25 Juli 2023

Charles de Coster: Ulenspiegel (Kapitel 38 bis 55 sowie Inhaltsverzeichnis und Schluss)

 

XXXVIII

Ulenspiegel war zu dieser Zeit in 's-Hertogenbosch in Brabant, wo ihn die Stadtherren zu ihrem Narren ernennen wollten, aber er verzichtete auf diese Würde mit den Worten: »Ein pilgernder Pilger kann seine Possen nicht ständig an einem Ort treiben, sondern nur in den Herbergen und auf den Straßen.«

Eben damals kam Philipp, der König von England war, um seine künftigen Erblande Flandern, Brabant, Hainaut, Holland und Zeeland zu besuchen. Er stand damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr, in seinen gräulichen Augen schimmerte trübe Melancholie, wilde Falschheit und grausame Entschlossenheit. Sein Antlitz war kalt, sein Kopf, von fahlen Haaren bedeckt, schwerfällig; sein magerer Körper war, ebenso wie die rauhen Beine, steif und ungelenk. Seine Sprache war langsam und gedehnt, als hätte er Wolle im Mund gehabt.

Zwischen Turnieren, Spielen und Festlichkeiten besuchte er das fröhliche Herzogtum Brabant, die reiche Grafschaft Flandern und seine anderen Besitztümer. Überall schwor er, die Privilegien zu schützen, als er aber in Brüssel beim Evangelium schwor, die Goldene Bulle von Brabant zu achten, krümmte sich seine Hand so stark, daß er sie von dem heiligen Buch wegziehen mußte.

Er begab sich nach Antwerpen, wo man zu seinem Empfang dreiundzwanzig Triumphbogen errichtete. Die Stadt hatte für diese Bogen, für die Kostüme von achtzehnhundertneunundsiebzig Kaufleuten, die alle mit karmesinrotem Sammet bekleidet waren, für die reichen Livreen von vierhundertsechzehn Lakaien und für die seidenen Prunkgewänder von viertausend ganz gleich gekleideten Bürgern zweihundertsiebenundachtzigtausend Gulden bezahlt. Von den Rednern aller Städte der Niederlande wurden zahlreiche Feste gegeben. Da sah man mit ihren Narren und Närrinnen den »Prinzen von Amorien« aus Tournai, der auf einer Sau ritt, die Astarte hieß, den König der Dummen aus Lille, der ein Pferd am Schwanz hielt und hinter ihm her ging, den Prinzen der Unterhaltung aus Valenciennes, der sich damit belustigte, die Fürze seines Esels zu zählen, den Abt des Genusses aus Arras, der aus einer Flasche in der Form eines Breviariums Brüsseler Wein trank – fürwahr, eine fröhliche Lektüre –, den Abt der Wohlversorgten aus Ath, der mit nichts anderem versorgt war als mit einem löchrigen Umhang und Schlapp-Pantoffeln, doch hatte er eine Leberwurst, mit der er gar trefflich für seinen Wanst sorgte, den Propst der Unbedachten, einen jungen Burschen, der auf einer verängstigten Ziege saß und, durch die Menge trottend, wegen des Tieres manch einen Rippenstoß erhielt, den Abt der Silbernen Schüssel aus Quesnoy, der, auf seinem Pferde sitzend, sich gebärdete, als säße er in einer Schüssel, und sprach: »Es gibt kein so großes Tier, daß es das Feuer nicht schmoren könnte.« Und sie spielten allerlei fromme Possen, doch der König blieb traurig und ernst.

Am selben Abend taten sich der Markgraf von Antwerpen, die Bürgermeister, Kapitäne und Dechanten zusammen, um ein Spiel ausfindig zu machen, das den König Philipp zum Lachen bringen könnte. Der Markgraf sagte: »Habet ihr nicht von einem gewissen Pierkin Jacobsen, dem Narren der Stadt 's-Hertogenbosch, sprechen gehört, der wegen seiner Possen wohlberufen ist?« Sie bejahten. »Wohlan«, sagte der Markgraf, »lassen wir ihn herkommen, und er soll uns seine Sprünge machen, da unser Narr ja Blei in den Pantinen hat.« »Lassen wir ihn kommen«, sagten sie.

Als der Bote von Antwerpen nach 's-Hertogenbosch kam, sagte man ihm, daß der Narr Pierkin durch die Gewalt seines Gelächters zerplatzt sei, daß aber ein andrer, durchreisender Narr in der Stadt sei, mit Namen Ulenspiegel. Der Bote fand ihn in einer Kneipe, wo er eben ein Frikassee von Muscheln aß und einem kleinen Mädchen aus den Muschelschalen einen Rock anfertigte.

Ulenspiegel war entzückt, als er erfuhr, daß der Gemeindekurier von Antwerpen seinetwegen auf einem schönen Pferd von Veurne-Ambacht, und ein zweites am Zügel führend, dahergekommen war. Ohne abzusteigen, fragte ihn der Kurier, ob er ein neues Stücklein wisse, um König Philipp zum Lachen zu bringen. »Ich habe eine ganze Schatzkammer voll davon unter meinen Haaren«, antwortete Ulenspiegel. Sie machten sich auf den Weg, und die beiden Pferde liefen mit verbundenen Zügeln und trugen Ulenspiegel und den Kurier nach Antwerpen. Ulenspiegel erschien vor dem Markgrafen, den zwei Bürgermeistern und den Stadtherren. »Was gedenkst du also zu machen?« fragte der Markgraf. »In der Luft zu fliegen«, antwortete Ulenspiegel. »Wie wirst du das bewerkstelligen?« fragte der Markgraf. »Wißt Ihr«, fragte Ulenspiegel wider, »was wertloser ist als eine zerplatzte Blase?« »Ich weiß es nicht«, sagte der Markgraf. »Das ist ein verratenes Geheimnis«, sagte Ulenspiegel.

Indessen bestiegen die Festherolde ihre schönen, mit karmesinrotem Sammet aufgezäumten Pferde und ritten durch alle großen Straßen, über alle Plätze und Kreuzungen der Stadt, bliesen die Hörner und schlugen die Trommeln. Dabei kündigten sie den signorkes und signorkinnes an, daß Ulenspiegel, der Narr von Damme, über dem Kai in der Luft fliegen werde und daß der König Philipp mit seiner hohen, erhabenen und hochedlen Gefolgschaft auf einer Estrade anwesend sein werde.

Der Estrade gegenüber stand ein Haus italienischer Bauart, längs dessen Dach eine Regentraufe lief, vor der sich ein Bodenfenster öffnete. Ulenspiegel ritt an diesem Tage auf seinem Esel durch die Stadt, an seiner Seite lief ein Diener. Ulenspiegel hatte das schöne Kleid von karmesinroter Seide angelegt, das ihm die Stadtherren geschenkt hatten. Seine Kopfbedeckung war eine ebenfalls karmesinrote Kapuze, an der man zwei Eselsohren sah, deren jedes an seiner Spitze eine Schelle trug. Auch trug er ein Halsband von kupfernen Medaillen, in die das Wappen von Antwerpen reliefartig eingetrieben war. An den Ärmeln des Kleides hing jederseits am Ellbogen eine goldene Schelle. Er hatte hohe goldene Schuhe an und an der Spitze jedes Schuhes wieder eine Schelle. Sein Esel hatte eine Schabracke von karmesinroter Seide und trug an jedem Schenkel das Wappen von Antwerpen, in feinem Gold gestickt. Der Diener hielt in einer Hand einen Eselskopf, in der anderen einen Ast, an dessen Ende eine Glocke klingelte, wie weidende Kühe sie haben.

Ulenspiegel ließ seinen Diener und seinen Esel auf der Straße zurück und kroch in die Regentraufe. Dort ließ er seine Schellen klingeln und streckte die Arme weit aus, als wollte er fliegen. Dann verbeugte er sich vor König Philipp und sagte: »Ich meinte, daß es in Antwerpen außer mir keinen Narren gäbe, aber ich sehe, daß die Stadt voll davon ist. Wenn ihr mir gesagt hättet, daß ihr fliegen werdet – ich hätte es nicht geglaubt; aber wenn ein Narr daherkommt und euch sagt, er werde es tun, so glaubt ihr ihm. Wie wollt ihr, daß ich fliege, wenn ich doch keine Flügel habe?«

Die einen lachten, die andern fluchten, aber alle sprachen: »Dieser Narr sagt immerhin die Wahrheit.« Aber König Philipp blieb steif wie ein König von Stein. Und die Stadtherren sagten sehr verstimmt zueinander: »Es war überflüssig, für ein so mürrisches Gesicht so festliche Vorbereitungen zu treffen«, und sie gaben Ulenspiegel drei Gulden, der sich davonmachte, nachdem sie ihn gezwungen hatten, ihnen das Kleid von karmesinroter Seide zurückzugeben.

»Was sind drei Gulden in der Tasche eines jungen Burschen denn andres als eine Schneeflocke vor dem Feuer oder eine volle Flasche, die vor euch steht, ihr breitkehligen Trinker? Drei Gulden! Die Blätter fallen von den Bäumen und erneuern sich wieder, aber die Gulden verlassen die Tasche und kehren nie wieder dahin zurück, die Schmetterlinge fliegen mit dem Sommer fort, und die Gulden desgleichen, obwohl sie zwei Estrelins und neun Unzen wiegen.«Alte Gewichtsmaße, ungefähr 13 Gramm insgesamt. (Anmerkung des Übersetzers.)

So sprechend, sah Ulenspiegel seine drei Gulden genau an. »Welch stolze Miene«, murmelte er, »macht hier auf dem Avers der gepanzerte und behelmte Kaiser Karl, in einer Hand ein Schwert haltend, in der andern den Globus dieser armen Welt! Durch Gottes Gnade ist er römischer Kaiser, König von Spanien und so weiter, und er ist unseren Landen auch sehr gnädig, der gepanzerte Kaiser. Und hier, auf dem Revers, ein Wappen, darauf man die Waffen der Herzöge, Grafen usw. seiner unterschiedlichen Besitztümer nebst diesem schönen Spruch geprägt sieht: ›Da mihi virtutem contra hostes tuos!‹ (Gib mir Kraft gegen deine Feinde.) Er war stark, in der Tat, gegen die Reformierten, die ein Vermögen besaßen, das er einziehen lassen konnte und das er erbte. – Ach! Wenn ich Kaiser Karl wäre, ich ließe für die ganze Welt Gulden machen, und jedermann wäre reich, und niemand müßte arbeiten!«

Aber Ulenspiegel hatte das schöne Geld gut ansehen, es schwand beim Klappern der Krüge und Klingen der Flaschen rasch dahin.

XXXIX

Während Ulenspiegel, in karmesinrote Seide gekleidet, in der Regentraufe gestanden hatte, hatte er Nele nicht erblickt, die in der Menge gewesen war und ihm lachend zugesehen hatte.

Sie hielt sich zu dieser Zeit in Bergerhout bei Antwerpen auf und dachte, als sie hörte, ein Narr solle vor dem König Philipp fliegen, daß der niemand andrer sein könne als ihr Freund Ulenspiegel. Als er nun träumerisch auf der Straße dahinzog, hörte er nicht das Geräusch eiliger Schritte hinter sich, wohl aber fühlte er zwei Hände, die sich flach über seine Augen legten.

Nele ahnend, sagte er: »Bist du es?« »Ja«, sagte sie, »ich laufe hinter dir her, seit du die Stadt verlassen hast. Komm mit mir.« »Aber«, sagte er, »wo ist Katheline?« »Weißt du nicht«, sagte sie, »daß sie ungerechterweise als Hexe gefoltert und dann für drei Jahre aus Damme verbannt worden ist, nachdem man ihr die Füße und die Haare am Kopf verbrannt hat? Ich sage dir das, damit du nicht Furcht vor ihr haben mögest, denn die großen Leiden haben sie irrsinnig gemacht. Oft betrachtet sie stundenlang ihre Füße und sagt: ›Hanske, mein süßer Teufel, schau, was man mit deinem Lieb gemacht hat. Und seine armen Füße gleichen zwei Wunden.‹ Dann weint sie und sagt: ›Die anderen Frauen haben einen Gatten oder einen Geliebten, ich lebe wie eine Witwe auf dieser Welt.‹

Dann sage ich ihr, daß ihr Hanske einen Haß gegen sie haben werde, wenn sie vor andern von ihm spräche als vor mir. Und sie folgt mir wie ein Kind, außer, wenn sie eine Kuh oder einen Ochsen sieht, denn dieser Tiere wegen ist sie gefoltert worden, dann entflieht sie in raschem Lauf, und nichts vermag sie aufzuhalten, weder Balken noch Bäche noch Gräben, bis sie erschöpft in einem Straßenwinkel niederstürzt oder gegen eine Sperrmauer taumelt, wo ich sie aufheben und ihr die Füße verbinden muß, die dann wieder bluten.

Ich glaube, daß man ihr mit der Perücke das Gehirn im Kopf verbrannt hat.«

Und beide waren betrübt, als sie Kathelines gedachten.

Sie näherten sich ihr und sahen sie auf einer Bank an der Mauer des Hauses in der Sonne sitzen. Ulenspiegel sagte zu ihr: »Erkennst du mich?« Sie sagte: »Vier mal drei, das ist die heilige Zahl, und der Dreizehnte ist Thereb. Wer bist du, Kind dieser bösen Welt?« »Ich bin«, antwortete er, »Ulenspiegel, der Sohn von Claes und Soetkin.« Sie hob den Kopf und erkannte ihn. Dann winkte sie mit dem Finger und näherte sich seinem Ohr.

»Wenn du ihn siehst, dessen Küsse wie Schnee sind, sag ihm, er solle wiederkommen, Ulenspiegel.« Dann zeigte sie auf ihr verbranntes Haar und sagte: »Ich habe Schmerzen, man hat mir den Geist genommen, aber wenn er kommt, wird er mir den Kopf wieder füllen, der jetzt ganz leer ist. Hörst du? Sie klingt wie eine Glocke, das ist meine Seele, die ans Tor pocht, um zu entfliehen, denn sie brennt. Wenn Hanske kommt und mir den Kopf nicht füllen will, werd' ich ihm sagen, daß er mit einem Messer ein Loch hineinmachen soll, das ist die Seele, die da immer hämmert, um frei zu werden, und mich grausam martert – ich werde sterben, ja. Und ich schlafe nie mehr und harre immer seiner, aber er muß mir den Kopf wieder füllen, jawohl.«

Und kraftlos stöhnte sie.

Und wenn die Bauern von den Feldern zurückkamen, während sie die Kirchenglocke rief, sagten sie, wenn sie an Katheline vorbeikamen: »Da ist die Irre« und bekreuzigten sich.

Und Nele und Ulenspiegel weinten, und Ulenspiegel mußte seine Wallfahrt fortsetzen.

XL

Kurz darauf trat unser Pilger in den Dienst eines gewissen Josse, der den Beinamen Kwaebakker, Bäcker Griesgram, führte, weil er ein mürrisches Gesicht zeigte. Der Kwaebakker gab ihm als Kost für die Woche drei altbackene Brote und als Wohnung eine Kammer unterm Dach, in die es auf beste Art hineinregnete und -stürmte. Da Ulenspiegel sich so schlecht behandelt sah, spielte er ihm manchen Streich, unter anderen auch den: Wenn man zeitig am Morgen bäckt, muß das Mehl in der Nacht vorher gebeutelt werden. In einer Mondscheinnacht erbat sich Ulenspiegel eine Kerze, um sehen zu können, erhielt aber von seinem Meister folgende Antwort: »Beutle das Mehl im Mondlicht!«

Ulenspiegel gehorchte und beutelte das Mehl dort auf die Erde, wo sie vom Mond beschienen wurde. Als der Kwaebakker am Morgen kam, um nach Ulenspiegels Arbeit zu sehen, fand er ihn noch immer beutelnd und sagte zu ihm: »Kostet denn das Mehl nichts mehr, daß man es heute auf die Erde beutelt?« »Ich habe das Mehl im Mondlicht gebeutelt, wie Ihr mir befohlen habt«, antwortete Ulenspiegel. Da sagte der Bäcker: »Kapitalesel! In ein Sieb hättest du es beuteln müssen.« »Ich habe geglaubt, daß der Mond ein Sieb neuer Erfindung sei«, erwiderte Ulenspiegel, »aber der Verlust wird nicht groß sein, ich will das Mehl zusammenscharren.« »Es ist schon zu spät«, sagte der Kwaebakker, »um den Teig zuzubereiten und zu backen.«

Ulenspiegel fuhr fort: »Herr, der Teig des Nachbarn liegt fertig in der Mühle – soll ich mich seiner bemächtigen?« »Geh zum Galgen«, sagte der Kwaebakker, »und hole, was du dort findest.« »Ich gehe hin, Herr«, antwortete Ulenspiegel. Er lief aufs Galgenfeld und fand dort die vertrocknete Hand eines Diebes, die brachte er dem Kwaebakker und sagte: »Hier ist eine Ruhmeshand, die alle jene unsichtbar macht, die sie tragen. Willst du fürder deinen schlechten Charakter verbergen?« »Ich werde dich bei der Gemeinde anzeigen«, sagte da der Kwaebakker, »und du wirst sehen, daß du dich gegen das Recht des Brotherrn vergangen hast.«

Als sie beide vor dem Bürgermeister standen und der Kwaebakker eben den Rosenkranz der Missetaten Ulenspiegels ableiern wollte, sah er, daß dieser die Augen groß aufgerissen hatte. Darob geriet er dermaßen in Zorn, daß er seine Aussage unterbrach und zu ihm sagte: »Was ist denn los?« Ulenspiegel antwortete: »Du hast mir gesagt, daß du mich solcherart verklagen würdest, daß ich es sehen sollte. Ich suche zu sehen, und darum schau ich.« »Geh mir aus den Augen!« rief der Bäcker. »Wenn ich in deinen Augen wäre, könnte ich, wenn du sie geschlossen hast, nicht anders herausgehen als durch deine Nasenlöcher.«

Der Bürgermeister wollte sie nicht mehr weiter anhören, da er sah, daß an diesem Tag Hans Wursts Jahrmarkt war. Ulenspiegel und der Kwaebakker gingen zusammen fort, und der Kwaebakker erhob seinen Stock gegen ihn, Ulenspiegel wich ihm aus und sagte: »Meister, da man das Mehl mit Schlägen beutelt, so nimm die Kleie für dich, das ist deine Zornmütigkeit, ich bewahr' mir die Blume, das ist meine Fröhlichkeit.« Dann zeigte er ihm sein hinteres Antlitz und fügte hinzu: »Und das hier ist das Backofenrohr, wenn du backen willst.«

XLI

Der pilgernde Ulenspiegel wäre gerne an den langen Straßen zum Dieb geworden, aber er fand, daß die Steine zum Forttragen zu schwer seien.

