21 Juli 2014

Insel Felsenburg: Bericht des Kapitäns

»Ich bin kein Mann aus vornehmen Geschlechte, sondern eines Posamentiers oder Bortenwürkers Sohn, aus einer mittelmäßigen Stadt, in der Mark Brandenburg, mein Vater hatte zu seinem nicht allzu überflüssigen Vermögen, acht lebendige Kinder, nämlich drei Töchter und fünf Söhne, unter welchen ich der jüngste, ihm auch, weil er schon ziemlich bei Jahren, der liebste war. Meine vier Brüder lerneten, nach ihren Belieben, Handwerke, ich aber, weil ich eine besondere Liebe zu den Büchern zeigte, wurde fleißig zur Schule und Privatinformation gehalten, und brachte es soweit, daß in meinem neunzehnten Jahre auf die Universität nach Frankfurt an der Oder ziehen konnte. Ich wollte Jura, mußte aber, auf expressen Befehl meines Vaters, Medicinam, studieren, ohne Zweifel, weil nicht mehr als zwei allbereit sehr alte Medici, oder deutlicher zu sagen, privilegierte Lieferanten des Todes in unserer Stadt waren, die vielleicht ein mehreres an den Verstorbenen, als glücklich kurierten Patienten verdient haben mochten. [...]
Ich machte gute Progressen in meinen Studieren, weiln alle Quartale nur 30 T1. zu vertun bekam, also wenig Debauchen machen durfte, sondern fein zu Hause bleiben und fleißig sein mußte. Doch mein Zustand auf Universitäten wollte sich zu verbessern Miene machen, denn da ich nach anderthalbjährigen Absein die Pfingstferien bei meinen Eltern zelebrierte, fand ich Gelegenheit, bei meinem, zu hoffen habenden Hrn. Schwiegervater mich dermaßen zu insinuieren, daß er als ein Mann, der in der Stadt etwas zu sprechen hatte, ein jährliches Stipendium von 60 Tlr. vor mich herausbrachte, welche ich nebst meinen väterlichen 30 Tlr. auf einem Brette bezahlt, in Empfang nahm, und mit viel freudigern Herzen wieder nach Frankfurt eilete, als vor wenig Wochen davon abgereiset war. Nunmehro meinete ich keine Not zu leiden, führete mich demnach auch einmal als ein rechtschaffener Pursch auf, und gab einen Schmaus vor zwölf bis sechzehn meiner besten Freunde, wurde hierauf von ein und andern wieder zum Schmause invitiert, und lernete recht pursicos leben, das ist, fressen, saufen, speien, schreien, wetzen und dergleichen. Aber! Aber! meine Schmauserei bekam mir wie dem Hunde das Gras, denn als ich einsmals des Nachts ziemlich besoffen nach Hause ging, und zugleich mein Mütlein, mit dem Degen in der Faust, an den unschuldigen Steinen kühlete, kam mir ohnversehens ein eingebildeter Eisenfresser mit den tröstlichen Worten auf den Hals: ›Bärenhäuter steh!‹ Ich weiß nicht was ich nüchterner Weise getan hätte, wenn ich Gelegenheit gesehen, mit guter Manier zu entwischen, so aber hatte ich mit dem vielen getrunkenen Weine doppelte Courage, eingeschlungen, setzte mich also, weil mir der Paß zu Flucht ohnedem verhauen war, in Positur, gegen meinen Feind offensive zu agieren, und legte denselben, nach kurzen Chargieren, mit einem fatalen Stoße zu Boden. Er rief mit schwacher Stimme: ›Bärenhäuter, du hast dich gehalten als ein resoluter Kerl, mir aber kostet es das Leben, Gott sei meiner armen Seele gnädig.‹ Im Augenblicke schien ich ganz wieder nüchtern zu sein, rufte auch niemanden, der mich nach Hause begleiten sollte, sondern schlich viel hurtiger davon, als der Fuchs vom Hühnerhause. Dennoch war es, ich weiß nicht quo fato, herausgekommen, daß ich der Täter sei; es wurde auch stark nach mir gefragt und gesucht, doch meine besten Freunde hatten mich, nebst allen meinen Sachen, dermaßen künstlich versteckt, daß mich in acht Tagen niemand finden, vielweniger glauben konnte, daß ich noch in loco vorhanden sei. Nach Verfluß solcher ängstlichen acht Tage, wurde ich ebenso künstlich zum Tore hinaus praktizieret, ein anderer guter Freund kam mit einem Wagen hintendrein, nahm mich unterweges, dem Scheine nach, aus Barmherzigkeit, zu sich auf den Wagen, und brachte meinen zitternden Körper glücklich über die Grenze, an einen solchen Ort, wo ich weiter sonderlich nichts wegen des Nachsetzens zu befürchten hatte. [...]
