18 Juli 2023

Alma Mahler-Werfel: Mein Leben

Alma M-W (*1879) verbindet - wie sicher auch schon in der englischen Fassung - Tagebuchaufzeichnungen und Empfindungen aus der Abfassungszeit ihres "Lebensberichts". In der deutschen Fassung unterstützt von Willy Haas und in Kenntnis der Reaktionen auf die erste Fassung. Da sie Daten und Vorgänge und recht allgemein erfasst, darf man annehmen, dass Zuckmayer, Thomas Mann und andere zu Recht fehlende Übereinstimmung zwischen Darstellung und historischer Wirklichkeit kritisieren. Aber sie täuscht auch nicht vor, wie man es in zu einer stimmigen Erzählung (heute sagt man dazu Narrativ)  umgestalteten Berichten automatisch tut, dass sie die historischen Vorgänge schildere. Der Vorzug ist, dass ihre Darstellung authentischer als ihre Sicht wirkt. Als Leser wünscht man freilich des öfteren, man könnte Originaltagebuchtexte und damit verwobene Deutungen aus ihrer Schreibgegenwart unterscheiden.

Ihr Verhältnis zu Mahler (*1860) fasst sie einmal so: "Von dem Moment des Verliebtseins nämlich hatte er sehr den Ton gewechselt, der - vorher der eines verehrungsvoll Liebenden - nun plötzlich der eines Mentors geworden war. In gleichem Maße aber verlor ich meine anfänglich bedingungslose Gläubigkeit." (S.32)

Manche Formulierungen sprechen von Liebe, andere von den Zumutungen, die sie erlebt. (Zwar ist es naheliegend, dass die Liebesbeteuerungen eher dem Tagebuch entstammen, die anderen späterer Sicht; aber natürlich wird die Sicht auf ihr Verhältnis zu Mahler schon vorher ambivalent gewesen sein.)

Zitate:

zu Klimt:

Im April 1897 wurde in Wien die revolutionäre „Vereinigung bildender Künstler Österreichs“ (Sezession) gegründet. Sie forderte die Freiheit für Kunst und Künstler von staatlicher Einmischung. Der Maler Gustav Klimt wurde zum Präsidenten gewählt und ging nun fast täglich bei seinem Kollegen Carl Moll, der als Vizepräsident amtierte, ein und aus. Alma wuchs unter privilegierten Bedingungen auf, viele Künstler verkehrten im Hause, auch Künstler wie Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann und Koloman Moser verkehrten im Haus. Alma durfte bereits als Halbwüchsige an den gemeinsamen Abendessen teilnehmen und genoss als heranwachsende Schönheit erstmals die Aufmerksamkeit berühmter Männer.

Bei diesen häufigen Zusammenkünften wurde Klimt auf Molls 17-jährige Stieftochter Alma aufmerksam und fand Gefallen an dem bildhübschen und intelligenten Mädchen. Alma fühlte sich ihrerseits angezogen von dem berühmten Maler, der als Satyr und Frauenverführer berüchtigt war, und verliebte sich in ihn.

In Almas Tagebuch entwickelt sich die romantischen Schwärmerei zu einer ersten sexuellen Erfahrung: »Gustav Klimt war als die erste große Liebe in mein Leben gekommen, aber ich war ein ahnungsloses Kind gewesen, ertrunken in Musik und weltfern dem Leben. Je mehr ich an dieser Liebe litt, desto mehr versank ich in meiner eigenen Musik, und so wurde mein Unglück zur Quelle meiner größten Seligkeiten.«

http://www.alma-mahler.com/deutsch/almas_life/klimt.html

zu Zemlinsky:

Meine wilde Komponiererei wurde durch Alexander von Zemlinsky, der mein Talent sofort erkannt hatte, in ernste Bahnen gelenkt. Ich komponierte von einem Tag zum anderen vielseitige Sonatensätze, lebte nur meiner Arbeit und hatte mich plötzlich von allem gesellschaftlichen Treiben zurückgezogen. Und niemand konnte sich mein Verhalten erklären.

Es war fast selbstverständlich dass ich mich in Zemlinsky, der ein hässlicher Mensch war, verliebte (28/29) Ich hatte Alexander von Zemlinsky in kleiner Gesellschaft kennengelernt, und wir hechelten die Menschen um uns boshaft durch. Plötzlich sahen wir einander an. 'Wenn wir jetzt auf einen Namen kommen, von dem sich nur Gutes sagen lässt, dann trinken wir ein Glas ex!' Und aus einem Munde riefen wir: Mahler!
So begann unsere gegenseitige Liebe. Denn Freundschaft war es vom ersten Moment nicht. Ich bat Zemlinsky am selben Abend, mein Kompositionslehrer zu werden. Er war selig, ich nicht minder… Und es begann eine ungeheuer feurige Lehrzeit für mich, in der alles und jedes andere verblasste.
Er war ein scheußlicher Gnom. klein, kinnlos, zahnlos, immer nach Kaffeehaus riechend, ungewaschen… Und doch durch seine geistige Schärfe und Stärke ungeheuer faszinierend.
Die Stunden vergingen. Ich und er waren mit gleicher Leidenschaft in unserer Aufgabe vertieft. Vorerst. Dann aber spielt er mir einmal 'Tristan' vor, ich lehnte am Klavier, meine Knie zitterten… Wir sanken uns in die Arme.

Nun wollte ich weiter arbeiten, aber meine Fantasie war berauscht. Trotzdem verhinderte meine Feigheit schon das Vorletzte. Ich dumme Gans glaubte an eine jungfräuliche Reinheit, die zu bewahren sei…! [Im frühen Tagebuch finden sich Passagen, die nicht ganz dazu passen.] Es lag nicht nur in der Zeit, es lag in mir. Ich war schwer zu erobern. Doch diese Zeit war absolute Musik für mich: vielleicht die glücklichste und unbeschwerteste meines Lebens. (S.28/29)

zu Mahler: 

Doch ich lernte Gustav Mahler kennen, und meine Lehrjahre nahmen ein abruptes Ende, um einer anderen, schweren und bestimmenden Aufgabe zu weichen." (S.30)

"Gustav Mahler  forderte brieflich sofortiges Aufgeben meiner Musik, ich müsse nur der seinen leben." (S.31) 

"Ich rannte die ganze Nacht in meinem Zimmer auf und ab. Meine Mutter hörte mich, kam in mein Zimmer und forderte mich allen Ernstes auf, Gustav Mahler zu verlassen. Sie kannte ja mein Dasein und wusste, dass ich von meinem achtzehnten Lebensjahr an nur der Musik gelebt hatte." (S.31)

Die Forderung Gustav Mahlers "reizte mich bis an die Grenze des Ertragbaren." (S.31) Aber sie beschließt trotzdem, ihr zu folgen.