Er wanderte aufs Geratewohl über die Straße, die nach Audenaerde führt, wo er eine Garnison flämischer Reiter vorfand, deren Aufgabe es war, die Stadt gegen die französischen Banden zu verteidigen, die gleich Heuschrecken das Land verwüsteten. Der Anführer der Reiter war ein gewisser Kornjuin, ein Friese von Geburt. Auch diese Leute ritten ins flache Land und plünderten das Volk, das solcherart wie gewöhnlich von zwei Seiten geschröpft wurde. Sie hießen alles gut: Hühner, Küken, Enten, Tauben, Kälber und Schweine. Als sie eines Tages mit Beute beladen heimkehrten, bemerkte Kornjuin, von seinen Leutnants begleitet, Ulenspiegel, der am Fuß eines Baumes schlief und von Frikassees träumte.

»Wovon lebst du?« fragte Kornjuin. »Ich sterbe Hungers«, antwortete Ulenspiegel. »Was ist dein Beruf?« »Meiner Sünden wegen pilgern, die andern arbeiten sehen, auf dem Seil tanzen, schöne Gesichter porträtieren, Messerschäfte schnitzen, Rommelpott spielen und Trompete blasen.« Wenn Ulenspiegel so kühn von der Trompete sprach, so geschah das deshalb, weil er erfahren hatte, daß die Stelle des Schloßwächters von Audenaerde durch den Tod eines alten Mannes frei geworden war, der dies Amt versehen hatte. Kornjuin sagte: »Du wirst Stadttrompeter.« Ulenspiegel folgte ihm und wurde auf dem höchsten Turm des Walles in eine kleine Behausung gebracht, in die die vier Winde trefflich hineinblasen konnten, den Südwind ausgenommen, der dort flügellahm war. Er wurde beauftragt, in die Trompete zu blasen, wenn er die Feinde kommen sähe, damit er aber immer freien Kopf und klare Augen hatte, gab man ihm nicht zuviel zu essen und zu trinken.

Der Kapitän und seine Soldaten wohnten im Turm und feierten dort den ganzen Tag ihre Feste auf Kosten des Flachlandes. Mehr als ein Kapaun wurde getötet und verzehrt, der nichts anderes verbrochen hatte, als daß er fett war. Ulenspiegel, der immer vergessen wurde und sich mit seiner mageren Suppe bescheiden mußte, war der Duft der Soßen nicht erfreulich.

Die Franzosen kamen und stahlen viel Vieh, aber Ulenspiegel blies die Trompete nicht. Kornjuin stieg zu ihm hinauf und fragte: »Warum hast du nicht geblasen?« Und Ulenspiegel sagte: »Ich weiß Euch keinen Dank für Eure Schmauserei.«

Am nächsten Tage ordnete der Kapitän ein großes Fest für sich und seine Soldaten an, aber Ulenspiegel wurde wieder vergessen. Als sie eben zu fressen begannen, blies Ulenspiegel in die Trompete. Kornjuin und seine Soldaten glaubten, daß die Franzosen kämen, ließen die Weine und Braten im Stich, bestiegen ihre Pferde und verließen hastig die Stadt, aber sie fanden nichts im Felde als einen in der Sonne käuenden Ochsen, den sie wegführten. Indessen hatte Ulenspiegel sich an Wein und Braten gütlich getan. Als der Kapitän zurückkam und ihn lachend mit schwankenden Beinen sich an der Tür des Festsaales aufrecht halten sah, sagte er: »Das heißt Verrätergeschäfte treiben, wenn du Alarm bläst, wo kein Feind zu sehen ist, und nicht bläst, wenn du ihn siehst.« »Herr Kapitän«, antwortete Ulenspiegel, »ich bin in meinem Turm von den vier Winden so aufgebläht worden, daß ich wie eine Blase auf und davon geflogen wäre, wenn ich nicht die Trompete geblasen hätte, um mich zu entlasten. Lasset mich jetzt henken oder ein andermal, wann Ihr für Eure Trommeln einer Eselshaut bedürft.« Kornjuin ging fort, ohne ein Wort zu sagen.

Dieweil traf in Audenaerde die Kunde ein, daß der gnädige Kaiser Karl mit großem Gefolge in die Stadt einziehen werde. Aus diesem Anlaß gaben die Schöffen Ulenspiegel ein paar Brillengläser, damit er Seine heilige Majestät besser kommen sehe. Ulenspiegel sollte drei Trompetenstöße tun, wenn er den Kaiser in Luppeghem einziehen sähe, welches eine Viertelmeile von der Borg-poort entfernt ist. Solchermaßen könnten die Leute in der Stadt zu rechter Zeit die Glocken läuten, die Böller laden, die Braten in den Ofen schieben und die Fässer anschlagen.

Eines Tages – der Wind wehte von Brabant her, und der Himmel war klar – sah Ulenspiegel auf der Straße von Luppeghem einen großen Trupp von Reitern, die auf stolzen Pferden saßen, und auf deren Hüten die Federn im Winde wehten. Einige trugen Banner. Der an der Spitze ritt, trug eine Mütze von goldenem Tuch mit großen Federn. Er war in braunen Sammet gekleidet, der mit gewirkter Seide gesäumt war.

Ulenspiegel nahm seine Brille und sah, daß es Kaiser Karl der Fünfte war, der da kam, um den Leuten von Audenaerde zu erlauben, daß sie ihn mit ihren köstlichsten Weinen und besten Braten bewirteten. Der ganze Trupp bewegte sich langsam vorwärts und sog die Luft ein, die Appetit macht, aber Ulenspiegel überlegte, daß sie fette Kost gewohnt seien und wohl einen Tag fasten könnten, ohne deshalb zu sterben. So sah er sie also kommen und blies nicht in die Trompete.

Sie näherten sich lachend und plaudernd, während Seine heilige Majestät ihren Bauch besah, um festzustellen, ob sie genug Platz für das Festmahl von Audenaerde darin habe. Er schien überrascht und unzufrieden, weil keine Glocke läutete, sein Kommen anzuzeigen.

In diesem Augenblick kam ein Bauer in vollem Laufe in die Stadt und meldete, daß er auf der Straße eine französische Bande reiten gesehen habe, die auf die Stadt zukäme, um alles aufzufressen und zu plündern. Daraufhin schloß der Torwart das Tor und schickte einen Gemeindediener zu den anderen Torwarten der Stadt. Die Reiter aber saßen ahnungslos bei ihrer festlichen Tafel.

Seine Majestät kam immer näher und war erzürnt, die Glocken nicht läuten, die Kanonen nicht donnern und die Arkebusen nicht knattern zu hören. Vergeblich spitzte er die Ohren, sie hörten nichts als das Glockenspiel, das jede halbe Stunde läutete. Er kam ans Tor und fand es geschlossen, da klopfte er mit der Faust, daß man es öffne. Und die Edelleute des Gefolges, erzürnt wie Seine Majestät, murmelten zornige Worte.

Der Torwächter, der auf die Höhe des Walles geklettert war, rief ihnen zu, daß er sie mit der Kartätsche begießen werde, um ihre Ungeduld zu stillen, wenn sie nicht aufhören wollten, solchen Lärm zu machen. Aber Seine Majestät schrie wutentbrannt: »Blindes Schwein, erkennst du deinen Kaiser nicht?« Und der Torwart erwiderte, daß nicht immer die zum wenigsten Schweine seien, die am meisten Gold an den Kleidern trügen, und daß er wohl wisse, wie die Franzosen von Natur aus gute Possenreißer seien, und daß der Kaiser Karl, der gegenwärtig in Italien Krieg führe, sich nicht vor den Toren von Audenaerde befinden könne.

Unten schrie Karl mit seinen Edelleuten weiter, und sie sagten: »Wenn du nicht öffnest, lassen wir dich auf einer Lanzenspitze braten, und zuvor mußt du noch deine Schlüssel fressen.« Auf den Lärm, den sie machten, kam ein alter Soldat aus dem Arsenal heraus, steckte die Nase über die Mauer und sagte: »Torwart, du täuschest dich, das ist unser Kaiser; ich erkenne ihn wohl, obgleich er gealtert ist, seit er Maria van der Gheynst von hier auf das Schloß Lallaing entführt hat.« Der Wächter erstarrte und fiel vor Angst wie tot zu Boden, der Soldat nahm die Schlüssel und ging, das Tor zu öffnen.

Der Kaiser fragte, warum man ihn so lange habe warten lassen. Der Soldat berichtete, und Seine Majestät befahl, das Tor wieder zu schließen, und ließ die Reiter Kornjuins holen, die er vor sich her traben, ihre Trommeln schlagen und auf ihren Pfeifen spielen ließ. Bald erwachten die Glocken, eine nach der andern, um nach Kräften zu läuten. So traf Seine Majestät mit kaiserlichem Getöse auf dem Großen Markt ein.

Die Bürgermeister und Schöffen hielten eben Versammlung, da kam der Schöffe Guigelaer lärmend in den Ratssaal und rief: »Keyser Karel is alhier!« Ob der Neuigkeit, die sie da erfuhren, gewaltig erschrocken, verließen die Bürgermeister, Schöffen und Ratsherren das Stadthaus und eilten allesamt, den Kaiser zu begrüßen, während ihre Diener durch die ganze Stadt liefen, um zu veranlassen, daß die Böller geladen, die Hühner ans Feuer gebracht und die Fässer angeschlagen würden. Männer, Frauen und Kinder kamen von allen Seiten gelaufen und riefen: »Keyser Karel is op't groot marckt!«

Bald war eine große Menschenmenge am Platz versammelt. Der Kaiser fragte die beiden Bürgermeister in hellem Zorn, ob sie nicht verdienten, gehenkt zu werden, weil sie es so an Respekt vor ihrem Herrscher hatten fehlen lassen. Die Bürgermeister antworteten, daß sie das in der Tat verdienten, daß aber Ulenspiegel, der Trompeter vom Turm, das noch viel mehr verdiene, man habe ihn, als laut geworden war, daß Seine Majestät kommen wolle, auf den Turm gesetzt, mit einem Paar trefflicher Bandbrillen versehen und ihm den ausdrücklichen Befehl gegeben, dreimal in die Trompete zu stoßen, wenn er den kaiserlichen Zug kommen sehen würde. Aber er habe es nicht getan.

Der Kaiser wütete fort und verlangte, daß man Ulenspiegel kommen lasse. »Warum hast du«, sagte er, »trotz deiner guten Brillen bei meinem Kommen nicht in die Trompete geblasen?« Während er dies sprach, legte er die Hand über die Augen, weil ihn die Sonne blendete, und sah Ulenspiegel an.

Dieser legte seine Hand ebenfalls über die Augen und antwortete, daß er sich nicht mehr der Brille bedienen wolle, weil er gesehen habe, daß Seine heilige Majestät durch die Finger sähe. Der Kaiser sagte ihm, daß er gehenkt würde, der Torwart der Stadt meinte, daß das wohlgetan wäre, und die Bürgermeister waren über dieses Urteil so erschreckt, daß sie kein Wort erwiderten, weder um zuzustimmen, noch um zu widersprechen.

Man ließ den Henker und seine Häscher rufen. Sie kamen und brachten eine Leiter und einen neuen Strick, den sie Ulenspiegel um den Hals legten, der vor den hundert Reitern Kornjuins einherging, sich ganz ruhig verhielt und seine Gebete sprach. Aber die Reiter höhnten bitter hinter ihm her.

Das Volk, das sich anschloß, sprach: »Es ist eine sehr große Grausamkeit, einen armen jungen Burschen wegen eines so geringen Vergehens in den Tod zu befördern!« Und die Weber hatten sich in großer Zahl bewaffnet eingefunden und sprachen: »Wir lassen es nicht zu, daß Ulenspiegel gehenkt wird, das widerspricht dem Gesetz von Audenaerde.« Als man aufs Galgenfeld kam, wurde Ulenspiegel auf der Leiter in die Höhe gezogen, und der Henker legte ihm den Strick um den Hals. Die Weber umstanden den Galgen. Der Profos war hoch zu Rosse da und stützte den Stab der Gerechtigkeit auf die Schulter seines Pferdes, auf Befehl des Kaisers sollte er mit diesem Stab das Zeichen zur Hinrichtung geben. Das Volk rief einstimmig: »Gnade! Gnade für Ulenspiegel!« Ulenspiegel rief auf seiner Leiter: »Barmherzigkeit! Gnädiger Kaiser!« Der Kaiser hob die Hand und sprach: »Wenn der Tunichtgut etwas von mir verlangt, was ich ihm nicht gewähren kann, so bleibe sein Leben erhalten!« »Sprich, Ulenspiegel«, rief das Volk. Die Frauen weinten und riefen: »Er kann so etwas nicht verlangen, der kleine Mann, denn der Kaiser weiß alles.« Und wieder riefen alle: »Sprich, Ulenspiegel!«

»Heilige Majestät«, begann Ulenspiegel, »ich werde weder Geld noch Land noch mein Leben von Euch verlangen, aber wenn ich das einzige, was ich zu sagen wage, verlangen werde, möget Ihr mich weder peitschen noch rädern lassen, ehe ich ins Land der Seelen eingehe.« »Das verspreche ich dir«, sagte der Kaiser. »Majestät«, sagte Ulenspiegel, »ich verlange, daß Ihr mir, ehe ich gehenkt werde, den Mund küsset, mit dem ich nicht flämisch spreche.« Der Kaiser und das ganze Volk lachten, und er erwiderte: »Ich kann nicht tun, was du verlangst, und man wird dich nicht henken, Ulenspiegel. Aber ich verurteile die Bürgermeister und Schöffen, sechs Monate lang am Hinterkopf Brillen zu tragen, damit die Audenaerder, wenn sie schon nicht von vorne sehen können, doch wenigstens von hinten sehen.«

Diese Brillen finden sich, einem kaiserlichen Dekret zufolge, noch heutigestags im Wappen der Stadt. Und Ulenspiegel drückte sich mit einem kleinen Sack voll Geld, den ihm die Frauen gegeben hatten.

