31 Juli 2016

Don Quijote sieht sich ein Puppentheaterspiel an

Es schwiegen alle Tyrier und Trojaner, ich meine, alle, welche beim Schauspiele gegenwärtig waren, hingen aufmerksam am Munde des Erklärers dieser Wunderwerke, als sie hinter dem Spiele eine Anzahl von Hoboen und Trompeten vernahmen und ein Abfeuern vieler Kanonen, welcher Lärm aber nicht lange dauerte, und sogleich erhob der Junge seine Stimme und sprach: »Diese wahrhaftige Historie, die jetzt meine edlen Herren werden darstellen sehen, ist buchstäblich aus französischen Chroniken und spanischen Romanzen genommen, welche jedermann kennt und welche die Jungen auf der Gasse singen. Der Inhalt ist, wie Don Gaiferos seine Gemahlin Melisendra befreite, die sich gefangen in Spanien in der Gewalt der Mohren befand und zu Sansueña lebte, denn so hieß damals die Stadt, die heutzutage Saragossa genannt wird. Seht hier, meine Herren, den Don Gaiferos beim Brettspiele, so wie man singt:

Im Brette spielend sitzet Don Gaiferos
Und hat die Melisendra schon vergessen.

Jene Person, welche auftritt mit der Krone auf dem Haupte und dem Szepter in der Hand, ist der Kaiser Carolus Magnus, der vermeintliche Vater dieser Melisendra, der verdrießlich ist, da er den Müßiggang und die Sorglosigkeit seines Eidams sieht; er kommt jetzt heraus, um ihn auszuschelten.[180] Seht nur, wie heftig und eifrig er mit ihm schilt; sieht es doch nicht anders aus, als wenn er ihm mit dem Szepter ein halb Dutzend Kopfstöße gäbe, und es gibt auch Autoren, welche behaupten, daß er sie ihm gegeben, und zwar tüchtig. Und nachdem er ihm viele Vorstellungen getan, welche Gefahr seine Ehre liefe, wenn er seiner Gemahlin nicht die Freiheit verschaffte, sagte er zuletzt noch: ›Nun hab ich's gesagt; erwägt es!‹
Sehen meine Herren nun, wie der Kaiser sich wieder umwendet und wie Don Gaiferos im höchsten Verdrusse zurückbleibt; sehen Sie nur, wie er, ungeduldig vor Zorn, Brettspiel und Steine weit von sich wegschmeißt und hastig seine Waffen begehrt; wie er seinen Vetter Don Roldan bittet, ihm sein Schwert Durindana zu leihen, und wie Don Roldan ihm solches nicht leihen will, ihm aber bei der schwierigen Unternehmung, der er sich unterzieht, seine Gesellschaft anbietet. Aber der tapfere Erzürnte will sie nicht annehmen; er sagt vielmehr, daß er allein hinreiche, seine Gemahlin zu erlösen, und wenn sie mitten in den Abgründen der Erde verborgen wäre. Hiermit geht er fort, um sich zu rüsten und sich alsbald auf den Weg zu machen.
Wenden nunmehr meine Herren die Augen nach jenem Turme, der sich dort zeigt. Er stellt einen von den Türmen des Schlosses zu Saragossa vor, welches jetzt Aljaferia genannt wird; und jene Dame, die auf dem Altan in mohrischer Kleidung erscheint, ist die unvergleichliche Melisendra, die oftmals von dort aus auf den Weg nach Frankreich schaut und mit der Vorstellung von Paris und ihrem Gemahl sich in ihrer Gefangenschaft tröstet. Seht auch nun eine neue Begebenheit, die sich zuträgt und die vielleicht noch niemals gesehen ist. Seht Ihr wohl den Mohren dort, der sachtchen und mit kleinen Schritten hinter dem Rücken der Melisendra herbeischleicht, den Finger auf den Mund gelegt? Seht doch, wie er sie mitten auf die Lippen küßt und wie sie sich sputet, auszuspucken und mit dem weißen Ärmel ihres Hemdes den Kuß wegzuwischen, und wie sie nun klagt und sich die schönen Haare ausreißt, als wenn diese die Schuld der Bosheit hätten. Seht doch auch den ernsthaften Mohren dort, der auf jener Galerie steht; es ist der König Marsilio von Sansueña. Er hat die Unverschämtheit des Mohren gesehen; und ob er gleich sein Verwandter und guter Freund ist, so gibt er doch stracks den Befehl, ihn zu nehmen und ihm zweihundert Streiche zu geben, wobei er durch die Hauptstraßen der Stadt geführt wird mit Ausrufern vor sich und den Häschern hinter sich. Seht nur, wie sie das Urteil sogleich in Ausübung bringen, obgleich das Verbrechen kaum eben noch ausgeübt ist; denn bei den Mohren findet keine Untersuchung statt, kein Abhören der Parteien und Aufschub wie bei uns.«
»Kind, Kind«, fiel hierauf mit lauter Stimme Don Quixote ein, »geh mit deiner Geschichte geradeaus und laß dich nicht auf krumme Wege und Nebenstraßen ein; denn um einer Sache völlig versichert zu werden, sind viele Beweise und Gegenbeweise erforderlich.«
Auch Meister Peter sagte von hinten hervor: »Junge, laß dich nicht auf Erörterungen ein, sondern tu, was der Herr dir befiehlt; denn so ist es am besten. Folge du dem einfachen Gesange und gib dich nicht mit den künstlichen Passagen ab, die doch nur im Halse steckenbleiben.«
»Ich will es tun«, antwortete der Junge und fuhr so fort: »Diese Figur, die hier zu Pferde erscheint, mit einem gaskonischen Mantel bedeckt, ist der nämliche Don Gaiferos, den seine Gemahlin erwartet, die schon über das freche Unterfangen des Mohren Rache bekommen und sich nun mit besserm und ruhigerm Anstande auf die Galerie des Turms begeben hat und mit ihrem Gemahl spricht, indem sie glaubt, er sei ein Reisender, mit welchem alle die Reden und Gespräche vorfielen, die in der Romanze stehen:
Ritter, geht Ihr nach Frankreich?
Fraget nach Gaiferos doch.
