08 September 2014

Hawkstone Park

Hawkstone Park, den 2ten Januar 1827 

Geliebte Freundin! Obgleich ich gestern mich sehr parkblasiert fühlte, und nicht glaubte, noch irgendein lebhaftes Interesse für dergleichen fassen zu können, so bin ich doch heute wieder umgewandelt worden, und muß Hawkstone sogar vor dem bisher Gesehenen den Vorzug geben, welchen ihm, nicht Kunst, noch Pracht und aristokratischer Glanz, sondern die Natur allein verleiht, die hier Außerordentliches getan hat, ja in einem Grade, daß ich, selbst mit der Macht begabt der Schönheit dieser Gegend noch etwas hinzuzusetzen (Gebäude ausgenommen), nicht aufzufinden wüßte, was. Es scheinen hier durchaus alle Elemente für die günstige Lage vereinigt, wie Du aus einer einfachen Beschreibung selbst entnehmen wirst. Wirf also Deine Geistesaugen auf einen Erdfleck von solchem Umfang, daß Du von dem höchsten Punkt darin, rund umher den Blick über 15 verschiedene Grafschaften schweifen lassen kannst. Drei Seiten dieses weiten Panoramas heben und senken sich in steter Abwechselung mannigfacher Hügel und niedriger Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und werden am Horizont von den höchst seltsam geformten, zackigen Felsen und hohen Gebürgen von Wales umgeben, die sich auf ihren beiden Enden sanft nach der vierten Seite der Aussicht, einer fruchtbaren, von Tausenden hoher Bäume beschatteten Ebene abdachen, welche in dämmernder Ferne, da, wo sie mit dem Himmelsgewölke zusammenfließt, von einem weißen Nebelstreife, dem Meere, begrenzt wird. Das Waliser Gebürge ist zum Teil mit Schnee bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwischen so eng mit Hecken und Bäumen durchwirkt, daß es in der Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt, den nur hie und da Gewässer, mit unzähligen größeren und kleineren Wiesen und Feldern durchschneiden. Grade in der Mitte dieser Szene siehst Du nun auf einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Buchen- und Eichwälder hinschauend, die oft mit den üppigsten Wiesenabhängen abwechseln, und deren Inneres 5-600 Fuß hohe Felsenwände mit hellgrün glänzenden, zutage gehenden Kupferadern, nach mehreren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe Gründe und freundliche Täler bilden. An einer der finstersten Stellen dieser Wildnis erheben sich die uralten Ruinen der ›Roten Burg‹, ein prachtvolles Andenken aus den Zeiten Wilhelm des Eroberers. Nun denke Dir noch, daß diese ganze romantische Berggruppe, die sich, ganz für sich allein bestehend, aus der Ebene erhebt, fast in regelmäßigem Kreise von den silberhellen Wellen des Hawk-Flusses umströmt wird, und dieser so natürlich eingeschlossene Raum eben der Park von Hawkstone ist, ein auch in der Umgegend so anerkannt reizender Ort, daß die jungen Ehepaare aus den nahen Städten Liverpool und Shrewsbury seit lange die Gewohnheit haben, wenn ihre Trauung in die schöne Jahreszeit fällt, die ersten Wochen des neuen süßen Glücks in Hawkstone zuzubringen. Vielleicht ist dies die Ursache, daß dieser Park, ganz wider die englische Sitte, mehr dem Publikum als seinem Besitzer gewidmet ist, der gar nicht hier wohnt, ja dessen Haus verfallen und unansehnlich in einem Winkel des Parks, gleich einem hors d'œuvre, verborgen liegt. Dagegen ist ein schöner Gasthof darin erbaut, der besagte Ehepaare, sowie Liebende aller Art, nebst andern Naturfreunden, mit den ausgesuchtesten Betten und solider Stärkung durch Speise und Trank versorgt. Hier schlugen auch wir unser Lager auf, und begannen, nach einem guten Frühstück à la fourchette, den langen Weg zu Fuß – denn wegen des schwierigen Terrains kann der Park nicht befahren werden. Die kletternde Promenade, die im Winter sogar nicht ganz ohne Gefahr ist, dauerte vier Stunden. Über einen weiten Wiesenplan, von Eichen beschattet und von weidenden Herden bedeckt, wanderten wir auf sehr nassem Boden (denn es hatte leider die ganze Nacht geregnet und geschneit) den Kupferfelsen zu. Diese erheben sich über einen hohen Abhang alter Buchen, wie eine darüberhängende Mauer, und sind oben wieder mit schwarzem Nadelholz gekrönt,...

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