reisete in Gottes Namen nach Amsterdam, allwo ich auf dem Schiffe, der Holländische Löwe genannt, meinen Gedanken nach, den kostbarsten Dienst bekam, weiln jährlich auf 600 holländische Gulden Besoldung sichern Etat machen konnte. Mein Vermögen, welches ich ohne meines vorigen Patrons Schaden zusammengescharret, belief sich auf 800 holländ. Fl. selbiges legte meistens an lauter solche Waren, womit man sich auf der Reise nach Ostindien öfters zehn- bis zwanzigfachen Profit machen kann, fing also an ein rechter, wiewohl annoch ganz kleiner, Kaufmann zu werden. Inmittelst führte ich mich sowohl auf dem Schiffe, als auch an andern Orten, dermaßen sparsam und heimlich auf, daß ein jeder glauben mußte: ich hätte nicht zehn Fl. in meinem ganzen Leben, an meiner Herzhaftigkeit und freien Wesen aber hatte niemand das Geringste auszusetzen; weil ich mir von keinem, er mochte sein wer er wollte, auf dem Munde trommeln ließ. Auf dem Cap de bonne esperence, allwo wir genötiget waren, etliche Wochen zu verweilen, hatte ich eine verzweifelte Renkontre, und zwar durch folgende Veranlassung. Ich ging eines Tages von dem Kap zum Zeitvertreib etwas tiefer ins Land hinein, um mit meiner mitgenommenen Flinte ein anständiges Stückgen Wildpret zu schießen, und geriet von ohngefähr an ein, nach dasiger Art ganz zierlich erbautes Lusthaus, so mit feinen Gärten und Weinbergen umgeben war, es schien mir würdig genung zu sein, solches von außen ringsherum zu betrachten, gelangete also an eine halb offenstehende kleine Gartentür, trat hinein und sahe ein gewiß recht schön gebildet, und wohl gekleidetes Frauenzimmer, nach dem Klange einer kleinen Trommel, die ein anderes Frauenzimmer ziemlich taktmäßig spielete, recht zierlich tanzen. Ich merkte daß sie meiner gewahr wurde, jedennoch ließ sie sich gar nicht stören, sondern tanzte noch eine gute Zeit fort, endlich aber, da sie aufgehöret und einer alten Frauen etwas ins Ohr gesagt hatte; kam die letztere auf mich zu, und sagte auf ziemlich gut Holländisch: ›Wohl mein Herr! Ihr habt ohne gebetene Erlaubnis Euch die Freiheit genommen, meiner gnädigen Frauen im Tanze zuzusehen, derowegen verlangt sie zu wissen, wer Ihr seid, nächst dem, daß Ihr deroselben den Tanz bezahlen sollet.‹ [...]