Ich will diese jetzt nicht wiederholen; denn aus der Weitschweifigkeit pflegt die Langeweile zu entstehen. Genug, daß sich Don Gaiferos entdeckt und daß wir aus den fröhlichen Gebärden, welche die Melisendra macht, abnehmen können, daß sie ihn erkannt hat. Jetzt sehen wir nun, wie sie sich vom Altan herunterläßt, um sich hinten auf das Roß ihres trefflichen Gemahls zu begeben. Aber, o Unglückliche! Da faßt ein Eisen des Altans den Rand ihres Unterrocks, und so hängt sie in der Luft, ohne auf die Erde kommen zu können. Aber seht, wie der gütige Himmel in der größten Not Hülfe sendet; denn Don Gaiferos tritt hinzu, und ohne darauf zu achten, ob der kostbare Unterrock reißen möchte oder nicht, faßt er sie und zieht sie gewaltsam auf die Erde herunter. Sogleich mit einem Wurf setzte er sie schrittlings wie einen Mann hinter sich auf das Pferd und befiehlt ihr, sich festzuhalten und die Arme um seinen Leib zu schlagen, so daß sie sich auf der Brust kreuzten, damit sie nicht herunterfalle, weil die Dame Melisendra nicht an der gleichen Reiterei gewöhnt ist. Seht auch, wie das Gewieher des Pferdes ein Zeichen ist, daß es sich freut, zugleich die tapfere und schöne Last seines Herrn und seiner Gebieterin zu tragen. Seht nur, wie sie umwenden und aus der Stadt reiten und froh und fröhlich den Weg nach Paris einschlagen. Ziehe in Frieden, o du Paar paarloser, wahrhafter Liebenden; kommt sicher in Euer erwünschtes Vaterland, ohne daß Fortuna Eurer glücklichen Reise etwas in den Weg legen möge! Die Augen Eurer Freunde und Verwandten mögen Euch in ruhigem Frieden die Tage genießen sehen – oh, daß sie Nestors erreichten! –, die Euch vom Leben übrigbleiben!«
Hierauf erhob Meister Peter wieder seine Stimme und sagte: »Simplizität, Junge; steige nicht so hoch, denn alle Affektation ist zu tadeln.«
Der Dolmetscher antwortete nichts, sondern fuhr vielmehr so fort: »Es fehlte nicht an einigen müßigen Augen, die alles zu sehen pflegen, welche nicht auch sollten das Ab- und Aufsteigen der Melisendra gesehen haben, wovon sie sogleich dem Könige Marsilio Nachricht gaben, welcher alsbald befahl, Lärm zu schlagen; nun seht nur wie schnell, denn schon will die Stadt von dem Klange der Glocken zugrunde gehen, die auf allen Türmen der Moscheen geläutet werden.«
»Nein«, sagte hierauf Don Quixote, »was die Glocken betrifft, fällt Meister Peter hierin aus dem Decorum; denn die Mohren bedienen sich keiner Glocken, sondern der Trompeten und einer Art von Blasinstrumenten, die unsern Hoboen gleichkommen. Aber in Sansueña die Glocken läuten zu lassen, das ist ohne Zweifel eine große Albernheit.«
Als Meister Peter das hörte, hielt er mit Läuten inne und sagte: »Ihr müßt Euch nicht, gnädiger Herr Don Quixote, an Kleinigkeiten stoßen, auch nicht die Dinge in ihrer höchsten Vollendung begehren; denn so findet man sie niemals. Führt man nicht heutiges Tages fast immer tausend Komödien auf, die tausend Verstöße und Albernheiten enthalten, und machen sie nicht dessenungeachtet großes Glück und werden gesehen, nicht nur mit Beifall, sondern mit Bewunderung, die über alles geht? Weiter, Junge, und mag man doch sprechen; denn wenn ich nur meinen Beutel fülle, so mag das Stück meinetwegen so viele Verstöße haben, als die Sonne Sonnenstäubchen hat.«
»Das ist die Wahrheit«, versetzte Don Quixote, und der Junge sagte: »Seht nur, wie viele und wie glänzende Reiterei aus der Stadt zieht, um die beiden christlichen Liebenden einzuholen, wie viele Trompeten schmettern, wie die Hoboen erklingen und wie die Pauken und Trommeln lärmen! Ich fürchte immer, man wird sie einholen und, an den Schweif des nämlichen Pferdes gebunden, zurückführen, welches ein gräßliches Schauspiel sein würde.«
Wie Don Quixote so viele mohrische Scharen sah und einen solchen Lärm hörte, schien es ihm gut, den Flüchtlingen zu Hülfe zu kommen; er stand daher auf und rief mit lauter Stimme: »Nie werde ich es zugeben, daß bei meinen Lebzeiten und in meiner Gegenwart Gewalt an einem so berühmten Ritter undkühnen Verliebten, wie Don Gaiferos, verübt werde. Haltet hier, ihr nichtswürdiges Gesindel! Folgt ihm weder noch verfolgt ihn, oder seid des Kampfes mit mir gewärtig!« Und indem er noch sprach, zog er den Degen und war mit einem Sprunge dicht vor dem Schauplatze, und mit einer schnellen und nie gesehenen Furie fing er an, Hiebe auf die Puppen-Mohrenheit auszuteilen, indem er einige spaltete, andere köpfte, diesen verstümmelte, einen andern in Stücke hieb und unter vielen tapfern Hieben einen so weit ausholte, daß, wenn Meister Peter sich nicht gebückt, eingekrümmt und schnell zusammengeknäult hätte, er ihm den Kopf mit ebenso großer Leichtigkeit zerschmettert haben würde, als wäre er auch nur aus Teig gebacken gewesen. Meister Peter schrie und sagte: »Haltet ein, mein Herr Don Quixote, seht doch nur, daß das, was Ihr entzweischlagt, zernichtet und ermordet, keine wahrhaftigen Mohren sind, sondern nur Püppchen aus Teig! Seht doch nur, bei meiner armen Seele, daß Ihr mir mein ganzes Vermögen zerschlagt und in Trümmern schmeißt!«
Aber dessenungeachtet unterließ Don Quixote nicht, seine Hiebe rechts und links auszuteilen, seine Angriffe, Ausfälle und Stöße, so dicht wie ein Platzregen. Kurz, in weniger als zwei Vaterunsern lag das ganze Schauspiel auf der Erde, alle Figuren und Verzierungen in kleine Stückchen zerschlagen, der König Marsilio schwer verwundet und dem Kaiser Carolus Magnus Krone und Kopf entzweigespalten. Die Versammlung der Zuschauer war erschreckt, der Affe flüchtete auf das Dach der Schenke; der Vetter fürchtete sich, dem Pagen war angst, und selbst Sancho Pansa war in die größte Bangigkeit versetzt; denn er schwur, nachdem das Ungewitter vorüber war, daß er seinen Herrn noch nie in einer so fürchterlichen Wut gesehen habe.
Als nun das Schauspiel völlig vernichtet war, beruhigte sich Don Quixote ein wenig und sagte: »In diesem Augenblicke möchte ich nun alle diejenigen gegenwärtig haben, welche nicht daran glauben noch daran glauben wollen, daß die irrenden Ritter der Welt vom äußersten Nutzen sind. Man sehe nur, was, wenn ich mich nicht zugegen befunden, aus dem tapfern Don Gaiferos und der schönen Melisendra geworden wäre; wahrlich, diese Hunde hätten sie ergriffen und ihnen irgendeine Schmach angetan. Mit einem Worte, es lebe die irrende Ritterschaft vor allen an dern Dingen, die nur immer auf der Welt heutzutage leben mögen.«
»Sie lebe in Gottes Namen«, sagte hierauf Meister Peter mit kränklicher Stimme, »und möge ich sterben, denn ich bin nun so unglücklich, daß ich wohl mit dem Könige Don Rodrigo sagen kann:
Gestern war ich Herr von Spanien,
Heute hab ich keine Mauer,
Die ich meine nennen könnte.
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil 8. Buch 9. Kapitel)