"Übrigens: ich hatte Gustav Mahler  niemals eine Note meiner Musik gezeigt. Wir heirateten am 9. März 1902 [Alma 22 J.] in der Karlskirche in Wien." (S.31)

Offenbar wieder Tagebuchnotiz: Gestern war Gustav Mahler glücklich durch die Seelenruhe, die ich ihm gegeben habe. [...]  Und ich habe nun ein Ziel: mein Glück für das eines anderen zu opfern und vielleicht dadurch selber glücklich zu werden." (S.31) [Idealtypisch die Frauenrolle der bürgerlichen Frau im 19. Jahrhundert.   Eine Rolle, die sie nicht beibehalten wird.

Mahlers Tod 18.5.1911

zu Kokoschka, den sie 1912 kennenlernt  [in auffallender Parallelität zu Mahler, wenn auch in anderen Rollen]:

"[...]  Oskar Kokoschka (*1886)  hatte mein Leben erfüllt und zerstört, zu gleicher Zeit.

Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll.
Was soll ich mit all dem 'Werden', all diesen 'Vielleicht' dieses Menschen anfangen? In einem Alter, in einer Zeit, wo ich Pflege möchte für meine große Müdigkeit.
Bin ich durch Eitelkeit und Dünkel dahin geraten?

Ein Brief von Oskar Kokoschka.
'Nachts nach langer Arbeit im roten Bild: (S.64/65)

Mein innig geliebtes Almi:
Ich bitte Dich um meines Lebens lieb, nimm diesen Brief in Deine Tasche und behalte ihn bei Dir, damit Du ihn immer hervorziehen kannst. Es ist meine Bitte im Ring und trage sie so, wie den Ring, immer bei Dir.
Ich muss Dich bald zur Frau haben, sonst geht meine große Begabung elend zugrunde. Du musst mich in der Nacht wie ein Zaubertrank neu beleben; ich weiß es, dass es so ist. Ich bin wieder voll der merkwürdigsten Erschütterungen, wenn wir beide vertraut miteinander gesprochen haben und kein Zeuge und nichts Verwirrendes zwischen uns war.
Und das ist umso schöner und zarter, je länger und inniger wir zusammen sind. Weil du dasselbe Phänomen im Innern bist wie ich, was Du weißt, glaubst und liebst!
Am Tage brauche ich Dich nicht von Deinen Kreisen wegzunehmen. Da sammelst Du! Ich begreife es vollkommen, dass es so gut und richtig ist.
[...] Du bist die Frau und ich der Künstler, und wie wir uns gegenseitig suchen und verlangen und notwendig haben [...] Das kann kein anderer Kopf, auch unsere Überlegung nicht finden, sondern wir müssen das tun, was unsere innere Stimme sagt. [...] 
Nutzlose Menschen belebst Du, mir bist Du bestimmt worden, und ich soll arm sein? 
Almi, Du hast Zeit! Überhöre Dich selbst nicht, Du mein guter Geist!  
Dein Oskar." (S.64/65)

"Neulich ging ich abends mit einer Freundin zu Karl Reinighaus, [...] und sah sofort den Maler Gustav Klimt und Josef Strzygowski, den großen Kunstforscher. Ich fühlte mich geborgen. Mit diesen beiden, umwimmelt von einer Menschenmenge sprach ich bis drei Uhr morgens. Ich war fast glücklich diese Nacht – nach der langen Isolierung der letzten Jahre durch Oskar Kokoschka.
Wir sprachen auch über Gustav Mahler und sein Ringen, um vom Judentum fortzukommen, und Strzygowski, sagte: 'Bei Mahler war die Menschlichkeit in jedem seiner Worte, nie Verstand allein. Aber vergessen Sie nicht, wie Sie ihm dabei geholfen haben! Wenn er mit ihnen war, so war er gleichsam heller. Ich sah ihn einmal mit Schönberg und dessen Schülern vollkommen untergehen im Dunkeln.'.
Ich bebte vor Freude, denn das hatte ich immer gefühlt. Aber glücklich war ich doch, dass ich das Wort endlich von einem anderen gehört hatte!
Heller habe ich ihn gemacht! So war Leben mit ihm doch eine erfüllte Mission.
Das war es allein, was ich wollte! 
Doch mit Oskar Kokoschka gelingt es nicht im gleichen Maße. Er behält die Oberhand und verübelt mir das." (S.67)

"Ja, gewiss sind Künstler desto größer als Menschen, je größer ihre Kunst ist, aber sie messen mit anderen Maßen… Ihre Welt ist eine von Ihnen erfundene Welt, aus der sie sich (erwachen sie zur Realität) schwer umpflanzen können.
Darum sind solche Menschen oft so roh und verständnislos im Verkehr mit Frauen.
Sie sind ja ihr Gegenüber nicht; vom Fühlen gar nicht zu sprechen.
Die Frau wird neben einem bedeutenden Künstler immer zu kurz kommen. 
Er empfindet sich, wie auch sie, nur als Instrument, um seine Art von Herrschsucht durchzusetzen und auslebend zu gestalten, nämlich seine Kunst. Mit einem Wort: um besser arbeiten zu können.
Wenn ich an Gustav Mahler denke, an Klimt, an Pfitzner, so verschieden diese Menschen sind, so gleichen sie einander in dem Punkte des Leicht-Nehmens und Schwer-Gebens im Geistigen: ich meine dem Individuum gegenüber. Sogar im Materiellen zuweilen." (S.68)

Über Hans Pfitzner:
"Seine Egozentrik war ohnegleichen. Ich habe nie einen Menschen gesehen, der so absolut nichts sah als sich selbst. Es war ein Teil seiner Stärke. Ich habe ihn immer gewähren lassen, weil ich seine Bedeutung früh erkannt hatte. Ich anerkenne bei Menschen von großer Bedeutung das Recht auf absolute Selbstsucht: Sie sollen und müssen wohl so sein. (S. 71)

Man hat an Alma M-W.s Autobiographie kritisiert und parodiert, dass sie bei Kontakten mit Männern, über die sie berichtet, immer wieder betont, wie sehr sie ihnen geholfen habe. Aber das ist verständlich, wenn sie ihre Lebensleistung darin gesehen hat, ihnen trotz all ihrer Egozentrik bei der Hervorbringung ihres Werks zu helfen. Das ist keine Groupie-Rolle und nicht das sich Sonnen in fremdem Ruhm, sondern der Stolz auf den früh erlernten Verzicht auf eigene Hervorbringungen, auf Selbstverwirklichung über die Stützung eines anderen Egos.
Katja Mann nannte sich verständlicherweise Frau Thomas Mann, weil sie stolz war, einem Großen Selbstverwirklichung ermöglicht zu haben und seine Egozentrik immer wieder zu ertragen. Alma M-W  hat die Gelegenheit gehabt, das bei verschiedenen Künstlern zu wiederholen, und ist offenkundig auch wegen dieser ihrer Bereitschaft umworben worden.

