, ausraufen und Blumen darauf pflanzen ... und ... ich möchte einmal sehen, wer mich daran hindert!« Bei diesem trotzigen Schluß brach Melanie in Tränen aus und suchte sich unsicher einen Weg zur Tür. Eine Stunde später, als Großpapa Merriwether sich glücklich in das Etablissement »Mädchen von heute« in Sicherheit gebracht… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

(S.13,558

Jede bedeutende Persönlichkeit, die in die Stadt kam, fand den Weg zu Melanies Haus, und oft übernachteten sie dort.

(S.13,561

Nein, Melanie kam niemals auf den Gedanken, daß die Leute sich um sie scharten wie um eine geliebte Schlachtenfahne. Und sie war erstaunt und verlegen, als Dr. Meade nach einem reizenden Abend in ihrem Hause, wo er sich hochverdient gemacht hatte, indem er die Rolle des Macbeth las, ihr die Hand küßte und dazu einiges in demselben Ton, in dem er einst von >unserer glorreichen Sache< zu sprechen pflegte, zu ihr sagte: »Meine liebe Miß Melly, es ist immer ein Vorzug, bei Ihnen zu weilen, denn Sie und die Damen, die Ihnen gleichen, sind unser aller Herz, das einzige, was uns übriggeblieben ist.

(S.13,567

Sie haben unseren Wohlstand zerstört und uns um fünfzig Jahre zurückgeworfen, aber wir wollen wieder aufbauen, weil es Herzen gibt wie das Ihre, auf das wir bauen können. Solange wir das haben, gönnen wir den Yankees alles übrige.«

(S.13,791

Archie war ein wortkarger Mann. Er sprach nur, wenn er angeredet wurde, und antwortete meist nur mit einem Grunzen. Jeden Morgen kam er aus Melanies Keller und setzte sich bei Tante Pitty auf die vordere Haustreppe. Dort kaute und spuckte er, bis Scarlett herauskam und Peter den Einspänner aus dem Stall holte. Onkel Peter hatte vor ihm kaum weniger Angst als vor dem Teufel und vor dem Ku-Klux-Klan, und sogar Mammy beschrieb furchtsam einen Bogen um ihn. Archie haßte die Neger. Sie wußten es und fürchteten ihn.

(S.13,799

Die Nigger haben den Krieg angefangen. Auch darum hasse ich sie.« »Aber Sie waren doch auch mit im Krieg.« »Das wird wohl das Vorrecht des Mannes sein. Die Yankees hasse ich auch - noch mehr als die Nigger, und am meisten hasse ich schwatzhafte Weiber.« Solche unverblümten Grobheiten brachten Scarlett in stille Wut, und sie sehnte sich, ihn los zu sein. Aber wie sollte sie ohne ihn auskommen? Wie konnte sie sich sonst frei bewegen? Er war grob und schmutzig, gelegentlich roch er auch reichlich stark, aber er erfüllte seinen Zweck. Er fuhr sie zu den Mühlen und wieder zurück und auf Kundenbesuche, und während sie sich unterhielt und Weisungen gab, spuckte er und starrte in die Ferne.

(S.13,810

Bald wurde Archie in Atlanta eine unentbehrliche Einrichtung.

(S.13,810

Die Damen bewarben sich um die Wette um seine freie Zeit.

(S.13,819

Zu keiner anderen Zeit wäre so etwas denkbar gewesen. Vor dem Krieg hätten die Damen ihn nicht einmal in ihrer Küche geduldet Sie hätten ihm Essen durch die Hintertür gereicht und ihn seiner Wege geschickt. Aber jetzt war seine beruhigende Gegenwart ihnen willkommen. Dieser grobe, ungebildete, schmutzige Mensch stand als Bollwerk zwischen den Damen und den Schrecknissen der Stadt.

(S.13,873

»Richtig komisch. Sie haben mich eingesteckt, weil ich jemand umgebracht habe, und sie ließen mich wieder heraus, mit einem Gewehr und meiner Begnadigung, damit ich noch mehr umbrächte. Wir aus Milledgeville haben gut gekämpft und gemordet, und viele von uns sind gefallen. Ich habe keinen gekannt, der desertiert ist. Und bei der Kapitulation wurden wir frei. Ich habe dies Bein hier und das eine Auge verloren. Aber ich bereue es nicht.« »Ach«, sagte Scarlett matt. Sie suchte sich daran zu erinnern, was sie damals, als die letzten verzweifelten Anstrengungen gemacht wurden, Shermans Armee standzuhalten, von der Freilassung der Sträflinge aus Milledgeville gehört hatte. Frank hatte Weihnachten 1864 davon gesprochen. Was hatte er doch gesagt?