Die Geschichte vom verlorenen Esel (Cervantes: Don Qujote)

»Wißt also, meine Herren, daß in einem Orte, welcher vier und eine halbe Meile von hier entfernt liegt, es sich zutrug, daß einem dortigen Richter durch die Bosheit und Schelmerei einer jungen Magd – was sehr weitläufig zu erzählen wäre – ein Esel verlorenging; und ob dieser Richter gleich allen Fleiß anwandte, ihn wiederzufinden, so war es doch unmöglich. Vierzehn Tage waren schon, wie das allgemeine Gerücht[171] sagt, verflossen, seitdem der Esel fehlte, als der Richter, der den Verlust erlitten, auf dem Platze stand und ein anderer Richter des nämlichen Ortes zu ihm sagte: ›Was gebt Ihr mir, Gevatter? Ich habe Euren Esel gesehen.‹ – ›Ich will Euch ein ansehnliches Geschenk geben‹, antwortete der andere; ›aber sagt mir doch, wo hat er sich gezeigt?‹ – ›Auf dem Berge‹, antwortete der Finder, ›habe ich ihn diesen Morgen gesehen, ohne Sattel und Zeug und so vermagert, daß es ein Jammer war, ihn anzusehen. Ich wollte ihn vor mir hertreiben und ihn so zu Euch bringen, aber er ist schon so wild und unbändig, daß, wie ich ihm nahe kam, er sich davonmachte und in den abgelegensten Teil des Berges hineinlief. Wenn es Euch aber gefällt, daß wir beide gehen, um ihn zu suchen, so will ich nur diese Eselin erst in mein Haus stellen und gleich wiederkommen.‹ – ›Ihr erzeigt mir eine große Gefälligkeit‹, sagte der vom Esel, ›und ich werde mich bemühen, Euch mit gleicher Münze wiederzubezahlen.‹ Mit allen diesen Umständen und auf eben die Weise, wie ich es Euch erzähle, erzählen es alle, die um den wahren Zusammenhang der Sache wissen. Kurz, die beiden Richter begaben sich zu Fuß und Hand in Hand nach dem Berge; und als sie an Ort und Stelle gekommen, wo sie den Esel zu finden glaubten, fanden sie ihn nicht, auch ließ er sich in der ganzen Gegend nicht sehen, sosehr sie ihn auch suchten. Da sie also sahen, daß er nicht zum Vorschein kam, sagte der Richter, der ihn gesehen hatte, zum andern: ›Schaut, Gevatter, mir ist ein Pfiff eingefallen, wodurch wir das Vieh gewiß ausfindig machen, und wenn es in den Eingeweiden der Erde steckte, geschweige denn im Berge. Ich kann nämlich herrlich wie ein Esel brüllen, und wenn Ihr es auch etwas versteht, so ist die Sache abgemacht.‹ – ›Etwas, meint Ihr, Gevatter?‹ sagte der andere; ›bei Gott, ich gebe keinem darin nach, selbst nicht den Eseln!‹ – ›Das wollen wir gleich sehen‹, antwortete der zweite Richter; ›denn mein Plan ist, daß Ihr um die eine Seite des Berges geht, ich um die andere, und von Zeit zu Zeit sollt Ihr brüllen, und ich will brüllen, und so muß uns der Esel durchaus hören und antworten, wenn er noch im Berge ist.‹ Worauf der Herr des Tieres antwortete: ›Nun wahrhaftig, Gevatter, der Pfiff ist kostbar und Eures geistreichen Kopfes würdig.‹ Sie trennten sich hierauf beide nach der Abrede, und es geschah, daß sie beide zu einer Zeit brüllten und jeder, vom Gebrüll des anderen getäuscht, herbeilief, um sich zu suchen, weil jeder glaubte, der Esel sei zum Vorschein gekommen, und als sie sich erblickten, sagte der, welcher ihn verloren: ›Ist es möglich, Gevatter, daß es nicht mein Esel war, der gebrüllt hat?‹ – ›Nein, ich war's‹, antwortete der andere. – ›Nun, so muß ich sagen‹, versetzte jener, ›daß zwischen Euch und einem Esel, Gevatter, gar kein Unterschied ist, wenigstens was das Brüllen anbetrifft; denn in meinem Leben habe ich nicht so etwas Ähnliches gesehen oder gehört.‹ – ›Diese Lobeserhebungen und Schmeicheleien‹, antwortete der, welcher die Erfindung gemacht, ›kommen mehr Euch zu, Gevatter, als mir; denn bei dem Gott, der mich geschaffen hat, Ihr könnt dem allergrößten und kundigsten Brüller von der ganzen Welt noch zwei Schreie vorgeben; denn die Art, wie Ihr in die hohen Töne hineinsteigt, die gehaltene und volle Stimme und die vielen und vollen Kadenzen sind von der Art, daß ich mich für überwunden bekennen muß und Euch die Palme und den Lorbeer dieser seltenen Geschicklichkeit nicht mehr streitig mache.‹ – ›Von nun an‹, antwortete der Herr des Esels, ›werde ich mich für etwas besser als bisher halten; ich werde einigermaßen gut von mir denken, da ich doch eine Gabe besitze; denn wenn ich auch der Meinung war, daß ich gut brüllte, so habe ich mir doch nie eingebildet, daß ich so der Sache Meister sei, wie Ihr mir sagt.‹ – ›Ich sage aber gleichfalls‹, antwortete der andere, ›daß viele herrliche Talente in der Welt verlorengehen und daß sie bei denen übel angewandt sind, die sie nicht zu benutzen verstehen.‹ – ›Unsere Gaben‹, antwortete der Herr des Esels, ›können uns doch bei keiner anderen Gelegenheit als bei der gegenwärtigen Dienste leisten, und gebe Gott nur, daß sie uns hierbei etwas helfen.‹ Als sie dies gesprochen hatten, trennten sie sich von neuem und fingen von neuem ihr Brüllen an, und bei jedem Schritte wurden sie betrogen und stießen aufeinander, bis sie sich ein Merkzeichen machten, daß, um zu wissen, sie wären es und nicht[172] der Esel, sie zweimal hintereinander brüllen wollten. Somit verdoppelten sie bei jedem Schritte das Brüllen und gingen um den ganzen Berg herum, ohne daß ihnen der verlorne Esel, selbst nur mit Zeichen, geantwortet hätte. Wie konnte aber auch der arme Unglückselige antworten, da sie ihn im dichtesten Gebüsche fanden, von Wölfen aufgefressen? Als sein Herr ihn so erblickte, sagte er: ›Ich habe mich darum gewundert, daß er nicht antwortete; denn er mußte tot sein, um nicht zu brüllen, wenn er uns gehört hätte, oder er wäre kein Esel gewesen; aber da ich Euch dafür so anmutig habe brüllen hören, Gevatter, so halte ich doch die Mühe, ihn aufzusuchen, für gut angewandt, ob ich ihn gleich tot gefunden habe.‹ – ›Ihr seid in der Vorhand‹, antwortete der andere; ›denn wenn der Abt gut singt, so stimmt der Mesner gut ein.‹ Hiermit kehrten sie trostlos und heiser in ihr Dorf zurück, wo sie ihren Freunden, Nachbarn und Bekannten erzählten, was ihnen begegnet sei, als sie den Esel hätten suchen wollen, wobei einer das Talent des anderen im Brüllen sehr herausstrich. Diese Geschichte verbreitete sich auch in den benachbarten Örtern, und der Teufel, der nie schläft, sondern gern allenthalben Zank und Zwietracht säet und ausstreut und große Händel und Zwiespalt oft aus nichts erzeugt, machte und richtete es so ein, daß die Leute aus anderen Dörfern, wenn sie einen aus unserem Dorfe sahen, brüllten, wodurch sie sich über das Gebrüll unserer Richter aufhielten. Dies verbreitete sich auch auf die Jungen, und nun war es nicht anders, als wenn alle Teufel aus der Hölle zusammen losgelassen wären; denn das Brüllen lief wie ein Feuer von einem Dorfe zum anderen, daß die Einwohner von dem Dorfe des Gebrülles so bekannt sind, wie man die Schwarzen von den Weißen kennt und unterscheidet. Und dieser unangenehme Spaß ist schon so weit gegangen, daß die Verspotteten gegen die Spötter oft mit gewaffneter Hand und in Heerscharen ausgerückt sind, um ihnen ein Treffen zu liefern, ohne daß da Gesetz und Befehl oder Obrigkeit etwas gilt. Ich glaube, daß morgen oder übermorgen die ganze Mannschaft aus meinem Dorfe aufbrechen wird, welches das vom Brüllen ist, gegen ein anderes Dorf, zwei Meilen von dem unsrigen, welches die sind, die uns am meisten verfolgen; und um desto besser im Felde zu erscheinen, habe ich die Lanzen und Hellebarden gekauft, welche Ihr gesehen habt. Dies sind nun die Wunderdinge, die ich Euch zu erzählen versprochen habe; sind sie Euch nicht so vorgekommen, so weiß ich keine andere.« Hiermit beschloß der gute Mann seine Rede.
 (Cervantes: Don Quijote 2. Teil 8. Buch 8. Kapitel)

