20 Juli 2014

Insel Felsenburg: Bericht des Ich-Erzählers

Ich legte mich auf die Jurisprudenz nicht sowohl aus meinem eigenen Antriebe, sondern auf Begehren meiner Mutter, welche eines vornehmen Rechtsgelehrten Tochter war. Allein ein hartes Verhängnis ließ mich die Früchte ihres über meine guten Progressen geschöpften Vergnügens nicht lange genießen, indem ein Jahr hernach die schmerzliche Zeitung bei mir einlief, daß meine getreue Mutter am 16. Apr. 1724 samt der Frucht in Kindesnöten Todes verblichen sei. Mein Vater verlangte mich zwar zu seinem Troste auf einige Wochen nach Hause, weiln, wie er schrieb, weder meine einzige Schwester, noch andere Anverwandte seinen Schmerzen einige Linderung verschaffen könnten. Doch da ich zurücke schrieb: daß um diese Zeit alle Kollegia aufs neue angingen, weswegen ich nicht allein sehr viel versäumen, sondern über dieses seine und meine Herzenswunde ehe noch weiter aufreißen, als heilen würde, erlaubte mir mein Vater, nebst Übersendung eines Wechsels von 200 Spez. Dukaten noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Verfließung dessen aber sollte nach Hause kommen über Winters bei ihm zu verharren, sodann im Frühjahre das galante Leipzig zu besuchen, und meine Studia daselbst zu absolvieren. Sein Wille war meine Richtschnur, dannenhero die noch übrige Zeit in Kiel nicht verabsäumete mich in meinen ergriffenen Studio nach Möglichkeit zu kultivieren, gegen Martini aber mit den herrlichsten Attestaten meiner Professoren versehen nach Hause reisete. [...]
Mein Vater bezeigte teils Leid, teils Freude über meine douce Aufführung, resolvierte sich aber bald, nach meinen Verlangen mich ohne Aufseher, oder wie es zuweilen heißen muß, Hofmeister, mit 300 Fl. und einem Wechselbriefe auf 1000 T1. nach Leipzig zu schaffen, allwo ich den 4. Mart. 1725 glücklich ankam. Wer die Beschaffenheit dieses in der ganzen Welt berühmten Orts nur einigermaßen weiß, wird leichtlich glauben: daß ein junger Pursche, mit so vielem baren Gelde versehen, daselbst allerhand Arten von vergnügten Zeitvertreibe zu suchen Gelegenheit findet. [...]
Ich wohnete ein- und anderm Schmause bei, richtete selbst einen aus, spazierte mit auf die Dörfer, kurz, ich machte alles mit, was honette Pursche ohne Prostitution vorzunehmen pflegen. Jedoch kann nicht leugnen, daß dergleichen Vergnüglichkeiten zum öftern von einem bangen Herzklopfen unterbrochen wurden. Die Ursach dessen sollte zwar noch immer einer Vollblütigkeit zugeschrieben werden, allein mein Herz wollte mich fast im voraus versichern, daß mir ein besonderes Unglück bevorstünde, welches sich auch nach Verfluß weniger Tage, und zwar in den ersten Tagen der Meßwoche, in folgenden Briefe, den ich von meinem Vater empfing, offenbarete:   Mein Sohn, erschrecket nicht! sondern ertraget Vielmehr mein und Euer unglückliches Schicksal mit großmütiger Gelassenheit, da Ihr in diesen Zeilen von mir selbst, leider! versichert werdet: daß das falsche Glück mit dreien fatalen Streichen auf einmal meine Reputation und Wohlstand, ja mein alles zu Boden geschlagen. Fraget Ihr, wie? und auf was Art: so wisset, daß mein Kompagnon einen Bankerott auf zwei Tonnen Goldes gemacht, daß auf meine eigene Kosten ausgerüstete ostindische Schiff bei der Retour von den Seeräubern geplündert, und letztlich zu Komplettierung meines Ruins den Verfall der Aktien mich allein um 50000 T1. spez. bringet. Ein mehreres will hiervon nicht schreiben, weil mir im Schreiben die Hände erstarren wollen. Lasset Euch inliegenden Wechselbrief à 2000 Frfl. in Leipzig von Hrn. H. gleich nach Empfang dieses bezahlen. Eure Schwester habe mit ebensoviel, und ihren besten Sachen, nach Stockholm zu ihrer Base geschickt, ich aber gehe mit einem wenigen von hier ab, um in Ost- oder Westindien, entweder mein verlornes Glück, oder den Tod zu finden. [...]
