Kaltalin Kariko: Durchbruch deutsch btb Verlag 2024 (Perlentaucher)
Leseprobe
Karikó versteht sich hervorragend darauf, etwas klar darzustellen, also etwas zu erklären.
So spricht sie nicht davon, Erkenntnis entstehe dadurch, dass man etwas nicht falsifizieren könne, sondern schreibt, es komme darauf an, immer neue Fragen zu finden, auf die man mit ja oder nein antworten könne und wenn man alle Fragen mit ja beantworten konnte, weiter zu suchen, ob es nicht doch eine gibt, auf die man mit nein antworten kann.
Ähnlich entwickelt sie kein Narrativ, wie sie zur erfolgreichen Wissenschaftlerin wurde, sondern nennt exakt 3 Gründe: (S.58-76)
1. Ihr Biologielehrer stellte ihr einmal keine Wissensfrage, sondern fragte sie: "Was denkst du?"
"Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich auf diese Frage geantwortet habe [... ich] dachte: Eines Tages bin ich auch Wissenschaftlerin." (S.61)
2. Er zeigte ihr das Buch von Hans Seyle: Stress beherrscht unser Leben, in dem Seyle schreibt:
"Nur jene Menschen, die eine verzehrende, unbezähmbare Neugier nach den Geheimnissen der Natur quält, werden fähig sein – weil sie nicht anders können –, ihr Leben lang, geduldig, Schritt für Schritt, sich vorzuarbeiten, und die unzähligen Probleme zu bewältigen, von denen jedes zahllose Experimente erfordert." (Seyle: Stress beherrscht unser Leben 1957, S. 31).
"Als ich Seyles Worte lese, begreife ich, dass Stress nicht unbedingt eine negative, physiologische Erfahrung ist. Er kennt auch positive Formen – wie Erregung, Vorfreude und Motivation. Negativer Stress kann schädlich sein – tatsächlich kann / er Sie umbringen. Positiver Stress aber ist nötig für ein erfülltes Leben. Und mit der richtigen Haltung können wir negativen Stress im positiven umwandeln.
Wie? Indem wir uns auf jene Dinge konzentrieren, die wir unter Kontrolle haben, statt nur auf die, die sich uns entziehen. (S. 64/65)
3. Der Detektiv Columbo mit seiner kleinen Frage am Schluss, bevor er den Raum verlässt, ist ihr Vorbild.
"Sie stellen Frage um Frage. Dann ändern Sie nur eine einzige Variable und fragen nochmals. Im nächsten Schritt ändern Sie wieder eine Variable. Und dann wieder. Nur noch eine Sache… Es gibt fast immer noch eine Sache.
Sie müssen geduldig bleiben, alles genau prüfen, jedes noch so kleine Detail. Sie müssen den Berg an Informationen beiseite schieben, die ihre Erwartungen zu bestätigen scheinen, und exakt das eine Puzzlestück suchen, das eben nicht passt. Denn dieses eine – dieses winzige Stück, das aus irgendeinem Grunde nicht passt und ihnen keine Ruhe lässt – kann sie, wenn sie wachsam bleiben, in die richtige Richtung lenken." (S. 67)
"Die mRNA geht vom Zellkern ins
Zytoplasma über, wo sie die Herstellung von Proteinen steuert.
DNA zu mRNA zu Protein – und alle Informationen, die in der DNA oder RNA enthalten sind, werden durch die Anordnung der
Nukleoid-Basen vermittelt, den winzigen Buchstaben in der Sprache des Lebens. Ein Prozess, der sich permanent wiederholt, – überall in ihrem Körper, ununterbrochen, auch jetzt, in diesem Moment.
Natürlich vereinfache ich hier massiv. Und die Wahrheit ist: Solche Vereinfachungen fallen mir schwer [... Doch ich habe] auf diesen Seiten mein Bestes getan, um komplexe Ideen so zu beschreiben, dass auch Nicht-Wissenschaftler verstehen, was ich all diese Jahre gemacht habe und warum das so ungeheuer wichtig war." (S. 85).
Teil 3: Ein Gefühl der Erfüllung (S.89-150)
Karikó versteht die Studierendengruppe von 18 Personen in
Szeged als Einheit, obwohl sehr unterschiedlich Personen dazu gehörten, Professorenkinder, die Tochter eines Komponisten und Arbeiter- und Bauernkinder, die etwa die Hälfte der Gruppe ausmachten.
Von den andere unterschied sie sich, dass sie sich nur für Pflanzen interessiert und nicht für Genetik, "wo die Post abging" (S.91)
Sie arbeitet hart, schläft nur wenig und gönnt sich kaum Freizeit. aber doch etwas: Tanzen, Volksmusikkonzerte und Basketball, natürlich nicht auf dem Niveau wie an US-Unis.
"Glauben Sie nur nicht, dass harte Arbeit und glücklich sein, einander ausschließen. Man muss nicht viel Freizeit haben, um Freude zu erleben. Diese Jahre in Szeged gehörten zu den glücklichsten meines Lebens." (S.97)
Ernteeinsätze in der Weinernte und Besuche bei den anderen Studierenden der Gruppe.
Ihre Arbeit bei der Untersuchung von Fischöl, Herstellung von
Ethylacetat (S.98-107)
Es ist das Wesen der
Grundlagenforschung – und mit dieser habe ich mich die meiste Zeit meines Lebens hauptsächlich beschäftigt –, dass man immer etwas macht, was vor einem noch kein anderer gemacht hat. Es gibt keine Standardverfahren, denen man folgen könnte. Das bedeutet, dass man meistens nicht weiß, wonach genau man sucht oder wie man es finden könnte. Ebenso wenig weiß man, ob man es überhaupt finden wird, und ob man das eventuell Gefundene vielleicht sogar anwenden könnte. Trotzdem forscht man immer weiter.