(S.13,893

»Nun ... es ... es freut mich, daß Sie mir das gesagt haben, Archie. Ich sage es niemandem weiter. Für Mrs. Wilkes und die anderen Damen wäre es furchtbar, wenn sie es erführen.« »Pah! Miß Wilkes weiß es. Ich habe es ihr an dem Abend gesagt, als ich zuerst in ihrem Keller schlafen durfte. Sie meinen doch nicht etwa, ich ließe mich von einer Dame wie sie ins Haus aufnehmen, ohne es ihr zu sagen?« Scarlett war sprachlos. Melanie wußte, daß dieser Mann ein Mörder war, ein Frauenmörder, und hatte ihm nicht die Tür gewiesen? Sie hatte ihm ihren Jungen, ihre Tante, ihre Schwägerin und all ihre Freundinnen anvertraut. Und sie selbst, die furchtsamste aller Frauen, hatte sich nicht gescheut, mit ihm allein im Hause zu bleiben. »Miß Wilkes ist für eine Frau wirklich verständig. Sie stimmte mir bei, daß ein Lügner immer weiter lügt und ein Dieb immer weiter stiehlt, aber einen Mord begeht man nur einmal im Leben. Für sie hat einer, der für die Konföderierten mitgekämpft hat, alles Schlechte gesühnt. Das finde ich zwar nicht, aber ich habe nichts Schlechtes getan, als ich meine Frau umbrachte ... Ja, Miß Wilkes ist wirklich verständig für eine Frau. Und das sage ich Ihnen, der Tag, wo Sie Sträflinge mieten, ist meine letzter Tag bei Ihnen.«

(S.13,925

»Es handelt sich um die Verfassungsänderung, die den Schwarzen das Stimmrecht gibt«, erklärte er ihr. »Sie ist der Gesetzgebenden Versammlung vorgelegt worden, und die hat sich geweigert, zu ratifizieren.« »Zu dumm! Die Yankees werden uns ja doch zwingen, das auszulöffeln.« »Das meinte ich eben, als ich sagte, wir würden es ausbaden müssen«, sagte Ashley. »Ich bin stolz auf die Gesetzgebende Versammlung und ihren Mut«, rief Onkel Henry laut. »Sie können es uns nicht zu schlucken geben, wenn wir es nicht schlucken wollen.« »Das können sie doch und werden es auch tun.« Ashleys Stimme klang ruhig, aber seine Augen flackerten. »Für uns wird dadurch alles nur noch schwerer.« »Ach, Ashley, schwerer als jetzt kann es nicht werden!« »Doch, es kann noch schlimmer werden. Wenn sie uns nun Schwarze ins Parlament setzen und einen schwarzen Gouverneur geben? Auch die Militärherrschaft kann noch ärger werden.«

(S.13,980

Schon die erste Woche seiner Geschäftsleitung rechtfertigte alle ihre Hoffnungen. Er leistete mit fünf Sträflingen mehr, als Hugh mit seinen zehn freien Negern je fertiggebracht hatte. Außerdem hatte Scarlett jetzt mehr Muße als je seit ihrer Rückkehr nach Atlanta, weil er sie nicht gern im Betrieb sah und ihr das auch freimütig sagte. »Sie kümmern sich um Ihren Verkauf, und ich kümmere mich um meine Sägerei«, sagte er kurz. »Ein Sträflingslager ist kein Aufenthalt für eine Dame, und wenn es Ihnen sonst niemand sagt, so sagt Johnnie Gallegher es Ihnen jetzt. Ich liefere Ihnen das Holz und damit basta. Mir paßt es nicht, daß Sie täglich hinter mir stehen wie hinter Mr. Wilkes. Er hat es nötig, ich nicht.« Scarlett blieb also, wenn auch ungern, Johnnies Mühle fern, aus Angst, er könnte wieder kündigen.

