07 Dezember 2025

Louis Bromfield: Der große Regen (Film)

 An den Titel des Romans erinnere ich mich aus meiner Jugend. Offenbar habe ich ihn nie gelesen.

Aber es war ein Buch, über das man irgendwann in meiner Jugend sprach.

Stilprobe:

Während er den Schlamm der Anfahrtstraße durchstapft, fällt der Sonnenball hinter den Horizont und lässt die reglose Luft schwer dunstig und dunkelgrün, geschwängert von Fruchtbarkeit, wie immer während der Regenzeit. Die Luft ist so trächtig und reich und feucht, als lebten Kräuter, Sträucher und Bäume von ihr allein, zögen aus ihr alle Nahrung und brauchten weder Wurzeln noch Erdreich. Als er vor der Veranda an langt, ist die gelbe Beleuchtung verschwunden. Das düstere, alte Haus liegt in der Dunkelheit. Im Licht der Fenster erblickt er die Gestalten [Namen einiger Personen: Sie] trinken Cocktail und plaudern.
Er steigt die Stufen empor und bemerkt, dass die kahlen Gummibäume und Aspidistren, die die Veranda garnieren, gar wunderliche Blüten getrieben haben. Aus ihrem stumpfen Grün drängt sich wie durch Hexerei, ein kunterbunter Tumult von Dotterblumen, Zinnien, Rosenmalven, Begonien und Nelken. Ihm ist, als sei die Pflanzenwelt plötzlich wahnsinnig geworden. Sein gärtnerische Geschmack fühlt sich beleidigt, doch schon versteht er: dies dekadente Schauspiel kann nur das Werk des alten Bannerji sein, welcher das heutige Fest augenscheinlich als ein für den Sohn hochwichtiges gesellschaftliches Ereignis ansah und darum, wie schon an früheren Galaabenden, an anspruchslose Gummipflanzen und Aspidistren die Blüten bunt prangender Gewächse zur Verzierung mit Garn fein säuberlich anband." (S. 286)

Louis Bromfield: Der große Regen, Roman 1937, dt. 1939 (Handlung im Film von 1955)

Der Film "Der große Regen" von 1955 (The Rains of Ranchipur), bei dem es sich um die zweite Verfilmung von Louis Bromfields Roman "The Rains Came" (1937) handelt, weicht in einigen wesentlichen Punkten vom Roman ab, insbesondere in Bezug auf die Charakterisierung und das Ende der Hauptfiguren.


🎭 Charakterveränderungen

  • Tom Ransome: Im Roman ist Tom Ransome ein zynischer englischer Maler; in der Verfilmung von 1955 wird er zu einem zynischen amerikanischen Ingenieur (gespielt von Fred MacMurray). Dies ändert seine Rolle und seine Funktion in der Katastrophe.

  • Major Rama Safti: Im Roman ist Major Safti ein Brahmane und Schützling des Maharadschas. Im Film von 1955 wird er, um die verbotene interrassische Liebesbeziehung radikaler zu gestalten, als "Unberührbarer" dargestellt, der zudem eine Gefängnisstrafe wegen seiner Beteiligung am Unabhängigkeitskampf verbüßt hat. Dies verschärft den sozialen Konflikt seiner Liebe zu Lady Edwina.


Änderung des Endes

Der wohl bedeutendste Unterschied liegt im Schicksal von Lady Edwina Esketh und ihrem Mann Lord Albert Esketh:

  • Roman (und Verfilmung von 1939):

    • Lord Esketh stirbt infolge der Naturkatastrophe.

    • Lady Edwina (die im Film von 1955 Lana Turner spielt) findet während der Katastrophe Erlösung, indem sie sich um die Kranken kümmert. Sie stirbt schließlich selbst an der Cholera-Epidemie, die nach der Flut ausbricht, weil sie versehentlich aus dem Glas eines Patienten trinkt. Dieses tragische, aber sühnende Ende war ein zentrales Element von Bromfields ursprünglicher Konzeption.

  • Film von 1955 (The Rains of Ranchipur):

    • Lady Edwina und Lord Esketh überleben beide.

    • Lord Esketh überlebt, und Lady Edwina beschließt, zu ihm nach Hause zurückzukehren, da ihre Affäre mit Major Safti beendet ist.

Die Filmemacher von 1955 eliminierten somit den tragischen Tod der "ausschweifenden" Lady Edwina, was die ursprüngliche Sühne und die moralische Aussage des Romans über die Läuterung in der Krise abschwächte.


Erzählstruktur und Fokus

  • Der Roman zeichnet sich durch eine breite Perspektive auf das Land aus und nimmt sich viel Zeit für die Vorgeschichte sowie die detaillierte Beschreibung der sozialen Hierarchien im Indien vor der Unabhängigkeit.

  • Die Filme (1939 und 1955) straffen die Handlung, um sie für das Kinoformat zu beschleunigen. Sie beginnen früher mit dem Besuch der Eskeths und Edwinas Verliebtheit in Major Safti, wobei der Fokus stärker auf die romantischen Verwicklungen und die Katastrophenszenen (Erdbeben, Dammbruch, Flut und Seuche) gerichtet wird, um sie als dramaturgischen Höhepunkt zu nutzen.

  • Die Verfilmung von 1955 konzentriert sich noch stärker auf das zentrale Liebesdreieck (Edwina - Safti - Ransome) und lässt Nebengeschichten, wie die Romanze zwischen Tom Ransome und Fern Simon (die im Roman und im Film von 1939 wichtig ist), stärker in den Hintergrund treten.

Stilprobe:
Da er [Major Safti] ihr [Edwina]  hilfreich zur Seite tritt und der Zögernden den Krug entwindet, berührt seine Hand, die ihre. Wie betäubt von Glück muss sie sich am Tisch anlehnen, doch nur eine Sekunde, dann dankt sie gefasst und mit Haltung: "Ja, er ist schwer."
In dieser Sekunde zitterten ihre Hände wie damals im Sommerpalast, als sie nach dem Weggang von Elisabeth Hodge in dem geschmacklosen Salon mit ihm allein war. Die Haltung jedoch, in der sie vor ihm steht, ist stramm und so respektvoll, als sei sie um kein Haar mehr als die pockennarbige Gupta. Lächelnd bemerkt er, es sei wohl Zeit zum ersten Rundgang, "ich begleite Sie", füllt eine zweite Kanne und nimmt beide auf.
"Geben Sie mir die eine! bittet sie, ich tue es doch gern. Ein leichtes Schmunzeln geht über sein Gesicht, sie fühlt, es, ist kein spöttisches Grinsen, sondern herzlich und warm; es ist fast, als sehe er einem Kind zu, das Doktor spielt, und sie sagt etwas gekränkt: "Sie brauchen mich gar nicht so anzusehen!"
Er hat auch dafür Verständnis, denn er entgegnet nichts, sondern drückt ihr die zwei von der Oberschwester geschriebenen Merkzettel in die Hand: "Die brauchen Sie jedenfalls", worauf sie ihm die Kanne abnimmt und stillschweigend ihren Rundgang antritt.
Aber sie ist nicht gekränkt. Sie lässt ihm den Vortritt und geht mit gelehriger Mine hinter ihm her. Selbst die bis zum Überdruss gedrillte Schwester Gupta könnte nicht braver, nicht andächtiger zu ihm aufblicken. Er widmet ihr auch keine größere Aufmerksamkeit, als er in der gleichen Situation der guten, hässlichen Gupta zuwenden würde. Er geht von Bett zu Bett, und sie gießt die Emaillebecher voll, die neben jedem auf einem kleinen Gestell stehen. Nur ein kleiner Teil der Kranken schläft, etwa zwölf delirieren; die meisten liegen geduldig da. Ihre großen, weit geöffneten Augen folgen den beiden, wie die die Reihen entlanggehen.
Bei den vier, die auf der Liste "Stirbt" stehen, bleibt der Arzt etwas länger. Er fühlt den Puls und legt die Hand auf die glühende Stirn, ohne dabei von Edwina Notiz zu nehmen. Nur einmal sagt er ihr beinahe entschuldigend: "Das Handauflegen hat an sich keinen Zweck, es soll Ihnen nur etwas Mut geben, / denn sie wissen, dass ich Brahmane bin, und seit Jahrhunderten ist diesen Unberührbaren, Ausgestoßenen eingeimpft, sie müssten vor unsereinem beiseite treten, damit ihr Schatten nicht auf uns falle und uns dadurch beflecke. (S. 526/27 - Übersetzung Dr. Rudolf Frank). 

03 Dezember 2025

George Packer: Die Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika

 George PackerDie Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika Cop. 2013 engl., dt. 2015

Packer stellt von einigen zentralen Figuren davon, wie die Globalisierung und die Machtzusammenballung bei einigen weltweit tätigen Firmen die auf ihrem Sektor eine Monopolstellung haben, dafür sorgt, dass die Gewinne für Arbeiten, die in einzelnen Regionen geleistet werden, primär in den zentralen  Firmen anfallen.

Wie sich das am Anfang dieses Jahrtausends in den USA im einzelnen abspielte, erläutert Packer auf gut 500 Seiten. 

Ich versuche das Prinzip, wie Profit bei einzelnen Firmen konzentriert wird, an aktuellen Beispielen erklären: Airbnb lässt sich dafür bezahlen, dass es zwischen Touristen und Schlafplatzanbietern vermittelt, Uber vermittelt zwischen Touristen und privaten Autofahrern für Taxidienste.  Die Arbeit wird von Privatleuten geleistet, bezahlt wird die Firma, die lediglich Vermittlungsdienste leistet.

Bei den neuen Sprachmodellen wie ChatGTP, bei denen gegenwärtig die schnellste Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) stattfindet, ist das nicht ganz so leicht zu durchschauen. Am Anfang steht die Entwicklung eines Programms, für die Ausführung sorgen mit ihrer Rechenkapazität einerseits hochentwickelte Rechenzentren und andererseits Lieferanten von Speicherplatz. Beide werden gut bezahlte. Den "Rohstoff", menschliche Texte, liefert das Internet den Suchmaschinenanbietern kostenlos, z.B. auch die Wikipedia in über 200 Sprachen.  Denn die Texte des Internets sind sozusagen Abfallprodukte menschlicher Kommunikation.  Doch die Arbeit, diese Texte mit Gegenständen in unserer Welt in Verbindung zu bringen, müssen Menschen in Akkordarbeit (ohne Mindestlohngarantie!) im Globalen Süden leisten, z.B., indem sie zu Filmen zu jedem Teil aller gezeigten Gegenstände  (Von der Landwirtschaft kennen wir das schon, und die Eine-Welt-Läden, die versuchen mit Fairem Handel zu mehr Gerechtigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen den Ländern des Globalen Südens und des Nordens beizutragen, können die Ungerechtigkeit kaum abmildern, aber sie können Bewusstsein dafür schaffen, dass diese Ungerechtigkeit besteht. 

Doch zurück zu Packers Darstellung, wie sich der Profit für Erwerbsarbeit bei multinationalen Konzernen konzentriert. Das erste Beispiel ist der Unternehmer Dean Price. Er stammt aus einer Familie von Tabakfarmern in North Carolina und  beweist sein Unternehmergeist in ständig neuen Unternehmen.  Zunächst erlebt er den Zerfall der traditionellen, für seine Region wichtigen Industriezweige wie Tabakanbau und -verarbeiten, Textil und Möbelindustrie. Er unternimmt es wiederholt, sich als Unternehmer zu etablieren, indem er Fast-Food-Restaurants, Läden und Tankstellen betreibt. Doch er scheitert daran, dass  die Preise seiner Rohstoffe ihm von multinationalen Konzernen vorgegeben werden. Als er bei Biodiesel die Möglichkeit sieht, in der Region den Treibstoff vor Ort herzustellen, der vor Ort gebraucht wird, scheitert er trotz seines Optimismus und seiner unermüdlichen Anstrengungen scheitert einerseits daran, dass er für seine Investitionen auf Kredit angewiesen ist und andererseits, dass es ihm nicht gelingt, seine Arbeit der Werbung für das neuartige Produkt und die Überwachung  der einzelnen Betriebe miteinander zu verbinden.

Das Versprechen von Wohlstand für alle gilt nicht mehr und der Einzelne kämpft vergeblich gegen die internationalen Konzerne und die von ihnen aufgebauten Strukturen. (vgl. auch Wikipedia und   Antworten einer KI)

Man sieht hier, wie ich sowohl die Arbeit der Wikipedianer und der KI, die mir beide kostenlos zur Verfügung gestellt werden, nutze. Immer in der Hoffnung, dass es nicht nur meinem eigenen Lernvorgang (Lernen durch Lehren), sondern auch Lesern meines Blogs dient. Dass Internetnutzung als solche nicht umweltfreundlich ist, nehme ich dabei notgedrungen in kauf.

Das zweite Beispiel ist Jeff Connaughton:

In George Packers „Die Abwicklung“ (Originaltitel: The Unwinding) dient die Biografie von Jeff Connaughton als zentrales Beispiel für die Verflechtung von politischem Idealismus und dem Einfluss des großen Geldes in Washington (der sogenannten „Drehtür“ zwischen Politik und Lobbyismus).

Sein Karriereweg im Buch verläuft über mehrere markante Stationen, die den Wandel des politischen Systems der USA widerspiegeln:

1. Der idealistische Beginn („The Biden Guy“) Connaughtons Laufbahn beginnt Ende der 1970er Jahre. Als Student an der University of Alabama ist er fasziniert von dem damals jungen Senator Joe Biden. Er wird zu einem „Biden Guy“ – jemandem, der seine politische Identität und Karriere fast gänzlich an den Erfolg dieses einen Politikers knüpft. Er arbeitet zunächst im Finanzteam für Bidens erste Präsidentschaftskampagne (1988) und später in dessen Stab im Justizausschuss des Senats sowie im Weißen Haus unter der Clinton-Regierung.