Juli 1917 Semmering
Endlich bin ich befreit von den vielen Menschen. Es gewittert stark, und die Spannung der Atmosphäre tut mir weh.
Manchmal glaube ich, dass alles vorbei ist, wenn ich aber meine kleine Manon ansehe, so weiß ich, dass ich noch notwendig bin. Nicht Anna Mahler – die braucht nicht mit mich nicht mehr. Sie ist weise.
Gestern lag sie im Bett bei mir. Sie sagte:
'Wie merkwürdig, du und ich wir sehen die Natur sehr verschieden. Du viel großzügiger - ich mehr im Detail. Wir empfinden auch Musik verschieden. Du merkst dir das Gehörte, ich mir das Gesehene. Ich kann deshalb Bach leichter auswendig spielen als Wagner. Bach, Reger  – eine andere Kunst, als die, die du liebst. Du spielst Wagner und Schumann so gut…'
Darum ist mir blau lieber, und dir rot… Darum liebe ich Laotse, und du…'
Das ging so ins Ungemessene und sie ist dreizehn Jahre alt. (S. 83)
Aber ich liebe sie so – obwohl sie mir vielfach schon jetzt fremd ist und immer fremder werden wird. Und das märchenhafte Kind Manon: jeder Mensch, der sie sieht, liebt sie, aber niemand weiß, wie ich dieses Geschöpf liebe.
Möchte den ganzen Tag ihre Händchen und Füße küssen; denn sie auf den kleinen Mund zu küssen, wage ich kaum.
Dieser Sommer war etwas zu bevölkert auf dem Semmering. Diese einsamen Villen auf einem schönen Platz am Berg sind entweder das Ziel aller Ausflügler, oder ganz vereinsamen… Eine Mitte scheint es nicht zu geben. [...] 
Mir geht's gar nicht gut… Habe Herzschwäche. Ohne Bedauern würde ich von dieser Welt Abschied nehmen, die mir so viel echtes, wahres Leben gegeben hat.
Aber was soll jetzt kommen? Eine stündliche Wiederholung alles dessen, was gewesen, wenn es hochkommt!
Soll ich eine Hausfrau werden, mit allen ihren Schikanen und Lächerlichkeiten? [...]
Ich schicke die Besucher weg und kränke mich dann, dass ich vereinsame. (S. 84)

Im Herbst 1917
Ende des Jahres 1917 kam eine kleine Ursache, deren große Wirkung mein Leben von Grund auf umgestalten sollte.
Mir war im Sommer des Jahres vorher 'Wir wollen nicht verweilen' in die Hände gefallen. Es war das erste Buch, dass mir von Theodor Däubler sehr gefiel, ja, ich war hingerissen davon. Ich schrieb an Jakob Hegner in Hellerau, er möge mir zehn Exemplare von diesem Buch und weitere zehn Exemplare von Claudels 'Goldhaupt' zusenden. Ich wollte in meiner Begeisterung diese Bücher an meine Freunde verteilen.
Und so saß ich eines Winterabends allein. Es war bitter kalt, und ich hatte außer außer alten Zeitschriften nicht zum Verheizen… als es läutete und Jakob Hegner zur Türe herein kam mit den Worten: 'Ich muss mir doch den Menschen ansehen anschauen, der solche Bücher heute zwanzigmal bestellt. [...] 
Auf dem Nachhauseweg frug mich Hegner, ob er mir den Dichter Franz Blei bringen dürfe. Ich verneinte es. Ich kannte ein Buch von diesen Menschen, das mir überaus missfallen hatte. Aber er redete mir so zu, schwor, dass Blei nun ein ganz anderer, also ernster, geworden sei, bis ich rief: 'Nun denn in Gottes Namen! (S. 85)
… Und damit mein Schicksal mittelbar besiegelt hatte.
Blei kam nun in mein Haus. 
Eine lange weiße Kerze, mit einem vergeudetem Licht. Alles war hell an ihm und doch so dunkel.
Im Sommer kam Blei auf den Semmering. Aber in die Natur passte er nun erst recht nicht, [...] Er fühlte den Boden unter sich weichen. Da kam ihm der Gedanke und die Frage: 'Franz Werfel wird aus dem Felde zurückkommen, darf ich Ihnen den bringen?'
Dies war ja nun etwas anderes!

Diese Woche war bedeutungsvoll.
Erst sah ich meinen armen verrückten Freund Paul Kammerer nach langem wieder… Er war in einem bösen Zustand. Und er hat sich später umgebracht. Es ging mir nicht allzu nah. 
(S.86)

"[...] Ich kam noch sehr erregt von dem Gespräch mit Helene Nostitz nach Hause und fand Franz Blei vor, der mir den Dichter Franz Werfel gebracht hatte.(S. 86)
Da ich seine Gedichte liebe, eines: 'Der Erkennende' vor zwei Jahren komponiert hatte, so fühlte er sich gleich sehr zu Hause. Blei ging bald… Ein Stärkerer sprach, das konnte er nicht sehr gut vertragen.
Werfel ist ein untersetzter Mann, mit sinnlichen Lippen und wunderschönen großen blauen Augen unter einer Goetheschen Stirn.
Er gewinnt, je mehr er sich gibt. Seine übertriebene Menschenliebe und die Phrasen wie: 
'Wie kann ich glücklich sein, wenn ein Geschöpf auf Erden noch leidet…, die ich wörtlich schon einmal von einem Egozentriker par excellence, nämlich Gustav Mahler, gehört hatte, konnte ich mir erst dann erklären, als er mir in vorgerückter Stunde seinen Sünde, seine Sucht, 'gut zu leben', gebeichtet hatte. Ich sagte damals, dass wir ja auch nicht immer an unseren eigenen Tod dächten. Werfel ist eminent musikalisch. Er liebt Gustav Mahlers Musik und wollte mich deshalb kennenlernen. Er hat eine wunderschöne Sprechstimme und eine faszinierende Rednergabe.
Ich danke meinem Gott auf den Knien, der mir vergönnt, mit solchen Geistern nah zu verkehren.
Das Menschenerlebnis ist so es ist etwas so grandios Herrliches, dass ich immer schwer von meinem Entzücken in die Wirklichkeit zurückfinden kann. [...]

