09 November 2012

Das Brautkleid


Die Frisur war fertig, Jean wurde entlassen, und nun begannen die geschäftigen Hände die Toilette. Man trug damals keine Crinolinen und Reifröcke, aber tiefausgeschnittene Kleider, indeß war die Büste selbst durch den dreieckigen Fichu und den Polisson verhüllt. Dies war der erste Gegenstand des Ankleidens. Die Brust war bis an den Hals in einen durchsichtigen Polisson von Milchflor, oben mit Blonde garnirt, gehüllt. Ueber diesen bauschte sich leicht ein Fichu von geblümtem Flor. Ein feines Unterkleid von Musselin festigte diese Verhüllung. Dann wurde der atlassene Rock angelegt, an dem eine mäßig lange Schnepptaille saß, die hinten zugeschnürt wurde. Doppelt goldene Stickerei, dazwischen ein Streifen handbreiter goldener Fransen schmückte Rock und Taille.
Der Kaftan selbst hatte Aehnlichkeit mit den damals modischen, aber häßlichen Herrenfracks, die bis auf die Fersen hinabreichten, nur daß er keinen so häßlich umgeschlagenen Kragen hatte. Vielmehr bedeckte ein kleiner, steifer Kragen, mit schmalen Goldfransen besetzt, nur von der Gegend an, wo hinter dem Ohre die Haarlocken herunterfielen, von einem Ohre zum andern, den Hals. Von diesem Kragen aus war der Kaftan vorn ganz ausgeschnitten, sodaß die ganze schöne, in Flor eingehüllte Büste Anna's frei hervortrat. Unter der Herzgrube trat der Kaftan beinahe zusammen, aber nicht ganz, er wurde vielmehr von zwei goldenen Oliven und Schlingen zusammengehalten. Von hier war derselbe wieder nach rückwärts tief ausgeschnitten bis zu einer langen Schleppe auf der Erde, die aber nicht mehr als höchstens zwei Ellen Breite einnahm.
Der Kopfputz bestand in einem türkischen Bunde von einem langen Stück englischen Flors mit goldenen Fransen garnirt, und geschmackvoll geschlungen und geknüpft. Ein passender Fächer, weiß, mit Gold gestickt, fehlte nicht. In der Mitte desselben befand sich ein reizendes Aquarellgemälde; eine schöne, hochgeschürzte Schäferin, die in verführerisch nachlässiger Stellung an einer Quelle eingeschlafen ist, wird von einem im Rosenbusche verborgenen Amor mit dem Pfeile bedroht, hinter dem Rosenbusch aber schaut ein steiffrisirter und gepuderter, aber schöner Männerkopf hervor.
Der Kaftan stand der schönen Blondine himmlisch, wie Lisette und Sophie hundertmal wiederholten; die Gräfin selbst war anderer Meinung, das Gold müßte zu dem schwarzen Haar Olga's weit besser passen, obwol der rosigweiße Teint der Wangen mit ihrer pfirsichrauhen Mattigkeit gegen den Glanz des Atlas lieblich hervortrat. Aber das rothbräunlich schimmernde Haar, das leicht sich kräuselnd in üppiger Fülle bis über die Taille hinabfiel, contrastirte zu wenig mit dem reichen Goldbesatze. Ueberhaupt bildete der Anzug keine Folie, sondern er verschwand eigentlich hinter dem lieblichen Gesichte, man konnte nur dieses ansehen und vergaß alle Pracht des Anzugs.
Welche andere Erscheinung mußte Olga in dieser Kleidung machen. Das blasse Gesicht mit den großen schwarzen Augenbrauen, mit der feingeschnittenen Nase und dem schmalen Munde, mit dem blauschwarz schimmernden Haar, so dachte die Gräfin.
Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 2. Buch, 5. Kapitel

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