"Die Regeln, nach denen das ultimative Spiel gespielt wurde, änderten sich gerade. Als George Romney 1968 im Fernsehen erklärte, dass ihn die Generäle in Vietnam einer Gehirnwäsche unterzogen hätten, war seine Kandidatur zu Ende. 1972 stand Ed Muskie auf einer Lastwagenpritsche vor der Redaktion von William Loebs Union Leader und  vergoss wütende Tränen, weil der Herausgeber seine Frau Jane beleidigt hatte – und das war das Ende von Ed Muskie. 1980 legte Ronald Regen den Kopf zur Seite, kicherte und sagte: 'Da, Sie tun es schon wieder. 'Womit Jimmy Carter Präsidentschaft auf eine Amtszeit zusammenschrumpfte. 1984 schließlich, zitierte Walter Mondale, den Werbespruch einer Burgerkette. 'Where's the beef?' und Gary Hart sah plötzlich aus wie ein Schuljunge. Zehn Sekunden im Fernsehen genügten, um einen Politiker für immer zu definieren, um ihn zu krönen oder zu zerstören. Präsidenten und Bewerber begingen Selbstmord, eifrige Medien leisteten Beihilfe." (S.84)

Biden hatte die Kennedys  zitiert, ohne die Zitate zu kennzeichnen. Das bedeutete das Ende seiner Kampagne um die Präsidentschaft.

" 'Nimm es nicht persönlich, Jeff', sagte er, 'Biden lässt jeden im Stich. Er diskriminiert nicht, wenn es darum geht, seine eigenen Leute im Stich zu lassen.'

Connaughton sollte es Biden auch später nie verzeihen. Er war nie mehr wirklich überrascht von ihm oder enttäuscht. Er sollte noch viele Jahre mit Biden verbunden bleiben, er sammelte Spenden für ihn und arbeitete hart für seine Wiederwahl, er war und blieb einer der Biden-Jungs, aber die romantische Phase ihrer Beziehung endete mit Bidens Weigerung, diesen Anruf zu machen. Connaughtons Begeisterung für Biden, seine Besessenheit, hatte immer auch einen Kosten-Nutzen-Aspekt gehabt, und der rückte nun ins Zentrum des Verhältnisses. Biden hatte ihn benutzt, und er hatte Biden benutzt. Und dieses Verständnis würde weitergehen. Und mehr nicht. Es war jetzt eine politische Beziehung, wie sie in Washington gang und gäbe war." (S.132/133)

2. Der Wechsel ins Lobbying (Der „Ausverkauf“) Desillusioniert von den niedrigen Gehältern und der Mühsal des öffentlichen Dienstes – und frustriert darüber, dass Biden seine Loyalität kaum zu würdigen scheint – wechselt Connaughton die Seiten. Er geht zur „K Street“ (dem Zentrum der US-Lobbyisten) und gründet später mit dem Republikaner Ed Gillespie die Lobbyfirma Quinn Gillespie & Associates. In dieser Phase wird er finanziell extrem erfolgreich und wohlhabend, fühlt sich aber zunehmend innerlich leer. Packer beschreibt diesen Abschnitt als symptomatisch für eine politische Klasse, die sich vom Gemeinwohl entfernt hat, um sich persönlich zu profitieren.

3. Die Rückkehr und der letzte Kampf Im Jahr 2009 kehrt Connaughton überraschend in den Senat zurück, nicht für Biden, sondern als Stabschef für dessen Nachfolger Ted Kaufman. Hier versucht er, seinen früheren Idealismus noch einmal zu beleben. Sein Hauptziel wird der Kampf für eine strenge Finanzmarktreform nach der Krise von 2008 (konkret arbeitet er am Brown-Kaufman Amendment, das Großbanken zerschlagen sollte).

4. Endgültige Desillusionierung und Ausstieg Connaughton muss feststellen, dass die Macht der Bankenlobby und der Einfluss der Wall Street auf Washington (und auch auf die Obama-Regierung) zu groß sind. Das Brown-Kaufman Amendment scheitert. Connaughton kommt zu dem Schluss, dass das System fundamental korrupt ist („The blob“).

Am Ende des Buches zieht er die Konsequenzen: Er verkauft seine Anteile, verlässt Washington D.C. endgültig, zieht nach Savannah (Georgia) und schreibt ein Enthüllungsbuch über die Mechanismen Washingtons (Titel: The Payoff: Why Wall Street Always Wins).

Zusammenfassend: Connaughtons Weg in „Die Abwicklung“ ist der Bogen vom naiven Idealisten zum zynischen Profiteur und schließlich zum desillusionierten Reformer, der das System verlässt, weil er es für nicht mehr reparierbar hält.

(Dieser leicht ergänzte Text der KI wird ergänzt durch Zitate und ein Link zu dem betreffenden Abschnitt aus Parker: Die Abwicklung.)

Tampa (S.221-243)

"In den 1950er Jahren erfuhr Tampa ein nie dagewesenes Bevölkerungswachstum, was insbesondere zu einem enormen Ausbau der Infrastruktur führte. In dieses Jahrzehnt fiel unter anderem auch die Eröffnung des Lowry Park Zoo (1957) und der Busch Gardens (1959). 1956 wurde im Stadtteil North Tampa die University of South Florida eröffnet, die viele neue Arbeitsplätze entstehen ließ. Viele Firmen und Einrichtungen zogen im Laufe der Zeit von ihrem traditionellen Standort im Stadtzentrum in weiter außerhalb gelegene Bezirke um.[31]

Von 1967 bis 1973 wurden insgesamt fünf Versuche unternommen, die Stadtverwaltung von Tampa mit der Verwaltung des Hillsborough County zusammenzulegen. Diese scheiterten jedoch alle an der Wahlurne. Bei der letzten Entscheidung stimmten 33.160 (31 %) der wahlberechtigten Einwohner für und 73.568 (69 %) gegen diese Reform.[32]

Zuletzt wurde das Stadtgebiet 1988 durch die Erschließung eines zuvor ländlich geprägten Gebietes zwischen den Interstates 75 und 275 nördlich von Tampa um etwa 62 km² erweitert, das zum Bezirk New Tampa ernannt wurde." (Wikipedia)

Das unkontrollierte Wachstum führte dazu, dass natürliche Lebensräume wie Kiefernwälder, Zwergpalmenstrände, Orangenhaine, Mangroven und Erdbeerfelder dem Bau von immer mehr Wohnungen zum Opfer fielen. 

"Kein Ort war zu abgelegen oder ungeeignet, um erschlossen zu werden. In Gibsonton, einem kleinen Dorf an der Ostseite der Bucht von Tampa, überwinterte regelmäßig eine Gruppe von Karnevalsfanatikern, ansonsten sah der Ort aus, wie das ländliche Florida einst ausgesehen hatte: an jeder Ecke konnte man Anglerbedarf und Munition kaufen, die schmalen Straßen säumten moosbehangene Eichen. Hier kaufte Lennar Homes, eine Baufirma, eine alte Tropenfischzucht, schaufelte sie zu und begrub sie unter einer Betonplatte. Eine Siedlung aus 382 Häusern sollte / entstehen. Die einzigen Schulen, die es in der Nähe gab, bestanden aus Containern, die einzige Einkaufsmöglichkeit war ein wenige Meilen entfernter Wal-Mart. Arbeit gab es im Umkreis von dreißig Meilen keine. Aber die Siedlung war Wachstum, weshalb die Bezirksverwaltung die Warnungen der eigenen Fachkommission in den Wind schlug und Lenar alle erdenklichen steuerlichen Vergünstigungen ein räumte. 2005 war alles fertig, Carriage Pointe öffnete die Tore.

Da nirgends eine Ortsmitte zu finden war, da überhaupt keine Orte zu erkennen waren und kein einziger Hügel die Monotonie der flachen Landschaft brach, war es beinah unmöglich, sich ohne GPS zu orientieren. Wer seine Uhr einmal vergessen hatte, verlor im immer gleichen tropischen Licht schnell das Zeitgefühl. Man konnte nur versuchen, sich die Kreuzungen zu merken, an denen die immer gleichen Supermärkte, der Großmarkt Sam's Club, die Drogeriekette, Walgreens und eine Shell-Tankstelle die vier Ecken besetzen. […/...]
Anita, die die Sparsamkeit ihres Vaters nach St. Petersburg mitbrachte, wurde die Königin der Schnäppchenjagd. Sie arbeitete bei der Wachovia-Bank, die sich mit der Übernahme der kalifornischen Sparkasse World Savings in das Geschäft mit den Schrotthypotheken gestürzt hatte. Ihr besonderes Kreditangebot hieß Pick-a-Pay: Kunden waren eingeladen, Kreditverträge nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten, Zinssätze zu wählen und Ratenzahlungen festzulegen. Diese Hypotheken wurden zu einem spektakulär profitablen Saft gepresst, der in die Tanks der Wachstummaschine floss. 
Da war Jennifer Formosa, ebenfalls aus Michigan, die aber bei ihrer Mutter in Florida aufgewachsen war. Nach der High School arbeitete sie als Bankangestellte in Cape Coral und heiratete den Vater ihres Babys, einen Mann namens Ron, der zwar keinen Schulabschluss hatte, aber mit dem Gießen von Fundamenten ganz ordentlich verdiente. Ron und Jennifer nahmen einen Kredit von 110 000 Dollar auf und bauten ein Haus mit drei Schlafzimmern. Nach einiger Zeit refinanzierten sie die Hypothek, um die laufenden Rechnungen zu bezahlen, dann beliehen sie das Haus, um ein neues Dach zu bezahlen, dann refinanzierten sie noch einmal, um ihre Autos abzuzahlen, eine Terrasse zu bauen, ein Boot zu kaufen. Was übrig blieb, verschleuderten sie auf Kreuzfahrten und – mit den Kindern in Disney World." 
(Packer, S.223- 225)
"Aus dem ganzen Land kamen Spekulanten, die Häuser kauften, um sie möglichst schnell wieder abzustoßen. 50.000 Dollar in sechs Monaten galt als realistischer Profit, es gab Sekretärinnen mit einem Jahresgehalt von 35.000 $, die fünf oder zehn Häuser besaßen und mit Millionenkrediten jonglieren, und Autohändler, die ihr erstes richtiges Geld verdienten, als sich die Immobilienpreise innerhalb von zwei Jahren verdoppelten. 2005 auf dem Höhepunkt des Wahnsinns, wechselte am 29. Dezember in Fort Myers ein Haus für 399 600 Dollar den Besitzer, das einen Tag später, am 30. Dezember, für 589 900 Dollar weiter verkauft wurde. Es waren die Spekulanten, so genannte Flippers, die die Preise in die Höhe trieben." (S.227)
Ende 2005, Anfang 2006, auf dem Gipfel der Spekulation, brach plötzlich das Vertrauen weg, der Grund gab nach, auf den Floridas Wirtschaft gebaut war, sie stürzte, wie Bugs Bunny, der noch kurz in der Luft schwebte und in die Tiefe blickte, bevor er abwärts rauschte. Die Preise taten etwas, das Schuldner und Kreditgeber, Flipper, Wall-Street-Broker mit Überbeständen, Kreditausfallversicherer, die Hypothekenbank, Fannie Mae, asiatische Banker, die acht Prozent erwarteten, groteske Preistreiber im Kabelfernsehen und Alan Greenspan für undenkbar gehalten hatten: sie begannen zu fallen. (Packer, S.235). 
"Die Hälfte, vielleicht zwei Drittel der Häuser in der Siedlung standen leer, und wer versuchte, sich in Country Walk zu halten, parkte weiterhin brav in der Einfahrt und mähte den Rasen des Nachbarn mit, um die Verwahrlosung zu verbergen. Es gab Abschnitte, die schneller verkamen als andere. Hier wuchs das Gras bereits kniehoch, das Unkraut schoss zwischen den Platten hervor, aus Klimaanlagen waren die Kupferdrähte herausgerissen, grüner Schimmel wuchs auf altweißem Stuck wie Ausschlag, hier und da klebte an einer Haustür ein Zettel: LEERSTEHEND, AUFGEGEBEN. [...] So schnell, wie die Preise in die Höhe geschossen waren, waren sie auch wieder gefallen. Bunnys Haus in Twin Lakes, wenige mal nördlich von Country Walk, dessen Wert sich in kürzester Zeit von 114.000 Dollar auf 280.000 Dollar mehr als verdoppelt hatte, War zwei Jahre später noch 160.000 Dollar wert (S. 236) 

01 November 2025

Roger Willemsen. Enden der Welt

 Rezensionen bei Perlentaucher

Ich habe manche der Texte mehrmals gelesen, beeindruckt von der Fremdartigkeit dessen, was ich nicht mutig genug bin, es erleben zu wollen. Bei den Berichten aus dem Regenwald auf Borneo (S.198ff.) gewinne ich erstmals ein Verständnis für die Zusammenstellung so verschiedenartiger "Enden der Welt".

Im Himalaya geht eine alte Frau nicht um eine Kurve der Landstraße, weil sie eine zu große Angst hat vor dem dort drohenden Fremden. Willemsen geht weiter und trifft auf einen Stau und auf Zurückkehrende, weil dort im Nebel beim Aufreißen des Nebels deutlich wird, wie man da unversehens abstürzen kann. 

Mit Gibraltar sucht er eine Stelle der Welt auf, wo man sich in der Antike das Ende der Welt vorstellte, weil auf den Bereich der Küstenseefahrt des Mittelmeers die Hochseefahrt des Atlantik folgt. Dort verlässt ihn die Reisegefährtin, mit der er sich ohne große Absprachen zu einer Reise nach und durch Spanien zusammengefunden hat, ihm signalisierend, dass sie schon längst kein Interesse an irgendeiner Gemeinsamkeit mit ihm hat. Hier ist es also das Ende der antiken Vorstellungswelt und das Ende einer fast wortlosen Vertrautheit mit einem fremd gebliebenen Menschen. 

In Patagonien ist das Ende die Kälte und Unwirtlichkeit der Gegend, wo es immer weniger Menschen aushalten. 