›Madame‹, versetzte ich, ›wenn nur auf diesem Kap noch mehr so schönes Frauenzimmer wie Ihr seid, anzutreffen wäre, so kann ich Euch versichern, daß auch viel junge Europäer hierbleiben würden.‹ ›Was?‹ fragte sie, ›saget Ihr, daß ich schöne sei, und Euch gefalle?‹ ›Ich müßte‹ war meine Antwort: ›keine gesunde Augen und Verstand haben, wenn ich nicht gestünde, daß mir Eure Schönheit recht im Herzen wohlgefällt.‹ ›Wie kann ich dieses glauben?‹ replizierte sie, ›Ihr sagt, daß ich schöne sei, Euch im Herzen wohlgefalle, und küsset mich nicht einmal? da Ihr doch alleine bei mir seid, und Euch vor niemand zu fürchten habt.‹ Ihre artige lispelnde wiewohl unvollkommene holländis. Sprache kam mir so lieblich, der Inhalt der Rede aber, nebst denen charmanten Mienen, dermaßen entzückend vor, daß anstatt der Antwort mir die Kühnheit nahm, einen feurigen Kuß auf ihre purpurroten und zierlich aufgeworfenen Lippen zu drücken, anstatt dieses zu verwehren, bezahlete sie meinen Kuß, mit zehn bis zwölf andern, weil ich nun nichts schuldig bleiben wollte, wechselten wir eine gute Zeit miteinander ab, bis endlich beide Mäuler ganz ermüdet aufeinander liegen blieben, worbei sie mich so heftig an ihre Brust drückte, daß mir fast der Atem hätte vergehen mögen. [...]
Nächst diesen klagte sie über ihres Liebhabers wunderliche Conduite, sonderlich aber über seine zwar willigen, doch ohnmächtigen Liebesdienste, und wünschte aus einfältigen treuem Herzen, daß ich bei ihr an seiner Stelle sein möchte. Sobald ich meine Brünette aus diesem Tone reden hörete, war ich gleich bereit, derselben meine sowohl willigen als kräftigen Bedienungen anzutragen, und vermeinete gleich stante pede meinen erwünschten, wiewohl strafbarn Zweck zu erlangen, jedoch die Heidin war in diesem Stücke noch tugendhafter als ich, indem sie sich scheute, dergleichen auf eine so liederliche Art, und an einem solchen Orte, wo es fast so gut als unter freien Himmel war, vorzunehmen, inmittelst führeten wir beiderseits starke handgreifliche Diskurse, wobei ich vollends so hitzig verliebt wurde, daß beinahe resolviert war, nach und nach Gewalt zu brauchen, alleine, die nicht weniger erhitzte Brünette wußte mich dennoch mit so artigen Liebkosungen zu bändigen, daß ich endlich Raison annahm; weil sie mir teuer versprach, morgende Nacht in ihrem Schlafgemache alles dasjenige, was ich jetzo verlangete, auf eine weit angenehmere und sicherere Art zu vergönnen. [...]
Immittelst hatten wir uns in solchen andächtigen Gesprächen dermaßen vertieft, daß an gar nichts anders gedacht wurde, erschraken also desto heftiger, als der Signor Canengo ganz unvermutet zur Laubhütte, und zwar mit funkelnden Augen eintrat. Er sagte anfänglich kein Wort, gab aber der armen Alten eine dermaßen tüchtige Ohrfeige, daß sie zur Tür hinausflog, und sich etliche Mal überpurzelte. Meine schöne Brünette legte sich zu meiner größten Gemütskränkung vor diesen alten Maulesel auf die Erde, und kroch ihm mit niedergeschlagenem Gesichte als ein Hund entgegen. Doch er war so complaisant, sie aufzuheben und zu küssen. Endlich kam die Reihe an mich, er fragte mit einer imperieusen Miene: Wer mich hieher gebracht, und was ich allhier zu suchen hätte? ›Signor‹ gab ich zur Antwort, ›niemand anders, als das Glücke hat mich von ohngefähr hieher geführet, indem ich ausgegangen, ein und andere kurieuse europäische Waren an den Mann zu bringen.‹ ›Und etwa‹ setzte er selbst hinzu, ›andern ihre Mätressen zu verführen?‹ Ich gab ihm mit einer negligenten Miene zur Antwort: daß dieses eben meine Sache nicht sei. Demnach fragte er die Dame, ob sie die auf dem Tische annoch ausgelegten Waren schon bezahlt hätte? Und da diese mit nein geantwortet, griff er in seine Tasche, legte mir sechs Dukaten auf den Tisch, und zwar mit diesen Worten: ›Nehmet diese doppelte Bezahlung, und packet Euch zum Teufel, lasset Euch auch nimmermehr bei dieser Dame wieder antreffen, wo Euch anders Euer Leben lieb ist.‹ [...]