(S.14,013

43 Es war einer der seltenen Dezembertage, wo die Sonne fast so warm wie im Spätsommer schien.

(S.14,169

Halten Sie Ashley Wilkes für glücklich?« Sie entsann sich des Ausdrucks, den sie in Ashleys Augen gesehen hatte, und schwieg. »Ist er glücklich oder ist es Hugh Elsing oder Dr. Meade? Glücklicher, als Ihr oder mein Vater es war?« »Nein, vielleicht nicht so glücklich, wie sie sein könnten, weil sie all ihr Geld verloren haben.« Er lachte. »Weil sie ihr Geld verloren haben? Nein, mein Kind. Ich sage Ihnen ja, sie haben ihre Welt verloren. Sie sind wie Fische auf dem Trocknen. Sie sind dazu erzogen worden, eine bestimmte Person zu sein, bestimmte Dinge zu tun und eine bestimmte Stellung auszufüllen. Aber diese Personen, Dinge und Stellungen sind ein für allemal verschwunden, seit dem Tage, da General Lee in Appomattox eintraf. Scarlett, mach nicht solch dummes Gesicht! Was soll den Ashley Wilkes anfangen, seitdem sein Haus nicht mehr steht, seine Plantage für Steuern draufgegangen ist und zwanzig Gentlemen für einen Cent zu haben sind? Kann er mit seinem Kopf und seinen Händen arbeiten? Ich wette, Sie haben reißend Geld verloren, seitdem er die Mühle übernommen hat.« »Das habe ich nicht.«

(S.14,179

»Zum Teufel können Sie gehen, und nicht erst, wenn Sie Zeit haben, sondern meinethalben augenblicklich.« »Herzliebchen, beim Teufel war ich schon. Das ist ein sehr stumpfsinniger Geselle. Dahin möchte ich nicht noch einmal, nicht einmal für Sie ...

(S.14,208

Diese Leute verdienen es nicht, am Leben zu bleiben, weil sie nicht kämpfen wollen und überhaupt nicht wissen, wie man kämpft. Dies ist nicht das erste Mal, daß in der Welt alles auf den Kopf gestellt wird, und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Es ist schon oft vorgekommen und wird noch oft wieder vorkommen. Und jedesmal verlieren alle Leute alles, und alle sind gleich. Und dann geht das Spiel von neuem an, ohne jeden anderen Einsatz als den gescheiten Kopf und eine starke Hand. Aber Leute wie Ashley haben weder den gescheiten Kopf noch die starke Hand, oder wenn sie sie haben, tragen sie Bedenken, davon Gebrauch zu machen. Deshalb gehen sie unter, und das geschieht ihnen recht.

(S.14,296

44 Es war ein kalter und windiger Märznachmittag, und Scarlett zog sich die Wagendecke bis unter die Arme hinauf, als sie über die Landstraße nach Decatur zu

(S.14,304

Die vorjährigen Verfügungen der Militärbehörden, die man schon als überaus scharf empfunden hatte, waren milde im Vergleich zu denen, die General Pope jetzt erließ. Mit der Aussicht auf die Negerherrschaft war die Zukunft dunkel und hoffnungslos, und der verbitterte Staat quälte und wand sich hilflos. Den Negern stieg ihre unerwartete Wichtigkeit zu Kopf, sie waren sich des Rückhaltes, den sie an der Yankeearmee hatten, bewußt, und ihre Schandtaten nahmen zu. Niemand war vor ihnen sicher. In diesen wilden Zeiten stand Scarlett schwere Angst aus, aber sie ließ sich nicht beirren. Immer noch fuhr sie allein auf ihre Geschäftswege,