Auf  Borneo ist es das Ende der zivilisierten Welt eine Großstadt, die nur über Wasserstraßen im Regenwald oder per Flugzeug erreichbar ist. Alle Straßen auf dem Land verlieren sich im Dschungel, in dem nur der "Vormensch" der Orang Utan sich zu Hause fühlt und durch das Mitschleppen von Saatgut die Vielfalt des Biotops zu erhalten versteht. Die Menschen, die hier Landwirtschaft betreiben, können es nur durch Brandrodung, mit der sie die Fruchtbarkeit durch Zerstörung der Biodiversität des Biotops zerstören. Nachdem sie das im Lauf von ein, zwei Jahren getan haben, ziehen sie weiter, weil nachhaltigeres Wirtschaften ihnen nicht möglich ist. 

Fast so, wie es der Menschheit nach 200 Jahren Nutzung der fossilen Energien geht, weil die nachhaltigen Energien noch nicht erlauben, den hochgezüchteten Lebensstandard für alle möglich zu machen. Multimilliardäre ziehen daraus den Schluss, das Sinnvollste sei es, die Erde zu verlassen und auf einem anderen Planeten eine Zivilisation aufzubauen, die selbstverständlich noch weniger als die Erde über 8 Milliarden Menschen zureichende Überlebensmöglichkeiten bietet. Der Vorteil, den sie suchen, ist offenbar, dass sie sich dort nicht in einer gated Community von anderen abschirmen müssen, weil der Weltraum dazwischen liegt. Vielleicht gelingt es ja einmal, die Ungleichheit auf der Erde so weit zu treiben, dass die unterdrückte Menschheit für einige wenige das Leben zu sichern versteht, so wie in Amerika das in der "Neuen Welt" besiedelte Land in den südlichen Staaten (nach Beseitigung der ursprünglichen Bevölkerung) nur mit Hilfe der von Sklaven wirtschaftlich auszubeuten war. (Dies wird von Willemsen selbstverständlich nicht so ausformuliert.)

In Timbuktu begegnet er dem Indio, der nicht bettelt, dann aber mit der unerwarteten Gabe in die Wüste flieht. Willemsen lässt es offen, was ihm die Flucht bringen wird. 

Inhalt  

Die Eifel. Aufbruch 9
Gibraltar. Das Nonplusultra 20
Der Himalaya. Im Nebel des Prithvi Highway.
Isajfördur. Der blinde Fleck, 77
God's Window. Letzter Vorhang 86
Minsk. Der Fremde im Bett 103.
Patagonien. Der verborgene Ort 118
Timbuktu. Der junge Indio, 161
Bombay. Das Orakel, 182
Tangkiling. Die Straße ins Nichts, 198 (Borneo)
Kamtschatka. Asche und Magma 222
Mandalay. Ein Traum vom Meer, 202
Der Fucciner See. Die Auszählung 285
Goree. Die Türe ohne Wiederkehr 300
Hongkong. Poste restante 335
Der Amu-Darja. An der Grenze zu Transoxanien
Tonga. Tabu und Verhängnis, 382
Toraja. Unter Toten 420
Kinshasa. Aus einem Krieg 437
Chiang Mai. Opium 457
Orvieto. Die fixe Idee, 472
Der Nordpol. Einkehr 502

Die Eifel. Der Aufbruch S.9ff.

Gibraltar S.20 ff

»Aber damit ist die Grenze des Nonplusultra doch schon überwunden«, widersprach Christa. »Genau, und deshalb lautete die Devise von KarlV auch Plus ultra! Und das, seit klar war, dass das Nonplusultra eben nicht das Ende der geographischen Welt bedeutete. Also: Plus ultra!«, rief ich noch und schnalzte mit der Zunge. »Dann ist dies jetzt der richtige Augenblick, dir zu sagen, dass ich hier umkehren werde«, antwortete sie und betrachtete mein verblüfftes Gesicht wie ein Exponat. »Hat sich deine Neugier erschöpft?« »Du hast sie erschöpft. Aber nimm's nicht persönlich.« Stunden später nahm sie den Zug nach Madrid, wo sie bei Freunden übernachten konnte. Ich brachte sie zum Gleis, wo wir uns zum Abschied tapfer auf den Mund küssten, um nicht zu gutmütig zu enden. Am nächsten Tag ließ ich die Säulen des Herkules hinter mir, erreichte Tanger und betrat ganz allein die jenseitige Welt.


Der Himalaya. Im Nebel des Prithvi Highway.
»Sagen Sie doch: Was erwartet uns auf der anderen Seite?« »Ich weiß es nicht.« »Aber Sie leben doch hier!« »Ich war nie dort.« »Warum nicht?« / Vor vielen Jahren, erzählt sie, träumte ihr, sie solle nicht um diese Kurve gehen, »von wegen dem Unglück, das passieren könne«, radebrecht sie in ihrem unbeholfenen Englisch. Und die Neugier? Die Neugier bedeute ihr nichts? »Nichts«, sagt sie. »Nach meinem Tod kann ich immer noch nachsehen.« Da es aber ein Leben vor dem Tod gibt und wir eine Weile ungestört und ganz vertraut miteinander geredet haben, darf ich schließlich doch ihre Hand nehmen, und so, in meine beiden Hände ihre federleichte Altfrauenhand nehmend, staksen wir beide aus dem Hüttchen an den Straßenrand, über den mit Pfützen bedeckten Kiesplatz, und tun Schritt für Schritt auf die Kurve zu. Und wenn ihr etwas zustoßen sollte, und wenn sich die Weissagung des Traums doch noch erfüllte? »Wir tun es wirklich, sehen Sie«, sage ich. Sie nickt voller Selbstvertrauen, ihr Gesicht strahlt, und ihre Hand hat jetzt die meine auch ihre Hand hat jetzt die meine auch fest gepackt. Wir gehen synchron, ein wenig humpelnd, aber synchron. Kurz vor dem Scheitelpunkt der Kurve sind wir schon angelangt, als die Greisin stehenbleibt. Sie lacht, als könne sie das nur stehend, löst ihre Hand aus der meinen, schlägt mir herzlich auf den Rücken und schnattert: »Du glaubst doch nicht, ich habe ein Leben lang auf dieser Seite der Kurve zugebracht, um jetzt mal eben so auf die andere Seite zu gehen!« So kehren wir um, und sie lacht und lacht, jetzt auch im Gehen, ist doch ihr Aberglauben um so vieles stärker als die schnöde Vernunft eines Durchreisenden aus Europa, eines blamierten Durchreisenden, der das andere Ende der Kurve für sich behalten soll, die Seite mit den ungeahnten Gefahren, den Bedrohungen des Greisinnen-Lebens. 

Als wir dann aufbrechen, die Hand der Greisin eher abwinkend als winkend hinter uns, als wir also wirklich um die Kurve kommen, stoßen wir zuerst auf einen weißen Büffel, der seinen riesigen Körper von einer Straßenseite zur anderen schaukelt. »Das Phlegma der Büffel ist das der Kamele«, sagt Monika, die schon Hilfsorganisationen in Afrika gründete, so wie jetzt in Nepal. Wir sind keine zwanzig Minuten gefahren, da kommt unser Wagen ganz zum Stehen. Ein Menschenauflauf, ein sozialer Entzündungsherd: Im Zentrum ein Bräutigam mit schmalem Oberlippenbart, Käppchen, Brauen und Wimpern kohlschwarz. Hinter ihm schwankt am Arm der Mutter die Braut, den jungen Kopf tief geneigt in den Schatten eines rosa Regenschirms, damit man sie nicht sehe. Doch nicht deshalb haben alle angehalten. Weiter weg, weiter oben muss »etwas« passiert sein. Der erste Regen fällt sogleich: Tropfen, die kaum die Zweige streifen und schon im Boden aufgehen, wie im Zeitraffer Keim, Rispe, Zweig werden und wiederum den Regen aufnehmen wollen. Die Kolonne der Fahrzeuge steht nicht nur still, die Motoren werden abgeschaltet. Mit kleinen melodischen Phrasen setzen sich die Vögel im ersterbenden Regen durch. Die Straße windet sich, niemand weiß, hinter wie vielen Kurven diesmal die Sperre wartet oder der Ernstfall. Ein Emissär wird losgeschickt. Die Zurückbleibenden treten an die Böschung zum Tal und tauschen Verlegenheiten vor der Aussicht. Wir sitzen auf dem Querbalken eines Viehgatters über der Ebene, die aussieht wie die Landschaft eines flämischen Meisters. Jemand erzählt von einem Mann und seiner Vorliebe für Käsestangen. Meine Gedanken kommen nicht los von der Familie der Greisin auf der anderen Seite der Bergschlaufe. Wenn unser Stau sich weiter dehnt, wird sein Ende unsere Kurve erreichen, und die Alte wird sagen: Nichts Gutes erwartet die Menschen hinter diesem Berg, nichts Gutes liegt da oben an der Straße. Unser Fahrer Rajiv dagegen fürchtet, dieses Mal seien es nicht die Maoisten, nein, es könnte schon wieder ein Unfall sein, der zur Straßensperre führte. »Ich hatte schon vier Tote im Wagen«, sagt Monika. »Rajiv hielt eine Frau in seinem Schoß und streichelte ihr den Kopf, aber da war sie längst tot. >Kümmere dich lieber um die hier<, habe ich ihm gesagt, denn da war ja noch diese junge Frau, >die atmet noch<.« Aber auch sie hatte es am Ende nicht geschafft. Aus dem Tal heben sich schwerfällig die dicksten Nebel, Wolken und Flüsse erscheinen. Der Mitarbeiter von Monikas Organisation sagt: »... dem gab man ein Glas Wein und ein paar Käsestangen, da war er glücklich.« Der Nebel wabert, das Gerede stockt. [...]

 Mit verzerrten Gesichtern treten die Rückkehrer aus dem Grau der Steilwand heraus, Gepäckstücke, Kanister, Textilien in den Händen. Ein Mann schüttelt nur immerfort den Kopf, die Rechte fasst mit Daumen und Zeigefinger in die inneren Augenwinkel, als müsse er sich konzentrieren, in der Linken schlenkert ein orangefarbenes Barett. Die Heraustretenden machen abwehrende Gesten. »Geht da nicht hin!« »Gott, das Motorrad...« Die in den Dunst laufen, werden farblos, dann zu Scheiben, zu bloßen Silhouetten, die wie durch eine Ausstanzung in der Nebelwand verschwinden. Jetzt erscheinen die Menschen ja schon selbst wie aus Nebelmasse geformt, sie verlieren sogar ihre Dreidimensionalität und kehren ins Schattenreich ein. Das Relief des Körpers verflacht, die Farben verschießen, die Silhouetten finden ihren Eingang in der Nebelwand und passieren. Zuletzt sind sie nur noch eine dunkle Aussparung im Nachtatem und treten durch diesen hindurch. Vor uns liegt das Jenseits, hinter uns die verbotene Kurve, in unserem Rücken der einschüchternde Himalaja. Wir ducken uns zwischen diese Steilwände als die Verschonten. (S.71-76)

Patagonien Der verbotene Ort  S.118ff. 

Ich reise aus einer Jahreszeit, die kommt, in eine Jahreszeit, die geht. Der Herbst Patagoniens aber hat mehr Mai in sich als unser März. Ich breche auf und denke an die allgemeine Erschöpfung, in die ich hineinreise, an die Gesten des Scheidens, Ablassens, Ermüdens und Kapitulierens in der Natur. Eine Reise führt fast immer irgendwo an die Abbruchränder zum Unvertrauten, dessen Vergangenheit und dessen Fortleben man nicht kennt. Zu Hause tritt man in die Erzählung wieder ein, aber auch sie ruckt und stockt zunächst, war man nur für eine Weile nicht ihr Zeitzeuge. Es gibt auf allen Reisen diese Stimmung, in der der Ausstieg dominiert. Noch ist man nirgends angekommen, noch möchte man nirgends ankommen. Fort will man sein, entkernt, gern heimatlos. Der Abschied vom Gewohnten korrespondiert mit den Durchgangs- und Warteräumen, in denen die Fremden schon präsent sind, ihre Erdteile einfließen lassen, sich zu einer Gesellschaft der internationalen Gesichter zusammenschließen und dahinter einfach das sind: müde, ungeschminkte, ambitionslos wirkende Gesichter. [...]" (S.113)

Tangkiling.* Die Straße ins Nichts, 198

"Als ich der Familie beim Abendessen erzählte, dass ich am liebsten auf einem Boot nach Palangkaraya reisen würde, breiteten sie eine Karte aus, und wir fuhren mit den Fingern Ströme abwärts, Ströme, Verästelungen und Mündungen, den ganzen Aderlauf des tropischen Regenwalds entlang, um am Ende aller dieser Kapillare den Knotenpunkt zu finden, der »Palangkaraya« heißt. Am nächsten Tag mieten sie einen Steuermann und einen Maschinisten und ich gehe an Bord eines Bootes. Mehrmals schieben sich während der Fahrt meterlange Schlangen und Krokodile ins Wasser. Sobald sich eine Wasserpflanze in unsere Schiffsschraube flicht, springt der Bootsmann trotzdem mit der Machete bewaffnet in die undurchsichtige Brühe und befreit uns in mehreren Tauchgängen, während der Maschinist von oben aufpasst, dass sich kein Angreifer nähert. Ehemals Feinde der Primaten, sind die Schlangen und Krokodile heute selbst bedroht. Ihr Hauptfeind ist auch der des Orang Utans: der Mensch. Am Strom winden sich Schlangen durch das vom Niedrigstand des Wassers freigelegte Wurzelwerk. An manchen Bäumen erkennt man die Markierungen der irgendwo im Busch lebenden Volksstämme, die so ihr Territorium bezeichnet haben. Einige wohnen sogar in den Bäumen, andere auf Lichtungen oder an nahen Bachläufen. Sie leben animistisch. Auch Anthropophagen, kannibalistische Stämme mit der Neigung, zum Schutz gegen Dämonen den menschlichen Skalp an der Außenwand des Hauses anzubringen, soll es bis in die fünfziger Jahre hinein auf Borneo gegeben haben. Doch nie verstummen die Geschichten, die Ähnliches noch für die jüngste Vergangenheit behaupten. In Palangkaraya aber, der erst 1957 gegründeten Hauptstadt von Zentralkalimantan, kann man fotokopieren und technische Apparate kaufen. Hier gibt es vier Kinos, aber Straßenbeleuchtung noch nicht lange. Es gibt ein großes Krankenhaus, aber nur einen Chirurgen für alle, die tagelang in ihren Einbäumen wegen einer Blinddarmoperation oder der Behandlung einer Schnittverletzung hierher unterwegs sind. Es gibt Banken, aber noch nicht lange solche, die Schecks oder Dollar akzeptieren. Es gibt Computerspezialisten und korrespondierende Mitglieder wissenschaftlicher Zeitschriften, aber nicht selten sind es dieselben, deren Glaubenspraxis rituelle Schlachtungen und Trance-Tänze einschließt. Der letzte Gouverneur der Region, immerhin im Rang eines Ministerpräsidenten, verfügte testamentarisch, sein Sarg solle aus dem Holz eines sogenannten »Herzbaums« gefertigt werden, eines Baums also, bei dessen Pflanzung in der Wurzel ein menschliches Herz eingesetzt wurde. Die Einheimischen merken sich im Urwald solche Bäume, [...]" (S.204/05)

"Seine Fruchtbarkeit verdankt der tropische Regenwald Borneos also nicht primär dem Boden. Sie liegt vielmehr in der Luft, im Blattgrün, in den zahllosen symbiotischen Verbindungen zwischen Pflanzen und Tieren. Vierzig Meter über dem Boden wachsen in toten Bäumen Sträucher und Blumen aus den verlassenen Nestern der Orang Utans. Kerne, verfaulte Früchte, Kot und vermodernde Zweige mischen sich zum Kompost und lassen neue Mikrokosmen entstehen mit einem hoch verletzlichen inneren Gleichgewicht. 