November 1917
Friedensangebot von Russland. Vielleicht erregt sich die Welt endlich zum Guten!
Viele wunderbare Dinge geschehen… Eine Nacht war… eine holdselige Nacht… Werfel, Blei, Gropius.
Wie jubelten. Musik.
Meistersinger, Louise, usw. … Werfel sprach einige seiner Gedichte, 'Der Feind' und andere, und er sang und ich spielte – und wir wussten von keiner Welt mehr. (S. 87) 
Und so verquickt waren wir sofort durch dies unser ureigenstes Element, dass wir alles rundher vergaßen und vor den Augen der ganzen Welt quasi musikalisch-geistigen Ehebruch trieben.
Franz Werfel ist ein wunderbares Wunder!

Um zwei Uhr früh wollten sie weggehen, es war ein solcher Schneesturm, dass man nicht gehen konnte, aber auch keinen Wagen gefunden hätte. So bat ich die beiden Herren, bei uns zu übernachten, was auch geschah.
Wir arrangierten in aller Eile zwei fellbedeckte Makartbetten für die beiden Dichter. Franz Werfel sagte: 'Es wird mir merkwürdig sein, dass Aufwachen in diesem Zimmer voller Bücher, Noten und Bilder… Und das Zimmer wird den Mund verziehen, wenn es aufwacht und mich sieht.'


Ich war mit den sonderbarsten Empfindungen mit meinem Mann in mein Schlafzimmer gegangen. Musikberauscht schlief ich, an der Seite eines mir merkwürdig fremd Gewordenen ein.

8. Dezember 1917
Mittags: Die Gräfin Draskowitsch, Khuen, Klimt, Blei und andere.
Warum Gustav Klimt, dieser arme, blühende, große Maler, der er ist, nur Emporkömmlinge malen darf… Und nie etwas gutrassig Schönes…? So fragte ich.
Dieser Mensch weiß gar nicht mehr, wie eine schön befesselte Hand aussieht. 

Ich beschimpfte die Draskowitsch, dass sie sich vom Maler Quincy Adams hatte malen lassen, und ich sprach die Worte aus, die ich mir dachte: 'Benutze die Zeit, in der dieses Genie unter uns lebt.
Gustav Klimt war verlegen, aber nicht ohne einige Genugtung zu empfinden.
Meine Worte waren leider ominöse… Gustav Klimt war damals schon in Lebensgefahr, und niemand ahnte es.
Später
Es ist Weihnachten. Walter Gropius war zum Fest gekommen. Jetzt gab es wieder schöne Tage. Nach Weihnachten kam Willem Mengelberg nach Wien und die regierte 'Das Lied von der Erde' in einer meisterhaften Aufführung. (S.88/89) 
Am Tage der Aufführung, früh morgens, nahm Walter Gropius Abschied, um nach seinen in Wien verbrachten Urlaub ins Feld zurückzukehren. Er eilte die Stiegen hinunter, und ich mühte mein bestes Lächeln aufs Gesicht, um ihm über die Schwere des Abschieds hinwegzuhelfen… Ich legte mich wieder nieder, um mich für den Vormittag zu rüsten, an dem das Mahler-Konzert stattfinden sollte.

Plötzlich läutete es heftig, und Walter Gropius stürzte herein. Er hatte den Zug versäumt.
Jedes Zurückkommen ist ein Fehler.
Ich hatte, um Diskussionen zu vermeiden, meine Mutter und deren Mann eingeladen und dieses Mahl, dessen hoffnungslose Trauer in seiner Tiefe niemand von den Anwesenden, außer Walter Gropius und mir, ganz verstand, verlief sehr gedrückt. Zum Schluss schluchzte Walter Gropius auf, dass er gegen meine Vergangenheit niemals ankämpfen wolle und auch die Kraft dazu nicht habe.
Als der Abend kam und Gropius abreiste, hatte ich mich wieder so weit in meiner Gewalt, dass der Abschied erträglich wurde.
Von der Grenze depeschierte er mir: 'Zerbrich das Eis in deinen Zügen' – ein Zitat aus einem Gedicht von Franz Werfel. So stark hat er auch er sich an Franz Werfels Dichtung verloren.
Nichts als Franz Werfel liegt mir im Sinn. Und das Musizieren mit ihm ist mir schon Lebensatem geworden.

Januar 1918 [...] 5. Januar
Ich war im Konzert… Tief verbunden durch Blicke mit Werfel. Er kam in der Pause; dann gingen wir zusammen nach Hause.
Unser beredtes Schweigen brachte uns an den Rand. Es konnte ja gar nicht anders kommen, als dass er meine Hand ergriff und sie küsste – und dass sich unsere Lippen fanden, und das er Worte stammelte ohne Sinn und Zusammenhang…
Wohin wird mich dieses Erlebnis führen!
Ich liebe mein Leben… [S.89/90]
Und ich kann nichts bereuen. Diese tiefe musikalische und seelische Verbundenheit mit Franz Werfel ist fast tödlich. Es musste kommen, dass ich ihn liebe, und die Musik beschirmt uns.
Die letzten Tage, mit ihrer Erfülltheit durch Gustav Mahlers die Musik und Mengelberg sangen Liebe… Liebe.
Ich bin toll. Und Werfel auch…
Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, würde ich alles hinhauen und mit ihm gehen.
So aber… muss ich ihm mit tiefer Trauer nachsehen, wenn er seinen Götterlieblingsweg dahingeht.

Franz Werfel wohnte damals im Hotel Bristol, und es war mir weder angenehm noch leicht, ihn dort zu besuchen. Aber er wollte es, und ich ging doch aus einem ganz bestimmten Grunde hin.
Er war einer wirklichen Konzentration durch den Krieg unfähig geworden. Nun lagen seit Wochen die Fahnen zum 'Gerichtstag' dort im Zimmer herum – zerrissen und schmutzig, und er war nicht dahin zu bringen, sie ernsthaft durchzukollationieren.
So kam ich, und er musste arbeiten, ob er nun wollte oder nicht, Zeile für Zeile, mit mir an seiner Seite. Und ich brachte ihn so in die Arbeit zurück, die der Krieg in ihm zerstört hatte.
Es waren unvergessliche Stunden – mit kleinen Zärtlichkeiten vermengt und doch tief ernst.

