23 Oktober 2009

Karl May kritisiert Nietzsches Sprache

Können Sie Jemanden bewundern, der es fertig bringt, zu schreiben: „Die Naturwissenschaft der Tiere bietet ein- Mittel, diesen Satz wahrscheinlich zu machen“? Statt „Naturwissenschaft der Tiere“ müßte es doch wohl zumindest „Naturwissenschaft von den Tieren“ heißen ; aber selbst so : wo lebt der Mensch, dem dafür nicht „Zoologie“ einfiele ? Dann weiter ; sie „bietet ein Mittel“ ? : er meint wohl : „sie bietet Material dar“? Auf gut Deutsch jedenfalls hieße Nietzsches Schwulst: „ Die Zoologie könnte vielleicht Beweismaterial liefern“ — und das ist Einer, der von sich rühmt, „an einer Seite Prosa zu arbeiten, wie an einer Bildsäule? !

Arno Schmidt, von dem ich die Stelle habe, fährt fort:
Und die — mit vollem Recht gerügte — Stelle ist unleugbar von Nietzsche : der Aphorismus 377 aus „Menschliches, Allzumenschliches“! (A. Schmidt: Der sanfte Unmensch, 1958, S.64)

Mehr von Karl May kann man bis zum 3. Mai hier hören.
So kann Karl May selbst für May-Liebhaber zur Strafe werden.
Aber gewiss regt er dazu an, selbst zu lesen.

Mehr zu Arno Schmidt:
"Rasch als exzentrisch und schwierig verschrien, zog sich Schmidt nach Anfangserfolgen bei einem Teil der Kritik (weniger beim Publikum) in den frühen 50er Jahren nach Bargfeld in der Lüneburger Heide zurück. Dort arbeitete er, zum etablierten Literaturbetrieb größtmöglichen Abstand haltend, bis zu seinem Tod kontinuierlich und unbeirrt an einem Prosawerk, das immer noch zum Interessantesten und Herausfordernsten gehört, was die europäische Literatur jener Zeit zu bieten hat. [...] 
Liest man seine früheren Texte aus den 50er Jahren, so ist man erstaunt, wie wenig der Ruf des angeblich unlesbaren Autors mit der Wirklichkeit vereinbar ist.
Zunächst fällt auf, wie kurz die meisten Erzählungen und Romane doch sind. Da ist weniges, was über 100 Seiten hinausginge. Und ja, hier wimmelt es von literarischen Anspielungen und intertexuellen Verweisen, hier wird reichlich Gebrauch gemacht von assoziativen Schreibtechniken, man stolpert über Lautmalereien, unvollkommene Satzkonstruktionen, Bedeutungsüberschneidungen und zahlreiche Neologismen. Schmidt ging es in seiner Literatur nach eigenem Bekunden um “subjektive[…] Versuche[…] einer konformen Abbildung von Gehirnvorgängen durch besondere Anordnung von Prosaelementen”. Aber das klingt komplizierter, als es ist. Wer sich erfolgreich etwa an Döblins schon erwähntem Berlin Alexanderplatz oder an einem der Romane Samuel Becketts versucht hat, dem dürfte die Prosa Schmidts kaum größere Schwierigkeiten bereiten.
Ein einzelgängerischer Bücherwurm
Scheut man jedoch den Sprung ins kalte Wasser und auch das Sich-Verlieren in einer längst unübersichtlich gewordenen Sekundärliteratur, lohnt zum Einstieg der Griff zur kommentierten Ausgabe einer der berühmtesten und besten Erzählungen des Norddeutschen. Schwarze Spiegel, erschienen 1951 als einer der frühesten Texte Schmidts, erzählt von einer dystopischen Zukunft und spielt in den Jahren 1960/62. Auf den Zweiten Weltkrieg folgte bald, so die Fiktion, ein dritter und letzter zwischen den Siegermächten, der in einem Nuklearinferno Leben und Kultur in Europa so gut wie ausgelöscht hat. Der Erzähler, ein einzelgängerischer Bücherwurm und Schriftsteller im mittleren Alter, ist einer von ganz wenigen Überlebenden. Er hat sich in der Isolation gut eingerichtet und ähnelt nicht zufällig in Lebenshaltung und künstlerischen Vorlieben dem Autor selbst. Wie dieser schätzt der Erzähler klassische und romantische Dichter wie Wieland, Tieck und Jean Paul; in seinem durch und durch pessimistischen Weltbild ist das biblische Ungeheuer Leviathan an die Stelle Gottes getreten. [...]"

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