Parsifal-Inszenierung 2016 in Bayreuth

Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg halte ich für gelungen. Ich habe sie durchaus nicht als islamkritisch aufgefasst, sondern als gegen die Instrumentalisierung von Religion und menschlichen Grundbedürfnissen gerichtet. Die Anspielung auf Scharia und Terror legt sich dabei gegenwärtig nahe.
Die Inszenierung legt Fragen nahe.
Könnte die religiöse Überhöhung seines Auftrags Parzifal, statt seine Mitleidsfähigkeit zu stärken, zum Gotteskrieger machen?
Kann Instrumentalisierung und strikteste Privatisierung weiblicher Reize für den Ehemann (oder Besitzer?) die Belohnung durch die Huris im Paradies so attraktiv machen, dass Selbstmordattentate als Selbstverwirklichung verstanden werden oder ist die religiöse Motivierung weit stärker als solche vorgeblich Erfüllung lang unterdrückter Wünsche?

Aber ich habe großes Verständnis für Musikliebhaber, die eine solche Aktualisierung des Bühnenweihfestspiels für eine Verhunzung des Gesamtkunstwerkes halten.
Denn mich hat die Sprache des Musikdramas so abgestoßen, dass ich es nie fertig gebracht habe, das Stück durchzulesen. Die geniale Musik ist mir viel zu anspruchsvoll, als dass ich mich ihr länger als 20 Minuten aussetzen wollte, ohne mich auf anderes konzentrieren zu können. Der Parzival Wolframs von Eschenbach ist mir zu lieb, als dass ich die Fabel von Wagners Parsifal nicht als fragwürdige Beschränkung auffassen könnte.
So hat mir erst diese Inszenierung ermöglicht, Text und Musik des Gesamtkunstwerks im Zusammenhang kennen zu lernen. Dass ich damit dem Gesamtkunstwerk nicht gerecht werden kann, ist klar. Immerhin hat mir die Inszenierung erstmals einen ersten Zugang dazu verschafft und die Möglichkeit, die Leistungen der beteiligten Interpreten wenigstens im Ansatz zu würdigen.

Mir waren dabei die vielfältigen Verfremdungseffekte hilfreich, das theatralische Pathos zu würdigen, das ich so in einer Passionsaufführung nicht akzeptieren könnte.

Richard Wagner: Parsifal

30 Juli 2016

Was Don Quijote nach der Erkundung der Höhle des Montesinos zu berichten wusste und Sacho Pansas Reaktion

