Lew Tolstoi: Krieg und Frieden, 7. Kapitel
(Hervorhebungen von Fontanefan)
"Hinter dem Waldsaum hervor erschien zu Pferd der Jäger, der an der Schlägerei beteiligt gewesen war; den Fuchs hatte er am Sattelriemen hängen; er ritt auf den jungen Herrn zu. Schon von weitem nahm er die Mütze ab und versuchte, respektvoll etwas zu sagen; aber er war blaß und außer Atem, und sein Gesicht hatte einen grimmigen Ausdruck. Das eine Auge war ihm blaugeschlagen; aber das wußte er wahrscheinlich gar nicht.
»Was habt ihr denn da gehabt?« fragte Nikolai.
»Na, so was! Er wird da unsern Hunden ihre Beute wegnehmen! Und gerade meine mausgraue Hündin hatte den Fuchs gegriffen. Komm an, wenn du Streit suchst! Er greift nach dem Fuchs. Ich schlage ihn dem Fuchs um die Ohren. Da hängt er am Sattelriemen. Aber den hier willst du wohl nicht kosten ...?« sagte der Jäger, indem er auf seinen Dolch wies; er hatte offenbar die Vorstellung, daß er immer noch mit seinem Feind spräche.
Ohne sich in ein weiteres Gespräch mit dem Jäger einzulassen, bat Nikolai seine Schwester und Petja, hier auf ihn zu warten, und ritt nach der Gegend hin, wo sich diese feindlichen Ilaginsche Jagdgesellschaft befand.
[...] Nikolai hatte Herrn Ilagin nie gesehen; aber da er es überhaupt nicht verstand, in seinen Ansichten und Gefühlen den Mittelweg innezuhalten, so haßte er ihn aufgrund der Gerüchte von seiner Frechheit und Eigenmächtigkeit von ganzer Seele und betrachtete ihn als seinen ärgsten Feind. In zorniger Erregung ritt er jetzt zu ihm hin, die Hand fest um den Griff der Hetzpeitsche pressend und völlig bereit, gegen seinen Feind in der energischsten Weise vorzugehen. [...] Statt eines Feindes fand Nikolai in Herrn Ilagin einen stattlichen, höflichen Herrn, der den lebhaften Wunsch hegte, die Bekanntschaft des jungen Grafen zu machen. [...]
Rostow war besonders von der Schönheit einer kleinen rotgescheckten Hündin in Ilagins Koppel überrascht. Es war dies ein Tier von reiner Rasse, schmal gebaut, aber mit stählernen Muskeln, mit feiner Schnauze und vorstehenden, schwarzen Augen. Er hatte von dem feurigen Temperament der Ilaginschen Hunde gehört und sah in dieser schönen Hündin eine Rivalin seiner Milka.
Mitten in einem soliden Gespräch über die diesjährige Ernte, welches Ilagin angeknüpft hatte, zeigte Nikolai auf die rotgescheckte Hündin.
»Da haben Sie eine schöne Hündin!« warf er lässig hin. »Ist sie schneidig?«
»Die? O ja, das ist ein braves Tier, fängt gut«, antwortete Ilagin in gleichgültigem Ton mit Bezug auf seine rotgescheckte Jorsa, für die er im vorigen Jahr seinem Nachbar drei Familien [408] Leibeigene gegeben hatte. »Also bei Ihnen, Graf, ist der Erdrusch auch nicht zu rühmen?« fuhr er in dem begonnenen Gespräch fort. Da er es aber für ein Gebot der Höflichkeit hielt, dem jungen Grafen mit gleicher Münze zu zahlen, so musterte Ilagin dessen Hunde und wählte Milka aus, die ihm durch ihren breiten Körperbau in die Augen fiel.
»Eine schöne schwarzgescheckte haben Sie da; vortrefflich gebaut!« sagte er.