(S.14,362

»Ist es schön da oben im Norden, Sam?« Sam kratzte sich den wolligen Kopf. »Ja ... nein! Der Oberst mächtig vornehmer Gentleman! Aber seine Frau, die was anderes. Die mich das erstemal >Mister< genannt. Ja, Missis, das sie tun, und beinahe ich lang hingeschlagen, als sie das sagen. Der Oberst ihr sagen, sie mich Sam nennen, und dann sie das auch tun. Aber all die Yankees mich zuerst, wenn mich sehen, >Mister O'Hara< nennen und mich auffordern, mich zu ihnen setzen, als sein ich gerade einer von ihnen! Aber ich mich noch nie zu weißen Herrschaften setzen, und zu alt, um das lernen. Sie behandeln mich, als bin ich genau einer wie sie, Miß Scarlett, aber sie mich doch nicht leiden mögen ... keinen Nigger sie leiden mögen, und bange vor mir, weil ich so groß. Und mich immer nach den Bluthunden fragen, mit denen ich gehetzt, und wieviel Prügel ich kriegen in Tara! Und als ich ihnen sagen, nie kein Mensch von uns Prügel kriegen, und wie gut immer Miß Ellen zu Niggern, und die ganze Woche bei mir gewacht, als ich Lungenentzündung haben, mir keiner glauben. Und dann ich Sehnsucht nach Miß Ellen und Tara kriegen, nicht zum Aushalten, und eines Nachts ausgekniffen und ganzen Weg nach Atlanta auf Frachtwagen gesessen. (S.14,372)

Wenn ich wieder Lungenentzündung kriegen ... dann Yankee-Damen mich auch pflegen? Nein, Missis, sie mich >Mister O'Hara< nennen, aber nicht pflegen wollen. Aber Miß Ellen mich pflegen, wenn ich krank und ... was ist los, Miß Scarlett?« »Pa und Mutter sind beide tot, Sam.« »Tot? Machen keinen Spaß mit mir, Miß Scarlett! So dürfen Miß nicht mit mir Spaß machen!« »Es ist kein Spaß, Sam, es ist wahr. Mutter starb, als Shermans Leute durch Tara kamen, und Pa ist im vorigen Juni von uns gegangen. Ach, Sam, nicht weinen, bitte nicht! Ich kann es einfach nicht aushalten. Laß uns jetzt nicht mehr davon sprechen. Ich erzähle dir alles ein andermal. Miß Suellen ist auf Tara und hat einen tüchtigen Mann geheiratet, Mr. Will Benteen. Und Miß Carreen ist in einem ... « Sie besann sich. Was ein Kloster war, konnte sie dem weinenden Riesen doch nicht klarmachen. »Sie lebt jetzt in Charleston. Aber Pork und Prissy sind auf Tara ... Komm, Sam, putz dir die Nase. Willst du wirklich nach Hause?« »Ja, Missis. Aber ich es mir anders denken mit Miß Ellen und... « »Sam, willst du in Atlanta bleiben und bei mir arbeiten? Was meinst du dazu? Ich brauche einen Kutscher, sehr nötig sogar, weil so viel gemeines Gesindel unterwegs ist.«

(S.14,386

»Das habe ich gemerkt, und ich danke dir dafür, Sam. Also, was meinst du dazu, mein Kutscher zu werden?« »Dank auch, Missis, aber ich gehen doch besser nach Tara.« Big Sam blickte zu Boden und zog verlegen mit dem nackten Zeh Striche auf der Erde. Ihm war sichtlich unbehaglich zumute. »Aber warum denn? Ich gebe dir guten Lohn. Du mußt bei mir bleiben.« Das große schwarze Gesicht blickte zu ihr auf, dumm und leicht zu durchschauen wie das eines Kindes. Furcht lag darin. Er kam dicht an sie heran und flüsterte ihr zu: »Miß Scarlett, ich müssen aus Atlanta weg, ich müssen nach Tara, wo sie mich nicht finden. Ich ... ich haben einen abgemurkst.« »Einen Schwarzen?« »Nein, Missis, einen Weißen. Einen Yankeesoldaten, und sie mich suchen, und darum stecken ich hier in Shantytown.«

(S.14,395

»Du sagst, daß sie hinter dir her sind. Wissen sie denn, daß du es gewesen bist?« »Ja, Missis. Ich so groß, mich jeder kennen. Ich wohl der größte Neger in Atlanta. Sie schon gestern nach hier draußen hinter mir her, aber ein Niggermädchen haben mich in Höhle im Wald verstecken, bis sie wieder weg.« Einen Augenblick sah Scarlett mit gerunzelter Stirn vor sich hin. Es war ihr durchaus nicht schrecklich, daß Sam einen Mord begangen hatte. Sie war nur enttäuscht, daß sie ihn nicht als Kutscher haben konnte. Ein großer Neger, so wie Sam, wäre eine ebenso gute Leibwache wie Archie. Nun, sie mußte ihn auf irgendeine Weise nach Tara bringen. Die Behörden durften ihn um keinen Preis erwischen. Er war ein viel zu wertvoller Neger, um gehängt zu werden. Daß er frei war, kam Scarlett nicht in den Sinn. Er gehörte ihr noch, genauso wie Pork und Mammy, Peter, Cookie und Prissy. Er gehörte noch >zur Familie<, und deshalb mußte sie ihn schützen." (S.14,406)

[Wer im englischen Text weiterlesen will, findet ihn hier.]