Die Schwestern erzählten mir auch von der Straße von Palangkaraya. Im wilden Herzen Borneos gibt es Pfade und Traumpfade, keine Straßen. Die Ansiedlungen im Dickicht aus Macchie und tropischem Regenwald, die Haufendörfer an den breiten grauen Strömen sind nur durch Wasserwege oder die unsicheren Luftrouten lokaler Fluggesellschaften miteinander verbunden." (S.209)

Der Fuciner See 

Die Auszehrung 

Um die Mitte der achtziger Jahre arbeitete in der Wiener Nationalbibliothek zäh und zehrend eine junge Frau mit schwarzem Pagenkopf. Allmorgendlich wuchtete sie einen gewichtigen Stapel Bücher auf den immer selben Tisch und schleppte ihn abends an den immer selben Schalter zurück. Ablenken ließ sie sich nicht. Die Einzigen, die ihre Stimme hörten, waren die Bibliotheksdiener, die ihr die Bücher aushändigten und diese abends wieder in Empfang nahmen. Niemand lud sie zum Kaffee ein, niemand hielt ein Schwätzchen mit ihr, und da ich zwei Tische hinter ihr saß, kann ich sagen: Sie hat auch selbst niemanden eingeladen oder von seinem Tisch abgeholt. Blass war sie, und dennoch weiß gepudert, ließ sich nie ohne campariroten Lippenstift sehen und musste sich schon in ihren späten Zwanzigern die Haare färben. Rabenschwarz. Vor den Zudringlichkeiten anderer Geistesarbeiter bewahrte sie nicht ihr etwas skurriles Aussehen oder ihr abweisender, beinahe höhnischer Habitus, und auch nicht ihr Arbeitseifer, der kein Eifer war, sondern ein Brennen, eine Wut, ein Sich-Verzehren.[...]

Kafka höhlte ihr Leben aus und bewegte sich in ihr, und wenn sie ihn ihren »geistigen Vater« nannte, tat sie es nicht, ohne den leiblichen Vater herabzusetzen, der als abruzzesischer Gastarbeiter nach Österreich gekommen war - in ihren Worten ein verachtenswerter, dort nie heimisch gewordener Mann, der sich in ihrer Kindheit Zweideutigkeiten mit ihr erlaubt hatte. Zweideutig auch, wie sie davon sprach, denn manchmal wirkte es, als wünschte sie, es sei so gewesen, damit sie einen Grund hätte, nach dem frühen Tod der Mutter nun auch den Vater von sich abzutrennen, um Platz für Kafka zu schaffen. Eine Zeitlang sahen wir uns regelmäßig. Es war immer unkonventionell, immer anregend mit ihr. Man schlief wenig, und gedanklich war alles erlaubt. Einmal erläuterte sie mir das Motiv des Hungerns bei Kafka: Es sei kein Hungern im materiellen oder sozialen Sinn, auch habe es mit dem Verlangen, der Not, dem Begehren nichts zu tun, vielmehr versuche sich der Hungerkünstler zu revidieren, also seine Existenz auszutrocknen, um sie am Ende wie eine Haut abstreifen zu können. »Es handelt sich um Selbstaufgabe als Bedingung der Selbsterschaffung. Er muss sich verlieren, um sich gewinnen zu können. Aber er kann es nicht mit einem Mal, [...]

Goree, S.300ff.

Die Tür ohne Wiederkehr 

Die Insel der Seligen ist unterkellert. Man weiß es, doch sieht man es nicht, wenn man mit einem kleinen Boot im Hafen von Dakar ablegt und auf diesen bloß drei Kilometer entfernten Festungsfelsen zufährt, die schreckliche Idylle, die zuerst bloß »Ber« hieß, später »IIa de Palma«. Die britischen Besatzer tauften sie »Cape Coast Castle«, und erst die Franzosen nannten sie schließlich Goree, den »guten Hafen« oder auch »Goree, die Glückliche«, aber das war schon zu der Zeit, als die Schiffe mit den aneinandergeketteten Sklaven über den Atlantik kamen und sich kaum jemand glücklich schätzte, Goree zu erreichen. Alle zwanzig Minuten geht heute die Fähre aus Dakar. Die Frauen auf dem Schiff in ihren prachtvollen Bubus balancieren auf den Köpfen Südfrüchte, Zucker, Süßkartoffeln, Obst. Wo sie ankommen, wohnen heute auf einem Felsen, der einmal fünftausend Einwohner beherbergte, noch etwa tausend. Von denen liegen an diesem Mittag die einen in Hängematten, die anderen flanieren unter der wehenden Wäsche über den Gassen, die Dritten lagern in der Wiese über den freilaufenden Schafen, 

Orvieto Die fixe Idee S.472ff.

"Die Trattoria Giusti in der Via Giuseppe Giusti war die Küche vieler, die in den späten siebziger Jahren in Florenz studierten oder als Langzeitreisende in der Stadt gestrandet waren. Ich studierte am Kunsthistorischen Institut und verdiente mein Geld als Reiseleiter. Meine Freunde waren zwei weitere Studenten, ein Uffizien-Wärter, eine sienesische Apothekertochter und ein kanadisches Journalistenpärchen. In der Trattoria standen nur zwei lange Tische, und eine Speisekarte gab es nicht. Man nahm an einem der Tische Platz, saß oft unter Fremden oder mischte Freunde mit Fremden, wählte zwischen Fisch oder Huhn und überließ den Rest dem Wirt. Der erste Besuch, der sich von zu Hause aus zu mir nach Florenz aufmachte, war eine Frau, die - ich weiß nicht, warum - »Matubi Hühnchen« genannt wurde, eine große, blonde, schüchterne Frau, die meine Ausgelassenheiten meist mit dem Satz quittierte: »Da muss ich ja lachen!« Aber das musste sie nicht. Zu Hause hatte sie in der Dachetage über einer Konditorei gewohnt. [...]

Eine der jungen Frauen, die wie wir zwischen die Linien der beiden feindlichen Fronten geraten war, fiel unmittelbar vor unseren Füßen in Ohnmacht. Wir ergriffen sie rechtzeitig, stellten sie hinter uns aufrecht an der Wand ab und warteten, bis die Kämpfenden an uns vorbeigezogen waren. Das Gewühl verlief sich, das Mädchen erwachte, und auf beiden Seiten eingehakt, ließ sie sich zu einem Cafe in einer Seitenstraße bugsieren. Bernadette war als amerikanisches Au-pair nach Rom gekommen, auf der Suche nach etwas Künstlerischem. Gefunden hatte sie die Liebe, verloren hatte sie sie auch. In ihren Erzählungen gab diese Liebe nur noch schwache Aromastoffe ab, und indem sie ihre langen braunen Locken in Bahnen zwischen den Fingern striegelte und mit ihren Augen unsere Augen festhielt, war ihr selbst klar, dass das Leben wieder in eine Romanze einbiegen sollte, einen Coup de foudre, eine Verrücktheit, wie sie nach einer Straßenschlacht im sommerlichen Siena, an der Seite zweier Fremder, geradezu auf der Hand lag. [479/80] Als die Nacht herunterkam, hatte Bernadette keinen Schritt getan, bei dem sie nicht von uns zu beiden Seiten untergehakt gewesen wäre. Sie hatte uns paritätisch geküsst, und kaum verschwand einer auch nur kurz in einem Laden oder auf der Toilette, gab sie dem anderen einen Kuss so heftig und nass, dass er sich auserwählt fühlen musste. Ja, ihre Küsse waren verschwenderisch und maßlos, sie stürzte sich mit einem Kopfsprung in jeden einzelnen von ihnen und legte einem dabei noch die nackte Armbeuge um den Nacken, damit der Kopf ja nicht ausweichen und sie alles noch besser genießen konnte. Wenn sie einen Kuss abgeschlossen hatte, warf sie den Kopf in den Nacken und lachte guttural, was ein bisschen irr, ein bisschen schmutzig, ein bisschen stolz klang, und manchmal wischte sie sich selbst mit dem Handrücken die Lippen ab. Sie wollte uns verrückt machen, beide, und wir sollten fühlen, wie an diesen Küssen noch dieser Mädchenkörper hing, der sich schmiegte, während die Zungen sich im Rachenraum umeinanderwälzten. Kurz vor Mitternacht hatte sich die Geschichte so weit entwickelt, dass an Trennung nicht mehr zu denken war. Bernadette machte jetzt kein Hehl daraus, dass sie am liebsten unzertrennlich geblieben wäre. Wir sollten uns eine Wiese außerhalb der Stadt suchen und dort gemeinsam die Nacht verbringen. Als wir zögerten, lief sie ein paar Schritte voraus, hob ihr T-Shirt fast auf Höhe ihrer Brüste, beugte sich vor und fragte: »Na, wer will mich?« [480/81] Männer mögen und fürchten solche Frauen, und ein wenig verachten sie sie auch. Aus Bernadette aber strahlte das Versprechen der Sommernacht heraus, und es war Verlangen genug in ihr für zwei. Peter war der Hund, der, zu allem bereit, mit den geöffneten Armen eines Jesus mir die Entscheidung überließ. Ich aber war der Feige, der mit einem »Macht ihr nur!« den Rückzug antrat und in Bernadettes Blick zweierlei erkennen konnte: ein Bedauern über den Verzicht und eine in Freundlichkeit aufgelöste Verachtung über den schamhaften Mann, der vielleicht auch nur die Konkurrenz scheute. Unser Abschied fiel deshalb von ihrer Seite so mütterlich aus, dass es fast verletzend war. Peter gab noch rasch den loyalen Freund, der immer noch bereit sei zu verzichten, schließlich gebe es Wichtigeres. Aber da waren wir schon verabredet für zwölf Uhr mittags am nächsten Tag vor dem Dom von Orvieto, und seine Begierde war jetzt schamlos und direkt. Ich bog zum Bahnhof ab. Als ich mich zum letzten Mal nach den beiden umsah, griff Peters Hand in ihren Hintern, als wolle er sagen: So macht man das, und sie warf im Gehen den Kopf in den Nacken und lachte den Nachthimmel an. Nachdem ich am Bahnhof erfahren hatte, dass der nächste Zug nach Orvieto erst im Morgengrauen fahren sollte, legte ich mich in der Wartehalle zu ein paar Rucksackreisenden in eine Ecke und schlief für Stunden, war aber rechtzeitig wach, um den Zug nach Orvieto abzupassen. Er war noch nicht eingefahren, als ein Pärchen - 481/82 zerzaust und mit verrutschten Kleidern - an den Bahnsteig torkelte - Peter sichtlich ernüchtert, Bernadette selig, aber derangiert und schräg in seinem Arm hängend, ihre Jeans mit Grasflecken bedeckt. Zum Abschied wurde sie von Peter nur noch routiniert geküsst. [...]" (S.479-82)

Der Nordpol Einkehr (501ff.)

In diesem Juli trägt die Stadt November. Ein läppischer, kühler Nieselregen geht über Moskau nieder, und unter dem fahlen Schweinehimmel ergrauen selbst die farbenfrohen, amphitheatralisch verschachtelten Siedlungen des Speckgürtels, die Drusen der Billigbauten des Stadtrands, der ganze menschliche Ameisendom. In den Zwischenräumen aber thronen die Vestalinnen der Likör- und Handyreklamen und herrschen. Auf den Straßen unter ihnen zirkulieren die verhärmten, wenn nicht verrohten Gesichter der neuen Proletarier und der alten, die sich noch erinnern, wie es war, als die Politik in ihrem Namen sprach. Damals galt es als Auszeichnung, ein solches Gesicht zu haben, ein abgearbeitetes, erschöpftes Gesicht. Inzwischen hat die Verelendung einige Kleider und den Bart erreicht: [...]