 [...] Alsbald bot sich meinen Blicken ein prächtig reicher Palast, eine gewaltige Königsburg, deren Mauern und Wände aus durchsichtig glänzendem Kristall gefügt schienen. Zwei große Torflügel taten sich auf, aus ihnen sah ich einen ehrwürdigen Greis hervortreten und auf mich zuschreiten, er trug einen langen Mantel von dunkelviolettem Flanell, der ihm auf dem Boden nachschleppte; um die Schultern und die Brust zog sich eine Stola von grünem Atlas, wie Stiftspriester sie tragen; sein Haupt bedeckte ein schwarzes Mailänder Barett, und sein schneeweißer Bart reichte ihm bis über den Gürtel hinab. Er trug keine Waffe, hingegen einen Rosenkranz mit Kügelchen, größer als eine gewöhnliche Walnuß, und jede zehnte Kugel war wie ein mittelgroßes Straußenei. Die Haltung, der Gang, die Würde und die mächtig große Gestalt, jedes für sich allein und alles zusammen, setzten mich in Staunen und Verwunderung. Er trat an mich heran, und das erste, was er tat, war, daß er mich zärtlich in die Arme schloß und sofort mich so ansprach: ›Lange Zeit ist es her, o mannhafter Ritter Don Quijote von der Mancha, seit wir, die wir in dieser Abgeschiedenheit verzaubert weilen, darauf hofften, dich zu erblicken, auf daß du der Welt Kunde brächtest von dem, was die tiefe Höhle, die du betreten hast, die Höhle des Montesinos geheißen, in sich enthält und verbirgt; ein Heldenwerk, das allein deinem unbesieglichen Herzen und allein deinem staunenswerten Mute vorbehalten war. Komm mit mir, erlauchter Mann; ich will dir die Wunder zeigen, die dieser durchsichtige Palast umschließt, dessen Vogt und Oberaufseher ich auf alle Zeiten bin; denn ich bin eben der Montesinos, von dem die Höhle ihren Namen hat.‹ Kaum sagte er mir, er sei der Montesinos, als ich ihn fragte, ob es auf Wahrheit beruhe, was man sich in der Welt dort oben erzähle, daß er nämlich seinem besten Freunde Durandarte mit einem kleinen Jagdmesser das Herz mitten aus der Brust geschnitten und es zu Fräulein Belerma gebracht habe, wie der Freund es im Augenblick seines Sterbens ihm aufgetragen. Er antwortete mir, die Leute sagten hierüber die volle Wahrheit, nur nicht in betreff des Messers, denn es sei weder ein Messer noch gar ein kleines gewesen, sondern ein scharfer Dolch, spitziger als ein Schusterpfriem.« »Der besagte Dolch«, fiel Sancho hier ein, »muß von Ramón de Hoces, dem Sevillaner, gewesen sein.« »Ich weiß nicht«, meinte Don Quijote. »Aber nein, er wird nicht von diesem Waffenschmied gewesen sein; Ramón de Hoces war ja noch gestern am Leben, und das Begebnis zu Roncesvalles, wo diese Unglücksgeschichte vorfiel, hat sich vor vielen Jahren zugetragen. Aber dieser Punkt ist von keinem Belang und stört und ändert in keiner Weise den Inhalt und Zusammenhang der Geschichte.« »Ja, so ist's«, versetzte der Vetter; »fahret nur fort, Señor Don Quijote, ich höre Euch mit dem allergrößten Vergnügen zu.« »Mit nicht geringerem erzähle ich«, erwiderte Don Quijote. »Und so sag ich denn, daß der ehrwürdige Montesinos mich in den kristallenen Palast führte, wo sich zu ebener Erde in einem Saal, der überaus kühl und ganz von Alabaster war, ein marmornes Grabmal befand, mit höchster Meisterschaft gearbeitet, auf welchem ich einen Ritter der ganzen Länge nach ausgestreckt erblickte, nicht aus Erz noch aus Marmor noch aus Jaspis geformt, wie sie sich sonst gewöhnlich auf Grabmälern finden, sondern von purem Fleisch und Bein. Die rechte Hand – die meines Bedünkens ziemlich behaart und nervig war, ein Zeichen der großen Körperkraft ihres Besitzers – hatte er auf die Seite des Herzens gelegt; und ehe ich nur eine Frage an Montesinos richtete, der bemerkte, wie ich voll Staunens die Gestalt auf dem Grabmal anstarrte, sprach er: ›Dies ist mein Freund Durandarte, zu seiner Zeit aller liebenden und heldenhaften Ritter Blume und Spiegel; ihn hat hier verzaubert, wie er mich und viele andre Männer und Frauen verzaubert hat, Merlin, jener französische Zauberer, der, wie man sagt, des Teufels Sohn war; ich aber glaube, daß er... [...]
Aber verzeiht mir, Herre mein, wenn ich Euch sage, von allem, was Ihr eben erzählt habt, Gott soll mich holen« – er wollte eigentlich sagen: der Teufel –, »wenn ich Euch das geringste davon glaube.« »Wieso nicht?« sagte der Vetter; »sollte Señor Don Quijote lügen? Und wenn er es auch wollte, so hat er doch gar keine Zeit gehabt, eine solche Million Lügen auszudenken und zu erdichten.« »Ich wahrlich glaube nicht, daß mein Herr lügt«, sagte Sancho. »Wenn nicht, was glaubst du denn?« fragte ihn Don Quijote. »Ich glaube«, antwortete Sancho, »jener Merlin oder jene Zauberer, die die ganze Rotte verzaubert haben, die Ihr dort unten gesehen und gesprochen haben wollt, die haben Euch die ganze Geschichte und alles, was Ihr noch weiter zu erzählen habt, in die Pfann-da-sieh oder in den Kopf gesetzt.« »Das alles wäre möglich, Sancho«, entgegnete Don Quijote; »aber es verhält sich nicht so, denn was ich erzählt, das sah ich mit meinen eignen Augen, das könnt ich mit Händen greifen. Aber was wirst du dazu sagen, wenn ich dir jetzt dies mitteile: Unter zahllosen andern Seltsamkeiten und Wundern, die mich Montesinos sehen ließ – ich werde sie dir seiner Zeit mit Muße, eins nach dem andern, im Verlauf unsrer Reise erzählen, da sie nicht alle hierhergehören –, zeigte er mir auch drei Bäuerinnen, die auf jenen allerlieb liebsten Gefilden umhersprangen und –hüpften wie die Ziegen; und kaum hatte ich sie erblickt, so erkannte ich in der einen die unvergleichliche Dulcinea von Toboso und in den zwei andern jene nämlichen Bauernmädchen, ihre Begleiterinnen, mit denen wir vor der Stadt Toboso Zwiesprach hielten. Ich fragte Montesinos, ob er sie kenne; er antwortete mit Nein; er glaube, es müßten irgendwelche verzauberte vornehme Damen sein, die erst vor wenigen Tagen auf diesen grünen Fluren aufgetaucht seien, und ich solle mich darüber nicht wundern, denn es befänden sich dort noch viele andre Damen aus vergangener und gegenwärtiger Zeit, sämtlich in mancherlei Gestalten verhext, und unter diesen habe er die Königin Ginevra erkannt und ihre Kammerfrau Quintanona, die Lanzelot den Wein kredenzte, Als er aus Britannien kam.« Als Sancho Pansa seinen Herrn so reden hörte, meinte er schier den Verstand zu verlieren oder sich totzulachen; denn da er wußte, was Wahres an der vorgeblichen Verzauberung Dulcineas war, bei der er der Zauberer und Zeuge gewesen, war es ihm nun völlig außer Zweifel, sein Herr sei nicht bei Sinnen, [...]
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil)