XLII

Ulenspiegel kam nach Lüttich und ging auf dem Fischmarkt hinter einem dicken Jungen her, der ein Netz voll verschiedenartigstem Geflügel unterm Arm hielt und eben dabei war, ein andres mit Stockfischen, Forellen, Aalen und Hechten anzufüllen. Ulenspiegel erkannte in ihm Lamme Goedzak. »Was tust du hier, Lamme?« fragte er. »Du weißt«, antwortete er, »wie gern gesehen die Flandern in diesem lieblichen Landstrich von Lüttich sind, hier lebe ich meiner Liebe. Und du?« »Ich suche einen Herrn, um ihm für Brot zu dienen«, antwortete Ulenspiegel. »Das ist eine sehr trockene Kost«, meinte Lamme, »und es wäre besser, wenn du zwischen Schüssel und Mund einen Rosenkranz von Ammern mit einer Drossel als Kredo abbetetest.« »Bist du reich?« fragte Ulenspiegel. Lamme Goedzak erwiderte: »Ich habe meinen Vater verloren, desgleichen meine Mutter und meine Schwester, die mich so kräftig schlug, ich habe ihr Vermögen geerbt und lebe mit einer einäugigen Dienstmagd, einer Gelehrten im Zubereiten von Frikassees.« »Willst du, daß ich dir deine Fische und Hühner trage?« fragte Ulenspiegel, und Lamme sagte: »Ja.«

Und so schlenderten sie zu zweit vom Markt hinweg. Plötzlich sagte Lamme: »Weißt du, warum du ein Narr bist?« »Nein«, erwiderte Ulenspiegel. »Weil du Fisch und Huhn mit der Hand trägst, statt sie im Magen zu tragen.« »Das sagst du so, Lamme«, antwortete Ulenspiegel, »aber seit ich kein Brot mehr habe, wollen mich die Fettammern nicht mehr ansehen.« »Du wirst sie essen, Ulenspiegel«, sagte Lamme, »und wirst mir dienen, wenn meine Köchin dich mag.«

Während sie so dahingingen, zeigte Lamme dem Ulenspiegel ein schönes liebliches Mädchen, das, in Seide gekleidet, über den Markt trippelte und ihn mit ihren sanften Augen ansah. Ein alter Mann, ihr Vater, ging hinter ihr, mit zwei Netzen beladen, deren eines Fische enthielt und das andere Wildbret. »Diese will ich zu meiner Frau machen«, sagte Lamme, während er auf sie deutete. »Ja«, sagte Ulenspiegel, »ich kenne sie, sie ist eine Flämin aus Zotteghem und wohnt in der Rue Vinave-d'Isle, die Nachbarn sagen, daß ihre Mutter für sie die Straße vor dem Haus säubert und daß ihr Vater ihre Hemden plättet.« Lamme gab aber keine Antwort und sprach ganz selig: »Sie hat mich angesehen!«

Sie kamen beide zu Lammes Haus am Pont-des-Arches und klopften an die Tür, eine einäugige Dienstmagd kam, ihnen zu öffnen. Ulenspiegel sah, daß sie alt, hager, flachbrüstig und mürrisch war. »Sanginne«, sagte Lamme zu ihr, »willst du den als Helfer bei deiner Arbeit?« »Ich will ihn probeweise aufnehmen«, sagte sie. »Nimm ihn auf«, sagte er, »und laß ihn die Köstlichkeiten deiner Küche versuchen.« Die Sanginne stellte also drei Schwarzwürste, eine Kanne Kräuterbier und eine große Schnitte Brot auf den Tisch. Während Ulenspiegel aß, ergötzte sich auch Lamme an einer Wurst. »Weißt du, wo unsere Seele geborgen ist?« fragte er. »Nein, Lamme«, sagte Ulenspiegel. »In unsrem Magen«, erwiderte Lamme, »um ihn ohne Unterlaß zu erweitern und immerwährend die Kraft des Lebens in unserem Körper zu erneuern. Und welches sind die besten Kameraden? Das sind die köstlichen und feinen Speisen und der Wein von der Maas, mit dem wir sie begießen.« »Ja«, sagte Ulenspiegel, »die Würste sind eine angenehme Gesellschaft für einsame Seelen.« »Er will noch mehr, gib ihm, Sanginne«, sagte Lamme.

Diesmal bekam Ulenspiegel von Sanginne Weißwürste vorgesetzt. Während er sie hinunterschlang, geriet Lamme in tiefes Sinnen und sprach: »Wenn ich sterbe, wird mein Bauch mit mir sterben, und nachher, im Fegefeuer, wird man mich fasten und mit meinem schlaffen und hohlen Wanst einhergehen lassen.« »Die Schwarzwürste scheinen mir besser zu sein«, sagte Ulenspiegel. »Du hast sechs Würste gegessen«, meinte die Sanginne, »und bekommst nichts mehr.« »Nun weißt du, daß du hier gut behandelt werden und zu essen bekommen wirst wie ich selbst.« »Diese Rede gefällt mir«, sagte Ulenspiegel und war glücklich, als er sah, daß er zu essen bekam wie Lamme. Die verzehrten Würste verliehen ihm so großen Mut, daß er an diesem Tage alle Kessel, Pfannen und Näpfe wie die Sonne glänzen machte. Er lebte gut in diesem Hause, tat sich gerne in Küche und Keller um und überließ den Dachboden den Katzen.

Eines Tages wollte die Sanginne zwei Hühner braten und sagte Ulenspiegel, er solle den Spieß drehen, während sie auf den Markt gehen und die köstlichen Kräuter zur Zubereitung holen wollte. Als die zwei Hühner gebraten waren, aß Ulenspiegel eines davon. Als die Sanginne zurückkehrte, sagte sie: »Es waren zwei Hühner da, und ich sehe nur noch eines.« »Öffne auch dein zweites Auge, und du wirst sie beide sehen«, antwortete Ulenspiegel. Ganz erzürnt ging sie zu Lamme Goedzak, um ihm zu erzählen, was geschehen war, er kam in die Küche hinab und sprach zu Ulenspiegel: »Warum machst du dich über meine Dienstmagd lustig? Es waren zwei Hühner da.« »In der Tat, Lamme«, sagte Ulenspiegel, »als ich aber hier eintrat, sagtest du zu mir, daß ich trinken und essen würde wie du. Es waren zwei Hühner da: ich habe das eine gegessen, das andre wirst du essen, mein Genuß ist vorbei, der deine steht dir noch bevor – bist du da nicht glücklicher als ich?« »Ja«, sagte Lamme lachend, »tu aber fein das, was dir Sanginne befiehlt, und du wirst nur halb soviel zu tun haben.« »Ich werde darauf achten«, sagte Ulenspiegel.

Und wirklich, jedesmal, wenn die Sanginne ihm befahl, irgend etwas zu tun, tat er nur die Hälfte davon. Wenn sie ihm sagte, er solle zwei Eimer Wasser schöpfen, brachte er nur einen, wenn sie ihm sagte, er solle einen Krug am Faß mit Kräuterbier füllen, goß er unterwegs die Hälfte in seine Kehle und brachte nur den Rest. Endlich war die Sanginne dieses Gehabens müde und sagte zu Lamme, daß sie unverzüglich fortginge, wenn dieser Taugenichts noch länger im Hause bliebe. Lamme kam zu Ulenspiegel herunter und sagte zu ihm: »Du mußt gehen, mein Sohn, obgleich du in diesem Hause ein volles Gesicht bekommen hast. Höre den Hahn krähen, es ist zwei Uhr nachmittags, und da ist das ein Vorzeichen des Regens. Ich wollte dich in der bösen Zeit, die kommen wird, nicht auf die Wanderschaft schicken, aber bedenke, mein Sohn, daß die Sanginne mit ihren Frikassees die Hüterin meines Lebens ist, ich kann, ohne den baldigen Tod zu riskieren, nicht zugeben, daß sie mich verläßt. Geh also, mein Junge, unter Gottes Schutz und nimm zum Labsal auf deiner Wanderung diese drei Gulden und diesen Rosenkranz von Zervelatwürsten.«

Verdutzt machte sich Ulenspiegel auf den Weg und gedachte trauernd Lammes und seiner Köchin.

XLIII

Der November war ins Land gezogen und auch nach Damme, aber der Winter zögerte zu kommen. Weder Schnee noch Regen noch Frost, die Sonne leuchtete vom Morgen bis zum Abend und ward nicht bleicher. Die Kinder wälzten sich im Staub der Straßen und Wege, in der Feierstunde, nach dem Abendessen, traten die Kaufleute, Gastwirte, Goldschmiede, Kärrner und Handwerker auf die Schwelle ihrer Türen, sahen nach dem immer blauen Himmel, nach den Bäumen, die ihre Blätter nicht fallen ließen, nach den Störchen, die auf den Dachfirsten verweilten, und nach den Schwalben, die noch nicht fortgezogen waren. Die Rosen hatten dreimal geblüht und trugen zum viertenmal Knospen, die Nächte waren lind, und die Nachtigallen hatten nicht aufgehört zu singen.

Die Leute von Damme sagten: »Der Winter ist tot! Laßt uns den Winter verbrennen.« Und sie fertigten einen riesenhaften Puppenmann an, gaben ihm ein Bärenmaul, einen langen Bart aus Hobelspänen und eine dichte Perücke aus Flachs. Dann kleideten sie ihn in weiße Gewänder und verbrannten ihn mit großem Pomp.

Claes war trüben Sinnes und segnete weder den ewig blauen Himmel noch die Schwalben, die nicht ziehen wollten. Denn niemand in Damme brannte Kohlen, außer in der Küche, und jeder hatte genug Vorrat, um nicht bei Claes kaufen zu müssen, der all seine Ersparnisse ausgegeben hatte, um seinen Unterhalt zu bezahlen. Wenn er dann, auf der Schwelle seiner Tür stehend, seine Nasenspitze bei irgendeinem schärferen Windstoß erfrischt fühlte, sagte er: »Ah, das ist mein Brot, was mir da zugeweht kommt!« Aber der schärfere Wind hielt nicht an, und der Himmel blieb immer blau, und die Blätter wollten nicht fallen. Und Claes weigerte sich, dem geizigen Grypstniver, dem Meister der Fischhändlergilde, seinen Wintervorrat um den halben Preis zu verkaufen.

Aber bald fehlte es in der Hütte an Brot.

                                                              XLIV

König Philipp aber litt nicht Hunger, sondern aß Kuchen bei seiner Frau, Maria der Häßlichen, aus der königlichen Familie der Tudors. Er empfand keine Liebe für sie, hoffte aber der englischen Nation einen spanischen Monarchen schenken zu können, indem er diese armselige Frau befruchtete. Aber diese Vereinigung eines Steines mit einem Feuerbrand blieb fruchtlos. Immerhin vereinigten sie sich hinreichend, um etliche Hunderte armer Reformierter ertränken und verbrennen zu lassen. Wenn Philipp nicht außerhalb Londons war und auch nicht verkleidet ausging, um sich an einem üblen Orte auszutoben, führte die Stunde des Schlafengehens die beiden Gatten zusammen. Dann lehnte sich die Königin Maria, in Leinen von Tournay und Spitzen von Irland gekleidet, ans Ehebett, während Philipp, steif wie ein Pfahl, vor ihr stand und nach irgendeinem Anzeichen der Mutterschaft an seiner Frau suchte, aber er konnte nichts dergleichen sehen, war zornig, sagte kein Wort und besah seine Fingernägel. Dann sprach dies unfruchtbare Mißgeschöpf zärtliche Worte und bat mit den Augen, die sie lieblich scheinen lassen wollte, den eisigen Philipp um Liebe. Tränen, Schreien, Flehen, nichts sparte sie, um eine laue Liebkosung von dem zu erhalten, der sie nicht liebte. Vergeblich faltete sie die Hände und warf sich ihm zu Füßen, vergeblich lachte und weinte sie zu gleicher Zeit wie eine Irre, um ihn zu rühren, weder Lachen noch Tränen rührten den Stein seines harten Herzens. Umsonst schlang sie ihre dürren Arme um ihn und schmiegte sich an seine flache Brust, das enge Verlies, darin die verkrüppelte Seele des Blutkönigs wohnte. Er rührte sich nicht von der Stelle, gleich einem Grenzstein. Sie bemühte sich, die arme Häßliche, sich liebenswert zu machen, sie nannte ihn mit allen zärtlichen Namen, wie sie nach Liebe dürstende Frauen dem Geliebten ihrer Wahl verleihen, Philipp besah seine Fingernägel. Ab und zu sagte er dann: »Wirst du keine Kinder haben?« Daraufhin fiel Marias Kopf vornüber auf ihre Brust. »Ist es denn meine Schuld«, sagte sie, »daß ich unfruchtbar bin? Hab Erbarmen mit mir, ich lebe ja wie eine Witwe!« »Warum hast du keine Kinder?« fragte Philipp. Und die Königin stürzte auf den Teppich nieder, als hätte der Tod sie hingemäht. Ihre Augen waren voll Tränen, und hätte sie Blut weinen können, sie hätte es getan, die arme Mißratene. So rächte Gott die Opfer, die Englands Boden bedeckten, an ihren Henkern. 

XLV


Im Volke munkelte man, daß Kaiser Karl sich mit der Absicht trage, den Mönchen das freie Erbrecht auf das Vermögen derer zu nehmen, die in ihrem Konvent stürben, was dem Papst höchlich mißfiel. Ulenspiegel, der an den Ufern der Maas weilte, dachte bei sich, daß der Kaiser solcherart immer seinen Vorteil fände, denn wenn die Familie des Verstorbenen auch nicht erbte – er erbte doch. Er ließ sich am Flußufer nieder und warf seine gut geköderte Angel aus. An einem Stück alten Brotes knabbernd, bedauerte er gar sehr, keinen Wein aus der Romagne zu haben, um es besprengen zu können, besann sich aber darauf, daß einem nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen könnten. Indessen warf er Brotkrumen ins Wasser und sagte sich, daß der nicht zu essen verdiene, der sein Mahl nicht mit dem Nächsten teile. Den Bissen witternd, tauchte ein Weißfischchen auf, stieß mit seinen Lippen daran und öffnete seinen unschuldigen Schlund, ohne Zweifel in der Meinung, daß das Brot von selbst hineinfallen werde. Während es so in die Luft guckte, wurde es plötzlich von einem tückischen Hechte verschlungen, der wie ein Pfeil drauf zugeschossen kam. Der Hecht ließ einem Karpfen dasselbe Schicksal zuteil werden, der, ohne Gefahr zu besorgen, Fliegen schnappte. So vollgefressen, hielt er sich unbeweglich im Wasser und achtete des kleinen Fischgesindels nicht, das sich übrigens mit der ganzen Kraft seiner Flossen von ihm entfernte. Während er sich so siegesgewiß ausruhte, kam ein junger Hecht mit gefräßig aufgerissenem Maul auf ihn zugeschossen. Da entspann sich ein wütender Kampf zwischen den beiden, der mit gewaltigen Bissen geführt wurde, und das Wasser rötete sich von dem Blut der zwei Streiter. Der vollgefressene Hecht verteidigte sich nur schlecht gegen den mit dem leeren Magen; dieser zog sich zurück, nahm all seine Gewalt zusammen und schnellte sich dann wie ein Ball auf seinen Gegner, der ihn mit aufgesperrtem Rachen erwartete und nun bis weit über die Hälfte des Kopfes verschlang; als er sich aber von ihm befreien wollte, konnte er es nicht wegen der rückwärts gebogenen Zähne, und so zappelten sie beide gar kläglich. So ineinander verbissen, sahen sie einen kräftigen Angelhaken nicht, der, an einer Seidenschnur hängend, sich vom Grund des Wassers erhob, sich in die Bauchflosse des vollgefressenen Hechtes bohrte, ihn samt seinem Gegner aus dem Wasser zog und rücksichtslos auf den Rasen warf. Als Ulenspiegel ihnen die Köpfe abschlug, sprach er: »Meine lieben Hechte, seid ihr nicht der Papst und der Kaiser, die sich gegenseitig auffressen, und bin ich nicht das Volk, das euch am Tage des Jüngsten Gerichts mit seinem Haken mitten in eurem Raufen abfängt?« XLVI

XLIX

Ein Mann aus Damme, der Claes seine Kohlen nicht bezahlen konnte, gab ihm seinen kostbarsten Gegenstand, eine Armbrust mit zwölf scharfspitzigen Bolzen, die als Geschosse dienten. In den Feierstunden schoß Claes mit der Armbrust, und mehr als ein Hase wurde durch sie erlegt und dann in Frikassee verwandelt, weil er die Kohlköpfe zu sehr geliebt hatte. Wenn Claes dann fest einhieb, sagte Soetkin, indem sie auf die öde Landstraße hinaussah: »Thyl, mein Sohn, spürst du nicht den Duft des Bratens? – Sicher hat er jetzt Hunger!« Und ganz in Gedanken versunken, wollte sie ihm seinen Anteil an diesem Festmahl aufheben.

»Wenn er Hunger hat, so ist das seine Schuld«, sagte Claes, »wenn er wiederkommt, wird er wie wir essen.«

Claes hielt Tauben und liebte nichts so sehr, wie wenn rund um ihn Rotkehlchen, Stieglitze, Sperlinge und andre Sing- und Zwitschervögel sangen und piepten. Auch schoß er mit Vorliebe Bussarde, die königlichen Verspeiser dieses Völkchens. Einmal, als er im Hof Kohle abwog, machte Soetkin ihn auf einen großen Vogel aufmerksam, der in der Luft über dem Taubenschlag schwebte. Claes nahm seine Armbrust zur Hand und sprach: »Mag der Teufel Seine Majestät den Sperber retten!« Er legte die Armbrust an und verfolgte vom Hof aus alle Bewegungen des Vogels, um nicht fehlzuschießen. Im Dämmerlicht, das eben den Tag von der Nacht schied, konnte Claes nichts als einen schwarzen Punkt ausnehmen. Er schoß den Bolzen ab und sah einen Storch in den Hof stürzen.