Er sahe mich trefflich über die Achsel an, die Koller aber lief Fingers dicke auf, er legte die Hand an den Degen, und stieß die heftigsten Schimpfworte gegen mich aus. Meine Courage kriegte hierbei die Sporen, wir zohen fast zu gleicher Zeit vom Leder, und tummelten uns vor der Hütte weidlich miteinander herum, doch mit dem Unterschiede, daß ich ihm mit einem kräftigen Hiebe den rechten Arm lähmete, und deren noch zweie auf dem Schädel versetzte. Ich tat einen Blick nach der Dame, welche in Ohnmacht gesunken war, da ich aber vermerkte, daß Canengo sich absentierte, und in hottentottischer Sprache vielleicht Hülfe schrie, nahm ich meine im Grase verdeckt liegende Flinte, warf noch ein paar Laufkugeln hinein, und eilete durch eine gemachte Öffnung der Palisaden, womit der Garten umsetzt war, des Weges nach meinem Quartiere zu. [...]
Anfangs lief ich ziemlich hurtig, hernachmals aber tat meine ordentlichen Schritte, wurde aber gar bald inne: daß mich zwei Hottentotten, die so geschwinde als Windspiele laufen konnten, verfolgten, der vorderste war kaum so nahe kommen, daß er sich seiner angebornen Geschicklichkeit gegen mich gebrauchen konnte, als er mit seiner Zagaye, welches ein mit Eisen beschlagener, vorn sehr spitziger Wurfspieß ist, nach mir schoß, zu großen Glück aber, indem ich eine hurtige Wendung machte, nur allein meine Rockfalten durchwarf. Weil der Spieß in meinen Kleidern hangen blieb, mochte er glauben, mich getroffen zu haben, blieb derowegen sowohl als ich stillestehen, und sahe sich nach seinen Kameraden um, welcher mit eben dergleichen Gewehr herzueilete. Doch da allbereit wußte, wie akkurat diese Unfläter treffen können, wollte dessen Annäherung nicht erwarten, sondern gab Feuer, und traf beide in einer Linie so glücklich, daß sie zu Boden fielen, und wunderliche Kolleraturen auf dem Erdboden machten. Ich gab meiner Flinte eine frische Ladung und sahe ganz von weiten noch zwei kommen. Ohne Not standzuhalten, wäre ein großer Frevel gewesen, derowegen verfolgte, unter sehr öftern Zurücksehen, den Weg nach meinem Quartiere, gelangete auch, ohne fernern unglücklichen Zufall, eine Stunde vor Abends daselbst an. Ohne Zweifel hatten meine zwei letztern Verfolger, bei dem traurigen Verhängnisse ihrer Vorläufer, einen Ekel geschöpft, mir weiter nachzueilen. [...]
Es wurde noch selbigen Tages, des redlichen Kapitäns Mutmaßungen gemäß, nicht ein geringes Lärmen wegen dieser Affäre, man hatte mich als den Täter dermaßen akkurat beschrieben, daß niemand zweifelte, Monsieur Wolfgang sei derjenige, welcher den Signor Canengo, als er von ihm bei seiner Mätresse erwischt worden, zuschanden gehauen, zweien Hottentotten tödliche Pillen eingegeben, und welchen der Gouverneur zur exemplarischen Bestrafung per force ausgeliefert haben wollte. Jedoch der redliche Kapitän vermittelte die Sache dergestalt glücklich, daß wir einige Tage hernach ohne die geringste Hindernis von dem Kap absegeln, und unsere Straße nach Ostindien fortsetzen konnten. Ich weiß ganz gewiß, daß er dem Gouverneur meiner Freiheit und Sicherheit wegen ein ansehnliches Präsent gemacht, allein, er hat gegen mich niemals etwas davon gedacht, vielweniger mir einen Stüver Unkosten abgefordert, im Gegenteil, wie ich ferner erzählen werde, jederzeit die größte Konsideration vor mich gehabt. [...]

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