24 Juli 2016

Angela Bajorek: Janosch

Janosch erlebte eine unglückliche Kindheit, fühlte sich von Katholizismus und Naziherrschaft eingesperrt und terrorisiert (nicht zuletzt von Kameraden, die der Ideologie des Rechtes des Stärkeren, anhingen), er der Schwächliche, der nicht zu den ganz Schwachen gehörte, die aussortiert und getötet wurden.
Angela Bajorek, die polnische Germanistin hat sein Vertrauen gewonnen und berichtet unter vielen Rückgriffen auf autobiographische Texte und auf der Basis von 1000 E-Mails, die sie mit ihm ausgetauscht hat, über sein Leben.
Dass die einmarschierenden Russen sein Elternhaus und die Kirche seiner Gemeinde abfackelten, empfand er als Glück.
"[...] Das Einzige, was ihm leidtat, war der beim Hausbrand gestorbene Vogel im Käfig
Doch von nun an gab es weder die Hitlerjugend noch Hitler selbst.
Vom Erdboden verschwand auch ein anderes verhasstes Gebäude: die Heilig-Geist-Kirche: Die Russen hatten sie aus Rache für einen ihrer verletzten Kameraden angezündet.
Horst Eckert besaß nun nichts mehr und fühlte sich endlich frei. Dies waren die schönsten Augenblicke in seinem Leben." (Bajorek, S.110)
Denn "das Wichtigste für mich war immer die Freiheit. Machen können, was ich will. Kein Zwang, schon Blumen gießen zu müssen ist mir zu viel Zwang" (Janosch im Interview zum 75 Geburtstag)

Freilich, als die "beste und nützlichste Zeit in seinem Leben" beschrieb er die Arbeit in einer Schlosserei. Denn: "'Man brachte mir den Satz bei: Es gibt nichts, was nicht geht. Davon habe ich mehr gelebt als von zufälligem Glück.', wird er in einem Interview sagen." (Bajorek, S.108)

Und dennoch. Seine Wünsche an die Glücksfee wären die folgenden:
"1. Nicht mehr geboren werden auf dieser Welt. Dazu muss ich sagen, dass ich nicht an mir leide, sondern an dem, was rundherum geschieht und sich nicht ändern lässt. Eben weil der Mensch eine Sau ist.
2. Keine unguten Zustände bis zum Ende des Lebens erleben müssen. Den dritten Wunsch würde ich verschenken - jemandem, der ihn dringend und vernünftig braucht. Etwa, weil er geheilt werden will."  (Janosch im selben Interview zum 75 Geburtstag)

Seine große Kreativität, den Reiz seiner Kindergeschichten verdankt er der Tatsache, dass er als Kind viel gelitten hat. Angela Bajorek führt das deutlich vor Augen.

Weitere Zitate:
" 'Eigentlich bin ich Maler. Nur weil ich davon nicht leben konnte, habe ich mir einen Job gesucht und kam zum Kinderbuch.'
Trotz dieser Zurückweisung wollte Janosch weiter Maler werden." (Bajorek, S.130)

"Für 'Die Zeit' zeichnet Janosch jede Woche Herrn Wondrak [...]
'Herr Janosch, wie lösen wir all die Weltprobleme?' [...] 'Vermutlich ist es einfacher, die Welt neu zu erschaffen. Wondrak hat sich einen Hammer gegriffen und begonnen, das Universum neu zuschmieden. Viel Arbeit, aber einer muss ja mal damit anfangen.' "  (Bajorek, S.245/46)

Janosch im Interview mit Angela Bajorek:
"Ein Philosoph sagte: 'Der arme Mensch ist ein besserer Mensch. er im Ausland das Glück hat, einen Polen für Schwarzarbeit zu bekommen, der weiß, was ich meine." (Bajorek, S.263)

"Ich denke, man kann manches im Leben entscheiden. Nur ob man katholisch getauft wird, kann man zunächst nicht entscheiden, falls man katholische Eltern hat. as halte ich für sehr fatal." (Bajorek, S.269)

Links:

Der Zeichner Janosch - Horst Eckert und sein Lebensmut


http://www.zeit.de/2011/11/Janosch

http://www.zeit.de/2013/31/kinderbuchillustrator-janosch-zeitmagazin-interview/komplettansicht