Claes war tief betrübt, Soetkin entsetzt: »Unseliger, du hast den Vogel Gottes getötet!« rief sie aus. Als sie den Storch anfaßte, sah sie, daß er nur am Flügel verletzt war, ging, Balsam zu holen, und sagte, während sie seine Wunde verband: »Storch, mein Freund, es ist ungeschickt von dir, der du geliebt bist, im Himmel zu schweben wie der Sperber, der gehaßt wird. Auch die Pfeile des Volkes können das falsche Wild treffen. Hast du in deinem armen Flügel Schmerzen, mein Storch, den du so geduldig behandeln läßt, weil du weißt, daß unsere Hände Freundeshände sind?«

Als der Storch geheilt war, gab sie ihm zu fressen, was er wollte; den Vorzug gab er aber den Fischen, die Claes für ihn im Kanal fing. Und immer, wenn der Vogel Gottes ihn kommen sah, sperrte er seinen großen Schnabel auf. Er ging wie ein Hund hinter Claes her, hielt sich aber am liebsten in der Küche auf, wo er sich den Magen am Feuer wärmte und Soetkin mit dem Schnabel auf den Bauch klopfte, als wollte er sagen: »Hast du nichts für mich?«

Es war ein heiterer Anblick, ihn auf seinen langen Beinen durch die Hütte stolzieren zu sehen, diesen würdigen Boten des Glücks.

L

Indessen waren die bösen Tage wiedergekommen. Claes bearbeitete traurig und allein den Acker, denn für zwei war keine Arbeit. Soetkin blieb allein in der Hütte und bereitete Bohnen, ihr tägliches Mahl, auf mannigfachste Art, um den Appetit ihres Mannes rege zu erhalten. Und sie sang und lachte, damit er nicht darunter leide, sie betrübt zu sehen. Der Storch hielt sich stets in ihrer Nähe, stand auf einem Fuß und hatte den Schnabel in die Federn gedrückt.

Eines Tages hielt ein Mann, hoch zu Roß, vor der Hütte, er war ganz schwarz gekleidet, sehr hager und trug ein tieftrauriges Gesicht zur Schau. »Ist jemand zu Hause?« fragte er. »Gott segne Euch, Herr Melancholicus«, antwortete Soetkin, »bin ich denn ein Phantom, daß Ihr mich fragt, ob jemand zu Hause sei, da Ihr mich doch hier seht?«

»Wo ist dein Vater?« fragte der Reiter. »Wenn mein Vater sich Claes nennt«, antwortete Soetkin, »dann ist er dort unten, wo Ihr ihn Getreide säen seht.« Der Reiter ritt an die bezeichnete Stelle, und Soetkin war sehr traurig, denn sie mußte zum sechsten Male zum Bäcker gehen und, ohne zu bezahlen, Brot holen. Als sie mit leeren Händen wiederkam, war sie verblüfft, Claes triumphierend und selbstbewußt auf dem Pferd des schwarzgekleideten Mannes nach Hause kommen zu sehen, während dieser zu Fuß nebenher ging und die Zügel hielt. Claes hatte die Hand stolz auf einen anscheinend wohlgefüllten Ledersack gelegt, der auf seinem Schenkel lag. Als er vom Pferde gestiegen war, umarmte er den Mann, klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und rief, während er den Sack schüttelte: »Es lebe mein Bruder Josse, der gute Eremit! Gott erhalte ihn in Frohsinn, Fett, Heiterkeit und Gesundheit! Das ist Josse vom Segen, Josse vom Überfluß, Josse von den fetten Suppen! Der Storch hat nicht gelogen!« Und er legte den Sack auf den Tisch. Da sagte Soetkin mit klagender Stimme: »Lieber Mann, wir werden heute nicht essen, denn der Bäcker hat sich geweigert, mir Brot zu geben.« »Brot«, sagte Claes, während er den Sack öffnete, so daß ein Bach von Gold über den Tisch floß. »Brot? Hier ist Brot, Butter, Fleisch, Wein, Bier! Da sind Schinken, Markknochen, Reiherpasteten, Fettammern und Poularden, wie bei den hohen Herren! Hier ist Bier in Tonnen und Wein in Fässern! Ein rechter Narr wird der Bäcker sein, der sich weigert, uns Brot zu geben, wir werden bei ihm nichts mehr kaufen!« »Aber Mann!« sagte Soetkin, ganz verblüfft. »Hört also und freut Euch«, sagte Claes, »Katheline ist, anstatt die Zeit ihrer Verbannung in der Grafschaft Antwerpen zuzubringen, von Nele begleitet, zu Fuß bis Meyborg gegangen. Dort erzählte Nele meinem Bruder Josse, daß wir, trotz unserer harten Arbeit, in Not leben. Wie dieser ehrenwerte Botschafter mir gesagt hat«– Claes zeigte bei diesen Worten auf den schwarz gekleideten Reiter –, »hat Josse sich vom heiligen römischen Glauben losgesagt und der Ketzerei Luthers zugewendet.« Der Schwarzgekleidete sprach: »Ketzer sind die, welche die große Dirne verehren, denn der Papst mißbraucht seine Macht zu Geschäften mit den Heiligtümern.« »Ach! Sprecht nicht so laut, Ihr werdet uns ins Feuer bringen!« sagte Soetkin. Claes aber fuhr fort: »Sodann hat Josse diesem ehrenwerten Botschafter gesagt, daß er sich den Truppen Friedrichs von Sachsen anschließen und ihm fünfzig bewaffnete und gut ausgerüstete Männer zuführen wolle und daß er, da er in den Krieg zöge, nicht so vielen Geldes bedürfe, um es, wenn's das Unglück wolle, irgendeinem nichtsnutzigen Landsknecht überlassen zu müssen. Deshalb – hat er gesagt – überbringe diese siebenhundert goldnen Karlsgulden samt meinen Segenswünschen meinem Bruder Claes und sag ihm, daß er gut leben und auf sein Seelenheil bedacht sein solle.«

»Ja, es ist an der Zeit«, sagte der Reiter, »denn Gott richtet die Menschen nach ihren Werken und belohnt sie nach den Verdiensten ihres Lebens.«

»Mein Herr«, sagte Claes, »es wird mir doch nicht verboten sein, mich inzwischen über das glückliche Ereignis zu freuen. Geruht hierzubleiben, dann wollen wir köstlichen Kuttelfleck essen, ein tüchtig Stück Geschmortes und einen lieblichen Schinken, den ich so rundlich und appetitreizend beim Metzger hängen sah, daß es mir die Zähne lang machte.« »Ach!« sagte der Mann, »die Unbedachten ergötzen sich, während das Auge Gottes über ihren Wegen ist.« »Willst du also mit uns essen und trinken, Bote, oder nicht?« fragte Claes. Der Mann antwortete: »Für die Gläubigen wird es erst dann an der Zeit sein, ihre Seelen durch irdische Wonnen zu erlaben, wenn das große Babylon gestürzt sein wird!«

Soetkin und Claes bekreuzigten sich, er aber wollte fortgehen, und Claes sagte zu ihm: »Da es dir also gefällt, so übel bewirtet zu sein, so überbringe meinem Bruder Josse den Friedenskuß und wache über ihn in der Schlacht.« »Ich werde es tun«, sagte der Mann, und er ging fort, während Soetkin Vorbereitungen traf, um dieses günstige Geschick zu feiern. Der Storch bekam an diesem Tage zwei Gründlinge und den Kopf eines Stockfisches zum Souper.

Die Neuigkeit, daß der arme Claes durch die Tat seines Bruders Josse ein reicher Claes geworden sei, verbreitete sich bald in Damme, und der Dechant sagte, daß Katheline ohne Zweifel einen Zauber über Josse geworfen habe, denn Claes habe wohl eine sehr große Summe Geldes von ihm erhalten, habe aber nicht daran gedacht, Unserer Lieben Frau auch nur das einfachste Gewand zu stiften.

Claes und Soetkin waren glücklich, er das Feld bearbeitend oder Kohlen verkaufend, sie, indem sie sich daheim als tüchtige Wirtschafterin erwies. Dennoch war Soetkin immer bekümmert und ließ ihre Augen unentwegt über die Straße schweifen, um nach ihrem Sohn Ulenspiegel zu suchen.

Und alle drei genossen das Glück, das ihnen von Gott kam, und harrten dessen, was ihnen von den Menschen kommen sollte.

LI

Kaiser Karl empfing an diesem Tag einen Brief aus England, in dem sein Sohn schrieb:

»Mein Herr und Vater!

Es mißfällt mir, in diesen Landen zu leben, wo sich die verfluchten Ketzer wie die Flöhe, Raupen und Heuschrecken vermehren. Es wäre gut, sie mit Feuer und Schwert vom Stamm des lebenspendenden Baumes, unserer heiligen Mutter Kirche, zu vertilgen.

Als ob ich durch sie nicht schon genug des Kummers hätte, betrachten mich die Leute noch überdies nicht als König, sondern als den Gemahl ihrer Königin, der ohne sie keine Macht besäße. Sie verhöhnen mich in bösartigen Pamphleten, deren Verfasser sowenig ausfindig zu machen sind wie die Drucker, und sagen darin, daß der Papst mich bezahle, damit ich das Königreich in Unruhe und Verderbnis bringe durch lästerliches Henken und Brennen, und wenn ich ihnen irgendeine Steuer auferlege – denn oft lassen sie mich aus Bosheit ohne Geld –, antworten sie mir in tückischen Spottversen, warum ich nicht vom Satan Geld verlangte, dessen Sachwalter ich ja wäre. Die Herren vom Parlament entschuldigen sich und krümmen die breiten Rücken, aus Furcht, ich könnte sie beißen, aber sie gewähren nichts.

Zu alledem sind die Mauern von London über und über mit Schmähbildern bedeckt, die mich als Vatermörder darstellen, eben bereit, Eure Majestät um des Erbes willen zu erschlagen. Doch wißt Ihr, mein Herr und Vater, daß ich, ungeachtet alles Ehrgeizes und alles angemessenen Stolzes, Eurer Majestät lange Tage ruhmreicher Herrschaft wünsche. Auch verbreiten meine Feinde in der Stadt einen nur allzu geschickt gemachten Kupferstich, auf dem ich zu sehen bin, wie ich mit den Pfoten von Katzen Piano spiele, die im Kasten des Instrumentes eingeschlossen und deren Schwänze durch runde Löcher durchgesteckt sind, wo sie von eisernen Klammern festgehalten werden. Ein Mann – der bin ich – versengt ihnen die Schwänze mit einem glühenden Eisen, so daß sie mit den Pfoten auf die Tasten schlagen und wütend schreien. Ich bin dort so häßlich dargestellt, daß ich mich nicht ansehen kann.

Und sie stellen mich lachend dar! Ihr wißt aber doch, mein Herr und Vater, daß es mich noch bei keiner Gelegenheit nach diesem profanen Vergnügen gelüstet hat. Zweifellos habe ich versucht, mich zu zerstreuen, indem ich diese Katzen miauen machte, aber gelacht habe ich nicht.

In ihrer Rebellensprache machen sie mir ein Verbrechen daraus, indem sie dies Piano eine grausame Erfindung nennen, obgleich die Tiere doch keine Seele haben und es allen Menschen, vornehmlich aber solchen königlichen Geschlechts, wohl verstattet ist, sich bis zum Tod ihrer zu bedienen, um die Langeweile zu verscheuchen. Aber in diesem England gehen die Leute mit den Tieren so albern um, daß sie sie besser behandeln als ihre Dienstleute. Die Pferdeställe und Hundekotter sind hier Paläste, und es gibt Edelleute, die mit ihrem Pferd auf demselben Lager schlafen.

Zu allem Übel ist meine edle Frau und Königin unfruchtbar, in roher Spottlust sagen die Leute, daß das an mir läge und nicht an ihr, die eifersüchtig, gereizt und über die Maßen liebesbedürftig ist.

Mein Herr und Vater, täglich bitte ich Gott, daß er mir gnädig sei und meine Hoffnung auf einen anderen Thron stille, sei es der des Türken, jedoch harre ich dessen, für den mich die Ehre, der Sohn Eurer ruhmreichsten und siegreichsten Majestät zu sein, bestimmt hat.«

Unterzeichnet: Phle.

Der Kaiser antwortete mit folgendem Brief:

»Mein Herr und Sohn!

Eure Feinde sind zahlreich, das bestreite ich nicht, aber bemüht Euch, die Zeit des Wartens auf eine strahlendere Krone ohne Zorn zu verbringen. Ich habe schon zu mehren Malen angekündigt, daß ich mich von den Niederlanden und von meinen anderen Besitztümern zurückzuziehen gedenke, denn ich weiß, daß ich, seit das Alter und das Podagra über mich gekommen sind, Heinrich von Frankreich, dem zweiten seines Namens, nicht mehr den rechten Widerstand entgegensetzen kann, denn Fortuna liebt die jungen Leute.

Bedenket auch, Herr von England, daß Frankreich, unser Feind, sich durch Eure Macht bedroht sieht. Ich habe vor Metz eine schändliche Niederlage erlitten, verlor dabei vierzigtausend Mann und mußte vor dem von Sachsen fliehen. Wenn mir der Allmächtige nicht durch das Walten seiner Güte und seines göttlichen Willens zu meiner früheren Kraft und Macht wieder verhilft, so sehe ich mich bewogen, mein Herr und Sohn, mein Königtum aufzugeben und Euch zu überlassen.

Habt also Geduld und tut in der Zwischenzeit Eure Pflicht gegen die Ketzer, schont weder Männer noch Frauen, weder Mädchen noch Knaben, denn es kam mir, zu meinem großen Schmerz, zu Ohren, daß Madame, die Königin, ihnen zu often Malen Gnade schenken will.

Gezeichnet: Charles.    
Euer wohlgeneigter Vater.«

LII

Ulenspiegel waren von dem langen Marsch die Füße blutig geworden, als er im Bistum Mainz einem Gefährt von Pilgern begegnete, das ihn bis Rom führte.

Als er von dem Karren herunterstieg und die Stadt betrat, gewahrte er ein liebenswürdiges Weib, das auf der Schwelle einer Herbergstür stand und ihn lächelnd ansah. Diese Freundlichkeit schien ihm von guter Vorbedeutung, und er sagte: »Wirtsfrau, willst du einem pilgernden Pilger Obdach gewähren? Ich bin am Ziel und will warten, bis ich für meine Sünden Ablaß erhalten habe.« »Wir geben jedem Obdach, der uns bezahlt.« »Ich habe hundert Dukaten in meinem Ranzen«, antwortete Ulenspiegel, der nicht einen einzigen hatte, »und mit dir will ich den ersten ausgeben, laß uns also eine Flasche alten römischen Weins trinken!« »An diesen heiligen Stätten ist der Wein nicht teuer«, antwortete sie, »tritt ein und trink für einen Soldo.«

Sie tranken so lange Zeit und leerten gemeinsam unter munteren Gesprächen so viele Flaschen, daß die Wirtin genötigt war, ihrem Dienstmädchen zu sagen, sie solle den Gästen an ihrer Statt zu trinken geben, während sie sich mit Ulenspiegel in einen rückwärts gelegenen, marmorgetäfelten Saal zurückzog, in dem es kühl war wie im Winter. Den Kopf auf seine Schulter gestützt, fragte sie ihn, wer er sei, und Ulenspiegel antwortete: »Ich bin Sire von Geeland, Graf von Gavergeeten, Baron von Tuchtendeel und habe in meinem Geburtsort Damme fünfundzwanzig Hektar Mondlicht.« »Was für ein Land ist das?« fragte die Wirtin und trank aus Ulenspiegels Humpen. »Das ist ein Land«, sagte er, »in dem man den Samen der Illusion, der närrischen Hoffnungen und der leeren Versprechungen sät. Du aber bist nicht im Mondlicht geboren, süße Wirtsfrau mit der ambraduftenden Haut und den Augen, die wie Perlen blinken. Es ist die Sonne, die dein Haar vergoldet hat, es ist Venus, die, ohne Eifersucht, deine vollen Schultern gemacht hat, deine schwellenden Brüste, deine runden Arme und deine zarten Hände. Wollen wir diesen Abend gemeinsam speisen?«

»Schöner Pilger aus Flandern«, sagte sie, »warum kamst du hierher?« »Um mit dem Papst zu sprechen«, antwortete Ulenspiegel. »Ach!« sagte sie und rang die Hände: »mit dem Papst sprechen! Ich lebe in diesem Lande und habe es noch niemals tun können.« »Ich werd's tun!« sagte Ulenspiegel. »Aber«, sagte sie, »weißt du, wo du ihn triffst, welches seine Gewohnheiten und seine Lebensformen sind?« »Man sagte mir unterwegs«, antwortete Ulenspiegel, »daß er Julius der Dritte heißt, gierig, frohsinnig und ausschweifend ist und ein guter, schlagfertiger Schwätzer. Überdies sagte man mir, daß er eine ungewöhnliche Freundschaft zu einem kleinen Bettler gefaßt habe, einem schwarzen, dreckigen und verwahrlosten Menschen, der, einen Affen auf der Hand, um Almosen bat und den er bei seiner Thronbesteigung zum Kardinal von Monte gemacht habe, und daß er krank sei, wenn ein Tag vergehe, ohne daß er ihn nicht gesehen habe.«

»Trink«, sagte sie, »und sprich nicht so laut.«

»Auch sagt man«, fuhr Ulenspiegel fort, »daß er wie ein Söldner fluche: ›Al dispetto di Dio, potta di Dio‹, sagte er, als er eines Abends beim Souper einen kalten Pfau nicht vorfand, der hätte aufbewahrt werden sollen, und fuhr fort: ›Ich, Gottes Stellvertreter, kann wohl wegen eines Pfauen fluchen, da mein Herr sich eines Apfels wegen erzürnt hat!‹ Du siehst also, Schätzchen, daß ich den Papst kenne und weiß, wie er ist.« »Ach«, sagte sie, »sprich nicht vor anderen davon! Aber sehen wirst du ihn dennoch nicht.« »Ich werde mit ihm sprechen«, sagte Ulenspiegel. »Wenn dir das gelingt, schenk' ich dir hundert Gulden.« »Dann habe ich sie schon verdient«, sagte Ulenspiegel.