Zur weiteren Handlung:

Das Bild von Rhett ändert sich für den Leser, als er die "ehrenwerten Demokraten", die dem Ku Klux Klan angehören, vor der Verfolgung durch die Yankees rettet, als sie wegen der Ermordung eines Schwarzen gesucht werden, freilich ironischerweise dadurch, dass er ihnen ein Alibi verschafft, sie seien zur fraglichen Zeit alle im Bordell gewesen.

Als Scarlett aber ein Kind von ihm bekommt, das Mädchen Bonnie, ändert sich seine Einstellung völlig. Er legt jetzt Wert darauf, dass es die Liebe erfährt, die ihm in seiner Kindheit und Jugend gefehlt haben und die Scarlett ihm nicht geben kann. Er verwöhnt das Kind und entzieht es den Auseinandersetzungen zwischen ihm und Scarlett, indem er mit Bonnie auf Reisen geht. Scarlett trickst er dazu, ihre Mühlen seinem Rivalen Ashley zu verkaufen, so dass sie nicht mehr an der Ausbeutung von Sträflingen Teil hat (Ashley stellt im Einvernehmen mit Rhett statt dessen freie Schwarze ein.)  Während zuvor vom Erzähler nur die blutsaugerische Unterdrückung von Sträflingen kritisiert worden war, wird so jetzt - weit über Mitchells Erfahrungshorizont hinaus der spätere Prison-industrial complex  kritisiert, während Scarlett ihn verteidigt.

Diese Entwicklung Rhetts wird aber dadurch abgebrochen, dass seine heißgeliebte Bonnie beim Springreiten mit einem Pony das Genick bricht. Jetzt verliert er seinen reformerischen Elan und beschließt (am Ende seiner Midlife-Crisis?) mit 45 Jahren in den Schoß seiner reputierlichen Südstaatenverwandtschaft, der er rebellisch den Rücken zugekehrt hatte, zurückzukehren. 

Scarlett (die meiner Rechnung nach zu diesem Zeitpunkt kaum über 30 Jahre alt sein kann) vertraut darauf, dass sie - wenn sie nach Tara* zurückkehrt - die Kraft der alten Zeiten wiederfinden wird: "Tomorrow is another day."

"Der Plantagenname „Tara“ stammt von dem gleichnamigen Hügel, dem sagenumwobenen Sitz der irischen Hochkönige, und unterstreicht die Verbundenheit der O’Haras mit ihrer alten Heimat." (Wikipedia)

"I still laugh—but I've reached the end of roaming, Scarlett. I'm forty-five—the age when a man begins to value some of the things he's thrown away so lightly in youth, the clannishness of families, honor and security, roots that go deep— Oh, no! I'm not recanting, I'm not regretting anything I've ever done. I've had a hell of a good time—such a hell of a good time that it's begun to pall and now I want something different. No, I never intend to change more than my spots. But I want the outer semblance of the things I used to know, the utter boredom of respectability—other people's respectability, my pet, not my own—the calm dignity life can have when it's lived by gentle folks, the genial grace of days that are gone. When I lived those days I didn't realize the slow charm of them—"

Again Scarlett was back in the windy orchard of Tara and there was the same look in Rhett's eyes that had been in Ashley's eyes that day. Ashley's words were as clear in her ears as though he and not Rhett were speaking. Fragments of words came back to her and she quoted parrot-like: "A glamor to it—a perfection, a symmetry like Grecian art."

Rhett said sharply: "Why did you say that? That's what I meant."

"It was something that—that Ashley said once, about the old days."

He shrugged and the light went out of his eyes.

"Always Ashley," he said and was silent for a moment.

"Scarlett, when you are forty-five, perhaps you will know what I'm talking about and then perhaps you, too, will be tired of imitation gentry and shoddy manners and cheap emotions. But I doubt it. I think you'll always be more attracted by glister than by gold. Anyway, I can't wait that long to see. And I have no desire to wait. It just doesn't interest me. I'm going to hunt in old towns and old countries where some of the old times must still linger. I'm that sentimental. Atlanta's too raw for me, too new."