Janosch: Da wo ich bin ist Panama 1-6




14 Juli 2016

Neues von Don Quijote und Sancho Pansa sowie Basilio, Quitéria und Camacho

Ist es nicht allerliebst, daß Don Lorenzo hocherfreut war, sich von Don Quijote loben zu hören, obwohl er ihn für einen Narren hielt? O Schmeichelei, wie groß ist deine Macht, und wie weit dehnen sich die Grenzen deiner süßen Herrschaft! Die Wahrheit dieser Worte bewies Don Lorenzo, indem er auf Don Quijotes Wunsch und Verlangen sogleich einging und folgendes Sonett über die Fabel oder Geschichte von Pyramus und Thisbe vortrug: [...]
Dieser Basilio ist ein Bauernsohn aus dem Dorfe Quitérias; er war in seinem Hause der Wandnachbar ihrer Eltern, und daher ergriff Amor die Gelegenheit, die schon vergessene Liebschaft zwischen Pyramus und Thisbe der Welt aufs neue vorzuführen; denn Basilio verliebte sich in Quitéria von seinem zarten Kindesalter an, und sie erwiderte seine Neigung mit tausend unschuldigen Gunstbezeigungen, so daß man sich im Dorf die Liebe der beiden Kinder Basilio und Quitéria zur Unterhaltung zu erzählen pflegte. Sie wuchsen heran, und nun verbot Quitérias Vater dem Basilio den gewohnten Zutritt zu seinem Hause; und um nicht ständig in Angst und Argwohn leben zu müssen, beschloß er, seine Tochter mit dem reichen Camacho zu vermählen, da es ihm nicht wohlgetan schien, sie mit Basilio zu verheiraten, der nicht so viele Gaben vom Glück als von der Natur empfangen hatte. Denn um ganz neidlos die Wahrheit zu sagen, er ist der gewandteste Jüngling, den wir kennen, er ist der beste Speerwerfer, der kräftigste: Ringer und ein trefflicher Ballspieler; er läuft wie ein Hirsch, springt besser als eine Gemse und schiebt Kegel, als wenn seine Kugel hexen könnte; er singt wie eine Lerche und spielt die Gitarre, als ob er ihr Sprache gäbe, und zu alledem handhabt er den Degen im Schwertertanz wie der Allertüchtigste auf Erden.« »Um dieser Begabung allein willen«, fiel hier Don Quijote ein, »verdiente dieser Jüngling nicht nur, sich mit der schönen Quitéria zu vermählen, sondern mit der Königin Ginevra selbst, wenn sie jetzt lebte – trotz Lanzelot und allen jenen, so es verwehren möchten!« »Das sagt nur einmal meiner Frau!« sprach Sancho Pansa, der bis dahin schweigend zugehört hatte; »die will es nicht anders haben, als daß ein jeder seinesgleichen heiraten soll, nach dem Sprichwort, das da sagt: Schäfchen beim Schaf, so gefällt sich's, Gleich mit Gleichem, so gesellt sich's. Wenn es auf mich ankäme, müßte der brave Basilio, den ich schon anfange gern zu haben, die Jungfer Quitéria heiraten. Möchten doch alle die zur Seligkeit und ewigen Ruhe eingehen« – er wollte das Gegenteil sagen –, »die es Leuten, die einander liebhaben, wehren, einander zu nehmen!« »Wenn alle, die einander liebhaben, sich heiraten sollten«, sprach Don Quijote, »würde den Eltern die Wahl und das Recht entzogen, ihre Kinder zu verheiraten, mit wem und wann es am besten ist; und wenn es dem Willen der Töchter überlassen bliebe, ihre Ehemänner zu wählen, so gäbe es manche, die den Diener ihres Vaters wählen würde, und manche andre den ersten besten, den sie auf der Straße in einem nach ihrer Meinung prächtigen und vornehmen Aufzug gesehen, und wäre er auch ein ganz liederlicher Raufbold. Denn Liebe und Leidenschaft blenden leicht die Augen des gesunden Urteils, die so nötig sind bei der Wahl fürs Leben; und ganz besonders ist der Ehestand der Gefahr eines Fehlgriffs ausgesetzt, und es bedarf großer Vorsicht und besonderer Gunst des Himmels, um hierbei das Richtige zu treffen. Es will einer eine Reise tun, und wenn er verständig ist, so sucht er sich, eh er sich auf den Weg begibt, einen verläßlichen und angenehmen Gefährten als Begleiter; warum also soll der nicht das nämliche tun, dessen Reise sein ganzes Leben hindurch bis an die Pforten des Todes dauert, zumal wenn der Gefährte ihn zu Bett und Tisch und überallhin begleiten soll wie die Frau ihren Mann? Die Gesellschaft der Frau ist keine Ware, die, einmal gekauft, zurückgegeben oder umgetauscht oder ausgewechselt werden kann; sie ist ein unzertrennbarer Bestandteil, der so lang dauert wie das Leben selbst; es ist eine Schlinge, und hast du sie dir einmal um den Hals geworfen, so verwandelt sie sich in einen gordischen Knoten, der unlösbar ist, bis ihn die Sense des Todes durchschneidet. [...]
»Wahrlich, Señor«, gab Sancho darauf zur Antwort, »dem dürren Gerippe, ich meine dem Tod, ist nicht zu trauen; er frißt das Lamm wie den Hammel, und ich hab unsern Pfarrer sagen hören, er tritt mit gleichem Fuß in die hohen Burgen der Könige wie in die niederen Hütten der Armen. Dieser große Herr ist weit gewalttätiger als wählerisch; vor nichts ekelt es ihm, von allem frißt er, und alles ist ihm recht, und mit Leuten von jeder Art, jeglichem Lebensalter, jedem Rang und Stand füllt er seinen Zwerchsack. Er ist kein Schnitter, der sein Mittagsschläfchen hält; zu jeder Stunde mäht und schneidet er, dürres wie frisches Kraut, und er verschlingt und schluckt alles ungekaut hinunter, was ihm vorgesetzt wird, denn er hat einen Wolfshunger, der nie zu sättigen ist; und obschon er keinen Wanst hat, so ist's doch, als hätte er die Wassersucht und als dürste ihn nach dem Leben aller Lebenden, wie einer einen Krug frisches Wasser hinuntertrinkt.« »Nicht weiter, Sancho«, fiel Don Quijote hier ein; »bleib fest im Sattel und fall nicht herunter; denn wahrlich, was du in deiner Bauernsprache über den Tod gesagt hast, das hätte auch ein guter Prediger sagen können. Ich sage dir, Sancho, wenn du soviel Bildung hättest wie gute Anlagen, könntest du auf eine Kanzel steigen und weit in der Welt herum allerhand Schönes predigen.« [...]
»O Quitéria, so bist du endlich barmherzig geworden, jetzt, wo dein Erbarmen zum Dolche werden muß, mir das Leben vollends zu rauben; denn schon habe ich nicht Kräfte mehr, daß ich die Wonne ertragen könnte, von dir zu deinem Gatten erkoren zu werden, oder daß ich dem Schmerz Einhalt tun könnte, der schon eilig mir mit dem grausigen Schatten des Todes die Augen umhüllen will! Was ich von dir erbitte, ist dies eine, o du mein Unglücksstern: Wenn du jetzt meine Hand begehrst und die deine mir reichen willst, so tu es nicht aus leerer Gefälligkeit oder um mich abermals zu täuschen, sondern bekenne und erkläre, daß du deinem Willen nicht Gewalt antust, vielmehr sie mir reichst als einem rechtmäßigen Ehegatten; denn es wäre unrecht, wenn du in dieser Todesnot mich täuschen und Verstellung gegen den üben wolltest, der stets so wahr gegen dich gewesen.« Während er dies sprach, wurde er wiederholt ohnmächtig, und alle Anwesenden dachten, jede Ohnmacht würde seinen Lebenshauch mit sich fortnehmen. Quitéria, züchtig und verschämt, ergriff Basilios Hand mit ihrer Rechten und sagte: »Keine Gewalt vermag je meinen Willen zu beugen, und so, mit der größten Willensfreiheit, deren ich fähig bin, reiche ich dir die Hand als dein rechtmäßiges Weib und nehme die deinige an, sofern du mir sie aus freiem Entschlüsse reichst, ohne daß das Unglück, in welches deine Verzweiflungstat dich gebracht, dir das Bewußtsein stört oder vernichtet.« »Ja, so reiche ich sie dir«, entgegnete Basilio, »weder verstört noch wirr im Geiste, sondern mit dem klaren Verstande, den es dem Himmel gefiel mir zu verleihen, und so gebe und übereigne ich mich dir als deinen Ehegatten.« »Und ich mich dir als Gattin«, sprach Quitéria dagegen, »ob du nun lange Jahre lebest oder ob man dich aus meinen Armen zu Grabe trägt.« »Dafür, daß dieser Bursche so schwer verwundet ist«, bemerkte hier Sancho Pansa, »spricht er wirklich viel. Macht doch, daß er von seinem verliebten Gerede abläßt und an das Heil seiner Seele denkt; sie schwebt ihm zwar eigentlich schon auf den Lippen, sitzt ihm aber meines Erachtens noch immer fest auf der Zunge.« Als nun Basilio und Quitéria die Hände verschlungen hielten, gab ihnen der Pfarrer gerührt und mit Tränen seinen Segen und betete zum Himmel, der Seele des Neuvermählten glückselige Ruhe zu gewähren. Aber dieser hatte kaum den priesterlichen Segen empfangen, da sprang er rasch und behende auf die Füße und zog mit unerhörter Verwegenheit den Degen heraus, dem sein Körper als Scheide gedient hatte. Die Umstehenden alle gerieten in Erstaunen, und einige unter ihnen, die mehr Einfalt als Scharfsinn besaßen, begannen mit lauter Stimme zu rufen: »Wunder, ein Wunder!« Jedoch Basilio entgegnete: »Saget nicht Wunder, Wunder, sondern List, nur List.« Der Pfarrer trat erstaunt und außer sich näher und befühlte mit beiden Händen die Wunde und fand, daß die Klinge dem Basilio keineswegs durch Fleisch und Rippen gegangen war, sondern durch eine eiserne Röhre, die an der richtigen Stelle geschickt angebracht und mit Blut gefüllt war; das Blut, wie man später erfuhr, war so zubereitet, daß es nicht gerinnen konnte. Nach alledem hielten sich der Pfarrer und Camacho nebst den meisten Umstehenden für betrogen und verhöhnt. Die Neuvermählte indes schien den Spaß durchaus nicht übelzunehmen; im Gegenteil, als sie hörte, diese Vermählung könne nicht gültig sein, entgegnete sie, sie erkläre die Ehe aufs neue für rechtskräftig. Daraus schlössen denn alle, die ganze Sache sei mit Wissen und Willen beider so geplant worden, und Camacho und seine Anhänger wurden darob so erbittert, daß sie ihre Rache der Gewalt der Fäuste anheimstellen wollten; es wurden nicht wenige Schwerter gezogen, und die Gegner stürmten auf Basilio ein, dem zur Hilfe wohl ebenso viele Schwerter aus der Scheide fuhren. Aber Don Quijote, hoch zu Roß, kam allen zuvor, und den Speer im Arm, wohlgedeckt mit seinem Schild, zwang er alle, ihm Raum zu geben. Sancho, welchen derlei Auftritte nimmermehr... [...]
Nur allein dem guten Sancho verdüsterte sich das Gemüt, da er nun die Unmöglichkeit sah, Camachos prachtvolles Mahl und Fest abzuwarten, das bis in die Nacht hinein dauerte, und so folgte er ratlos und betrübt seinem Herrn, der mit Basilios Genossenschaft von dannen zog. So ließ er die Fleischtöpfe Ägyptens hinter sich zurück, wiewohl er sie in seinem Herzen mitnahm, da ihr beinahe schon verzehrter und aufgegessener Abhub, den er im Schöpfeimer bei sich führte, ihm die Herrlichkeit und Fülle des verlorenen Glücks vor Augen stellte. Und also, in Trauer versunken und in Gedanken verloren, wenn auch frei von Hunger, folgte er auf seinem Grauen den Spuren Rosinantes. [...]
(Cervantes: Don Quijote, 2. Teil)

