22 Juli 2025

Han Kang: Griechischstunden

In Griechischstunden (Perlentaucher); Rezension SWR "geht es um persönliche Verluste, um zaghafte Annäherung, um ein Weiterleben in schwierigen Verhältnissen, die die Protagonisten überfordern. Träume, Visionen und Erinnerungen sind eingeflochten. Ein Griechisch-Kurs ist die einzige Schnittstelle für Begegnungen. Der Leser kann sich verlieren in Handlungssträngen, die sich übergangslos ändern." (gaus58 auf gutefrage.net)

Mein Eindruck: Kang bietet lange nur Oberfläche, um die Personen rätselhaft unverständlich erscheinen zu lassen, bis sie im zweiten Teil des Romans Einfühlung zulässt. Für mich ist das eine deutliche Erschwerung für den Zugang. 

Insbesondere in Griechischstunden, wo der Unterschied vom Anfang und dem Schluss besonders deutlich hervortritt, halte ich es für möglich, dass

a) Kahn anstrebt, dass man den Anfang des kurzen Romans noch einmal liest, um ihn mit Hilfe des Schlusses besser zu verstehen, und dass das dazu dient, die Struktur des Buches besser erkennen zu lassen, oder:

b) durch die anfängliche Verweigerung der Innensicht die am Schluss mögliche Innensicht den Effekt  "das Innere nach Außen zu kehren" verstärken soll. 

Zitat: "durch die engmaschigen Fliegengitter schlüpft Finsternis wie ein Geist" (Griechischstunden, S.170) in einer Passage, wo es um die Erblindung des Mannes und die Erinnerungen an seine Kindheit geht.

Zum Text :

Beide haben versucht, einem kleinen Vogel, den Weg ins Freie zu weisen. Der kleine Vogel hat sich versteckt, und der Mann stürzt bei dem Versuch in hervorzuholen. Seine Brille zerbricht und die Scherben verletzen seine Hand. Die Frau kommt, um ihm zu helfen.

Sie kommen sich näher, aber nicht nahe. Er führt einen Monolog, weil sie weiterhin beim Versuch zu sprechen, verkrampft.


"Sie spürt, wie sie von Müdigkeit überschwemmt wird, ähnlich einer unendlichen Trunkenheit.
Die Stimme des Mannes dringt von weit weg an ihr Ohr, bruchstückhaft und wie in einem Traum.
"... Es gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, Sie zu verstehen. Augenblicke, in denen ich keine Lust habe, zu sprechen."
Sie bemüht sich, ihn anzusehen und seinen herumirrenden Blick einzufangen.

"Wenn ich Sätze auf die dunkelgrüne Tafel schreibe, habe ich Angst.
Davor, dass das, was ich gerade geschrieben habe, für mich nicht mehr sichtbar ist, wenn ich mich mehr als zehn Zentimeter davon entferne.
Wenn ich den Text lese, den ich auswendig gelernt habe, habe ich Angst
All die Silben, die mir so selbstverständlich über die Lippen kommen, als sei das nichts Besonderes, machen mir Angst
Die Stille des Raumes, in der meine Stimme widerhallt, macht mir Angst
Sind sie einmal ausgesprochen, sind Worte unwiderruflich. Wörter, die mein Wissen übersteigen, machen mir Angst." (S.181/82)

"... Hören Sie mich?"
Sie bemüht sich, aufmerksam zu sein. Er hat gar keine Vorstellung davon, wie schwer ihr das fällt. Sie konzentriert sich darauf, ihn nicht aus den Augen zu lassen, und strengt sich an, direkt in sein Gesicht zu blicken. Es ist nur zur Hälfte beleuchtet, von der Schreibtischlampe
"... Hören Sie mir noch zu?"
Sie sieht, dass er aufsteht. Sieht, wie er vorsichtig auf sie zugeht, in seinem weißen Hemd mit dem Blutflecken. Sie sind getrocknet und haben sich braun verfärbt. Sie bemerkt, dass er noch müder ist als sie und dass er bei jedem Schritt auf extrem aufpassen muss, um nicht zu stolpern.
"Es tut mir sehr leid. Es ist das erste Mal, dass ich so einen Monolog führe." 
Er bemüht sich, die Erschöpfung zu überspielen, die sich in seinem Gesicht abzeichnet. Er beugt sich vor und hält ihr seine linke Hand hin. Sie mustert seine Augen, die nicht wie sonst von Brillengläsern verdeckt waren. Offensichtlich können Sie Graustufen im Raum unterscheiden, denn sie sind auf Ihr Gesicht gerichtet.
"Möchten Sie mir hier Ihre Antwort aufschreiben?"
Seine Augen blicken nicht mehr ins Leere. Sie sieht ihn an. Über so einen langen Zeitraum hatte er geredet, ohne eine Antwort zu bekommen. 
"Möchten Sie ein Taxi rufen?"
Sie benetzt ihre Lippen mit der Zungenspitze, öffnet sie kurz, bevor sie sie wieder aufeinander presst. Sie nimmt die Hand, die er ihr entgegenstreckt, und legt sie auf ihre Linke. Zögerlich beginnt sie, mit dem rechten Zeigefinger auf seine Handfläche zu schreiben.
Nein
Die Linien ziehen sich zittrig über die Haut, bevor sie verblassen. Sie sind stumm und unsichtbar. Sie haben weder Lippen noch Augen. Das Zittern und die Wärme verschwinden, ohne dauerhafte Spuren zu hinterlassen. (S.184)
Ich werde
den ersten Bus
nehmen. 
(S.183-185).

Durch den Lärm des Platzregens wacht er auf. Es ist dunkel, das Fenster sperrangelweit auf. Man muss es schließen, bevor es hereinregnet. Er tastet auf dem Tisch nach seiner Brille, als er sich plötzlich erinnert, was am Abend zuvor passiert ist. Seine rechte Hand tut immer noch weh. (S.186)

Er hebt seine Hände und betrachtet sie. Die hellere ist die verbundene rechte Hand, die dunklere seine linke. Die Haut, der einen erinnert sich noch an die schmerzhaften Stiche, die der anderen an das warme, kitzelnde Gefühl, das die Striche und Punkte beim Darüberstreichen hervorgerufen haben. [...] An den Sinn, der sich langsam ergab. (S.187)

Er kann nicht verhindern, dass sein linker Arm zittert, als er ihn zum ersten Mal um ihre Schultern legt. (S.194) 
Ohne die Augen zu öffnen, küsst er sie. Hinter die feuchten Ohren, auf ihre Augenbrauen. Wie eine schwache Antwort aus weiter Ferne streichen kalte Fingerkuppen, sanft über seine Augenbrauen, bevor sie zu den eiskalten Ohren wandern, über die Narbe, die zwischen Auge und Mundwinkel verläuft . (S.197)
Die Herzen, die sich berühren, die Lippen, die einander ertasten und sich dennoch für immer verfehlen. (S.198)
Ich hatte das Gefühl, es sei die Zeit, die mich küsste.
Jedes Mal, wenn Lippen auf Lippen trafen, entstand eine Dunkelheit ohne Ausgang.
Die Stille breitete sich aus wie Schnee, der alle Spuren für immer verwischt.
Sie stieg bis zu den Knien, bis zur Hüfte, bis zum Gesicht. (S.203)

Ich atme durchgängig und tief ein, dann lasse ich die Luft ausströmen
In dem Moment, als ich schließlich eine erste Silbe spreche, kneife ich kurz die Augen zusammen.
Als bereite ich mich darauf vor, dass nach dem Öffnen alles verschwunden sein könnte. (S.204)

Damit  endet der Roman.

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