Noch morgens hatte es leicht geregnet, jetzt laviert sich das Schiff langsam zwischen den algenbesetzten, schmutzigen Eismassiven durch und auf einen Indifferenzpunkt zu zwischen den Becken, Senken, Brüchen. Unter den hoch aufragenden, zwei bis drei Meter dicken Schollenfragmenten steht die tiefschwarze See, in die manche Platte hinabgeschoben wird, ehe sich über ihr das Eis schließt. Der Kapitän manövriert die »Yamal« nun Zentimeter für Zentimeter, auf der Brücke umlagert von den Fotografierenden, die sich drängen, die Nadelposition auf 540/41 dem Hauptkompass in den Fokus ihrer Kameras zu bringen. Das Erreichen und sekundenlange Verweilen auf 90 Grad wird mit Applaus und Glückwünschen quittiert. Dann schenkt das ungerührte russische Personal süßen Sekt aus, man stößt an, umarmt sich und wendet sich der Reling zu, hinter der die Landschaft aussieht wie seit Tagen schon. Alle suchen die Gefühle, die zum Ereignis passen. Man denkt an die historischen Reisenden, die hier jubelnd und weinend anlangten, an die Toten, die das Eis immer noch einschließt, an die vergeblich Losgezogenen, die in die Irre Gelaufenen, die Gescheiterten. Alle Anwesenden, so scheint es, haben kleine Gefühle im Vergleich zu ihren Vorgängern. Das Erhabene trillert mit dem Banalen. Es ist ein Punkt der Ausleerung erreicht, der auch zum Nordpol gehört: Nicht gewachsen sein allem, was hier liegt, nichts vermögen als zu schauen, anzukommen, aber ohne es zu wollen, den fiktiven Ort zu betreten, aber verschwindend, schon in die Rückkehr hineinstarrend, die elende Rückkehr. Der Kapitän hält eine kurze Ansprache, in der der »alte Traum vom Erreichen des Nordpols« eine Rolle spielt. »Sie alle haben ihn verwirklicht«, sagt er. Wir haben nichts verwirklicht, denken wir. Wir haben ein Schiff bestiegen und sind angekommen. Jenseits vom Pol aber, dort, wo die Krümmung der Erdkugel wieder einsetzt und die Landschaft aus dem Blick taucht, wo das Eis ungebrochen vor unserem Rumpf liegt und sich in einem großen Laissez-faire die menschenabweisende 541/42 Todeszone der Natur ausdehnt, da erstreckt sich eine Schneefläche, rein und unberührt. Wir werden sie nicht mehr betreten. Der Neujahrsmorgen in der Eifel* kommt mir wieder in den Sinn, und die Decke des Krankenhauses öffnet sich schneeweiß, und nichts ist zu hören als das Echo der Grenze.  

*  Verweis auf das 1. Kapitel mit Gespräch mit dem Jungen


30 Oktober 2025

Chinua Achebe: Things Fall Apart

  Chinua AchebeThings Fall Apart (französisch: Tout s'effondre

Deutsche Wikipedia"[...] Alles zerfällt [...] ist der erste Roman des nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe. Er erschien 1958 und wurde zu einem Meilenstein und zugleich Klassiker der afrikanischen Literatur. [...]"

Englische Wikipedia in Googleübersetzung:

Achebe gab seinem Roman: "den Titel „Things Fall Apart“, nach einer [Halb-]Zeile aus dem Gedicht „The Second Coming“ (Text) von W. B. Yeats: (Link zur deutschen ÜbersetzungLink zur französischen Übersetzung)

Er strich den zweiten und dritten Teil des Buches und behielt nur die Geschichte des Yamswurzelbauern Okonkwo bei, der während der Kolonialisierung Nigerias lebt und mit dem Schuldenerbe seines Vaters zu kämpfen hat. [...]1957 schickte er sein einziges Exemplar des handgeschriebenen Manuskripts (zusammen mit der Gebühr von 22 Pfund) an einen Londoner Manuskriptschreibservice, dessen Anzeige er im Spectator gesehen hatte. Da er keine Antwort erhielt, bat er seine Chefin bei der NBS, Angela Beattie, die Firma während ihrer Londonreise zu besuchen. Sie tat dies und verlangte verärgert zu erfahren, warum das Manuskript unbeachtet in der Ecke des Büros lag. Das Unternehmen schickte Achebe umgehend eine getippte Kopie. Beatties Intervention war entscheidend dafür, dass er seine schriftstellerische Tätigkeit fortsetzen konnte. Wäre der Roman verloren gegangen, sagte er später, „wäre ich so entmutigt gewesen, dass ich wahrscheinlich ganz aufgegeben hätte.“ Im darauffolgenden Jahr schickte Achebe seinen Roman an den von Gilbert Phelps empfohlenen Agenten in London.[42][43] Er wurde an mehrere Verlage geschickt; einige lehnten ihn sofort ab, da sie der Meinung waren, Romane afrikanischer Autoren hätten kein Marktpotenzial.[44] Die Verantwortlichen bei Heinemann lasen das Manuskript und zögerten mit ihrer Entscheidung, das Buch zu veröffentlichen. Ein Bildungsberater, Donald MacRae, las das Buch und berichtete dem Unternehmen: „Dies ist der beste Roman, den ich seit dem Krieg gelesen habe.“[45] Heinemann veröffentlichte am 17. Juni 1958 2.000 Hardcover-Exemplare von „Things Fall Apart“.[46] Laut Alan Hill, der damals beim Verlag angestellt war, wurde das Buch in Vorbereitung auf die Veröffentlichung nicht einmal angerührt. Die britische Presse nahm das Buch gut auf, und auch der Kritiker Walter Allen und der Schriftsteller Angus Wilson lobten es. Drei Tage nach Erscheinen schrieb das Times Literary Supplement, dass es dem Buch „wirklich gelingt, das Stammesleben aus der Innenperspektive darzustellen“. Der Observer nannte es einen „ausgezeichneten Roman“, und die Literaturzeitschrift Time and Tide erklärte, Achebes Stil sei „ein Vorbild für angehende Autoren“. In Nigeria fielen die Reaktionen zunächst gemischt aus. Als Hill versuchte, das Buch in Westafrika zu bewerben, stieß er auf Skepsis und Spott. Die Fakultät der Universität Ibadan amüsierte sich über die Vorstellung, dass ein Absolvent einen lesenswerten Roman geschrieben haben könnte.[48] Andere hingegen zeigten sich aufgeschlossener. Eine Rezension in der Zeitschrift Black Orpheus lautete: „Das Buch als Ganzes vermittelt dem Leser ein so lebendiges Bild des Igbo-Lebens, dass Handlung und Figuren kaum mehr als Symbole für eine Lebensweise sind, die in der Erinnerung der Lebenden unwiederbringlich verloren gegangen ist.“ Nach der Veröffentlichung von „Things Fall Apart“ im Jahr 1958 wurde Achebe beim NBS befördert und mit der Leitung der Berichterstattung des Senders über die Ostregion betraut. Im selben Jahr begann Achebe eine Beziehung mit Christiana Chinwe (Christie) Okoli, einer Frau, die in der Gegend aufgewachsen war und kurz nach seiner Ankunft beim NBS anfing.[51] Das Paar zog nach Enugu, und Achebe übernahm seine administrativen Aufgaben.

Inhalt: Okonkwo oder Das Alte stürzt bzw. Alles zerfällt)

Googleübersetzung der engl. Wikipedia:

Okonkwo ist ein berühmter Mann im Dorf Umuofia. Er ist ein Ringkampfmeister und Anführer eines Clans. Er strebt danach, das genaue Gegenteil seines Vaters Unoka zu sein, der ein fauler Schuldner war, der weder seine Frau noch seine Kinder ernähren konnte und lieber Flöte spielte und dem Alkohol verfiel, als nach Erfolg zu streben. Okonkwo arbeitet von klein auf hart, um sich aus eigener Kraft Ruhm und Reichtum zu erarbeiten. Besessen von männlicher Stärke und Disziplin, schlägt er oft seine Frauen und Kinder, was zur Flucht eines seiner Söhne führt.

Okonkwo wird von den Ältesten zum Vormund von Ikemefuna auserwählt, einem Jungen, der als Friedensabkommen zwischen Umuofia und einem anderen Clan entführt wurde, nachdem Ikemefunas Vater eine Frau aus Umuofia getötet hatte. Der Junge sieht in Okonkwo einen zweiten Vater. Das Orakel von Umuofia verkündet schließlich, dass der Junge getötet werden muss. Ezeudu, der Dorfälteste, warnt Okonkwo davor, zu töten, doch dieser ignoriert die Warnung und vollbringt die grausame Tat widerwillig. Nach Ikemefunas Tod wird Okonkwo von Trauer und Albträumen geplagt. Während eines Salutschusses bei Ezeudus Beerdigung explodiert Okonkwos Gewehr versehentlich und tötet Ezeudus Sohn. Er und seine Familie werden daraufhin für sieben Jahre in sein Heimatland [das Land der Mutter seiner Frau] Mbanta verbannt, um die Götter zu besänftigen.

In Mbanta erfährt Okonkwo, dass Weiße in Umuofia leben, um dort das Christentum einzuführen. Mit der steigenden Zahl der Konvertiten wächst der Einfluss der Weißen, und eine neue Regierung wird eingesetzt. Das Dorf steht vor der Wahl, die neue Gesellschaft der Weißen zu akzeptieren oder sich ihr zu widersetzen. Okonkwos Sohn Nwoye wird neugierig auf die Missionare, und nachdem er ein letztes Mal von seinem Vater geschlagen wurde, beschließt er, seine Familie zu verlassen und ein unabhängiges Leben zu führen. Nwoye wird von einem Missionar namens Mr. Brown in die neue Religion eingeführt. Im letzten Jahr seines Exils beauftragt Okonkwo seinen besten Freund Obierika, all seine Yamswurzeln zu verkaufen und zwei Männer anzuheuern, die ihm zwei Hütten bauen sollen, damit er mit seiner Familie zurückkehren kann. Er veranstaltet außerdem ein großes Fest für die Verwandten seiner Mutter.

Als Okonkwo von Mbanta zurückkehrt, findet er sein Dorf durch die Anwesenheit der Weißen verändert vor. Nachdem ein Konvertit das Verbrechen begangen hat, einen Ältesten zu entlarven, der einen Ahnengeist des Clans verkörpert, rächt sich das Dorf, indem es eine örtliche christliche Kirche zerstört. Daraufhin nimmt der Bezirkskommissar, der die Kolonialregierung vertritt, Okonkwo und mehrere andere einheimische Anführer gefangen, bis sie eine Geldstrafe von zweihundert Säcken Kaurimuscheln zahlen. Trotz der Anweisung des Bezirkskommissars, die Anführer von Umuofia mit Respekt zu behandeln, demütigen die einheimischen „Gerichtsboten“ sie, indem sie ihnen die Köpfe rasieren, sie mit Stöcken schlagen und auspeitschen. Empört versammelt sich das Volk von Umuofia schließlich zum Aufstand. Okonkwo, von Natur aus ein Krieger und fest entschlossen, die Sitten und Gebräuche Umuofias zu bewahren, verachtet jede Feigheit und befürwortet den Krieg.

Als Boten der weißen Regierung versuchen, die Versammlung zu verhindern, enthauptet Okonkwo einen von ihnen. Da die Menge den anderen Boten die Flucht ermöglicht und nicht an Okonkwos Seite kämpft, erkennt er verzweifelt, dass das Volk von Umuofia nicht für sich und seine Religion kämpfen wird. Als der Bezirkskommissar Gregory Irwin daraufhin zu Okonkwos Haus kommt, um ihn vor Gericht zu stellen, findet er Okonkwo tot vor. Er hatte erkannt, dass er den Kampf allein führte und sein Stamm aufgegeben hatte. Unter seinem Volk hat Okonkwos Handeln seinen Ruf und sein Ansehen beschädigt, da Selbstmord den Lehren der Igbo streng widerspricht. Obierika ringt mit den Tränen, als er Okonkwos Tod beklagt. Während Irwin und seine Männer sich auf Okonkwos Beerdigung vorbereiten, sinniert Irwin darüber, dass Okonkwos Tod ein interessantes Kapitel für sein Buch „Die Befriedung der Urstämme des unteren Niger“ abgeben wird.

Kurzzitate aus dem Originaltext (geordnet nach der Reihenfolge der Kapitel:)

https://en.wikiquote.org/wiki/Chinua_Achebe#Things_Fall_Apart_(1958)

Handlung kapitelweise:

1. Teil

1. Kapitel: Okonkwos Vater war ein Versager. Das einzige, was er konnte, war Schulden machen und immer wieder, obwohl er nichts zurückzahlte. Sein Vater spielte für sein Ansehen keine Rolle. Das Sprichwort sagt: Wenn ein Kind seine Hände wäscht, kann es mit Königen essen. Und Okonkwo hatte sich die Hände gewaschen. Er war fähig. (S.3-7)

2. Kapitel: Okonkwo schämte sich seines Vaters. Er selbst war fähig. Das einzige, was er fürchtete, so zu werden wie sein Vater. (S.8)

3. Kapitel: Okonkwos Vater Unoka hatte ein trauriges Schicksal. Die Göttin lebte in einem Erdhügel, der einen so niedrigen Eingang hatte, dass man kriechen musste. Das Feuer in der Höhle glühte nur, so dass man die Prophetin kaum erkennen konnte und niemand die Göttin selbst sah. (S.13) Als er die Göttin fragte, warum er immer so wenig ernte, obwohl er vorschriftsmäßig opfere, sagt ihn die Seherin, er sei zu faul, zu roden, um unverbrauchtes Land zu gewinnen, und säe immer nur auf bereits verbrauchte Erde.  Er war aber schwächlich und konnte keine schwere Arbeit leisten. Er starb an einer Schwellung des Magens und der Rippen. Weil das der Erde zuwider war, durfte er nicht zu Hause sterben, sondern wurde nach draußen geschafft. Weil er sich nicht wehrte, wurde er nicht an einen Baum gebunden. Aber er wurde nicht begraben, sondern verrottete langsam.