Am nächsten Tage lief er, obgleich er müde Beine hatte, durch die Stadt und erfuhr, daß der Papst an diesem Tage in der Kirche von San Giovanni di Laterano die Messe lesen werde. Ulenspiegel ging in die Kirche und setzte sich so hin, daß ihn der Papst möglichst gut sehen konnte, und jedesmal, wenn der Papst den Kelch oder die Hostie hob, wandte Ulenspiegel dem Altar den Rücken zu.

Neben dem Papst stand der Kardinal mit gebräuntem Gesicht, feist und boshaft, der auf der Schulter einen Affen trug und dem Volk mit deutlichen zuchtlosen Gesten das Sakrament darbot. Er machte den Papst auf Ulenspiegels Tun aufmerksam, der, als die Messe beendet war, vier handfeste Soldaten kommen ließ, wie man sie in diesen kriegerischen Ländern gut kennt, die sich des Pilgers bemächtigen sollten.

»Welches ist dein Glaube?« fragte ihn der Papst. »Hochheiliger Vater«, antwortete Ulenspiegel, »ich habe denselben Glauben wie meine Wirtsfrau.« Der Papst ließ die Frau kommen. »Was glaubst du?« fragte er sie. »Das, was Eure Heiligkeit glaubt«, antwortete sie. »Und ich desgleichen«, fügte Ulenspiegel hinzu. »Du bist Pilger?« fragte der Papst. »Ja«, sagte er, »und ich komme aus Flandern, den Ablaß für meine Sünden zu erbitten.«

Der Papst segnete ihn, und Ulenspiegel ging mit der Wirtin weg, die ihm hundert Gulden bezahlte. So beladen, verließ er Rom, um nach Flandern zurückzukehren. Aber er mußte sieben Dukaten für seinen Ablaß bezahlen, der auf Pergament geschrieben war.

LIII

Zu dieser Zeit kamen zwei Prämonstratenserpatres nach Damme, um Ablässe zu verkaufen. Über ihren Mönchskutten trugen sie schöne spitzenbesetzte Hemden. Bei schönem Wetter hielten sie sich an der Kirchentür auf, bei Regenwetter in der Vorhalle und gaben die Preise bekannt, für die sie zwei-, drei- oder vierhundert Jahre Ablaß gewährten, gegen Zahlung von sechs Hellern, einem Patard, einem halben Pariser Pfund, für sieben oder zwölf Karlsgulden, je nachdem, dem Preis entsprechend, gaben sie halben oder ganzen Ablaß und gaben selbst für die schlimmsten Verbrechen Pardon, sogar für den Wunsch, die Heilige Jungfrau zu vergewaltigen. Dieser Ablaß aber kostete siebzehn Gulden.

Den Kunden, die bezahlt hatten, übergaben sie kleine Stücke Pergaments, auf denen die Zahl der Jahre des Ablasses geschrieben stand, darunter war folgende Inschrift zu lesen: »Wer da nicht gesotten, gebraten oder zerhackt will werden, im Fegefeuer tausend Jahr und immerdar brennen in den Flammen, der kaufe sich die Ablässe, Gnaden und barmherzigen Verzeihungen für ein wenig Geldes, das Gott ihm wiedergeben wird.« Und die Käufer kamen zehn Meilen weit aus der Runde.

Einer der guten Brüder hielt oft Predigten vor dem Volke, er hatte ein blühendes Säufergesicht und trug sein dreimal gefaltetes Kinn und seinen Wanst gar stolz zur Schau.

»Unglückseliger!« sagte er und heftete die Augen nach der Reihe auf jeden seiner Zuhörer, »Unglückseliger! Nun bist du in der Hölle! Grausam brennt dich das Feuer, und man siedet dich in einem Kessel voll Öl, darin man Astartes oeli-koekjes zubereitet, du bist nichts andres als eine Blutwurst in Luzifers Pfanne und ein Hammelbraten in der Gilgeroths, des großen Teufels, denn man schneidet dich sogleich in Stücke. Sieh diesen großen Sünder, der die Ablässe verachtet hat, sieh diese Schüssel gehackten Fleisches: das ist er, er, sein sündiger Leib, verdammt, so zerfetzt zu werden. Und welche Soße! Schwefel, Pech und Teer! Und alle diese armen Sünder werden so gefressen, um ewig zu neuen Schmerzen wiedergeboren zu werden. Das ist der Ort, wo wahrhaftig Weinen ist und Zähneklappern. Hab Mitleid, Gott des Erbarmens!

Ja, da bist du in der Hölle, armer Verdammter, all diese Leiden erduldend. Gibt man einen Groschen für dich, so fühlst du sofort eine Erleichterung an der rechten Hand; gibt man noch einen halben dazu, siehe da, beide Hände sind vom Feuer befreit. Aber der ganze übrige Körper? Einen Gulden, und der Tau der Vergebung fällt auf dich. O köstliches Labsal! Und während zehn Tagen, hundert Tagen, tausend Jahren gibt es keinen Braten, keine oeli-koekjes und kein Hackfleisch mehr. Und wenn es auch dir nicht zugute kommt, Sünder, gibt es in den geheimen Tiefen des Feuers nicht andre arme Seelen, deine Eltern, eine geliebte Gattin, irgendein liebliches Mädchen, mit dem du zu sündigen liebtest?«

Bei diesen Worten versetzte der Mönch dem Bruder, der ihm zur Seite stand und einen Sammelteller hielt, einen Stoß mit dem Ellbogen. Der Bruder schlug auf dies Zeichen die Augen nieder und schwenkte den Teller mit salbungsvoller Gebärde, um Geld zu bekommen. Und der Prediger fuhr fort:

»Hast du nicht einen Sohn, eine Tochter, ein geliebtes Kindlein in diesem schrecklichen Feuer? Sie schreien, weinen und rufen nach dir. Kannst du diesen kläglichen Stimmen taub bleiben? Du kannst es nicht, dein eisiges Herz muß schmelzen, aber das kostet dich einen Karlsgulden. Und siehe, beim Klang dieses Karlsguldens auf dieser Metallplatte – der andere Mönch schüttelte wieder seinen Teller – spalten sich die Flammen, und die arme Seele steigt auf, bis an die Mündung eines Vulkans. Hier ist sie in frischer, freier Luft! Wo sind die Schmerzen des Brandes? Das Meer ist nahe, sie taucht darein, schwimmt auf dem Rücken, auf dem Bauch, über den Wellen und unter ihnen. Höre, wie sie jauchzt vor Freude, sieh, wie sie sich im Wasser tummelt! Die Engel erblicken sie und sind glücklich. Sie harren ihrer, sie aber hat noch nicht genug, als wollte sie zum Fisch werden. Sie weiß nicht, daß dort oben köstliche Bäder, voll von herrlichen Düften, sind, wo große Stücke Kandiszucker umherrollen, weiß und frisch wie Eis. Da erscheint ein Haifisch – sie fürchtet sich nicht vor ihm. Sie steigt auf seinen Rücken, er aber fühlt sie nicht, sie will mit ihm in die Tiefen des Meeres hinab. Dort begrüßt sie die Wasserengel, die aus Korallenschüsseln waterzoey essen und frische Austern aus perlmuttnen Tellern. Wie wird sie so herzlich empfangen, gefeiert, geherzt, und immerdar rufen ihr die Engel aus dem Himmel zu.

Endlich siehst du sie, köstlich erfrischt und glückselig, sich aufschwingen bis in den höchsten Himmel, wo Gott thront in seiner Glorie. Dort findet sie alle ihre irdischen Verwandten und Freunde, außer jenen, welche die Ablässe und unsere heilige Mutter Kirche verachtet haben und im tiefsten Grunde der Hölle brennen. Und so leiden sie weiter, immerdar, bis in die Jahrhunderte der Jahrhunderte, in flammender Ewigkeit. Die andre Seele aber, die bei Gott ist, erlabt sich in köstlichen Bädern und knabbert Kandiszucker.

Kaufet also Ablässe, meine Brüder, ihr bekommt sie für Cruzados, für Goldgulden, für englische Pfunde! Auch kleine Münzen werden nicht zurückgewiesen. Kauft, kauft! Dies ist der heilige Handelsladen, hier gibt's für Arme und Reiche etwas! Aber zum größten Unglück kann man hier keinen Kredit geben, meine Brüder, denn kaufen und nicht bezahlen ist eine Sünde in den Augen des Herrn.«

Der Bruder, der nicht predigte, schwenkte seinen Teller, und die Gulden, Cruzados, Dukaten, Patards, Soldi und Groschen fielen dicht wie Hagelkörner. Claes, der sich reich wußte, zahlte einen Gulden für zehntausend Jahre Ablaß, und die Mönche gaben ihm als Tauschobjekt ein Stück Pergament. Als sie bald nach diesem Fischzug erkannten, daß in Damme keine Kundschaft mehr war, außer den Bettlern, die keine Ablässe kaufen konnten, begaben sie sich selbander nach Heyst.

LIV

In sein Pilgergewand gekleidet und seiner Sünden auf gute Art ledig geworden, verließ Ulenspiegel Rom, marschierte immer geradeswegs weiter und kam nach Bamberg, wo es die besten Gemüse der Welt gibt. Er betrat eine Herberge, in der eine fröhliche Wirtin hauste, die zu ihm sagte: »Junger Meister, willst du für dein Geld essen?« »Ja«, sagte Ulenspiegel, »aber für welchen Betrag ißt man hier?« Die Wirtin antwortete: »Am Tisch der Edelleute ißt man für sechs Gulden, am Tisch der Bürger für vier und am Familientisch für zwei.« »Für mich ums meiste Geld und vom Besten«, antwortete Ulenspiegel und setzte sich an den Tisch der Edelleute.

Als er gut geschmaust und seine Mahlzeit mit Rheinwein begossen hatte, sagte er zur Wirtin: »Gevatterin, ich habe gut gegessen für mein Geld, gebt mir also sechs Gulden.« Die Wirtin sagte: »Machst du dich über mich lustig? Zahl deine Zeche!« »Liebreizende Hausfrau, Ihr habt nicht das Gesicht einer böswilligen Schuldnerin, ich sehe im Gegenteil so große Treue, so viel Biederkeit und Nächstenliebe darin, daß Ihr mir eher achtzehn Gulden zahlen als die sechs verweigern würdet, die Ihr mir schuldet. Die schönen Augen! Sie sind Sonnen, die mich mit ihren Strahlen durchdringen und die Liebestollheit in mir höher sprießen lassen als den Hundszahn an einem überwucherten Zaun.«

Die Wirtin erwiderte: »Ich habe mit deiner Tollheit sowenig zu tun wie mit deinem Hundszahn, zahle und geh!« »Fortgehen und dich nicht mehr sehen?« sagte Ulenspiegel, »lieber hauchte ich sogleich mein Leben aus. Baesine, süße Baesine, ich bin nicht gewohnt, für sechs Gulden zu essen, ich armer kleiner Mann, der über Berge und durch Täler wandert, ich habe mich vollgefressen und werde bald die Zunge aus dem Mund hängen lassen wie ein Hund in der Sonne. Geruhet, mich zu bezahlen, ich habe die sechs Gulden mit der harten Arbeit meiner Kiefer wohl verdient, gebt sie mir, und ich will Euch mit solch gewaltiger Glut der Erkenntlichkeit liebkosen, küssen und umarmen, daß siebenundzwanzig Geliebte zusammengenommen nicht die gleichen Geschäfte besorgen könnten.«

»Du redest ums Geld«, sagte sie. »Willst du, daß ich dich umsonst verzehre?« fragte er. »Nein«, sagte sie, sich gegen ihn verteidigend. »Ach«, sprach er, während er nach ihr haschte, »deine Haut ist wie Milch, dein Lockenkopf wie Goldfasan am Spieß, deine Lippen wie Kirschen! Gibt's eine, die verführerischer ist als du?«

»Du kennst dich gut aus, du wilder Bösewicht«, sagte sie lachend, »du läßt dir noch einfallen, von mir sechs Gulden zu fordern! Sei glücklich, daß ich dir umsonst und ohne etwas zu verlangen zu essen gegeben habe.« »Wenn du wüßtest, wieviel Platz ich da noch habe!« sagte Ulenspiegel. »Marsch! Bevor mein Gatte kommt«, sagte die Wirtin. »Ich werde ein zartfühlender Gläubiger sein«, antwortete Ulenspiegel, »gib mir nur einen Gulden für den künftigen Durst.« »Nimm, böser Junge«, sagte sie und gab ihm einen Gulden. »Erlaubt ihr mir aber wiederzukommen?« fragte Ulenspiegel. »Willst du wohl deiner Wege gehen?« fragte sie. »Meiner Wege gehen, hieße zu dir gehen, Schätzchen«, sagte Ulenspiegel, »das Unglück will aber, daß ich mich von deinen schönen Augen trennen muß. Wenn du geruhtest, mich in deine Obhut zu nehmen, ich äße keinen Tag mehr als für einen Gulden.«

»Ist ein Stock vonnöten?« sagte sie. »Nimm den meinen«, erwiderte Ulenspiegel, und sie lachte, er aber mußte gehen.

LV

Um diese Zeit kam Lamme Goedzak wieder nach Damme, um dort zu bleiben, denn im Gebiet von Lüttich war wegen der Ketzerei kein ruhiges Leben. Seine Frau folgte ihm willig, weil die Herren von Lüttich, geborene Spötter, sich über die Gutmütigkeit ihres Mannes lustig machten.

Lamme ging häufig zu Claes, der, seit er geerbt hatte, die Schenke »Zum Blauen Turm« oft besuchte, wo er für sich und seine Trinkgenossen einen Stammtisch bestimmt hatte. Am benachbarten Tisch fand sich Josse Grypstuiver, der geizige Meister der Fischergilde, ein und trank, auf Sparsamkeit bedacht, seine halbe Kanne; er war ein knauseriger Duckmäuser, der von Bücklingen lebte und dem am Geld mehr gelegen war als an seinem Seelenheil.

Claes hatte das Stück Pergament, auf dem ihm seine zehntausend Jahre Ablaß verschrieben waren, in seine Jagdtasche gesteckt.

Eines Abends war Claes in Gesellschaft Lamme Goedzaks, Jan van Roosebekes und Matthys van Assches im »Blauen Turm«, Josse Grypstuiver war auch anwesend, und Jan Roosebeke sagte zu Claes, der tüchtig drauflostrank: »Es ist eine Sünde, so viel zu trinken!« Claes antwortete: »Man brennt nicht mehr als einen halben Tag für eine Kanne übers Maß. Und ich habe zehntausend Jahre Ablaß in meiner Jagdtasche. Wer will hundert davon haben, um seinen Magen ohne Furcht ersäufen zu können?«

Alle riefen: »Wie teuer verkaufst du sie?« »Für eine Kanne«, antwortete Claes, »aber hundertfünfzig gebe ich für eine muske conyn« – das ist eine Portion Kaninchenbraten. Etliche Trinker zahlten Claes, einer einen Schoppen, ein andrer ein Stück Schinken und so fort, und er schnitt für jeden einen kleinen Streifen vom Pergament ab. Aber es war nicht Claes, der den Preis der Ablässe aß und trank, sondern Lamme Goedzak, der so viel in sich hineinstopfte, daß er sich sichtlich blähte, während Claes, seine Geschäfte abschließend, in der Schenke auf und ab ging.

Grypstuiver wandte ihm seine verärgerte Fratze zu: »Hast du auch für zehn Tage?« fragte er. »Nein«, antwortete Claes, »das ist zu schwer abzuschneiden.« Und alles lachte, Grypstuiver aber schluckte seinen Zorn hinunter.

Dann kehrte Claes in seine Hütte zurück, und Lamme folgte ihm mit einem Gang, als wären seine Beine aus Wolle gewesen.