Der Himmel aber hatte beschlossen: daß sowohl aus meinen geistl. Studieren, als aus der nach Wittenberg vorgenommenen Reise nichts werden sollte. Denn als ich etliche Tage nach meinen gehaltenen Kirchgange und erster Ausflucht mein Morgengebet annoch verrichtete; klopfte der Briefträger von der Post an meine Tür, und nach Eröffnung derselben, wurde mir von ihm ein Brief eingehändiget, welchen ich mit zitternden Händen erbrach, und also gesetzt befand:   D. d. 21. Mai 1725 Monsieur, Ihnen werden diese Zeilen, so von einer Ihrer Familie ganz unbekannten Hand geschrieben sind, ohnfehlbar viele Verwunderung verursachen. Allein als ein Studierender, werden Sie vielleicht besser, als andere Ungelehrte, zu begreifen wissen, wie unbegreiflich zuweilen der Himmel das Schicksal der sterblichen Menschen disponieret. Ich Endesunterschriebener, bin zwar ein Teutscher von Geburt, stehe aber vor itzo als Schiffskapitän in holländischen Diensten, und bin vor wenig Tagen allhier in Ihrer Geburtsstadt angelanget, in Meinung, dero Herrn Vater anzutreffen, dem ich eine der allerprofitablesten Zeitungen von der Welt persönlich überbringen wollte; allein ich habe zu meinem allergrößten Mißvergnügen nicht allein sein gehabtes Unglück, sondern über dieses noch vernehmen müssen: daß er allbereit vor Monatsfrist zu Schiffe nach Westindien gegangen. Diesem aber ohngeachtet, verbindet mich ein geleisteter körperlicher Eid: Ihnen, Mons. Eberhard Julius, als dessen einzigen Sohne, ein solches Geheimnis anzuvertrauen, kraft dessen Sie nicht allein Ihres Herrn Vaters erlittenen Schaden mehr als gedoppelt ersetzen, und vielleicht sich und Ihre Nachkommen, bis auf späte Jahre hinaus glücklich machen können. [...]
allein ich bitte Sie inständig, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, und sich in möglichster Geschwindigkeit auf die Reise nach Amsterdam zu machen, damit Sie längstens gegen St. Johannistag daselbst eintreffen. Der 27. Jun., wo Gott will, ist zu meiner Abfahrt nach Ostindien angesetzt. Finden Sie mich aber nicht mehr, so haben Sie eine versiegelte Schrift, von meiner Hand gestellt, bei dem Bankier, Herrn G. v. B. abzufordern, wornach Sie Ihre Messures nehmen können. Doch ich befürchte, daß Ihre importanten Affären weitläuftiger werden, und wohl gar nicht glücklich laufen möchten, woferne Sie verabsäumeten, mich in Amsterdam auf dem ostindischen Hause, allwo ich täglich anzutreffen und bekannt genug bin, persönlich zu sprechen. Schließlich will Ihnen die Beschleunigung Ihrer Reise zu Ihrer zeitlichen Glückseligkeit nochmals freundlich rekommendieren, Sie der guten Hand Gottes empfehlen, und beharren Monsieur votre Valet Leonhard Wolfgang P. S. Damit Monsieur Julius in meine Zitation kein Mißtrauen zu setzen Ursach habe, folget hierbei ein Wechselbrief à 150 Spez. Dukaten an Herrn S. in Leipzig gestellet, welche zu Reisekosten aufzunehmen sind. [...]

(vollständiger Text)

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