»O ja, es geht, sie jagt ganz gut«, antwortete Nikolai. Und im stillen dachte er: »Es sollte nur hier auf dem Feld ein tüchtiger Hase laufen, dann würde ich dir schon zeigen, was das für ein Hund ist!« Und sich zu dem Leibjäger umwendend, sagte er, er werde demjenigen einen Rubel geben, der einen liegenden Hasen auffinde.
»Es ist mir unbegreiflich«, fuhr Ilagin fort, »wie manche Jäger einander um das Wild oder um ihre Hunde beneiden können. Ich will Ihnen sagen, Graf, wie es in dieser Hinsicht mit mir selbst steht. Sehen Sie, mir macht es schon Vergnügen, nur so einen Ritt zu machen; da trifft man dann solche angenehme Gesellschaft ... was kann man sich Schöneres denken?« (Er nahm wieder vor Natascha seine Bibermütze ab.) »Aber daß ich die Felle zählen sollte, die ich nach Hause bringe, nein, das ist mir völlig gleichgültig!«
»Ja, gewiß.«
»Oder daß ich mich gekränkt fühlen sollte, wenn ein fremder Hund das Wild greift, und nicht meiner ... Ich will mich ja doch nur an dem Anblick der Hetze erfreuen; nicht wahr, Graf? Darum bin ich der Ansicht ...«
[...]
»Ja, wir wollen hinreiten ... Was meinen Sie, wollen wir zusammen hetzen?« antwortete Nikolai und warf einen Blick auf Jorsa und auf des Onkels roten Rugai, zwei Rivalen, mit denen er noch nie Gelegenheit gehabt hatte seine Hunde konkurrieren zu lassen. »Aber wenn sie nun meiner Milka eine böse Niederlage bereiten?« dachte er, als er jetzt neben dem Onkel und Ilagin nach der Stelle hinritt, wo der Hase lag."
Graf Nicolai Rostow (der Bruder von Natáscha, der ungekrönten weiblichen Heldin aus Krieg und Frieden) identifiziert sich mit seinen Hunden, sieht ihre Jagdergebnisse als die seinen an und den, der sie ihm streitig machen könnte, als Feind. Ilagin ist nicht so passioniert, sieht in der Jagd nur eine Unterhaltung, doch hat auch er für eine Hündin als Bezahlung mehrere Familien seiner Leibeigenen hergegeben. Die Ähnlichkeit zum FC Chelsea mit Michael Ballack, den sich der russische Milliardär Roman Abramowitsch leistet, drängt sich auf. Für Schewtschenko zahlte er sogar 50 Millionen Euro. (Was ist ein Mensch wert, was ein Leibeigner, was ein Fußballer? Da wird man doch unterscheiden dürfen, oder etwa nicht?)
Wie gut haben wir Normalbürger es, dass wir anlässlich der Fußballweltmeisterschaft - wie die russischen Aristokraten und Oligarchen - so teure Zucht-, Verzeihung, Trainingsprodukte für uns kämpfen lassen können und uns am Körperbau eines Thomas Müller oder Bastian Schweinsteiger erfreuen dürfen, auch wenn uns vielleicht leise Angst beschlich, dass uns Messi die Beute wegschnappen könnte! Wie gut, dass dann die Spanier gewonnen haben, die nur aufgrund der Mannschaftsleistung erfolgreicher waren, und wir die Identifikation mit unseren - teuer bezahlten - Stars nicht aufzugeben brauchten.
Ja, in der Champions League, da kämpfen sie für ihre Besitzer, doch bei der Fußballweltmeisterschaft, da gehören sie einige Wochen lang uns, und wir können sie für uns kämpfen lassen: Miroslav, Podolski, Cacau und Mesut. Und Angela Merkel kann zu Recht ihren Schauspielern applaudieren, dass sie so schön von Kopfpauschale und Hartz IV - Kürzungen ablenken.
Advent Nr. 22: Podcast Tonspur Wissen #audio
vor 4 Stunden