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Der Schluss des Romans ab 5. Buch Kapitel 7 


VII

In der folgenden Nacht wurde Ulenspiegel beim Morgengrauen von Lamme geweckt, der schrie: »Ulenspiegel! Ulenspiegel! Zu Hilfe! Halt sie zurück, schneide die Stricke durch, schneide die Stricke durch!« Ulenspiegel kam an Deck und fragte: »Warum schreist du? Ich sehe nichts.« »Das dort ist meine Frau«, antwortete Lamme, »in der Schaluppe, die sich um jenes Schiff dreht, das sich uns angeschlossen hat, und von dem das Singen und Geigenspiel herübertönte.«

Nele kam auf das Deck, und Lamme sagte zu ihr: »Schneide die Stricke durch, meine Freundin, siehst du nicht, daß meine Wunde geheilt ist? Ihre süße Hand hat sie verbunden, ihre, ja ihre. Siehst du sie dort in der Schaluppe stehen? Hörst du? Sie singt wieder. Komm, Geliebte, fliehe ihn nicht, deinen armen Lamme, der ohne dich so einsam war auf dieser Welt.« Nele faßte ihn an der Hand und sagte: »Er hat noch Fieber.« »Schneidet die Stricke durch«, sagte Lamme. »Gebt mir eine Schaluppe! Ich lebe, ich bin glücklich, ich bin gesund!«

Ulenspiegel schnitt die Stricke durch, und Lamme sprang in seinen weißleinenen Hosen, ohne Wams, aus dem Bett und machte sich selbst daran, eine Schaluppe hinunterzulassen. Ulenspiegel, Nele und Lamme stiegen mit einem Ruderer hinein und steuerten auf das Schiff zu, das fern im Hafen vor Anker ging. »Sieh das schöne Vlieboot«, sagte Lamme, der dem Ruderer nach Kräften half.

Von dem klaren Morgenhimmel, der unter den Strahlen der aufgehenden Sonne wie ein riesenhafter Kristall erglänzte, hoben sich die eleganten Mäste und der Kiel des Vlieboots ab.

Während Lamme ruderte, sagte Ulenspiegel: »Nun erzähle uns, wie du sie gefunden hast.«

Und Lamme antwortete mit fliegendem Atem: »Ich fühlte mich schon besser und schlief. Plötzlich ein dumpfes Geräusch. Ein hölzerner Gegenstand schlägt an das Schiff. Eine Schaluppe. Matrose kommt auf den Lärm, fragt: ›Wer ist da?‹ Eine süße Stimme, die ihre, mein Freund, ihre liebliche Stimme sagt: ›Ein Freund.‹ Dann eine tiefere Stimme: ›Es lebe der Geuse! Der Kommandant der ›Johanna‹ will mit Lamme Goedzak sprechen.‹ Der Matrose wirft die Leiter aus. Ich sehe im Mondlicht die Gestalt eines Mannes auf Deck kommen: starke Lenden, runde Knie, breites Becken, ich sage mir: das ist ein falscher Mann. Und ich fühle etwas, das wie eine aufblühende Rose meine Wange berührt, es ist ihr Mund, mein Sohn, und während sie mich mit Küssen und Tränen bedeckt – ach! es war, als tropfe balsamischflüssiges Feuer auf meinen Leib –, höre ich sie sagen: ›Ich weiß, daß ich unrecht tue, aber ich liebe dich, mein Mann! Ich breche meinen Eid, den ich Gott geschworen habe, mein Mann, mein armer Mann. Ich bin schon oft hierhergekommen, aber ich wagte nicht, mich dir zu nähern. Endlich hat es mir der Matrose erlaubt, ich verband deine Wunde, und du erkanntest mich nicht, aber ich habe dich gesund gemacht. Zürne nicht, mein Mann. Ich bin dir gefolgt, aber ich habe Furcht, er ist auf diesem Schiff. Laß mich fortgehen, wenn er mich sieht, verflucht er mich, und ich werde im ewigen Feuer brennen.‹

Weinend und doch glücklich, küßte sie mich wieder und ging fort, trotz meines Widerspruchs und meiner Tränen. Ach, du hattest mich ja an Armen und Beinen festgebunden, mein Sohn, aber jetzt . . .«

Bei diesen Worten machte er gewaltige Ruderschläge, und die Schaluppe schoß vorwärts wie ein Pfeil. Als sie sich dem Vlieboot schon um ein Beträchtliches genähert hatten, sagte Lamme:

»Dort steht sie, Violine spielend, auf dem Deck, meine liebliche Frau, mit ihren goldbraunen Haaren, ihren rosigen Wangen, ihren nackten, runden Armen und ihren weißen Händen. Spring über die Wellen, Schaluppe!« Als der Kapitän der »Johanna« das Boot herankommen und Lamme wie einen Teufel rudern sah, ließ er die Leiter auswerfen. Als Lamme nahe genug war, sprang er, auf die Gefahr hin, ins Meer zu fallen, von der Schaluppe auf die Leiter, so daß er die Schaluppe um mehr als drei Faden zurückstieß, er kletterte wie eine Katze auf das Deck hinauf und lief auf seine Frau zu, die ihn, außer sich vor Wonne, küßte und umarmte.

»Lamme, komm nicht, mich zu holen«, sagte sie, »ich liebe dich, aber ich habe Gott geschworen! Ach, teurer Mann!« Nele rief: »Das ist ja Calleken Huybrechts, die schöne Calleken!« »Ich bin es«, sagte sie, »aber der Mittag meiner Schönheit ist vorbei.« Und sie schien bekümmert. »Was hast du getan?« fragte Lamme, »was ist aus dir geworden? Warum hast du mich verlassen?« »Höre«, sagte sie, »aber erzürne dich nicht, ich will es dir sagen: Da ich wußte, daß alle Mönche Männer Gottes sind, habe ich mich einem von ihnen anvertraut. Er hieß Broer Cornelius Adriaensen.«

Als Lamme das hörte, sagte er: »Was! Dieser boshafte Scheinheilige mit dem Maul voll Dreck und Kot, der von nichts andrem sprach als vom Blut der Reformierten, das vergossen werden müßte! Was! Dieser Lobhudler der Inquisition und der Edikte! Der war ein schuftiger Taugenichts!«

Calleken sagte: »Beleidige ihn nicht, den Mann Gottes.«

»Mann Gottes!« sagte Lamme, »ich kenne ihn. Er war ein Mann von Dreck und Niedertracht. O unglückliches Geschick! Meine schöne Calleken ist diesem wollüstigen Mönch in die Hände gefallen. Nähere dich mir nicht, sonst töte ich dich und mich, der ich dich so sehr geliebt habe. Geh, ich will dich nicht mehr sehen, geh, oder ich werfe dich ins Wasser. Mein Messer . . .! Mein armes, betrogenes Herz, das nur dir gehörte! Was tust du hier? Warum hast du mich gepflegt? Du hättest mich sterben lassen sollen!«

Sie umarmte ihn und sagte: »Lamme, lieber Mann, weine nicht, ich bin nicht das, was du glaubst, er hat mich nicht besessen, dieser Mönch.« »Du lügst«, sagte Lamme, der weinte und zugleich mit den Zähnen knirschte. »Ach! Ich war niemals eifersüchtig, aber jetzt bin ich es. Traurige Leidenschaft, Zorn und Liebe, Sehnsucht zu töten und zu umarmen! Geh! – nein, bleibe. Ich war so gut zu ihr! Der Mörder ist stärker in mir – mein Messer! Oh, wie das brennt, verschlingt und nagt! Du lachst mich aus . . .«

Sie umarmte ihn weinend, sanft und unterwürfig.

»Ja«, sagte er, »ich bin dumm in meinem Zorn. Du hast meine Ehre gut gewahrt, diese Ehre, die man, Narr, der man ist, an Weiberröcke hängt! Deshalb also hast du dein süßestes Lächeln aufgesetzt, wenn du mich batest, mit deinen Freundinnen zur Predigt gehen zu dürfen . . .«

»Laß mich sprechen«, sagte die Frau, während sie ihn küßte, »und ich möge im Augenblick sterben, wenn ich dich belüge.«

»Stirb also«, sagte Lamme, »denn du wirst lügen.«

»Höre mich«, sagte sie.

»Sprich oder sprich nicht, mir ist alles gleich.«

»Bruder Adriaensen galt als guter Prediger, und ich ging in die Kirche, um ihn zu hören. Er schätzte den geistlichen Stand mit dem Eheverzicht hoch über alles andere. Seine Beredsamkeit war groß und hinreißend, vielen ehrbaren Frauen, insbesondere einer großen Zahl von Witwen und Mädchen, wurde dadurch der Verstand geblendet. Da der Eheverzicht eine so vollkommene Sache sei, empfahl er uns, daß wir ihn uns angelegen sein lassen sollten, und wir schworen, daß wir uns fortan nicht mehr hingeben wollten . . .«

»Außer ihm, ohne Zweifel«, sagte Lamme weinend.

»Schweig!« sagte sie erzürnt.

»Geh«, sagte er, »du hast mir einen harten Schlag versetzt, ich werde nie wieder genesen.« »Außer, wenn ich immer bei dir wäre«, sagte sie. Sie wollte ihn umarmen und küssen, aber er stieß sie zurück. »Die Witwen schworen ihm, sich nie wieder zu verheiraten«, berichtete sie weiter.

Lamme hörte ihr, in seine eifersüchtigen Gedanken vertieft, zu.

Calleken fuhr verschämt fort: »Er wollte nur schöne Frauen und Mädchen als Büßerinnen, die anderen schickte er zu ihren Pfarrern. Er gründete einen Andachtsorden und ließ uns alle schwören, daß wir keinen anderen Beichtvater nehmen würden als ihn. Ich beschwor es ihm, und meine Gefährtinnen, die besser unterrichtet waren als ich, fragten mich, ob ich mich in der heiligen Lehre und heiligen Buße unterweisen lassen wollte. Ich wollte es. In Brügge, am Kai der Steinschneider, in der Nähe des Klosters der Minoritenbrüder, steht ein Haus, das von einer gewissen Calle de Najage bewohnt wird, die den Mädchen für einen Goldkarolus monatlich Unterricht und Nahrung gab. Bruder Cornelius konnte das Haus Calle de Najages betreten, ohne daß man ihn sein Kloster verlassen sah. Es war in einem kleinen Zimmer dieses Hauses, in dem nur er allein war, wo er mir befahl, ihm all meine Neigungen und fleischlichen Begierden zu erzählen. Zuerst wagte ich es nicht, aber schließlich gab ich weinend nach und sagte ihm alles.«

»Ach!« sagte Lamme schluchzend, »so hat also dieser Schweinemönch deine süße Beichte gehört!«

»Er sagte nur immer – und das ist wahr, lieber Mann – daß es über der irdischen Scham eine himmlische Scham gäbe, durch die wir unsere weltliche Schmach Gott zum Opfer bringen, und daß wir, wenn wir alle unsere geheimen Wünsche unserem Beichtvater bekennten, würdig seien, die heilige Lehre und die heilige Buße zu empfangen. Schließlich verpflichtete er mich, mich nackt vor ihn zu stellen, damit mein Körper, der gesündigt hätte, die allzu leichte Züchtigung für meine Vergehen empfange. Und eines Tages zwang er mich, mich zu entkleiden, und ich wurde ohnmächtig, als ich mein Hemd fallen lassen mußte, er brachte mich mit Salz und einem Riechfläschchen wieder zu Sinnen.

›Es ist gut für dieses Mal, meine Tochter‹, sagte er, ›komme in zwei Tagen wieder und bringe eine Rute mit.‹

Das ging lange so fort, ohne daß ich mich jemals . . . ich schwöre es vor Gott und allen Heiligen . . . glaube mir . . . sieh mich an . . . sieh, ob ich lüge . . . ich blieb rein und treu . . . ich liebte dich.«

»Armer, süßer Leib!« sagte Lamme. »Oh, dieser Schandfleck auf deinem Ehekleid!« »Lamme«, sagte sie, »er sprach im Namen Gottes und der heiligen Mutter-Kirche: mußte ich ihn nicht anhören? Ich liebte dich immer, aber ich hatte der Heiligen Jungfrau mit fürchterlichen Eiden geschworen, mich dir zu verweigern, dennoch war ich schwach, schwach um dich. Erinnerst du dich an den Gasthof in Brügge? Ich war bei Calle de Najage, als du neben Ulenspiegel auf deinem Esel vorbeirittest, ich folgte dir. Ich besaß eine hübsche Summe Geldes, denn ich habe für mich nichts ausgegeben, ich sah, daß du Hunger hattest, mein Herz zog mich zu dir, und ich war von Mitleid und Liebe für dich erfüllt.«

»Wo ist er jetzt?« fragte Lamme.

Calleken antwortete:

»Nach einem Erlaß des Magistrats und infolge Nachforschungen Übelgesinnter mußte Bruder Adriaensen Brügge verlassen und sich nach Antwerpen zurückziehen. Man sagte mir auf dem Schiff, daß ihn mein Mann zum Gefangenen gemacht habe.« »Was!« sagte Lamme, »dieser Mönch, den ich mäste, ist . . .« »Ist er«, antwortete Calleken, während sie ihr Gesicht verbarg.

»Eine Axt! Eine Axt!« schrie Lamme, »daß ich ihn töte! Daß ich sein lüsternes Bocksfett versteigere! Rasch! kehren wir zum Schiff zurück! Die Schaluppe! Wo ist die Schaluppe?« Nele sagte: »Es ist eine garstige Grausamkeit, einen Gefangenen zu töten oder zu verwunden.« »Du siehst mich so böse an«, sagte er, »willst du mich hindern?« »Ja«, sagte sie. »Also gut«, sagte Lamme, »ich werde ihm kein Leid antun. Lasse mich ihn nur aus seinem Käfig herausholen. Die Schaluppe! Wo ist die Schaluppe?«

Sie stiegen ein, und Lamme ruderte und weinte zugleich.

»Bist du traurig, lieber Mann?« fragte Calleken.

»Nein«, sagte er, »ich bin fröhlich. Du wirst mich doch nicht mehr verlassen?«

»Niemals«, erwiderte sie.

»Du bist rein und treu geblieben«, sagte er, »aber, süßes Liebchen, meine Calleken, ich habe die ganze Zeit nur gelebt, um dich wiederzufinden, und nun wird, dank dieses Mönchs, jeder Augenblick unseres Glücks vergiftet sein, vergiftet durch Eifersucht . . . wann immer ich traurig oder niedergeschlagen sein werde, werde ich dich vor mir sehen, wie du deinen schönen Leib dieser infamen Geißelung aussetzt! Der Lenz unserer Liebe war mein, doch der Sommer hat ihm gehört. Der Herbst wird grau sein, und bald wird der Winter kommen, um meine treue Liebe zu begraben.«

»Du weinst?« sagte sie.

»Ja«, sagte er, »was vergangen ist, kehrt nicht wieder.«

Nun sagte Nele:

»Wenn Calleken treu war, so sollte sie dich für diese häßlichen Worte verlassen.«

»Er weiß nicht, wie sehr ich ihn liebe«, sagte Calleken.

»Sprichst du die Wahrheit?« rief Lamme, »komm Schätzchen, komm, liebe Frau! Nun gibt es keinen grauen Herbst mehr und keinen totengräberischen Winter!«

Als sie wieder auf das Schiff kamen, gab Ulenspiegel Lamme die Schlüssel des Käfigs, den er öffnete. Er wollte den Mönch am Ohr aufs Deck ziehen, aber es war unmöglich, er wollte ihn seitwärts herausziehen, aber auch das konnte er nicht. »Man muß den ganzen Käfig zerschlagen«, sagte er, »der Kapaun ist fett.«

Nun kam der Mönch, seine vorstehenden, stumpfsinnigen Augen rollend und seinen Wanst mit beiden Händen haltend, heraus, eine starke Welle, die über das Schiff hinging, ließ ihn auf sein Gesäß stürzen. Und Lamme sagte zu ihm: »Sagst du noch immer ›dicker Mann‹? Du bist dicker als ich. Wer gab dir täglich sieben Mahlzeiten? Ich. Woher kommt es denn, Großmaul, daß du jetzt soviel ruhiger und sanfter den armen Geusen gegenüber bist? Wenn du noch ein Jahr in deinem Käfig bleibst, kannst du nicht mehr heraus. Wenn du dich regst, wabern deine Wangen wie der Speck eines Schweines. Du schreist ja nicht mehr? Bald wirst du auch nicht mehr schnaufen können.«

»Schweig, dicker Mann«, sagte der Mönch.

»Dicker Mann!« sagte Lamme, der nun in Zorn geriet. »Ich bin Lamme Goedzak, du bist der Bruder Dicksack, Fettsack, Lügensack, Stopfsack, hast den Speck vier Finger dick unter der Haut, und deine Augen kann man schon nicht mehr sehen. Ulenspiegel und ich könnten bequem in der Kathedrale deines Wanstes wohnen! Du nennst mich dicker Mann – willst du einen Spiegel, um dein Bauchgewölbe zu betrachten? Ich bin es, der dich ernährt, du Monument von Fleisch und Knochen! Ich habe geschworen, daß du Fett speien und Fett schwitzen wirst, und daß du Fettspuren hinter dir lassen sollst wie eine Kerze, die in der Sonne schmilzt. Man sagt, daß der Schlagfluß beim siebenten Kinn erfolgt, du hast jetzt fünf und ein halbes.«

Dann wandte er sich zu den Geusen und sagte: »Seht diesen Wüstling! Es ist Broer Cornelius Adriaensen Taugenichtsaensen aus Brügge, wo er eine neue Scham predigte. Sein Fett ist seine Strafe und mein Werk. Nun denn, ihr Matrosen und Soldaten: ich werde euch verlassen, ich werde dich verlassen, Ulenspiegel, und auch dich, kleine Nele, um nach Vlissingen zu gehen, wo ich Geld liegen habe, um dort mit meiner armen, wiedergefundenen Frau zu leben. Ihr habt mir einst zugeschworen, alles tun zu wollen, worum ich euch bitten werde . . .«

»Das ist Geusenwort«, sagten sie.