"Jedes Zurückkommen ist ein Fehler." Es ist bemerkenswert, wie Alma es versteht, ihr durchaus authentisches Gefühl noch im Nachhinein als allgemeine Lebensweisheit zu formulieren. - Ihr Mann geht in den Krieg zurück, und sie verhilft ihrem Geliebten "aus einem ganz bestimmten Grunde"  seine Arbeit am Gerichtstag wieder aufzunehmen. "mit kleinen Zärtlichkeiten vermengt und doch tief ernst." - Später wird sie Werfels Tobsuchtsanfälle anprangern und seine fehlende Dankbarkeit dafür, dass "dass ich helfe und helfe, seit fünfzehn Jahren treulichst helfe. Alles ist selbstverständlich… Die Hingabe meines ganzen Ichs ist obligat." (S.220)  "Ich habe genug von der Sklaverei unter dem Mann." (S.183) Und dann wieder: "Karl Schönherr sagt, er brauche mich für seine Arbeit, und da bin ich schon gewonnen." (S. 220) Selbstverwirklichung in der Rolle als Helferin ohne Rücksicht auf den Ehemann. - Es ist verständlich, dass die Zeitgenossen, die sie erlebten, sie sehr kritisch sahen. [Katja man ist bei der Fürsorge für 'ihr Genie' und ihre Kinder geblieben; freilich durchaus mit Ungleichbehandlung der Kinder, wie Golo zu berichten wusste.] Aber dass sie ihre Empfindungen ehrlich wiedergibt, dürfte weiterhin stimmen. Mehr dazu in der Wikipedia.

6. Februar 1918
Gustav Klimt ist am 3. Februar 1918 gestorben.
Mit ihm geht ein großes Stück Jugend aus meinem Leben. Wie hatte ich ihn einst verstanden! Und ich habe nie aufgehört, ihn zu leben – allerdings in sehr verwandelter Form. (S.90)
[...] Er war in unendlich feiner Colorist. Seine großen Bilder für die Universität wurden zurückgewiesen. Sie waren zu modern zu abwegig, mit einem Wort: zu bedeuten. Diese Riesenbilder sind das stärkste, was er gemalt hat. Seine Bildung war gering. [...] Oskar Kokoschka ist der weitaus Stärkere, und Klimt hatte großen Respekt vor dessen Talent. (S.90/91) [Will sagen, er wusste, weshalb sie Kokoschka ihm vorzog.]
Franz Werfel war der einzige Sohn einer wohlhabenden  Prager Industriellenfamilie. Sein Vater war Besitzer einer Handschuhfabrik. Franz Werfel besuchte die Piaristenschule und das Stefansgymnasium in Prag und kam mit siebzehn Jahren die Transportfirma Nagel & Wortmann in Hamburg, wohin ihn seinen Vater sandte, damit er später bei der Übernahme der Handschuhfabrik sein Gewerbe verstehe. Bevor er Prag verließ musste er aber seinen Meisterstück vollenden, einen handgenähten Handschuh, der aber – wie er schmunzelnd sagte – fast nur vom Werkführer verfertigt wurde, wenn niemand zusah..
In Hamburg wurde war ihm das Ganze so zur Qual, dass er stundenlang sitzen konnte und die Uhr bewachen – ohne eine Hand zu rühren –, bis der Zeiger auf der Stelle stand, die ihm die Freiheit brachte. Seine Arbeit an den Konnossementen hing ihn zum Halse heraus, und eines Tages warf er alle Schiffspapiere in das WC und zog die Wasserspülung. Er belustigte es sich nun an seiner Fantasie, die im vorgaukelte, dass jetzt alle Schiffe mitten im Meer stehenbleiben müssten. Die Schiffe blieben natürlich nicht stehen, aber Franz Werfel flog im Bogen aus dem verhassten Handelshaus heraus, als die Firma die Katastrophe entdeckte. Er floh nach Leipzig, wo Kurt Wolf ihn sofort zum Lektor seines Verlages machte. Man kann sich denken, wie erfreut sein Vater war!
Franz Werfel hatte eine schöne Sprech- und Singstimme. Er war der außergewöhnlichste Rezitator, Vortragskünstler und Geschichtenerzähler. Über was er auch sprach, sein triumphierendes Temperament zauberte Leben und Fülle in seinen Vortrag – unwiderstehlich hielt er seine Zuhörer gefangen. (S. 91)
Er besaß einen unerschöpflichen Vorrat von selbst erlebten Anekdoten oder er erfand sie einfach beim Erzählen, die seine Zuhörerschaft faszinierten und in seinen Bann zogen. Inzwischen war der Sommer 1918 war vielleicht einer der schicksalhaften Zeiten meines ganzen Lebens. Die letzten Juli – und die ersten Augusttage brachten mich nicht nur an den Rand des Grabes, sondern schmiedeten mich auch unlösbar und für immer an den Mann, der mein Liebhaber und Lebensgefährte werden sollte – bis der Tod uns viele Jahre später trennte. Darum möchte ich hier Franz Werfel selbst sprechen lassen. (91/92)

Auf den Seiten 93 bis 114 schiebt Alma Franz Werfels Tagebuch aus dieser Zeit ein.

"[...] Nun sagte ich Baron Dirzstay alles, was mich von Oskar Kokoschka trenne: seine Frivolität, seine zügellose Fantasie, alles.

'Ja', sagte Baron Dirzstay, 'alles ist wahr, leider, aber eines bezeuge ich bei allem, was mir heilig ist: wenn Ihr Name genannt wird, wird er ein anderer. Da kommt alles, was gut und edel an ihm ist, heraus. Sie sind sein Ideal und alles andere verblasst daneben.'

Ich freute mich nun doch, dass diese Jahre also nicht umsonst durchlitten waren und dass mein großes Opfer an Nerven und Gesundheit wenigstens eines zur Folge hatte: dass Oskar Kokoschka weiß, wo das Gute in der Welt ist. (S. 129) [Alma ist auffallend 'bescheiden'.]