Weil Unoka  seinem Sohn nichts hinterlassen hatte, hatte Okonkwo einen schweren Start ins Leben, aber weil er keinesfalls so leben und sterben wollte wie sein Vater, war er aktiv. Er brachte einem reichen Mann Geschenke und bat um Saatgut für Yamswurzeln. [Es bleibt für mich unklar, ob es Saatgut, Sämlinge oder Setzlinge sind. Einerseits hebt er Saatgut viele Wochen lang auf, um es bei dem späteren Regen zu verwenden, andererseits werden vor dem Setzen die Pflanzen, wenn sie groß genug sind, geteilt.] Er erhielt doppelt so viel, wie er erhofft hatte. Der Reiche sagt dazu das Sprichwort vom Vogel Eneke: Als die Menschen gelernt hätten, ihr Ziel zu treffen, habe er gelernt, zu fliegen, ohne auszuruhen. [Mit heutigen Worten: Ein erfolgreicher Unternehmer ist immer innovativ.] 

Okonkwo musste für das Saatgut freilich einen Teil seiner Ernte abgeben, er musste seine Mutter und seine Schwestern mit versorgen. Die Frauen arbeiteten zwar auch fleißig, aber nur Frauenpflanzen wie Bohnen und Maniok und nicht mit Yamswurzeln, die Männerarbeit waren. 

In dem Jahr, als Okonkwo  anfing, war es das schlechteste Jahr seit langem. Der Regen fiel immer zur falschen Zeit, ein Mann erhängte sich deswegen; Okonkwo aber hielt durch und sagte sich später: Wenn ich das durchgestanden habe, dann halte ich alles aus.

Kapitel 4: Okonkwo  war fähig, aber er war auch arrogant. Einmal sagte er, als jemand ihm widersprach: "Diese Versammlung ist für Männer." Als ein Älterer ihm darauf sagte, nicht jeder habe ein Glücklos gezogen, entschuldigte er sich. Aber er hatte gar kein Glückslos gezogen, sondern alles, was er war, verdankte er seiner Leistung. (S.20)

Okonkwo liebte Ikemefuna (s.o.), aber er zeigte es nicht. Er hielt es für Schwäche, Emotionen zu zeigen. Das gestattete er sich nur bei Ärger. (S.21) Als er seine jüngste Frau wegen eines Vergehens schlug, beachtete er nicht, dass es die Friedenswoche war. "Okonkwo was not the man to stop beating somebody half-way through, not even for fear of a goddes." (S.22) Als der Dorfälteste ihm eine Strafe auferlegte, zahlte er sie. "Inwardly, he was repentant. But he was not the man to go about telling his neighbours that he was in error." So dachten die Leute, er würde die Götter des Clans nicht ehren. Die Strafe für das Brechen des Friedens vor der Woche der Aussaat war früher viel schärfer gewesen. Vor zwei Generationen war ein Mann deshalb getötet worden. (S.24)

Kapitel 5Das Fest des neuen Jahrs war immer das fröhliche Fest in Umofia.  Doch Okonkwo freute sich nur bei der Arbeit. Die Frauen und Kinder bemalten sich. Okonkwo war sehr nervös und verprügelte grundlos seine zweite Frau und schoss sogar auf sie, zum Glück, ohne sie zu treffen. Alle drei Frauen, kochten für Okonkwo und jeweils eine ihrer Töchter brachte ihm das Essen. 

Kapitel 6: Der Kampf der Ringer war immer ein aufregendes Ereignis im Dorf. Alle versammelten sich auf dem Festplatz. Sieben Trommeln setzten ein und tönten immer fieberhafte. Die Trommler waren vom Geist der Trommeln besessen. Als erstes kämpften die Jugendlichen von 15 oder 16 Jahren. Sie leisteten den Vorkampf. Kaum waren die Jungen aufeinander getroffen, als einer blitzartig einen Schultersieg gegen seinen Gegner erzielte. Drei Jungen aus seiner Gruppe trugen ihn als Sieger auf den Schultern zurück. Die zweite Frau von  Die zweite Frau von Okonkwo merkte, dass sie neben einer Frau aus einem anderen Dorf stand, die als Priesterin arbeitete. Diese Frau liebte die Tochter der zweiten Frau und sprach immer von ihr als "meine Tochter". Dieser Bekannten erzählte die 2. Frau, dass ihr Mann auf sie geschossen hatte.
Dann begann der Kampf der Männer, die meisten Kämpfe endeten unentschieden. Die zwei Gruppenführer traten als letzte gegeneinander an. Lange schien der Kampf unentschieden, bis einer einen Griff ansetzte, doch der andere über ihn hinweg sprang und ihn zu Boden warf. Daraufhin ertönte der Siegesgesang (S. 34-37)  

Kapitel 7: Okonkwo hatte einen jungen Mann als Tribut von dem anderen Dorf bekommen, als ein Bewohner seines Dorfes erschlagen worden war und Umofia, die Gruppe der 9 Dörfer, dem Dorf des Täters mit Krieg gedroht hatte. . Dieser Jüngling Ikemefuna war etwas älter als Okonkwos ältester Sohn, und er hatte sich in drei Jahren sehr in den Haushalt eingefügt und nannte Okonkwo seinen Vater. Nwoye, der älteste Sohn von Okonkwo sah in Ikemefuna sein männliches Vorbild und sah einen Vorzug darin, mit ihm zusammen nicht mehr bei seiner Mutter, sondern im Obi [Hütte] seines Vaters zu sein. Sein Vater erzählte zwar Geschichten, die ihm weniger gut gefielen als die seiner Mutter, aber er wollte ja ein Mann werden und wusste, dass diese Geschichten von Kampf und Tod zu männlichem Wesen gehörten. Okonkwo freute sich, dass sein Sohn dem Beispiel Ikemefunas folgte und sich angewöhnte, verächtlich über die Frauen und Kinder zu sprechen. Denn Okonkwo war der Meinung, noch wichtiger als Reichtum, viele Frauen und Kinder sei es, dass der Mann die Frauen erfolgreich im Griff hatte. Dass sein Sohn so verächtlich von Frauen sprach, machte ihm Hoffnung, dass das seinem Sohn später auch so gelingen würde wie ihm selbst.

Dann kamen die Wanderheuschrecken. Sie kamen in der Nachernte-Saison, als die kalten Harmattanwinde eingesetzt hatten. Sie fraßen alles Gras auf den Feldern. Okonkwo und die Jungen waren dabei, eine Hauswand zu bauen, als plötzlich eine dunkle Wolke aufkam. Zunächst dachten alle, es wäre eine Regenwolke, aber es waren Wanderheuschrecken. Darüber freuten sich alle, denn sie wussten, es würde sehr viel zu essen geben. Die Heuschrecken kamen im Grunde nur einmal im Laufe einer Generation und blieben meist für sieben Jahre. Schon bald wollten die Jungen die Heuschrecken einsammeln, aber die Älteren empfahlen ihnen, zu warten, bis es dunkel wurde und die Flügel der Heuschrecken nass würden, so dass man sie leichter einsammeln konnte. Als sie gemütlich am Heuschreckenessen saßen, kam der Dorfälteste zu Okonkwo, bat ihn hinaus und sagte ihm: "Dieser Junge nennt dich Vater, beteilige dich nicht dabei, ihn zu töten." Er berichtete, dass das Dorf auf das Grund des Orakels entschieden hatte, dass Ikemefuna getötet werden sollte. Sie werden ihn aus dem Dorf heraus bringen und dort töten. Am nächsten Tag kamen die Ältesten aller 9 Dörfer von Umuofia. Am Nachmittag sagte Okonkwo zu Ikemefuna, er solle wieder in das Dorf zurückkehren, wo er herkam. Als die Männer kamen, um Ikemefuna mitzunehmen, ging   Okonkwo mit ihnen. 

Auf dem Weg machte sich Ikemefuna, der einen Krug mit Palmwein auf dem Kopf trug, Gedanken darüber, wie er seine Familie nach 3 Jahren fern von zu Hause antreffen werde.  Als sie durch einen dichten Wald gingen, wurde ihm etwas unheimlich, aber er beruhigte sich, weil ja Okonkwo hinter ihm ging, der ihn schützen konnte. Da stieß ihm einer der beiden Männer, die hinter ihm gingen sein Messer in den Rücken. Ikemefuna stürzte, der Palmweinkrug zerbrach und Okonkwo  gab ihm den Todesstoß, weil er nicht schwach erscheinen wollte.   (S.38-45)

8. Kapitel: Drei Tage lang aß und Okonkwo nichts, sondern trank nur Palmwein. Bald fühlte er sich so schwach, als wäre er ein Riese mit Moskitobeinen. Wenn er sich mit Arbeit hätte ablenken können, wäre ihm seine Tat wohl nicht so nachgegangen. Aber zwischen der Ernte und der nächsten Pflanzzeit war routinemäßig eine Ruhezeit,  und die einzige Arbeit, die man zu tun pflegte, war es, sein Hau auszubessern, und das hatte er schon getan. Doch seine Tochter Ezinma brachte ihn schließlich dazu, etwas zu essen. Dann ging er zu Obierka, einem nachbarlichen Bekannten, und unterhielt sich mit ihm über seinen ältesten Sohn Nwoye, den er zu unmännlich fand. Darauf ging es um die unterschiedlichen Regeln für das Ernten von Palmfrüchten und für den Brautkauf. Reden half Okonkwo zwar nicht so gut, wie es mit Arbeit gegangen wäre, seine Schuld zu vergessen, aber es war besser als nichts.

9. Kapitel: In diesem Kapitel beschreibt Achebe ein Element der Mythologie der Ibo (Odinani).            Es geht dabei darum, dass  bestimmte Kinder (ida ogbenje die an andauernder Armut leiden) durch einen Zauber dazu bestimmt sind, immer wieder auf die Erde zu kommen und deshalb schnell sterben müssen, damit sie bald wiederkommen können [eine Erklärung für Kinder, die schon in den ersten drei Lebensjahren sterben]. Dieses frühe Sterben kann man nur dadurch beenden, dass man ihr iyi-uwa findet, das sie zwingt, immer wieder auf die Welt zu kommen. [An Iyi-uwa is an object from Igbo mythology that binds the spirit of a dead child (known as ogbanje) to the world, causing it to return and be born again to the same mother.[1] Many objects can serve the purpose of iyi-uwa, including stones, dolls, hair or pieces of the dead child's clothes, omens, or offerings. The iyi-uwa must be found and destroyed in order for the ogbanje to rest and stop haunting the mother. To find the object, shamans known as 'dibia' question the spirit and perform rituals to force it to reveal where the iyi-uwa is located.[2]   ]

In vorliegenden Fall hatte Ekwefi, Okonkwos zweite Frau, schon neun Kinder in ihren ersten Lebensjahren verloren, erst das 10. Kind, Edzinma, erreichte schon das 6. Lebensjahr, war deshalb das ein und alles ihrer Mutter, die Edzinma als gleichrangig behandelte. Sie nannte ihre Mutter nicht Nne [Mutter], wie alle Kinder das tun, sondern mit ihrem Namen. 

Das Kapitel handelt davon, dass es dem Schamanen gelingt, sich von Edzinma die Stelle zeigen zu lassen, wo er tief in der Erde ihr iyi-uwa fand (einen Kieselstein, der in einen Lumpen eingewickelt war). So tief hätte natürlich kein 6-jähriges Kind graben können. Dass Edzinma jetzt krank wurde, obwohl ihr iyi-uwa gefunden worden war, wirkte sehr bedrohlich, aber es gelang Okonkwo mit traditioneller Medizin, seine Tochter zu retten.

10. Kapitel: Achebe berichtet über eine Entscheidung der Geister der Vorfahren (egwuwu). Alle werden zum Dorfplatz zusammengerufen. Aus der zentralen Hütte, die die Frauen schmücken, in die sie aber nie hineingehen dürfen, kommen neun Geister der Vorfahren mit schreckerregenden Masken. Der Sprecher der Geister ist Evil Forrest (Wald des Unheils). Er hört die Klagen beider Vertreter an, befragt sie jeweils, ob sie ihn kennen, sie versichern, dass sie ihn nicht kennen, weil man ihn nicht kennen könne. Allerdings können aufmerksame Beobachter schon feststellen, wer von den wichtigsten Männern des Dorfes nicht in der Versammlung ist, sie hüten sich aber darüber zu sprechen. Nach der Befragung ziehen sich die neuen Geister in die Hütte zurück, und Evil Forest verkündet darauf die Entscheidung. Zunächst betont er, dass die Geister nicht einen Mann verurteilen und den anderen loben, sondern nur den Streit schlichten werden. (Einer der Zuschauer meint, ihre Entscheidung sei das äußerste, was der Mann aus dem Dorf akzeptiert hätte.) 

11. Kapitel: In einer undurchdringlich dunklen Nacht erzählt Ekwefi ihrer Tochter das Märchen vom Fest der Vögel und Schildkröte. Die Vögel waren in der Himmel zu einem Fest eingeladen, und die Schildkröte wollte mitkommen. Die Schildkröte kannte sich unheimlich gut aus; aber die Vögel wussten, dass sie listig war und immer wieder Leute betrog. Trotzdem gelang es ihr, die Vögle dazu zu überreden, dass jeder ihr eine Feder gab, damit sie sich daraus Flügel basteln konnte. So flog sie mit ihnen zum Fest. Vor dem Zusammentreffen mit den Gastgebern erzählte die Schildkröte den Vögeln, es sei ein alter Brauch, dass man sich bei solchen Festen einen neuen Namen gebe. Die Vögel wussten zwar nichts davon, ließen sich aber darauf ein. Dann sagte die Schildkröte, sie heiße jetzt All of you. Beim Fest fragte sie die Gastgeber, für wen das vorbereitete Essen und Trinken gedacht sei. Sie sagten: für euch alle. Darauf begann die Schildkröte sich vollzufressen und mit dem Palmwein zu betrinken, bis fast nichts mehr für die Vögel übrig blieb. Die konnten dann die letzten Krümel aufpicken. Manche aber waren so wütend, dass sie gar nicht mehr essen konnten. Am Schluss des Festes nahmen aber alle Vögel ihre Federn wieder an sich, so dass sie keine Flügel mehr hatte. Da bat sie, sie möchten doch ihrer Frau einen Gruß bestellen, alle weigerten sich, nur der Papagei ließ sich darauf ein. Da bat sie ihn, er solle ihrer Frau bestellen, sie möge alles Weiche, was sie habe auf einen großen Haufen vor ihrer Hütte zusammentragen. Der Papagei sagte der Frau, sie solle alles Harte zusammentragen. Als die Schildkröte dann herunterprang, zerbrach ihr Schild.  