Und Lamme fuhr fort: »Nun, seht euch diesen Wüstling an, diesen Broer Adriaensen Taugenichtsen aus Brügge, ich habe geschworen, ihn wie ein Schwein vor Fett sterben zu lassen. Bauet also einen breiteren Käfig und zwingt ihn, statt sieben Mahlzeiten im Tag zwölf zu sich zu nehmen, gebt ihm fette und stark gezuckerte Nahrung. Er gleicht schon einem Ochsen, er soll aber einem Elefanten gleichen, und ihr werdet ihn seinen Käfig ausfüllen sehen.« »Wir werden ihn mästen«, sagten sie.

»Und nun sage ich auch dir adieu«, sagte er zu dem Mönch, »dir, Taugenichts, den ich mönchisch ernährt statt gehenkt habe. Reife im Fett dem Schlagfluß entgegen.«

Dann umarmte er Calleken und sagte:

»Sieh her, grunz oder brumm soviel du willst, ich entführe sie dir, und du wirst sie nicht mehr peitschen.«

Der Mönch aber geriet in Wut und sagte zu Calleken:

»Geh doch, fleischliches Weib, geh doch in das Bett der Wollust! Ja, du gehst dahin ohne Erbarmen für den armen Märtyrer des Gotteswortes, der dir die heilige, süße, himmlische Lehre zuteil werden ließ. Sei verflucht! Kein Priester gewähre dir Verzeihung, die Erde brenne unter deinen Füßen, der Zucker deiner Faulheit verwandle sich in Salz, das Fleisch des Rindes in das eines Hundes, dein Brot sei Asche, die Sonne sei dir Eis, der Schnee ein höllisch Feuer! Deine Fruchtbarkeit sei verflucht, deine Kinder seien jedermann zum Abscheu, sie sollen Leiber wie Affen haben und Köpfe, größer als ihr Bauch, wie Schweine! Du sollst leiden, weinen, stöhnen in dieser Welt und in der andern, in der Hölle, die dich erwartet, in der Schwefel- und Pechhölle, die angezündet ist für die Weiber deines Schlages! Du hast meine väterliche Liebe verschmäht: sei verflucht dreimal bei der Heiligen Dreieinigkeit, verflucht siebenmal bei den Leuchtern der Bundeslade! Die Beichte werde dir zum Fluch, die Hostie sei dir ein tödliches Gift, und jede Fliese in der Kirche erhebe sich, um dich zu zerschmettern und dir zuzurufen: ›Diese ist eine Hure, diese ist verflucht, diese ist verdammt‹!«

Lamme hüpfte vor Freude und sagte:

»Sie war treu, er hat es gesagt, der Mönch! Heil Calleken!«

Sie aber sagte weinend und bebend:

»Befrei mich von diesem Fluch, mein Mann, befrei mich! Ich sehe die Hölle! Befrei mich!«

»Nimm den Fluch von ihr«, sagte Lamme.

»Ich nehme ihn nicht von ihr, dicker Mann«, gab der Mönch zurück.

Die Frau war bleich und entsetzt und bat den Bruder Adriaensen auf den Knien und mit gefalteten Händen, den Fluch von ihr zu nehmen.

Und Lamme sagte zu dem Mönch:

»Nimm den Fluch von mir, oder du wirst gehenkt, und wenn der Strick reißt, wirst du so oft gehenkt und wiedergehenkt, bis du tot bist.«

»Gehenkt und wiedergehenkt«, sagten die Geusen.

»Es sei denn«, sagte der Mönch zu Calleken, »geh, Hure, geh mit diesem Dicken, ich nehme den Fluch von dir, aber Gott und alle Heiligen werden dein Treiben sehn. Geh mit diesem dicken Mann, geh!«

Nun schwieg er schwitzend und schnaufend.

Plötzlich rief Lamme:

»Er schwillt an, er schwillt an! Ich sehe das sechste Kinn, beim siebenten kommt der Schlagfluß!«

Dann wandte er sich den Geusen zu und sagte:

»Und nun empfehle ich euch Gott, dich Ulenspiegel, euch alle, meine lieben Freunde, dich Nele, und mit euch die heilige Sache der Freiheit: ich kann nichts mehr für sie tun!«

Dann umarmte und küßte er alle und sagte zu Calleken: »Komm, nun hat die Stunde unserer rechten Liebe geschlagen.«

Während der Kahn über das Wasser glitt, schwenkten alle Soldaten und Matrosen bis zum letzten Schiffsjungen ihre Mützen, und sie riefen: »Leb wohl, Lamme, leb wohl, Bruder, leb wohl, Bruder und Freund!«

Und Nele sagte zu Ulenspiegel, während sie ihm mit ihrem zarten Finger eine Träne fortwischte: »Bist du traurig, Geliebter?«

»Er war gut«, sagte Ulenspiegel.

»Ach, dieser Krieg wird nie ein Ende nehmen. Sollen wir denn gezwungen sein, immer in Blut und Tränen zu leben?«

»Laß uns die Sieben suchen«, antwortete Ulenspiegel, »die Stunde der Befreiung naht!«

Wie sie versprochen hatten, mästeten die Geusen den Mönch in seinem Käfig, und als man ihn, nach Zahlung des Lösegeldes, in Freiheit setzte, wog er dreihundertsiebzehn Pfund und fünf Unzen flandrischen Gewichts. Und er starb als Prior seines Klosters.

VIII

Um diese Zeit versammelten sich die Herren der Generalstaaten in Heyst, um über Philipp, den König von Spanien, Grafen von Flandern, Holland usw., zu Gericht zu sitzen, gemäß den Freiheiten und Privilegien, die von ihm gutgeheißen waren.

Der Gerichtsbeisitzer sprach also: »Es ist jedermann offenkundig, daß ein Fürst von Gott über sein Land gesetzt ist, auf daß er als Oberhaupt und Führer seiner Untertanen sie gegen alle Schmähungen, Unterdrückungen und Gewalttätigkeiten verteidige und sie davor beschütze, ebenso, wie ein Schäfer verpflichtet ist, seine Schafe zu schützen und zu behüten. Es ist ebenfalls offenkundig, daß die Untertanen nicht dazu von Gott geschaffen sind, sich vom Fürsten ausnützen zu lassen und ihm in allem, was er befiehlt, zu gehorchen, sei es fromm oder unfromm, recht oder unrecht, und ihm als Sklaven zu dienen.

Sondern der Fürst ist nur durch seine Untertanen, ohne die er nicht sein kann, Fürst, damit er nach Recht und Vernunft über sie herrsche, er soll sie zusammenhalten und lieben wie ein Vater seine Kinder, wie ein Hirt seine Schafe, der sein Leben einsetzt, um sie zu verteidigen, tut er es nicht, so hält man ihn nicht für einen Fürsten, sondern für einen Tyrannen.

König Philipp sandte durch militärische Befehle und durch Bullen, in denen er Strafexpeditionen und Exkommunikationen befahl, vier fremdländische Armeen gegen uns aus. Was soll, nach Gesetz und Brauch des Landes, seine Strafe sein?«

»Er werde abgesetzt!« antworteten die Herren der Generalstaaten.

»Philipp hat seine Eide gebrochen, er hat die Dienste vergessen, die wir ihm leisteten, und die Siege, die zu erringen wir ihm halfen. Als er sah, daß wir reich waren, ließ er uns durch den Rat von Spanien plündern und erpressen.«

»Er werde als Undankbarer und als Dieb abgesetzt«, erwiderten die Herren von den Generalstaaten.

Der Beisitzer fuhr fort: »Philipp setzte in den mächtigsten Städten des Landes neue Bischöfe ein und beschenkte sie mit den fettesten Abteien, mit Hilfe dieser Bischöfe führte er die spanische Inquisition ein.«

»Er sei als Henker und als Verschwender des Vermögens anderer abgesetzt«, erwiderten die Herren der Generalstaaten.

»Angesichts dieser Tyrannei haben die Edelleute des Landes im Jahre 1566 eine Bittschrift verfaßt, in der sie den Souverän baten, seine strengen Edikte zu mildern, insbesondere aber diejenigen, die auf die Inquisition Bezug hatten. Er lehnte es ab.«

»In seiner starrsinnigen Grausamkeit werde er als Tiger abgesetzt«, sagten die Herren der Generalstaaten.

Der Beisitzer fuhr fort: »Philipp ist stark verdächtig, die Bilderstürmerei und die Beraubung des Kirchensäckels durch seine Leute vom spanischen Rat insgeheim angestiftet zu haben, um unter dem Vorwand, diese Verbrechen und Erhebungen bestrafen zu müssen, die fremden Heere gegen uns ziehen zu lassen.«

»Er sei als Handlanger des Todes abgesetzt«, sagten die Herren der Generalstaaten.

»In Antwerpen ließ Philipp die Einwohner niedermetzeln und richtete die flämischen und fremden Kaufleute zugrunde. Er und sein spanischer Rat haben einem gewissen Rhoda, einem berüchtigten Taugenichts, durch geheime Vollmachten das Recht, sich als Oberhaupt der Plünderer zu erklären, die Beute einzuheimsen, sich seines, König Philipps, Namen zu bedienen, mit seinem Siegel zu zeichnen und gegenzuzeichnen und sich als seinen Gouverneur und Statthalter auszugeben. Die vom König unterzeichneten Briefe, die in unseren Händen sind, beweisen diese Tatsache. Alles ist mit seiner Zustimmung und im Einvernehmen mit dem Rat von Spanien vor sich gegangen. Leset seine Briefe, in denen er das Werk von Antwerpen lobt, und darin er anerkennt, daß ihm ausgezeichnete Dienste geleistet wurden, wo er ferner Belohnung verspricht und Rhoda und die anderen Spanier dazu verhält, auf diesem ruhmreichen Weg weiterzuwandeln.«

»Er werde als Dieb, Plünderer und Mörder abgesetzt«, sagten die Herren der Generalstaaten.

»Wir wollen nichts andres als die Aufrechterhaltung unserer Privilegien, einen rechtmäßigen und gesicherten Frieden, eine gemäßigte Freiheit, insbesondere, was die Religion und die Gewissensfreiheit betrifft. Wir hatten von Philipp nichts als lügnerische Verträge, die dazu dienten, die Provinzen zu entzweien, sie der Reihe nach zu unterwerfen und sie mit Plünderungen, Konfiskationen, Hinrichtungen und Inquisitionen wie die beiden Indien zu behandeln.«

»Er werde als vorbedachter Meuchelmörder des Landes abgesetzt«, sagten die Herren der Generalstaaten.

»Durch den Herzog von Alba und seine Häscher, durch Medina-Coeli und Requesens, die Verräter des Staates und der Provinzen, ließ er das Blut des Landes vergießen; er empfahl – wie man in den von ihm unterzeichneten Briefen liest – dem Don Juan und Alessandro Farnese, dem Prinzen von Parma, rücksichtslose und blutige Strenge, er verbannte den Herrn von Oranien aus dem Reich und bezahlte drei Meuchelmörder, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann er den vierten bezahlen wird, er ließ Burgen und Festungen bei uns errichten, ließ Männer lebendig verbrennen, Frauen und Mädchen lebendig begraben und erbte ihre Güter, Montigny, de Berghes und andre Edle ließ er, unter Bruch seines königlichen Wortes, erwürgen. Er tötete seinen Sohn Carlos und vergiftete den Prinzen von Ascoly, den er mit Eufrasia, der von ihm Geschwängerten, vermählte, um den kommenden Bastard mit des Prinzen Gütern reich zu machen. Er schleuderte ein Edikt gegen uns, das uns alle als Verräter erklärte, die Leib und Gut verloren hätten, und beging so das in einem christlichen Lande unerhörte Verbrechen, die Unschuldigen mit den Schuldigen sühnen zu lassen.«

»Nach Gesetz und Recht und Privilegien werde er abgesetzt«, sagten die Herren der Generalstaaten.

Und die Siegel des Königs wurden zerbrochen.

Und die Sonne leuchtete über Erde und Meer, vergoldete die reifen Ähren, reifte die Trauben und ließ auf jeder Welle Perlen erglänzen als Schmuck für die Freiheit, die Braut der Niederlande.

Der Prinz von Oranien, der in Delft weilte, wurde von einem vierten Meuchelmörder in die Brust geschossen und starb, treu seiner Losung: »Ruhig inmitten der grausamen Wogen.«

Seine Feinde sagten, daß er, um König Philipp einen Streich zu spielen, und da er nicht hoffen konnte, über die katholischen südlichen Niederlande zu herrschen, diese dem gnädigen Herrn, Seiner Großen Hoheit von Anjou, durch einen geheimen Vertrag angeboten habe. Der aber war nicht dazu geschaffen, mit der Freiheit das Kind Belgien zu zeugen, denn sie liebt die absonderliche Liebe nicht.

Und Ulenspiegel verließ mit Nele die Flotte.

Und das belgische Vaterland, von den Verrätern geknebelt, stöhnte unter dem Joch.

IX

Es war im Monat der Kornreife, die Luft war schwer, ein warmer Wind wehte. Mäher und Mäherinnen konnten ungestört unter freiem Himmel, auf freiem Boden das Getreide ernten, das sie selbst gesät hatten.

Friesland, Dreuthe, Overyssel, Geldern, Utrecht, Nordbrabant, Nord- und Südholland, Walcheren, Nord- und Südbeveland, Duiveland und Schouwen, die zusammen Zeeland bilden, die ganze Küste der Nordsee von Knokke bis Helder, die Inseln Texel, Vlieland, Ameland und Schiermonnikoog von der Schelde westlich bis zur Ost-Ems hatten sich vom spanischen Joch befreit. Moritz, der Sohn des Schweigers, führte den Krieg weiter.

Ulenspiegel und Nele, die jung, stark und schön waren – denn Flanderns Liebe und Flanderns Geist altern nicht – lebten zusammen auf dem Turm von Neere und harrten der Zeit, da der Sturm der Freiheit nach langen, grausamen Prüfungen über das belgische Vaterland hinbrausen würde.

Ulenspiegel hatte gebeten, zum Kommandanten und Wächter des Turms ernannt zu werden, er hätte die Augen eines Adlers und die Ohren eines Hasen, er könnte also wohl Ausschau halten, ob der Spanier nicht etwa wage, sich wieder in den befreiten Landen zu zeigen. Käme er aber, dann wollte er die Glocken schon Wacharm läuten lassen, das heißt in der flämischen Sprache Alarm.

Der Magistrat erfüllte seinen Wunsch, und da er so gute Dienste geleistet hatte, gab man ihm täglich einen Gulden und wöchentlich zwei Pinten Bier, Bohnen, Käse, Zwieback und drei Pfund Rindfleisch.

So lebten Ulenspiegel und Nele Seite an Seite, sahen freudig in der Ferne die freien Inseln Zeelands, Wiesen, Wälder, Schlösser, Festungen und die wehrhaften Schiffe der Geusen, die die Küsten bewachten.

Nachts stiegen sie oft auf die Spitze des Turmes hinauf, ließen sich dort auf der Plattform nieder und plauderten von rauhen Schlachten und von ihrer zärtlichen Liebe, von Vergangenem und Künftigem. Sie sahen über das Meer hin, das die Küste mit leuchtenden Wogen bespülte und feurige Phantome gegen die Inseln zu schleudern schien. Und als Nele die Irrlichter in den Poldern sah, erschrak sie, sie sagte, das seien die Seelen der armen Toten. Denn all diese Orte waren Schlachtfelder gewesen.

Die Irrlichter schwangen sich über den Poldern hin, huschten die Dämme entlang, kehrten aber dann wieder zu den Poldern zurück, als wollten sie die Leichen nicht verlassen, aus denen sie gekommen waren.

Eines Nachts sagte Nele zu Ulenspiegel:

»Siehst du, wie zahlreich die Irrlichter in Duiveland sind, und wie hoch sie fliegen? Das ist dort bei den Inseln der Vögel, die ich fast alle sehen kann. Willst du dort hingehen, Thyl? Wir wollen den Balsam mitnehmen, der den sterblichen Augen die unsichtbaren Dinge zeigt.«

Ulenspiegel antwortete:

»Wenn das dieser Balsam ist, der mich zu dem großen Sabbat gehen ließ, so habe ich nicht mehr Vertrauen dazu als zu einem Traum.«

»Man muß die Macht des Zaubers nicht leugnen«, sagte Nele. »Komm, Ulenspiegel.«

»Ich komme.«

Am nächsten Tag bat er den Magistrat um einen treuen Soldaten mit guten Augen, der ihn auf dem Turm vertreten sollte.

Dann machte er sich mit Nele auf und ging in der Richtung der Vögel fort.

