13 März 2011

Goethes Wanderjahre aus Muschgs Sicht

Es ist sehr geistvoll, wie Adolf Muschg uns Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre vorstellt. Aufgrund ihrer offenen Form seien sie bereits die Meisterjahre, die  in der Folge von Lehr- und Wanderjahren dem Lebensbild Wilhelm Meisters noch fehlten. So schreibt er:
Die moderne Machart der "Wanderjahre" mag vom Autor her gesehen viel Unfreiwilliges haben. Ebenso ist sie [...] ein Zeugnis des Widerstands gegen ein oberflächliches Verständnis der Zeit. ("Bis zum Durchsichtigen gebildet". Nachwort zu "Goethe Wilhelm Meisters Wanderjahre", Insel Taschenbuch Frankfurt 1982, S.522)
Das Motto "Die Entsagenden" deutet er im Sinne des Jesuswortes Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. (Matthäus 10,39)
Passend dazu sieht er Goethe "die Kunst-Herrschaft über seine Figuren" aufgeben, um eine neue Kunst zu ermöglichen, die "dem Leser ein Repertoire zu eigenem Freiheitsgebrauch anbietet".
Sicher ist, dass Goethe seinen Lesern viel zugemutet hat und dass er den Wanderjahren "eine Art Unendlichkeit" wie dem Leben selbst zuschrieb und meinte, das Werk fordere, "daß jeder sich zueigne was ihm gemäß ist, was in seiner Lage zur Beherzigung aufrief und sich harmonisch wohltätig erweisen mochte".
Dem folgend werde ich bei meiner nächsten Lektüre dem Werk weniger Respekt als bei früheren Lektüren entgegenbringen und versuchen, ob sich mit dieser Freiheit mehr aneignen lässt.
Ich bin freilich durchaus nicht sicher, ob das gelingen wird.

(Zur Rezeption der Wanderjahre sieh Wikipedia.)

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