05 Januar 2025

Sabine Bode: Die vergessene Generation – Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

 Sabine BodeDie vergessene Generation – Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen (Wikipedia), 2004 



Rezension bei Perlentaucher

"[...] Andere Erfahrungen der Kriegskinder, so die Autorin, verhalfen ihnen zu der Bezeichnung der „stillen Generation“, die sich nicht über ihr Schicksal beschwerte, sondern im Gegenteil Deutschland stillschweigend wieder aufbaute, mit gelernter Disziplin und aus dem Bedürfnis nach sicheren Lebensumständen. Besonders tun sich hierbei die Vertreibungs- und Flüchtlingskinder hervor, die, wenn sie Vertreibung und Flucht zusammen mit der Familie überlebten, zu Anpassung und Leistung angehalten wurden. Sie sollten unter allen Umständen Fehler vermeiden und Erwartungen erfüllen, um die Ehre der Familie, teilweise das Einzige was dieser noch geblieben war, nicht zu gefährden; auch aus Gründen einer ständigen Angst vor einer erneuten Vertreibung. [...]"

Ein verdienstvolles Buch. Dennoch scheint mit das Bild, das Bode liefert, etwas verzeichnet. Es stimmt gewiss für Kinder, die während der Flucht 1944/45 und Kinder, die durch Kriegserfahrungen (Bombenangriffe, Vollweisen) traumatisiert worden sind.  

Aber nicht alle Kriegskinder waren dermaßen traumatisiert, und natürlich haben nicht alle 'ihr Schweigen gebrochen'. Sie liefert eindrucksvolle Beispiele von Kriegsfolgen, die sich manchmal erst nach Jahrzehnten zeigen. Aber nicht alle Kinder, die während des Krieges geboren wurden, wurden durch den Krieg traumatisiert. Kinder, die manches nicht bewusst erlebt haben und die von ihren Eltern geschützt wurden, konnten trotz mancher Beschädigungen sogar besser aufwachsen als andere späterer Generationen. 

Nicht aufgrund großflächiger Untersuchungen nur aus dem persönlichen Erleben möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Kinder, die Naziherrschaft als glückliche Kindheit erlebt haben und dann vom Autoritätsverlust der älteren Generationen betroffen waren, andere Erfahrungen gemacht haben als die, die über Krieg und Naziherrschaft nur durch Hörensagen wussten. Daher denke ich, dass die Generation der Jahrgänge (freilich nur ungenau zu fassen) etwa von 1928 - 1941 stärker betroffen war als frühere und spätere Generationen. 

Christa Wolf (Jahrgang 1929) hat in ihrem Roman "Kindheitsmuster" schon 1976 eindrucksvoll geschildert, wie stark sie von diesen Erfahrungen geprägt war.

Bericht eines Architekten über ein Schulerlebnis im Kriege:

"Stellen Sie sich ein hässliches kasernenartiges Schulgebäude vor und da den Schulhof während der Pause. Ich prügle mich mit einem Klassenkameraden, und wie das Schicksal es will, liege ich gerade in dem Moment über meinem Gegner, als wir beide in eines der Souterrain-Fenster fallen, dessen Glasscheiben mit lautem Klirren, zu Bruch gehen.

Kaum bin ich wieder auf den Beinen, werde ich von einer schadenfroh grölenden Horde zum aufsichtführenden Lehrer gestoßen. Der nimmt mich wortlos mit in das Klassenzimmer entnimmt dem Schrank einen Rohrstock, schlägt mich aber nicht, fährt nur mit dem Daumen fast liebevoll über das Marterinstrument und sagt: "Morgen, Freundchen…"
Wieder losgelassen, bin ich allein mit meiner Angst und den jagenden herzklopfenden Gedanken, deren Mittelpunkt nicht so sehr die bevorstehende Züchtigung ist wie die Scham, "es" zu Hause erzählen zu müssen.
Zu Hause bringe ich kein Wort heraus.
In der Nacht werden wir von heulenden Sirenen aus dem Schlaf gerissen. Fliegeralarm jagt uns alle in den Keller, fragwürdiger Schutz im Getöse von FLAK- und Bombentreffern.
Unser Block bleibt dieses Mal noch verschont, und ich muss mich am nächsten Morgen mit bleischwerem Herzen auf den Weg zur Schule machen. Von der letzten Straßenbiegung sind es nur noch wenige Schritte bis zur Schule, Als ich aufblicke, kann ich es nicht fassen: die Schule ist weg. Anstelle des gewohnten Backsteinmassivs nur ein Haufen rauchender Trümmer. Ich kann mich nicht erinnern, je wieder ein solches Glücksgefühl gehabt zu haben wie in diesem Moment. (S. 166/167)





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