Als sie über Felder und Deiche wanderten, sahen sie kleine grüne Inseln im Meer, auf deren Rasenhügeln große Mengen von Kiebitzen, Möwen und Seeschwalben regungslos saßen und die kleinen Inseln ganz weiß erscheinen ließen, und tausende dieser Vögel flogen über ihren Köpfen. Der Boden war mit Nestern bedeckt. Als Ulenspiegel sich bückte, um ein Ei aufzuheben, kam eine Möwe mit lautem Schrei auf ihn zugeflogen. Auf diesen Ruf kamen über hundert andere Möwen, schreiend vor Angst, und schwebten über Ulenspiegels Haupt und über den Nestern, aber sie wagten nicht, sich ihm zu nähern.

»Ulenspiegel«, sagte Nele, »diese Vögel bitten um Gnade für ihre Eier.«

Dann begann sie zu zittern und sagte: »Ich habe Furcht! Die Sonne sinkt, der Himmel ist weiß, und die Sterne blinken auf . . . das ist die Geisterstunde. Sieh diese roten Nebel, die über der Erde wogen. Thyl, mein Geliebter, was ist das für ein Mißgeschöpf der Hölle, das seinen feurigen Rachen dort in der Wolke so aufreißt? Sieh doch die tanzenden Irrlichter, dort in der Richtung nach Philippsland, wo der königliche Henker zweimal so viele arme Menschen töten ließ, um seinem grausamen Ehrgeiz zu genügen: dies ist die Nacht, in der die Seelen der armen Menschen, die in der Schlacht getötet wurden, den kalten Saum des Fegefeuers verlassen, um sich in der lauen Luft der Erde zu erwärmen. Dies ist die Stunde, in der du Christus, den Gott der guten Zauberer, um alles anflehen kannst.«

»Die Asche schlägt an meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel, »wenn Christus mir diese Sieben zeigen könnte, deren in den Wind gestreute Asche Flandern und die ganze Welt glücklich machen soll!« »Ungläubiger!« sagte Nele, »du wirst sie durch den Balsam sehen.«

»Vielleicht«, sagte Ulenspiegel und zeigte mit dem Finger auf den Sirius, »daß von dem kalten Stern ein Geist herabstiege.«

Kaum hatte er diese Bewegung gemacht, als ein Irrlicht ihn umtanzte und sich an seinem Finger festsetzte. Je mehr er versuchte, sich davon zu befreien, desto fester haftete es.

Nele, die versuchte, Ulenspiegel zu helfen, hatte sogleich auch ein Irrlicht auf der Fingerspitze.

Ulenspiegel schlug auf das seine und sagte:

»Antworte! Bist du die Seele eines Geusen oder eines Spaniers? Wenn du die Seele eines Geusen bist, so geh ins Paradies. Wenn du aber die Seele eines Spaniers bist, dann kehre in die Hölle zurück, aus der du kommst.«

Nele sagte zu ihm:

»Beleidige die Seelen nicht, wenn sie auch Henkerseelen waren.«

Dann sagte sie, während sie ihr Irrlicht auf der Fingerspitze tanzen ließ:

»Irrlicht, liebes Irrlicht, was bringst du Neues aus dem Lande der Seelen? Womit sind die Seelen dort unten beschäftigt? Essen und trinken sie, obgleich sie keinen Mund haben? Denn du hast keinen, liebes Irrlicht. Oder nehmen sie die menschliche Gestalt erst im gebenedeiten Paradies an?«

Ulenspiegel sagte:

»Wie kannst du soviel Zeit damit verlieren, zu diesem kümmerlichen Flämmchen zu sprechen, das keine Ohren hat, dich zu hören, und keinen Mund, dir zu antworten?«

Doch ohne auf ihn zu hören, sagte Nele:

»Irrlicht, antworte durch dein Tanzen, denn ich werde dich dreimal befragen: einmal im Namen Gottes, einmal im Namen der Heiligen Jungfrau und einmal im Namen der Elementargeister, die die Boten zwischen Gott und den Menschen sind.«

Sie tat so, und das Irrlicht tanzte dreimal.

Nun sagte Nele zu Ulenspiegel:

»Lege deine Kleider ab, ich werde das gleiche tun, hier, in dieser silbernen Büchse ist der Balsam der Vision.«

»Das gilt mir alles nichts«, sagte Ulenspiegel.

Als sie sich entkleidet und mit dem Balsam gesalbt hatten, legten sie sich, nackt wie sie waren, nebeneinander ins Gras.

Die Möwen klagten, und aus den Wolken hallte dumpfer Donner und leuchteten die Blitze; hier und da zeigte der Mond seine goldene Sichel zwischen den Wolken. Die Irrlichter Ulenspiegels und Neles lösten sich von ihren Fingern und tanzten mit den anderen auf die Wiese hinaus.

Plötzlich wurden Nele und ihr Freund von der großen Hand eines Riesen gepackt und wie Kinderbälle in die Luft geschleudert, er fing sie auf, rollte sie am Boden hin, knetete sie in den Händen, warf sie in die Wasserlachen zwischen den Hügeln und zog sie, mit Tang bedeckt, wieder heraus. Dann schleuderte er sie durch den Raum und sang dabei mit einer Stimme, die alle Möwen der Inseln erschrocken aufwachen ließ:

»Mit schielenden Augen, dies ekle Geschmeiß,
Will es vorlaut erfahren
Die göttliche Weisheit, die wir auf Geheiß
In Treue bewahren.

Lies, Floh du und Laus du, das Wunder, das hangt
Im Raum, im Himmel, auf Erden,
Das heilige Wort, vor dem euch nicht bangt,
An sieben flammenden Nägeln.«

Und in der Tat, Ulenspiegel und Nele sahen auf dem Rasen, in der Luft und im Himmel sieben Tafeln von leuchtendem Erz, die durch sieben flammensprühende Nägel befestigt waren.

Und auf den Tafeln stand geschrieben:

»Im Dung, da keimen die Samen.
Sieben ist gut, aber Sieben ist schlecht.
Aus Kohlen die Diamanten kamen.
Von dummen Gelehrten gibt's kluges Studentenblut.
Sieben ist schlecht, aber Sieben ist gut.«

Der Riese schritt dahin, und alle Irrlichter folgten ihm und sangen wie Zikaden:

»Seht, er ist euer großer Meister,
Über Papst und König thront er stolz.
Den Cäsar selbst schickt er zum Teufel.
Seht ihn an, er ist von Holz.«

Plötzlich veränderten sich seine Züge, er schien magerer, trauriger und größer. In der Hand hielt er ein Zepter und in der anderen ein Schwert. Und er trug den Namen Hochmut. Er schleuderte Nele und Ulenspiegel zu Boden und sagte: »Ich bin Gott.«

Dann erschien neben ihm, auf einer Ziege reitend, ein Mädchen mit rotem Gesicht, ihr Kleid war offen, ihre Brüste nackt und ihre Augen blinkend. Sie trug den Namen Unzucht. Dann kam eine alte Jüdin, die die Schalen der Möweneier auflas, die den Namen Geiz trug. Es folgte ein Mönch, der gierig Würste verschlang und ohne Unterlaß seine Kiefer mahlen ließ wie die Sau, auf der er ritt, das war die Schlemmerei. Sodann erschien, ein Bein nachschleifend, bleich und schlaff, mit erloschenen Augen, die Faulheit, die der Zorn mit einem Stachel vor sich her trieb, die gepeinigte Faulheit klagte unter Tränen und fiel auf die Knie.

Nun folgte der Neid mit dem Vipernkopf und den Hechtzähnen, er biß die Faulheit, weil sie ihm zu behaglich war, den Zorn, weil er zu lebendig war, die Schlemmerei, weil sie zu satt war, die Unzucht, weil sie zu rot war, den Geiz, weil er die Eierschalen auflas, und den Hochmut, weil er ein Purpurkleid und eine Krone hatte.

Und die Irrlichter tanzten rundum und sagten stöhnend und mit den Stimmen klagender Männer, Frauen und Mädchen: »Hochmut, Vater des Ehrgeizes, Zorn, Quelle der Grausamkeit, ihr habt uns auf Schlachtfeldern, in Kerkern und auf Richtstätten getötet, um eure Zepter und Kronen zu behalten. Neid, du hast viel edle und nützliche Gedanken im Keim erstickt, wir sind die Seelen der verfolgten Erfinder. Geiz, du verwandeltest das Blut des armen Volkes in Gold, wir sind die Geister deiner Opfer. Unzucht, du Gefährtin und Schwester des Mordes, die du Nero, Messalina und Philipp, den König von Spanien, zeugtest, du verkauftest die Tugend und bezahltest die Verderbtheit. Wir sind die Seelen der Toten. Faulheit und Schlemmerei, ihr verpestet die Welt und müßt ausgemerzt werden, wir sind die Seelen der Toten!«

Und eine Stimme sagte:

»Im Dung, da keimen die Samen,
Sieben ist gut, aber Sieben ist schlecht.
Von dummen Lehrern kluge Schüler kamen.
Um Kohlen und Asche zu bekommen,
Was hat die wandernde Laus unternommen?«

Und die Irrlichter sagten:

»Wir sind das Feuer, die Vergeltung der geweinten Tränen, der Leiden des Volkes, die Rache an den großen Herren, die in ihren Ländern auf menschliches Wild Jagd machten, die Rache für die nutzlosen Kriege, für das in den Kerkern vergossene Blut, für die verbrannten Menschen, für die lebendig begrabenen Frauen und Mädchen, die Vergeltung für die Vergangenheit in Ketten und Blut. Wir sind das Feuer, wir sind die Seelen der Toten.«

Bei diesen Worten verwandelten sich die Sieben, ohne ihre ursprüngliche Gestalt zu verlieren, in Holzstatuen. Und eine Stimme sagte: »Ulenspiegel, verbrenne das Holz.« Ulenspiegel wandte sich den Irrlichtern zu und sagte: »Ihr, die ihr Feuer seid, tut eure Pflicht!«

Und die Irrlichter umringten die Sieben in Menge und verbrannten sie, daß sie zu Asche zerfielen. Und es rann ein Strom von Blut.

Da erstanden sieben andere Gestalten aus der Asche. Die erste sagte: »Ich heiße Hochmut und nenne mich jetzt edler Stolz.«

Auch die anderen huben zu reden an, und Ulenspiegel und Nele sahen aus dem Geiz die Sparsamkeit hervorgehen, aus dem Zorn die Lebhaftigkeit, aus der Schlemmerei die Genußfreude, aus dem Neid das Streben und aus der Faulheit die Träumerei der Dichter und der Weisen. Aus der Unzucht auf ihrer Ziege aber erstand ein schönes Weib, das sich Liebe nannte. Und die Irrlichter tanzten einen fröhlichen Reigen um sie.

Und Ulenspiegel und Nele hörten tausendstimmigen Gesang:

»Wenn zu Land und auf dem Meer
Die Sieben verwandelt regieren,
Menschen, dann hebt eure Stirnen hehr,
Die Welt wird die Fesseln verlieren.«

Ulenspiegel sagte: »Die Geister spotten über uns.«

Und eine gewaltige Hand packte Nele am Arm und schleuderte sie in den Raum. Und die Geister sangen:

»Wenn der Nordwind den Schläfer küßt,
Untergangs Ende ist.
Suche den Gürtel.«

»Ach!« sagte Ulenspiegel, »Nordwind, Schläfer und Gürtel. Ihr sprecht geheimnisvoll, ihr Geister!«

Und lachend sangen sie:

»Der Nordwind, das ist Niederland,
Der Schläfer das belgische Vaterland,
Der Gürtel ist treuer Freundschaft Band.«

»Ihr seid fürwahr keine Narren, ihr Geister«, sagte Ulenspiegel. Und wieder sangen sie mit schmetterndem Lachen:

»Der Gürtel umschlingt die Niederlande
Und Belgien mit der Freundschaft Bande,
Der Gürtel ist der Bund, du Schelm.
        Mit raedt
        En daedt,
        Met doodt
        En bloodt.
        Treubund des Rats
        Und der Tat
        Und des Tods
        Und des Bluts.
So müßt's sein,
Wär' die Schelde nicht,
Wicht, wär' die Schelde nicht.«

»Ach!« sagte Ulenspiegel, »so also ist unser qualvolles Leben: die Menschen weinen, und die Vorsehung lacht.«

»Treubund des Bluts
Und des Tods,
Wäre die Schelde nicht.«

wiederholten lachend die Geister.

Und eine gewaltige Hand schleuderte Ulenspiegel in den Raum.

X

Nele fiel, rieb sich die Augen und sah nichts als die Sonne, die in goldenen Nebeln aufging, die Spitzen der Gräser, die wie Gold leuchteten, und das Morgenlicht, das die Federn der Möwen überstrahlte, die noch schliefen, aber alsbald erwachten.

Dann sah sie sich an, und als sie sich nackt fand, zog sie sich hastig an. Dann bedeckte sie Ulenspiegel, der ebenso nackt war, und schüttelte ihn, in dem Glauben, er schlafe, aber er blieb regungslos wie ein Toter. Sie verging vor Angst und sagte: »Habe ich meinen Freund mit diesem Balsam der Vision getötet? Ich will auch sterben! Ach, Thyl, erwache doch . . . er ist kalt wie Marmor!«

Ulenspiegel erwachte nicht. Zwei Nächte und ein Tag vergingen, und Nele, fiebernd vor Schmerz, wachte bei ihrem Freund Ulenspiegel. Am Morgen des zweiten Tages hörte Nele ein Glöckchen klingeln und sah einen Bauern kommen, der einen Spaten trug, hinter ihm marschierten, eine Kerze in der Hand, ein Bürgermeister, zwei Schöffen und der Pfarrer von Stavenisse mit seinem Küster, der einen Sonnenschirm über ihn hielt. Sie gingen, sagten sie, dem alten Jacobsen das Abendmahl zu reichen, ihm, der aus Furcht Geuse gewesen war, aber dann, als die Gefahr vorüber war, zur heiligen römischen Kirche zurückkehrte, um in ihrem Schoß zu sterben.

Nach kurzer Zeit standen sie der weinenden Nele gegenüber und sahen die Leiche Ulenspiegels, die mit seinen Kleidern bedeckt war. Nele kniete nieder. Als sie an Nele und Ulenspiegel vorbeikamen, sagte der Bürgermeister zu ihr: »Mädchen, was machst du bei diesem Toten?« Sie wagte nicht, die Augen zu erheben, und antwortete: »Ich bete für meinen Freund, der hier, wie vom Blitz erschlagen, niederstürzte, nun bin ich allein und will auch sterben.«

Der Pfarrer schnaufte vor Freude und sagte: »Ulenspiegel, der Geuse, ist tot! Gelobt sei Gott! Bauer, spute dich, ein Grab zu graben, aber nimm ihm die Kleider weg, eh' du ihn begräbst!« »Nein«, sagte Nele, »man wird sie ihm nicht wegnehmen, sonst friert er in der Erde.« »Mache das Grab«, sagte der Pfarrer zum Bauern. »Tut's denn«, sagte Nele, »es gibt in diesem kalkhaltigen Sand keine Würmer, und er wird unversehrt und schön bleiben, mein Geliebter.« Und irr vor Schmerz beugte sie sich über Ulenspiegels Körper, küßte ihn und benetzte ihn mit blutigen Tränen.

Der Bürgermeister, die Schöffen und der Bauer hatten Mitleid, aber der Pfarrer hörte nicht auf zu jubeln:

»Der große Geuse ist tot, Gott sei gelobt!«

Als der Bauer mit dem Grab fertig war, legte er Ulenspiegel hinein und bedeckte ihn mit Sand. Und alle knieten um das Grab, während der Pfarrer die Totengebete sprach.

Aber plötzlich entstand eine lebhafte Bewegung unter dem Sand, und Ulenspiegel kam niesend und sich den Sand aus den Haaren schüttelnd heraus, faßte den Pfarrer an der Gurgel und schrie: »Du Inquisitor, du begräbst mich lebend, während ich schlafe? Wo ist Nele? Hast du auch sie begraben? Wer bist du?«

Der Pfarrer schrie: »Der große Geuse ist wieder auf die Welt zurückgekommen. Herrgott! beschütze meine Seele!« Und er lief davon wie ein Hirsch, hinter dem die Hunde sind.

Nele kam auf Ulenspiegel zu. »Küsse mich, Liebchen!« sagte er.

Dann sah er wieder um sich und bemerkte, daß die beiden Bauern, wie der Pfarrer, das Hasenpanier ergriffen und, um besser laufen zu können, Spaten, Kerzen und Sonnenschirm zur Erde geworfen hatten. Der Bürgermeister und die Schöffen hielten sich vor Angst die Ohren zu und lagen stöhnend im Gras.

Ulenspiegel ging auf sie zu, schüttelte sie und sagte: »Begräbt man Ulenspiegel, den Geist der Mutter Flandern, und Nele, ihr Herz? Mutter Flandern kann auch schlafen, aber sterben? Nein. Komm, Nele!«

Und er ging fort mit ihr und sang sein sechstes Lied, aber niemand weiß, wo er sein letztes sang.

 

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