Da hört man plötzlich die Stimme Chielos, der Priesterin der Göttin Agbala, die kommt und fordert, man möge ihr "ihre Tochter" Edzinma mitgeben. Okonkwo und Ekwefi weigern sich zwar, aber dann wagen sie doch nicht, dem Befehl der Göttin Agbala zu widerstehen. Doch als die Priesterin Edzinma mitnimmt, entschließt sich Ekwefi, ihnen wenigstens zu folgen. Sie erlebt eine grauenvolle Zeit in der stockdunklen Nacht, in der die Priesterin bis zu einem anderen Dorf läuft. 

12. Kapitel

Die Priesterin kam aus der Höhle, vor der Okonkwo und Ekwefi standen und brachte deren schlafende Tochter zurück in es Hütte.
Die beiden anderen Frauen aus mit allen Kindern gingen zu der Hochzeitsfeier von Obierkas  Tochter, zu der die Familie das gesamte Dorf eingeladen hatte. Natürlich brachten alle etwas zu essen und zu trinken mit.
Achhbe schildert die Vorbereitung der Hochzeit sowie die volkstümlicher Begründung, weshalb das Nachbardorf erfolgreich zum Markt für alle 9 Dörfer geworden ist und welche Diebstähle dort wegen der Menschenmengen vorkommen, die sich dort versammeln und die solch ein Gedränge schaffen, dass - wie ein Marktbesucher sagt - zwischen ihnen kein Sandkorn zu Boden fallen kann. Dann stellt er dar, wie das gesamte Dorf darauf achtet, dass kein Vieh frei herumläuft und dass das Dorf darauf achtet, dass aus dem Dorf des Bräutigams auch genug Trinken zur Feier beigetragen wird. 

13. Kapitel: 
Die ekwe verbreitet in Umuofia die Kunde, dass Ezeudu gestorben ist, der Dorfälteste Ezeudu, der Okonkwo davor gewarnt  hatte, Ikemefuna zu töten. - Bei dieser Gelegenheit erläutert Achaebe, wie die Begräbniszeremonien abliefen und dass Ezeudu ungewöhnlich wichtig war, weil er von den vier Titeln, die man erwerben konnte drei besaß. Zur Begräbniszeremonie gehörte auch dass Gewehre abgeschossen wurde. Dabei explodierte Okonkwos Gewehr und ein Metallteil traf den 16-jährigen Sohn Ezeudus tödlich. Deshalb wird Okonkwo verbannt. 

Zweiter Teil

14. Kapitel:
Uchendu gewährt Okonkwo während seines Exils Zuflucht  in seiner Trauer und Verzweiflung unterstützt, indem er ihm Land, Saatgut und Hilfe zum Aufbau von Hütten anbietet. Uchendu steht im Gegensatz zu Okonkwo und verkörpert die traditionellen Werte von Gemeinschaft und familiärer Unterstützung. 

"„Am zweiten Tag rief Uchendu seine Söhne und Töchter und seinen Neffen Okonkwo
zusammen. Die Männer saßen auf ihren Ziegenfellmatten, die Frauen auf einer
Sisalmatte, die über eine Bank aus gehäufter Erde gebreitet war. Uchendu zupfte
nachdenklich an seinem grauen Bart und knirschte mit den Zähnen. Dann begann er ruhig
zu sprechen und wählt seine Worte mit großer Sorgfalt:
Ich möchte vor allem mit Okonkwo reden, begann er. Aber alle sollen hören, was ich
sagen werde. Ich bin ein alter Mann, und ihr alle seid Kinder. Ich weiß mehr von der Welt
als irgendeiner von euch. Ist einer unter euch, der mehr zu wissen glaubt, so soll er es
ruhig sagen. Er schwieg, aber niemand sagte etwas.
Warum ist Okonkwo heute unter uns? Dies ist nicht sein Volk. Wir sind nur die Verwandten
seiner Mutter. Er gehört nicht hierher. Er ist ein Flüchtling und muss sieben Jahre in einem
fremden Land leben. Die Last dieses Kummer, drückt ihn, aber da gibt es etwas, was ich
ihn gern fragen möchte. Okonkwo, weshalb geben wir unseren Kindern so häufig den
Namen Nneka, der besagen will: „die Mutter ist das Haupt“? Wir alle wissen, dass der
Mann das Familienoberhaupt ist und die Frauen sich seinem Willen beugen. Jedes Kind
gehört zur Familie des Vaters und nicht zur Familie der Mutter. Ein Mann gehört in das
Land seines Vaters und nicht in das seiner Mutter. Dennoch sagen wir häufig Nneka – „die
Mutter ist das Haupt“. Warum tun wir das?2
Alle schwiegen.
„Antworte mir, Okonkwo“, sagte Uchendu.
„Ich weiß die Antwort nicht“, antwortete Okonkwo.
„Du weißt die Antwort nicht? Also bist du ein Kind. Du hast viele Frauen und viele Kinder –
mehr Kinder als ich. Du bist in deinem Clan ein großer Mann; aber du bist noch ein Kind,
mein Kind. Höre, was ich dir sagen werde. Aber zuvor, lass mich noch eine Frage an dich
stellen: Weshalb wohl bringen wir eine tote Frau zurück in ihr Dorf, dass sie bei ihren
Verwandten begraben wird und nicht bei den Verwandten ihres Mannes? Warum? Deine
Mutter wurde zu mir gebracht und bei meinen Verwandten begraben. Warum?“
Okonkwo schüttelte den Kopf.
„Auch das weiß er nicht“, sagte Uchendu, und doch ist er voll Kummer und Sorgen, weil er
ein paar Jahre in dem Dorf seiner Mutter leben muss.“ Er lachte traurig und wandte sich
an seine Söhne und Töchter. „Wie ist es mit euch? Könnt ihr meine Frage beantworten?“
Alle schüttelten die Köpfe.
„Dann hört mir zu“, sagte er und räusperte sich. „Es ist wahr, dass ein Kind seinem Vater
gehört. Wenn aber der Vater das Kind schlägt, läuft es zu seiner Mutter. Ein Mann gehört 
in das Land des Vaters, wenn alles gut geht und es süß ist, zu leben. Wenn aber Sorge
und Bitternis kommen, ist das Land der Mutter seine Zuflucht. Die Mutter ist dort begraben
und wird ihn beschützen. Und deshalb sagen wir, dass wir Mutter das Haupt ist. Ist es
recht von dir, Okonkwo, dass du mit finsteren Gesicht zu deiner Mutter kommst und jeden
Trost verschmähst? Hüte dich, dass du die Tote nicht verstimmts! Es ist deine Pflicht,
deinen Frauen und Kindern beizustehen und sie nach sieben Jahren in dein Dorf
zurückzubringen. Lässt du aber zu, dass die Sorgen dich niederdrücken und langsam
töten, so werden sie alle in der Fremde sterben.“ Er schwieg eine lange Zeit. „Dies sind
jetzt deine nächsten Verwandten.“ Er zeigte auf seine Söhne und Töchter. Du glaubst, du
bist der Unglücklichste aller Menschen. Weißt du auch, dass mancher Mann für sein
ganzes Leben verbannt wird? Weißt du auch, dass mancher Mann all seine Yamswurzeln
verliert und sogar seine Kinder? Sechs Frauen hatte ich einmal. Keine ist mir geblieben,
außer jenem jungen Mädchen, das rechts und links nicht unterscheiden kann. Weißt du
auch, wie viele Kinder ich begraben habe? – Kinder, die ich in meiner Jugend und in der
Fülle meiner Kraft gezeugt habe? 22. Ich habe mich nicht erhängt und lebe immer noch.
Wenn du glaubst, niemand müsse so leiden wie du, so frag meine Tochter Akueni, wie
viele Zwillinge sie geboren und fortgeworfen hat. Hast du nie das Lied gehört, das
gesungen wird, wenn eine Frau stirbt?“
„Wem tut es gut, wem tut es gut? Niemandem, niemandem tut es gut. Mehr habe ich dir
nicht zu sagen.“ "

15. Kapitel:
Okonkowos Freund Obierka kommt mit seinen Söhnen und bringt ihm Säcke mit Kaurimuscheln als finanzielle Unterstützung beim Aufbau seiner Existenz.

Obierka berichtet, dass das Dorf Abeme zerstört worden ist, weil ein weißer Mann im Dorf auftauchte, mit dem keine Verständigung möglich war und den die Dorfbewohner getötet haben, weil sie befürchteten, dass er ein Spion sei.
Darauf bekommt er den Hinweis, dass man jemandem, der nichts sage, nichts antun dürfe (S:103)
Dass Obierka später kam, als er vorgesehen hatte, erklärte er damit, dass sein Sohn zu lange geschlafen habe: " 'Mach nie einen frühen Termin mit jemandem ab, der gerade eine neue Frau geheiratet hat.' 'Alle lachten.' (S.104)

16. Kapitel:
Als Obierka zwei Jahre später wieder nach Mbanta kam, waren in Umuofia schon seit einiger Zeit Missionare eingetroffen; aber der Hauptgrund war, dass mit ihnen auch Okonkowos ältester Sohn Nwoje gekommen war. Nwoje war die Rede über die Dreieinigkeit fremd und die Jungfrauengeburt nicht weniger. Aber ihn plagte der Gedanke, dass Zwillingsgeburten "weggeworfen" wurden und eine Frau als kinderlos galt, wenn sie wiederholt Zwillinge bekam. Noch mehr bedrückte ihn, dass sein Pflegebruder, der sein iVorbild geworden war, getötet wurde, weil die "Götter" es befohlen hatten. 

17. Kapitel:
Als die Missionare in Mbanta Land kaufen wollten, um darauf eine Kirche zu bauen, schlug Uchendu vor, ihnen einen Teil des verwünschten Waldes anzubieten, wo die Leprakranken begraben wurden. Dann könne man sehen, ob der Fluch der Götter ihnen wirklich nichts anhaben könne, wie sie es behaupteten. (S.109)
Die Dorfbewohner von Mbanta wussten, dass die Götter manchmal langmütig waren und absichtlich zuließen, dass jemand sich ihnen widersetzte; aber das dauerte höchstens sieben Marktwochen oder 28 Tage. Darüber hinaus durfte niemand gehen. Aber 7 Wochen nach dem Bau der Kirche war den Missionaren immer noch nichts geschehen. Darauf schlossen sich mehrere an, die sich zuvor davor gefürchtet hatten, was geschehen könnte. Und zwar war das Nneka, die Frau eines angesehenen Bauern. Sie hatte schon viermal Zwillinge geboren, die man fortgeworfen hatte, und ihr Mann und ihre Familie hatten das schon lange kritisch gesehen. Jetzt schloss sie sich, weil sie wieder schwanger war, den Christen an. Das regte niemanden übermäßig auf, denn man war froh, dass man sie losgeworden war. Aber als Nwoye beobachtet wurde, wie er zu den Christen ging, berichtete man das Okonkowo. Der reagierte zunächst nicht, doch als Nwoye das nächste Mal in seinen Obi (Hütte) kam, packte er ihn und fragte: "Wo warst du? Antworte mir, bevor ich dich umbringe!" Auf die Frauen schrien, sich aber nicht in den Obi trauten, kam Uchendu und sagte Okonkowo: "Bist du verrückt?" Daraufhin ließ der Nwoye los. Der ging fort und kam nie wieder. Vielmehr schloss er sich endgültig den Christen an. Das verstörte Okonkowo zutiefst. Wie konnte sich sein Sohn von den Vorfahren lossagen! (S.110-113)

18. Kapitel:
Die Christengemeinde wuchs. Das beunruhigte den Clan, aber nicht zu sehr. Zwar retteten sie weggeworfene Zwillinge, aber solange sie die nicht ins Dorf brachten, war das den Dorfbewohnern egal. Denn die Erdgöttin würde die unschuldigen Dorfbewohner nicht für die Sünden der Missionare bestrafen.
 Als die Missionare aber drohen, die Schreine der Götter zu zerstören, wurden sie ordentlich durch geprügelt. Soweit, so gut.
Dann aber stellte sich heraus, dass die Weißen nicht nur Missionare mitgebracht hatten; sondern auch eine Regierung. In Umuofia hatten sie eine Gerichtstätte eingerichtet und sogar einen Mann gehenkt, der einen Missionar getötet hatte.
Kiaga, der Missionar in Mbana, schien aber ganz harmlos zu sein, und die Leute, die zu den Christen übergegangen waren, durfte man nicht töten, weil sie ja noch zum Clan gehörten. Wer einen von ihnen getötet hätte, wäre aus dem Clan ausgestoßen worden. Ein Problem entstand, als die Christen Ausgestoßene (Osu) bei sich aufnahmen. Das ging zunächst gut, bis einer von den Osu die heilige Schlange tötete. Daraufhin wurden die Christen aus dem Clan ausgeschlossen. Ihnen wurde auch der Zugang zur Wasserstelle gesperrt, und die Frauen, die es versuchten, Wasser zu holen, ausgepeitscht. Doch als der Mann, der die Schlange getötet hatte, starb, ließ man die Christen wieder in Ruhe. Die Götter hatten den Übeltäter bestraft, und damit war der Fall erledigt. (S.114-118). 