"Stop," she said suddenly. She had hardly heard anything he had said. Certainly her mind had not taken it in. But she knew she could no longer endure with any fortitude the sound of his voice when there was no love in it.

He paused and looked at her quizzically.

"Well, you get my meaning, don't you?" he questioned, rising to his feet.

She threw out her hands to him, palms up, in the age-old gesture of appeal and her heart, again, was in her face.

"No," she cried. "All I know is that you do not love me and you are going away! Oh, my darling, if you go, what shall I do?"

For a moment he hesitated as if debating whether a kind lie were kinder in the long run than the truth. Then he shrugged.

"Scarlett, I was never one to patiently pick up broken fragments and glue them together and tell myself that the mended whole was as good as new. What is broken is broken—and I'd rather remember it as it was at its best than mend it and see the broken places as long as I lived. Perhaps, if I were younger—" he sighed. "But I'm too old to believe in such sentimentalities as clean slates and starting all over. I'm too old to shoulder the burden of constant lies that go with living in polite disillusionment. I couldn't live with you and lie to you and I certainly couldn't lie to myself. I can't even lie to you now. I wish I could care what you do or where you go, but I can't."

He drew a short breath and said lightly but softly:

"My dear, I don't give a damn."

* * * * *

She silently watched him go up the stairs, feeling that she would strangle at the pain in her throat. With the sound of his feet dying away in the upper hall was dying the last thing in the world that mattered. She knew now that there was no appeal of emotion or reason which would turn that cool brain from its verdict. She knew now that he had meant every word he said, lightly though some of them had been spoken. She knew because she sensed in him something strong, unyielding, implacable—all the qualities she had looked for in Ashley and never found.

She had never understood either of the men she had loved and so she had lost them both. [Urteil des Erzählers] Now, she had a fumbling knowledge that, had she ever understood Ashley, she would never have loved him; had she ever understood Rhett, she would never have lost him. She wondered forlornly if she had ever really understood anyone in the world.

There was a merciful dullness in her mind now, a dullness that she knew from long experience would soon give way to sharp pain, even as severed tissues, shocked by the surgeon's knife, have a brief instant of insensibility before their agony begins.

"I won't think of it now," she thought grimly, summoning up her old charm. "I'll go crazy if I think about losing him now. I'll think of it tomorrow."

"But," cried her heart, casting aside the charm and beginning to ache, "I can't let him go! There must be some way!"

"I won't think of it now," she said again, aloud, trying to push her misery to the back of her mind, trying to find some bulwark against the rising tide of pain. "I'll—why, I'll go home to Tara tomorrow," and her spirits lifted faintly.

She had gone back to Tara once in fear and defeat and she had emerged from its sheltering walls strong and armed for victory. What she had done once, somehow—please God, she could do again! How, she did not know. She did not want to think of that now. All she wanted was a breathing space in which to hurt, a quiet place to lick her wounds, a haven in which to plan her campaign. She thought of Tara and it was as if a gentle cool hand were stealing over her heart. She could see the white house gleaming welcome to her through the reddening autumn leaves, feel the quiet hush of the country twilight coming down over her like a benediction, feel the dews falling on the acres of green bushes starred with fleecy white, see the raw color of the red earth and the dismal dark beauty of the pines on the rolling hills.

She felt vaguely comforted, strengthened by the picture, and some of her hurt and frantic regret was pushed from the top of her mind. She stood for a moment remembering small things, the avenue of dark cedars leading to Tara, the banks of cape jessamine bushes, vivid green against the white walls, the fluttering white curtains. And Mammy would be there. Suddenly she wanted Mammy desperately, as she had wanted her when she was a little girl, wanted the broad bosom on which to lay her head, the gnarled black hand on her hair. Mammy, the last link with the old days.

With the spirit of her people who would not know defeat, even when it stared them in the face, she raised her chin. She could get Rhett back. She knew she could. There had never been a man she couldn't get, once she set her mind upon him.

"I'll think of it all tomorrow, at Tara. I can stand it then. Tomorrow, I'll think of some way to get him back. After all, tomorrow is another day."


THE END