10 November 2020

Fanny Lewald: Wandlungen 1. Band 16./17. Kapitel: Baron Heidenbruck

 Der Baron, obschon ein aufgeklärter Mann, sah, wie das bei seinen politischen Ueberzeugungen natürlich war, die Familie stets als den Staat im Staate an und hatte es für Pflicht gehalten, in sich, als in dem Oberhaupte derselben, den Seinen ein Urbild strengster Pflichterfüllung aufzustellen. Orthodox in der Politik, aber ein Zögling der Encyklopädisten in Sachen der Religion, hatte er seine Kinder in einer Gleichgültigkeit gegen dieselbe erzogen, welche der Mutter stets schmerzlich gewesen war, ohne daß sie sich erlaubt hätte, den Ansichten ihres Mannes durch die eigene, abweichende Ueberzeugung entgegen zu treten. Ohne den Hinblick auf den Willen Gottes oder auf einen Lohn und eine Strafe in einem jenseitigen Leben, hatte der Vater den Kindern seinen Willen als einzige Autorität in geistigen und leiblichen Dingen hingestellt, und von ihrer ersten Kindheit ab ihnen einzuprägen gestrebt, daß es keine Einwendungen gegen den väterlichen Willen gäbe, daß Gehorsam, unbedingte, schweigende Unterwerfung unter den väterlichen Willen, die höchste Tugend eines Kindes sei.

Lag darin auf der einen Seite eine despotische Härte, so machten die Liebe des Barons für seine Kinder und die makellose Ehrenhaftigkeit seines ganzen Lebens, ihnen den Vater theuer und den Gehorsam gegen ihn in ihrer ersten Jugend leicht. Ein rücksichtsvoller, treuer Gatte, aufopfernd und vorsorglich für seine Kinder, ein gerechter Herr seiner Untergebenen, hülfreich mit Rath und That in weitem Kreise, gemeinsinnig und freundlich gegen den Geringsten, galt er, obschon man seinen Eigenschaften Gerechtigkeit angedeihen ließ, dennoch bei Allen, welche ihn nicht näher kannten, für schroff und stolz, weil jede seiner Handlungen den Stempel der selbstherrlichsten Willkür an sich trug. Dies Gefühl der Selbstherrlichkeit, das sich in seinem Hause geltend machte, gab sich aber auch nach allen anderen Seiten kund. Sich den bureaukratischen Anordnungen der Regierung zu fügen, konnte nur seine Ergebenheit gegen den König ihn vermögen, denn er sah sie meist als Eingriffe in seine Rechte, in seinen freien Willen an, und so kam es, daß er in seinem Verhältnisse als Landforstmeister ein unerbittlich strenger Beamter sein konnte, während er als Gutsbesitzer ein Gegner der Beamtenherrschaft war und sich fast beständig in kleinen Kämpfen gegen die Regierung befand.

(Fanny Lewald: Wandlungen 1. Band 16. Kapitel)


»So lange und so weit Menschen auf der Erde leben, erzeugten sie als die natürlichste Form ihres Zusammenlebens die Herrschaft eines Mannes über die Familie, wie über den Staat, und dies Verhältniß war und blieb überall fördersam, bis die Häupter sich des Vertrauens unwerth machten, das man in sie setzte. Das ist's ja gerade! Könnte eines unserer Kinder mir den Vorwurf machen, daß ich meine oder ihre Ehre, daß ich ihr Bestes nicht gewahrt habe, so würde ich in demselben Augenblicke auf das Recht verzichten, das ich jetzt auf ihr Vertrauen habe. So lange ich es aber noch verdiene, so lange darf und muß ich fordern, daß sie mir gehorchen. [...]

»Aber die Einsicht des Menschen kann sich ja ändern nach der Eidesleistung!« meinte die Baronin.

»Weil sie das kann, so sollte der Mensch nicht Herr werden seines Handelns in einem Alter, in dem er solchen Aenderungen seiner Ansichten noch unterworfen ist. Das ist der Sinn der Vormundschaft, und es ist Thorheit, daß die Gesetze sie für alle Menschen auf dasselbe Lebensalter ausdehnen. Der Unmündige ist unverantwortlich, ich stehe ein für jedes Thun meiner Kinder. Aber jeder Mensch, der Mann vor Allem, den das Gesetz mündig gesprochen hat, der muß sich selbst als reif erklären, indem er sich keine Aenderungen seines Sinnes mehr gestattet, indem er eisern fest hält an seinem Glauben, seiner Ehre, seinem Worte! 

(Fanny Lewald: Wandlungen 1. Band 17. Kapitel)

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