19. Kapitel
Als Okonkowo nach sieben Jahren von Mbana nach  Umuofia zurückkehren konnte, gab  er ein Dankesfest für die Verwandten seiner Mutter im großen Stil wie bei einer Hochzeit. Seine zweite Frau Ekwefi, die wegen ihrer vielen Zwillingsgeburten die wenigsten Kinder hatte, hatte als einzige noch nicht ihr cassava verbraucht und konnte deshalb damit dazu beitragen. Alle uvunna wurden eingeladen. Beim Verteilen der Kolanuss betonte Okonkowo, dass er natürlich nicht genug für die vielfältigen Dienste seiner Verwandten leisten könne, so wie ein Kind das nicht für die Muttermilch seiner Mutter leisten könne, sondern er habe sie nur deshalb eingeladen, weil es gut sei, dass sich Verwandte möglichst oft treffen. Bei den Speisen bevorzugten manche egusi Suppe, andere bitter leaf. Der Sprecher der Verwandten dankte ihm für das Fest und betonte, dass jetzt eine schwere Zeit gekommen sei. Er fürchte für die junge Generation, die wegen der schrecklichen Religion, die gekommen sei, nicht mehr wisse, wie wichtig die familiären Bande sind und wo ein Sohn seinen Vater und seine Brüder verlassen könne (dies in Anspielung auf Okonkowos ältesten Sohn Nwoye). (S.119-122)

Dritter Teil

20. Kapitel (S.125-129): 
Okonkowo  war sich dessen bewusst, dass er mit den 7 Jahren im Clan seiner Mutter Aufstiegschancen in Umuofia verpasst hatte. Deshalb hatte er schon im ersten Jahr seines Exils geplant, dass alles, was er jetzt neu errichten würde, eine Nummer größer sein würde als zuvor. So baute er eine größere Scheune, er baute Hütten für zwei neue Frauen, und er wollte  seine Söhne in die Ozo-Society einführen. Zwei seiner Töchter waren sehr schön und waren in Mbana umworben worden, doch hatte er ihnen gesagt, dass er größere Pläne mit ihnen in Umuofia habe (Umuofia war deutlich größer als Mbana), und sie waren damit einverstanden gewesen.

Aber mit den Weißen und ihrer Regierung waren andere Verhältnisse eingekehrt. Die Beauftragten der Regierung wurden zwar wegen ihrer Kleidung mit grauen Hosen abschätzig Aschenmänner (Ashy-Buttocks) genannt. Aber sie wussten sich durchzusetzen. 

Okonkowo fragte seinen Freund Obierika, wie es dazu kommen konnte.
Obierika: Zwar hätte man die wenigen Weißen leicht vertreiben können; aber ihre (schwarzen) Beauftragten würden dann das Militär holen und dann alle niederschießen und das Dorf in Brand setzen, wie sie es in Abame getan hatten. Die Weißen hielten sich nicht an die festen Regeln der einheimischen Bevölkerung, weil ja nicht einmal ihre Sprache verstanden, geschweige die göttlichen Gebote, und sie ließen sich bestechen. Als einer versucht hatte, das alte Recht dagegen zu verteidigen, habe er seinen Gegner schwer verletzt. Als der dann starb, hatten ihn die Häscher gleich erwischt und seine Familienangehörigen mit ihm zusammen gefangen gesetzt. Er wurde erhängt und danach seine Familienangehörigen freigelassen, doch sie trauen sich nicht, öffentlich zu erzählen, wie es ihnen im Gefängnis ergangen war.
Zunächst kamen uns die Weißen und ihre Anhänger wie Narren vor. Aber die haben die Clans zerstört und die sind auseinandergefallen. Der Weiße "has put a knife on the things that held us together and we have fallen apart." [Zitat des Titels des Romans] (S.129)

21.Kapitel (S.130ff.): 

Aber es gab viele in Umuofia, die die neue Entwicklung nicht so schrecklich fanden, denn die Weißen hätten zwar eine verrückte Religion, aber auch einen Laden gebracht, in dem man Palmöl und Korn zu hohen Preis verkaufen konnte, und es floss viel Geld nach Umuofia.
Und selbst die Religion schien etwas weniger verrückt als am Anfang. Denn der weiße Missionar hatte dagegen gepredigt, dass der bekehrte christliche Enoch die heilige Schlange, deren Kult sein Vater pflegte, getötet und gegessen hatte. Für den neuen Glauben sei es zwar keine Sünde, aber es sei nicht sinnvoll. Auch hatte der Missionar die Freundschaft einiger der wichtigsten Männer des Clans gewonnen, und die hatten ihm einen Elefantenstoßzahn geschenkt Und einer, Akunna, hatte sogar seinen Sohn zu ihm in die Schule geschickt, damit er die weißen Künste lernen könne. Akunna hat mit dem Missionar über die neue Religion gesprochen. Einig waren sie darin, dass es einen obersten Gott gab, der die Welt erschaffen hatte. Akunna nannte ihn Chukwu und meinte freilich, er habe auch die anderen Götter geschaffen, während Mister Brown meinte, die gäbe es nicht. Akunna sagte, sie, seien zwar aus Holz, aber sie seien die Stellvertreter Chukwus auf Erden. Und Mister Braun gestand ihm zu, dass es den auch für die Christen gebe, die Königin in England. Akunna sagte, so wie der Missionar im Auftrage der Königin gekommen sei, so seien die kleinen Götter auch im Auftrag. Chukwus. Wenn diese Vertreter mal etwas falsch machten, dann wendeten die Menschen sich an Chukwu, aber in den kleinen Angelegenheiten nicht. So lernte der Missionar, dass er die Religion nicht frontal angreifen dürfe, wenn er Erfolg haben wollte, und baute deshalb eine Schule und ein Hospital. Denen, die in die Schule kamen, macht er Geschenke. Und erklärte ihnen, dass, wenn sie nicht lernen, sie nicht mehr in die Verwaltung könnten, sondern dass dann die Boten der Regierung alle Fremde aus der Stadt Umuru am großen Fluss sein würden. Die Männer aus Umuofia, die genug gelernt hatten, wurden Lehrer und so 'Arbeiter im Weinberg des Herrn'. So arbeiteten Religion und Ausbildung von Anfang an Hand in Hand.
Okonkwos Sohn Nwoje ging auf die Schule in Umuru, um Lehrer zu werden, und bekam den neuen Namen Isaak. Okonkwo aber verbot ihm, wieder in sein Haus zu kommen. Der Missionar hatte sich also falsche Hoffnungen gemacht, Okonkwo  könnte von seinem Sohn bekehrt werden; aber auch Okonkwo musste feststellen, dass er keine Chancen hatte, in Umuofia wieder so eine Rolle zu spielen wie vor seinem Fortgang. So viel hat es sich inzwischen verändert, dass alle nur über das Neue sprachen und dass Okonkwos Rückkehr für sie keine Bedeutung hatte.
Okonkwo war erschüttert, dass der Clan seine Einigkeit und Stärke verloren hatte und dass er auseinanderbrechen (falling apart) würde und all die Krieger schwach wie Frauen würden.

Kapitel 22:
Mister Brown wurde krank und musste heimkehren. Sein Nachfolger Mister Smith, hielt nichts von Kompromissen, wie Brown sie gemacht hatte. Er sah nur schwarz und weiß und schwarz war für ihn übel. 
In Umuofia gab es das Sprichwort: 'Wie ein Mann tanzt, so wird für ihn getrommelt.' Bei Smith bekamen die übereifrigen Anhänger Oberwasser. Und Enoch, der dem Vernehmen nach die Schlange getötet hatte, war der Übereifrigste. Als das Fest für die Erdgöttin an einem Sonntag gefeiert wurde und die Geistervorfahren mit ihren Masken wieder hervorkamen, trauten sich die Frauen nicht nach dem Gottesdienst nach Hause zu gehen. Einige der Männer kamen zu den Geistern und baten sie, sich zurückzuziehen, damit die Frauen nach Hause gehen könnten. Die Geister fingen schon damit an, als Enoch sich rühmte, sie würden nicht wagen, einen Christen anzurühren. Da kamen sie wieder und einer von ihnen gab Enoch einen schweren Schlag. Da riss Enoch ihm die Maske herunter und die anderen Geister stellten sich schützend vor ihn, damit die Frauen und Kinder ihn nicht erkennen könnten, und führten ihn fort. Enoch hatte einen Geist der Vorfahren getötet und Umuofia war in Verwirrung gestürzt.
In dieser Nacht war die Mutter der Geister überall im Clan unterwegs und klagte mit entsetzlichen Lauten, wie sie noch nie jemand gehört hatte, um ihren ermordeten Sohn. Es schien, als ob die Seele des Stammes wegen des kommenden entsetzlichen Übel klagte – über den eigenen Tod. 
Am nächsten Tag kamen all die egwugwu  von Umuofia und auch einige von benachbarten Dörfern auf den Marktplatz. Von dort zogen sie zu Enochs Hütte und zerstörten sie. Die Christen entschieden sich gegen Enoch Willen, keine gewalttätige Auseinandersetzung zu versuchen, sondern ihn in der Kirche vor Verfolgung zu schützen. Weil der Missionar den Geistern mutig entgegentrat, sagte deren Anführer, um seines Vorgängers willen, den sie geschätzt hätten, wollten sie ihm nichts tun, er dürfe weiter seinen Gott verehren, aber die Kirche müssten sie zerstören. Nach dieser Zerstörung waren die Geister des Clans beruhigt." (S. 134-138).

Kapitel 23 (S.140-43)
Erstmals seit vielen Jahren empfand Okonkwo etwas Ähnliches wie Glück. Der Clan schien ihn wieder auf ein besseren Weg zu sein. Zwei Tage nach der Zerstörung der Kirche waren alle Männer stets bewaffnet unterwegs, weil sie nicht unvorbereitet den Weißen zum Opfer fallen wollten, wie es den Männern von Abame ergangen war. Als dann der Bezirkskommissar, der auf Reisen gewesen war, zurückkam, sprach der Missionar mit ihm, wie er es oft tat, und der Bezirkskommissar lud sechs Männer zu einem Gespräch ein. Als die von dem Angriff auf die egwgwu erzählten, bat er zwölf seiner Leute herein, und ehe sie sich versahen, waren die sechs Männer in Handschellen. Der Bezirkskommissar erklärte ihnen, für ihre Taten sei die Strafe 200 Sack Kaurimuscheln. Wenn sie das akzeptierten und es unternähmen, das im Dorf einsammeln zu lassen, würde ihnen nichts geschehen. Die sechs waren außer Stande, etwas zu sagen, sogar als sie allein waren. Kaum war der Bezirkskommissar aus dem Raum schor, der Anführer seiner Leute, den sechs die Köpfe kahl. Sie bekam nichts zu essen und nichts zu trinken und durften den Raum nicht verlassen, um ihre Notdurft zu verrichten. In der Nacht kamen die Männer des Kommissars und stießen sie mit ihren kahlen Köpfen zusammen. Dann wurden sie mit einem dicken Strick geschlagen.
Die Männer des Kommissar gingen dann ins Dorf und drohten, wenn nicht 250 Säcke Muscheln gezahlt würden, würden die sechs gehängt (die 50 Säcke hatten sie als ihre Provision hinzugefügt). In der Nacht zog der Ausrufer durchs Dorf und forderte alle Männer auf, am Morgen auf den Dorfplatz zu kommen. 

Kapitel 24 (S.144-149)
Als die Strafe bezahlt war, wurden die sechs freigelassen. Sie gingen ins Dorf, die Frauen und Kinder kamen ihn beim Wasserholen entgegen, wagten aber nicht, sie anzusprechen, Weil sie so wütend aussahen. Im Dorf trafen sie auch Männer, die sie zu ihren Hofstellen begleiteten. In der Nach dachte Okonkwo darüber nach, dass die Männer im Dorf keine Kämpfer mehr seien und dass er sich zur Not auf eigene Faust rächen müsste.
Für den nächsten Morgen wurden wieder alle zusammengerufen. Der Sprecher der sechs sagte, sie müssten kämpfen und zur Not auch gegen ihre Brüder. Das habe es noch nie gegeben, aber das liege daran, dass der weiße Mann sie entzweit habe.
Da kam eine Delegation von fünf Booten des Bezirkskommissars, deren Sprecher verkündete, die Versammlung sei aufgelöst. Okonkwo enthaupte den Sprecher, die anderen Boten entflohen. Daraus, dass niemand sie festhielt, schloss Okonkwo, dass Umuofia nicht kämpfen werde.
Kapitel 25: (Seite 150-52).
Als der Bezirkskommissar  an der Spitze seiner Soldaten eintraf, ging er zu Okonkwos Hofstelle und fragte, wo dieser sei. Obierika sagte, er sei nicht da. Als der Kommissar wütend wurde, führte er ihn zu dem Baum, an dem Okonkwo sich erhängt hatte, und erklärte, weshalb keiner aus dem Dorf ihn abschneiden dürfe. Als der Kommissar seine Leute damit beauftragt hatte, sagte Oberika: 'Dieser Mann war einer der größten von Umuofia. Sie haben ihn dazu gebracht, sich selbst zu töten, und jetzt wird er begraben werden wie ein Hund."
Als er zu dem Gerichtshaus zurückging, dachte der Kommissar über das Buch nach, das er über seine Zeit in Afrika schreiben wollte. Der Abschnitt darüber wie Umuofia einen Gerichtsboten getötet hatte und dann Selbstmord beging, wäre eine interessante Passage in seinem Buch: Die Befriedung  der primitiven Stämme des unteren Niger


Mit diesem Schlussgedanken deutet Achebe an, wie viel von der mündlichen Überlieferung und insbesondere der afrikanischen Bemühungen um Ausgleich und um Bewahrung  rechtsstiftender Institutionen verloren gegangen wären, wenn diese Geschichte nur von kolonialer Warte aus geschrieben worden wäre. Nicht zuletzt die Aussage aus dem zentralen 14. Kapitel über die Rolle der Frau: Nneka – 'die Mutter ist das Haupt': "Wenn aber Sorge und Bitternis kommen, ist das Land der Mutter seine Zuflucht."*

*So ist - wie in vielen Religionen - bei den Igbos die Erde (das bewahrende Prinzip) weiblich und nicht das Feuer (sol invictus), die - nur manchmal schöpferische - Zerstörung, die Kolonialismus und Imperialismus im Guten wie im Schlechten zweifellos waren.