Kokoschka ließ sich nach seinen Angaben eine Alma-Puppe basteln (Webseite über die Puppe und Kokoschkas Bilder von ihr)

zu Walter Gropius:

"1910 lernte er Alma Mahler, die Frau des Komponisten Gustav Mahler, kennen und begann eine außereheliche Beziehung mit ihr. 1915 – vier Jahre nach Gustav Mahlers Tod – heirateten sie. Ihrer gemeinsamen Tochter Manon (1916–1935) wurde nach ihrem frühen Tod durch Alban Bergs Violinkonzert Dem Andenken eines Engels ein musikalisches, durch Franz Werfel ein literarisches Denkmal gesetzt. Die Ehe wurde 1920 geschieden." (Wikipedia

"Ich war ihm für immer verloren und ohne jede Schuld von seiner Seite. Mit meinem Bewusstsein, dass er, Gropius, das Nobelste, Edelste in meinem Leben war." (S. 132)

"Warum war diese Ehe mit Walter Gropius nicht gegangen? Er ist ein schöner Mensch, in jedem Sinne, ein hochbegabter Künstler meiner Art, meines Blutes (wir hatten sogar entfernte gemeinsame Verwandte in Hamburg). Er hatte mir doch so gefallen… Ich war verliebt in ihn… hatte ihn sehr geliebt… Es war vielleicht die Herrin Musik, die nicht sein Element war und die uns trennte! Allerdings auch seine Aufgabe interessierte mich nicht genug, und ich hatte zu wenig Interesse für seine architektonisch-menschlichen Ziele." (S. 132/133)

"Rainer Maria Rilke sagt: 'Ruhm ist die Summe von Missverständnissen, die sich um einen Namen sammeln.'

Es ist bei Werfel so, bei Mahler, bei Puccini, bei Schönberg.

Diese Sentenz stimmt immer." (S. 149)

1922 - Wien

"Im Sommer habe ich mir ein Haus in Venedig gekauft. [...] Die Menschen gehen wie Schatten durch mein Dasein. Manche gehen wir plötzlich verloren…" (S. 157) 

zu Franz Werfel:

1918 brachte Alma, noch während ihrer Ehe mit Walter Gropius, Werfels mutmaßlichen Sohn Martin Carl Johannes zur Welt, der 1919 starb. Am 7. August 1929 heirateten Werfel und Alma Mahler, die 1920 von Gropius geschieden worden war. Friedrich Torberg beschrieb sie in Die Erben der Tante Jolesch als „Frau von gewaltigem Kunstverstand und Kunstinstinkt. Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung.“[2] (Wikipedia)


Juli 1924 
"Es ist merkwürdig ... ich gefalle immer noch ... und könnte verführen ...
Mir graut aber vor der Sünde.
Nie möchte ich Franz Werfel untreu sein!" (S.163)

Juli 1926:
"Seit Jahren waren Alban Berg und Helene Berg meine nächsten Freunde geworden." (S.171) Mehr zu Berg: S.171-175 "Alban Berg war bestimmt der begabteste der ganzen Schönberg-Schülerschar [...] über alles Können hinaus hatte er noch eine Seele." (s.175)

"Wieder einen Abend bei Arthur Schnitzler.
Ich sprach darüber, wie die Frau sich durch die Ehe merkwürdigerweise oft von ihrem Ich abdrängen lässt. Etwas dem normalen Mann Fremdes. Ich erzählte Arthur Schnitzler, wie ich mit Gustav Mahler wunderbar sprechen konnte, solange wir uns heimlich kannten. Aber als die Welt von unserer Beziehung wusste und der Tag der Heirat festgesetzt war… wie ich dann von einem Tag zum anderen seine Sprache nicht mehr verstand. Ja, ich bin schweigend stundenlang neben ihm durch den Park des Belvedere gegangen (unser täglicher Spaziergang), und ich sagte wohl zum Schluss, wenn ihn meine Schweigsamkeit verwunderte: 'Du hast Chinesisch geredet, und ich habe dich nicht verstanden.'

Ich hatte mich mit Nietzsche- und Schopenhauer-Lektüre erzogen; nur um seine Sprache verstehen zu können, habe angefangen, seine Bücher zu lesen, seine Gedanken zu teilen, seine Philosophie als die meine zu betrachten. Ich las Dostojewski, der mir wesensfremd war und immer sein wird; ich las Fechner und Lotze und lebte mich so ein, dass ich mich in 'Die Brüder Karamazow' fast verliebte. Und nach Gustav Mahlers Tode wollte ich weiter in seinem Sinne leben, nahm wieder den 'Idiot' vor. Ich saß in der Eisenbahn und las… Und urplötzlich haute ich das Buch auf die Erde und beschimpfte mich innerlich, dass ich meinem Wesen untreu gewesen war und so lange Jahre entgegen meiner Neigung Dostojewski gelesen hatte. Ich habe nie mehr eine Zeile von ihm zu mir genommen, und werde es auch nicht. Denn seine Art ist mir wesensfremd." (S. 182)

über Werfel:
Bin ich deshalb einen so weiten Weg gegangen, dass mich ein Mensch beschimpft wie irgendeine Schlampe? [...] Ich habe genug von der Sklaverei unter dem Mann." (S.183)

Einmal sagte Gerhart Hauptmann zu mir: 'In meinem nächsten Leben müssen wir beide ein Liebespaar sein. Ich pränumerire mich schon darauf.'
Darauf Grete schnippisch: 'Alma wird auch da längst besetzt sein.' 
Aber Gerhart Hauptmann und ich lächelten eigentlich recht vielstimmig…" (S.185)

"Durch die Karte von Oskar Kokoschka hatte ich wieder vollkommen die Fassung verloren. [...]  Oskar Kokoschka stand zwischen uns wie Banquos Geist… Und Franz Werfel ahnte ihn vielleicht, ich aber ich sah ihn. (S. 187)

"Ich könnte ohne Juden nicht leben, lebe ja auch dauernd fast nur mit Ihnen; ich bin oft aber sehr voll Groll gegen sie, dass ich mich manchmal aufbäumen möchte." (S. 198)

Über Theodor Däubler:
"Aus solchem Fettwanst kann keine reine Seele tönen!" (S. 200)