Du bist eine Sucherin. [Das hatte ihr Vater über sie gesagt.] Selbst heute muss ich unwillkürlich lächeln, wenn ich an seine Worte denke. Manchmal muss man gar nicht jedes Detail verstehen, um das Herzstück des Ganzen zu erfassen.
Als mein Vater hörte, dass Tibor – dieser großartige Wissenschaftler und Mitglied der ungarischen Akademie der Wissenschaften – früher mal Metzger werden wollte, war er begeistert. Also macht er anlässlich meine Abschlussfeier Räucherwurst, die unser Lipid-Forscherteam im Labor zu bereitete. Über dem Bunsenbrenner erhitzen wir sie in einem Vier -Liter-Glasgefäß im Wasser, während die Luft sich mit köstlichen Düften füllte. Die fertigen Würste verzehrten wir dann genüsslich in unserem Büro. Jedes Mal, wenn wir in eine Wurst bissen, spritzte der Saft nach allen Seiten, wie es sein muss. Hinterher waren unsere Laborkittel und der Boden übersät von Flecken. Das Fleisch war köstlich – einfach perfekt. Es schmeckte nach Heimat. Noch Jahrzehnte später erinnerten sich die Mitglieder des Laborteams an diese saftige Wurst, die wir im Becherglas zubereitet hatten." (S.122).
[...]
"Exprimente irren nie, nur unsere Erwartungen." (Leonardo da Vinci) (S.198). Karikó hat vorher natürlich darauf aufmerksam gemacht, dass man Fehler gemacht haben kann, dass Unsauberkeit bestanden haben kann usw. Deshalb gehört zu jedem Experiment das Kontrollexperiment zur Ausschaltung solcher Fehlermöglichkeiten.
Daneben aber gilt es zu beachten:
"Akademische Forschung ist unglaublich wettbewerbsbetont, was einen unbeschreiblichen Druck erzeugt. Natürlich soll uns der Druck dazu motivieren, Herausragendes zu leisten und uns einen Namen zu machen. Was wiederum heißt: zu veröffentlichen und zitiert zu werden. Doch damit endet der Druck auf einen Forscher noch nicht. Da ist zum einen die Frage nach der Finanzierung. Während die Universitäten die Gehälter von Professoren in den Geisteswissenschaften, Künsten und Sozialwissenschaften gewöhnlich selbst finanzieren, müssen Wissenschaftler in der medizinischen Forschung das Geld, das sie verdienen, selbst einwerben. Andere bekommen ihr Gehalt (und die Gehälter der Mitarbeitenden) von außen, manchmal von privaten Finanziers, meist aber vom Staat – und das bedeutet Steuergelder.
Aber selbst wenn sie eine Finanzierung erhalten, fließt nicht das gesamte Geld in ihre Forschung. Die Universität erhält einen gewissen Prozentsatz, um ihre eigenen Strukturen zu finanzieren. Und das kann bedeuten, dass sie 50-65 % [fünfzig bis fünfundsechzig Prozent] ihrer Forschungsgelder abtreten müssen. Manchmal ist es noch mehr.
Der finanzielle Druck ist immens. Das wiederum verstärkt eine andere Form des Drucks: zu produzieren – mehr, schneller und nicht unbedingt besser. Es ist wichtig, dass sie als Erste veröffentlichen, nicht unbedingt als Sorgfältigste.
Dieser Finanzierungdruck hat außerdem Auswirkung auf den Gegenstand der Forschung. Denn er sorgt auf dafür, dass Studien durchgeführt werden, die ganz sicher finanziert werden – dass also in solchen Bereichen geforscht wird, die bereits im Zentrum der Aufmerksamkeit (und damit der Finanzierung stehen). Hier warten nicht unbedingt Durchbrüche, es geht noch nicht einmal um den größten Bedarf. Diese Finanzierungspraxis hat mitunter den Effekt, dass sehr gute Ideen überhaupt nicht berücksichtigt werden." (S. 199)
Entsprechend hält man bei der Lektüre nicht unbedingt das Wichtigste fest, sondern das, was man in der Arbeitsphase, in der man Zeit hat, Wichtiges festzuhalten, auch wirklich festhalten kann. In meinem Fall also nichts von 76 Seiten, es sei denn, ich komme dazu, noch etwas nachzutragen.
"Susan und ich stiegen ins Auto und fuhren nach Washington, wo wir eine Zwei-Personen- Protestdemonstration vor dem Weißen Haus starteten.
Natürlich fiel unsere Aktion vergleichsweise leise aus. Susan und ich hielten lediglich Schilder hoch. (Auf Susan stand: Lassen Sie meinen Vater nach Hause kommen!) Natürlich würde keine einflussreiche Persönlichkeit, – schon gar nicht, Clinton – uns zu sehen bekommen. Aber es war ein offizieller Protest. Und sogar genehmigt. Ich wollte, dass meine Tochter das sah: Amerika konnte man so etwas machen. Man konnte sich vor das Haus stellen, in der, in dem der Präsident lebte, und seiner Meinung Ausdruck verleihen. Etwas gefällt mir nicht. Ich möchte, dass Sie es anders machen. Während meiner Kindheit im kommunistischen Ungarn wäre das unmöglich gewesen.
Vor dem Weißen Haus packte Susan ihr Saxophon aus. Sie spielte die Stücke, die sie in ihrer Jazzband gelernt hatte. "
Turn the Beat Around" von
Gloria Estefan [...]" (S.223)
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