"Hochhuth Der Störenfried" von Birgit Lahann

Entwurf

Selten habe ich einem hohen Lob so uneingeschränkt zustimmen können wie dem von  Martin Walser für dieses Buch: 

"Diese Biografie ist das Lebendigste, was ich in diesem Genre je zu lesen bekam. Ich weiß nicht, ob LEBENDIG eine ästhetische Qualität ist, aber dass es eine Lesbarkeit ohnegleichen verbürgt, das weiß ich jetzt, nachdem ich in diesem durchaus wilden Buch herum gelesen habe." (zitiert nach: Dietz Verlag)

Birgit Lahann entgeht zwei Schwierigkeiten einer Biographie mit einer Technik, die literarisch üblich, aber bei Biographien selten angewandt wird: Statt Hochhuths Leben nachzuzeichnen, schildert sie den Entstehungsprozess ihres Buches, indem sie die Gespräche wiedergibt (mit all der Freiheit, die ihr Hochhuth dabei zugesteht). 
So umgeht sie die kritische Einleitungsphase, wo sie die Leser gewinnen will, aber doch ein Kinderschicksal zu schildern hat, wie es Tausende gegeben hat, und sie umgeht die Verpflichtung, ein Urteil über ihn abzugeben, indem sie ihn selbst es über sich aussprechen lässt.
Gelegentlich urteilt sie schon, aber meist im Gewand eines Streitgesprächs, das sie aus Tonbandprotokollen destilliert. - Kennzeichnend für Hochhuth (und wieder lässt sie ihn selbst sich charakterisieren), dass er anders als Helmut Kohl zu den Äußerungen steht, die er laut ihrer Darstellung getan hat. 

Sie beginnt mit einem Telefongespräch, in dem sie ablehnt, eine Biografie über ihn zu schreiben, und zugleich zusagt: "Nein, eine Biographie, sagte ich ihm, werde ich nicht schreiben. Aber ein Lebensbild, ein Gesprächsbuch mit allem Witz und allem Wahnsinn, seinen Verdiensten, seinen Stücken, den Geschichten und Gedichten [...]" (S.11)
Und schon hier tritt hervor, was ihre weitere Darstellung kennzeichnet, nämlich dass sie ihre Gespräche nicht aus der Perspektive wiedergibt, in der sie stattfanden, sondern eine Außenperspektive wählt: "seinen Verdiensten, seinen Stücken" nicht Ihren (oder deinen).

Und damit hat sie geschickt die Freiheit gewonnen, sich auch inhaltlich von dem Gesagten zu entfernen. Hat sie wirklich "mit allem Witz und allem Wahnsinn" gesagt oder doch etwas, was seinen Ohren mehr schmeichelte?
Sie fährt fort - und das ist für uns Leser interessant: "und seinen zwei Lieblingsthemen, der Historie und den Frauen, die für ihn das fünfte Element sind, aber auch mit Auskünften über Aggressionen, Gegner, Gott und den Tod." (ebenda, S.11)

Ein lebendiges Buch, lebendiger als viele seiner Lesedramen und weniger um exakte Dokumentation des Belegbaren bemüht als diese. Und deshalb so lesbar. Eine dramatisierte Biographie. 

Hochhuth hat wohl den Titel "Hochhuth, ein rotes Tuch" vorgezogen, damit allen Kritikern eine wahnhafte Wut gegen ein Phantom unterstellend, das sie sich einbilden. Störenfried trifft besser und ist doch nur zu einem Teil als Kritik gemeint. 
"Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!" formulierte Günter Eich 1950.