"Ich habe lange nicht geschrieben. Irgend etwas hat mich gehemmt. Mein Tagebuch ist mir abhandengekommen. In diesem Buch lag ein schönes Telegramm von Gerhart Hauptmann, in dem er mich wegen eines Streits über den Katholizismus um Verzeihung bittet und mich seiner Liebe, ja seiner Verehrung versichert. Um dieses Telegramm ist mir leid, und um das Tagebuch, das gefährliche Wahrheiten barg, noch mehr
Ich bin seitdem diesem Beichtvater, meinem Tagebuch, etwas entfremdet ...[...
Meine fieberhaften Wünsche aber kennen keine Ruhe." (Herbst 1929 - S.213)

später:
" 'Jean Christophe' ist eine Welt voll Schönheit, die mich tief aufgewühlt hat.
Rolland hatte Gustav Mahler nicht persönlich gekannt, wohl aber gesucht. Als wir einmal in Paris waren, ließ sich Rolland bei Mahler melden. Er war jung und unbekannt und Mahler kannte seinen Namen nicht. Er ließ ihn also nicht vor. Es ist jammerschade.  Romain Rolland   hat Mahler bis in die feinsten Seelen Fingerspitzen erahnt. Gleiche Worte, gleiche Gesten – es ist sehr merkwürdig.
Rolland: 'Man wirkt nicht mit Worten auf die anderen, mit seinem Wesen tut man es.'
Mahler: 'Es gibt nur eine Erziehung, und die ist das Beispiel.'
Rolland: 'Sie wusste, es muss so sein…'
Mahler: 'Ich glaubte, es müsste so sein…'
'Die Toten leben von unserem Leben und sterben durch unseren Tod'– Ein beiden gemeinsames Bild.
Gustav Mahler hatte nur eines nicht, was  Romain Rolland   verlangt: die werktätige Liebe.
Mahler hat sie wohl gepredigt, war aber zu sehr in sich versponnen, um sie selbst leben zu können.
In Romain Rollands Buch offenbart sich mir das unbegreifliche Wunder in dieser Zeit des Unglaubens… und es ist bestimmt noch niemals ganz begriffen worden, sonst hätte es die Menschheit verändern müssen. 
Es ist viel zu kraftvoll und stark für diese Welt " (S. 215)

"Seit Jahren war Bruno Walter in Wien. Mahler hatte ihn bald nach seinem Direktionsantritt an die Hofoper engagiert. Das menschliche und das künstlerische Verhältnis des älteren Meisters zum jüngeren entwickelte sich von der ersten Stunde zu einer kongenialen Freundschaft, die ein Leben lang ungetrübt andauerte." (S.219/220)

Die Männer sind so arm und hilfsbedürftig…
Niemals würde aber Franz Werfel ein Wort des Dankes haben, dass ich helfe und helfe, seit fünfzehn Jahren treulichst helfe. Alles ist selbstverständlich… Die Hingabe meines ganzen Ichs ist obligat. Gustav Mahler war da nobler. Er wusste es allerdings erst spät…, Aber dann zutiefst. Franz Werfel wird diese Erkenntnis nicht einmal dann haben, wenn ich ihn  verlasse oder… sterbe. [...]

Karl Schönherr sagt, er brauche mich für seine Arbeit, und da bin ich schon gewonnen."  (S. 220)

Über Shaw
Er ist übergroß und hält sich fast etwas absichtsvoll kerzengerade. Es ist schon etwas Geheimnisvolles um einen Menschen, der mit sechsundsiebzig Jahren alle turmhoch überragt – kein Alterszeichen an sich hat und herrisch seinen Weg geht. (S. 226)

Eine Menge Türen haben sich mir geöffnet.
Ich habe die Entelechie Richard Strauss  niemals ganz gekannt und nicht genug verehrt. Das Missverständliche in seiner Lebensführung, das ich viele Jahre Gelegenheit hatte zu beobachten, meine eigene, innere Einstellung, die das Schwere, Tiefe, daher meist Intellektuelle suchte, ließen mich ihn falsch sehen. Seine Meisterschaft allerdings war mir immer klar.
Aber nun lebe ich hier ganz in seinem Werk, bin hingerissen von dieser mozarthaften Natur, die sich nicht in winzige Spekulationen einlässt, sondern einfach schön ist – und nichts anderes sein will.
Bei Eckermann steht: 'Es gibt Leute unter den Poeten, deren Neigung es ist, immer in solchen Dingen zu verkehren, die ein anderer sich gern aus dem Sinn schlägt…'
'Nun, was sagen Sie?' sagt Goethe. 'Da wissen wir auf einmal, woran wir sind, und wissen, wohin wir eine große Zahl unserer neuesten Literatoren zu klassifizieren haben.'
Nun, und was sagen wir dazu? Die ganzen Taggers, Bronnen, Brecht, Döblin?
Hell sein wollen kann man nicht. Man ist es, oder man ist es nicht.
Darum diese herrische sieghafte Geste Straussens, der seine Sache sicher ist. Auf wie lange, 'weiß man nicht'. (S. 227) 
"Wie oft hat mich diese Sieghaftigkeit an ihm gestört – verzogen und verdorben durch Dostojewski und Konsorten, wie ich es war.

Später
Erhaben über diese ephemeren Dunst steht Richard Strauss, der die ganze Gesinnungseuchelei niemals mitgemacht hat.
Der nicht rechts, nicht links orientiert war und der jetzt [1931] einfach Recht hat, weil er Musik ins Blaue machte und mit äußerster Meisterschaft seine Terzenmelodien von primitivster Beschaffenheit bringt, wenn er glaubt, genug 'interessant' gewesen zu sein.
Früher einmal meinte ich, er habe unrecht. Heute weiß ich - er hat absolut recht!
Götter sind Götter –… Geschmeiß ist Geschmeiß!
Wo sind sie alle hin, diese Moralhyänen… Nicht zuletzt mein schachmatter Pfitzner?
Ohne Bedauern sehe ich ihn aus meinem Leben entweichen… es will nur so scheinen! Er war nie darin." (S. 228)

"Beim Spazierengehen mit Franz Werfel meinte er, plötzlichen Schwindel empfindend:: 'Schwindel ist im Raum, was die Ungeduld in der Zeit ist.' (S. 228)

Juni 1932
"Der germanische Christ oder 'Arier' hat die unangenehme Eigenschaft, sich nicht amalgamieren zu können, aber der Jude hat diese Fähigkeit des Beglückens und Beglücktseins, das heißt des im Andern Aufgehens und vom Andern dasselbe erwartend – daher die menschlich großen Ärzte.
Im Juli 1932 bin ich endlich wieder katholisch geworden.
Ich hatte jahrelang das Gefühl, ausgestoßen zu sein aus der Gemeinschaft der Heiligen. Die Beichte nach langen Jahren war mir eine schwere Überwindung.
Es hat mich bis zur Ohnmacht aufgeregt." (S. 231)

Die 7. Symphonie von Gustav Mahler unter Clemens Krauss. 
Großes blutendes Erlebnis… Wie nahe geht mir diese Sprache. Ich war wie in einem Märchen, glücklich, entrückt, meine Jugend stand vor mir.
Alle Qualen der Entbehrung und Erfüllung ahnte ich wieder. Ich habe heute einen solchen Glauben an Gustav Mahler bekommen, den ich mir manchmal wegspüle, um nicht allzu sehr vergangenheitsbelastet zu sein.
Aber es geht nicht… und es soll auch nicht gehen.
Jeder hat unter diesem Schatten noch zu leiden gehabt.
Ich konnte da nicht helfen.
Nicht aber Franz Werfel, der ist selber stark und liebt Gustav Mahler." (S. 231/232)

Paul Painlevé, Ministerpräsident von Frankreich, mit dem mich eine fünfunzwanzigjährige Freundschaft verbunden hatte, ist tot.
Er gehörte zu den ersten Anhängern Gustav Mahlers und kam nach Mahlers Tod öfters nach Wien – hauptsächlich, wie er mir und den Zeitungen sagte, um mich zu besuchen. Er war früher überall hin gereist, wo Mahler seine eigenen Symphonien dirigierte." (S. 239)

Dollfuß wurde von den Nazis ermordet, und nach fünftägigem Weigern nahm Schuschnigg das Amt des Kanzlers an. Er sagte damals wörtlich: 'Ich bin ein erster Zweiter, aber kein erster Erster.'
Später glaubte er es dann doch zu sein… Aber zu seinem und unser aller Unglück. (S. 242)

"Franz Werfel sagte heute: 'Die Juden sollten heute durch Würde und Leistung beweisen, dass die anderen unrecht haben… Aber nicht durch Geschrei.'
Wie recht hat er! Diese mit Recht verzweifelten Juden, die jetzt in Österreich herumrasen, vernichten den letzten Rest von Achtung. Nun ja, sie waren am Ende ihrer Nerven!
Und glauben denn alle diese Menschen, ohne Hitler wäre das nicht gekommen? Hitler ist doch nur ein schwaches Männchen… und fünfzig Millionen Menschen tanzen nach... Nein! eben nicht nach seiner Pfeife, sondern nach der eines viel Größeren, ja – Höchsten! Gott wird auch Hitler aus seiner Gnadenhand fallen lassen.
Der lässt ihn nur so lange gewähren, solange er ihn braucht, um sein Ziel, das wir nicht kennen, zu erreichen… so wie Nebukadnezar, von dem im alten Testament steht, dass Gott ihn 'seinen Knecht' nennt." (S. 242/243)

7. Juli [1935] 
Es wäre der fünfundsiebzigste Geburtstag Gustav Mahlers. – Alles um mich voll Toter.
Ich sehne mich verzweifelt nach Manon [Gropius]. Sie war die meinem Herzen Nächste. Mehr als alle Menschen, die ich einst liebte. Ich liebe nur noch die Idee Manon, sonst nichts mehr auf dieser Welt." (S. 252)

noch nicht korrigiert:

Wir sind seit dem 12. November in New York. So, als ob ich die Kurve zurückverfolgen müsste, die mit meinem Aufstieg an der Seite Gruft Gustav Mahlers begonnen hatte. (S.254)
Max Reinhards furchtbare Angewohnheit, die Nächte wachend zu verbringen, zwang er auch seinen Mitarbeitern auf. Nachts waren die Proben, nachts waren die Konferenzen… Und Franz Werfel kann nie vor 5:00 Uhr früh ins Bett, nach endlosen Gequatsche und immer verzweifelt.

"Ich floh aus der Enge. Die Straße war bedeckt mit den Werbezetteln für das Plebiszit* des armen Schuschnigg. Der Text klang verängstigt und unfrei. Niemand hob die Blätter auf, nur der Wind spielte erbarmungslos mit Ihnen." (S. 273)






* Wikipedia zu Schuschnigg: "Schuschnigg versuchte noch eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs abzuhalten, welche selbst von den illegalen Sozialdemokraten und Kommunisten unterstützt worden wäre. Im ursprünglichen Konzept war noch von einer Volksabstimmung die Rede. Eine solche wäre aber aufgrund Artikel 65 verfassungswidrig gewesen, da sie nur für den Fall eines Konflikts der Regierung mit dem Bundespräsidenten oder der Gesetzgebung vorgesehen war. Innenminister Seyß-Inquart und Minister Edmund Glaise-Horstenau erklärten ihrem Bundeskanzler unverzüglich, dass die Abstimmung in dieser Form verfassungswidrig sei. Gemäß der Verfassung bestimmte der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik, daher durfte er auch eine Volksbefragung über diese Richtlinien abhalten, und dazu war kein Gesetz notwendig. In der Parole wäre ein „Ja“ „keine Änderung“, sondern nur eine „Bekräftigung“ der Verfassung enthalten, und dazu bedurfte es keines Ministerratsbeschlusses. Überdies weilte der Minister Glaise-Horstenau in diesen Tagen auf einer Vortragsreise in Deutschland; der Ministerrat wäre somit nicht vollzählig gewesen.[17]

In einer Rede am 9. März 1938 in Innsbruck kündigte Schuschnigg während einer Massenversammlung der Vaterländischen Front die Volksbefragung für Sonntag, 13. März 1938 an.[18] Dieser Überraschungscoup war administrativ nicht vorbereitet.

Die Frage sollte lauten, ob das Volk ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich“ wolle oder nicht. Schuschnigg unterließ es, dazu das Kabinett zu befragen, da es sich nicht um eine Volksabstimmung, sondern um eine Volksbefragung handelte. Die Stimmauszählung sollte allein von der Vaterländischen Front vorgenommen werden. Die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes sollten am Tage vor der Wahl in ihren Abteilungen geschlossen unter Aufsicht zur Wahl gehen und ihre ausgefüllten Wahlzettel ihren Vorgesetzten offen übergeben. Von der Absicht, dass in den Wahllokalen nur Stimmzettel mit dem Aufdruck „JA“ ausgegeben werden sollten, war Abstand genommen worden.[17]

Ob das Plebiszit nun eine „Flucht nach vorn“ des österreichischen Kanzlers war[19] oder ein „schwerer Fehler“,[20] Hitler änderte seine Strategie und ging nun daran, sein Ziel sofort zu erreichen: Er befahl die Mobilmachung der für den Einmarsch vorgesehenen 8. Armee und wies Seyß-Inquart am 10. März an, ein Ultimatum zu stellen und die österreichischen Parteianhänger zu mobilisieren.

Hitler befürchtete offenbar, die Abstimmung könnte eine Mehrheit gegen den „Anschluss“ erbringen. Unter dem Druck Berlins musste Schuschnigg am 10. März die Volksbefragung absagen. Am 11. März, als die österreichischen Nationalsozialisten bereits vielerorts die Macht übernahmen und deutsche Polizeiexperten per Flugzeug in Wien eintrafen, wurde Schuschnigg zum Rücktritt gezwungen.[21]"


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