Immermann: Die Epigonen,
Mein Eindruck ist, dass Immermann hier die pädagogische Provinz aus Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahren parodiert und zwar in durchaus kritischer Absicht gegenüber dem selbstgerechten Ton, der dort von den Erziehern angeschlagen wird.
Unserm Wanderer fiel der Ernst auf, die wunderbare Strenge, mit welcher sowohl Anfänger als Fortschreitende behandelt wurden; es schien, als wenn keiner aus eigner Macht und Gewalt etwas leistete, sondern als wenn ein geheimer Geist sie alle durch und durch belebte, nach einem einzigen großen Ziele hinleitend. Nirgends erblickte man Entwurf und Skizze, jeder Strich war mit Bedacht gezogen, und als sich der Wanderer von dem Führer eine Erklärung des ganzen Verfahrens erbat, äußerte dieser: die Einbildungskraft sei ohnehin ein vages, unstätes Vermögen, während das ganze Verdienst des bildenden Künstlers darin bestehe, daß er sie immer mehr bestimmen, festhalten, ja endlich bis zur Gegenwart erhöhen lerne.
Man erinnerte an die Notwendigkeit sicherer Grundsätze in andern Künsten. »Würde der Musiker einem Schüler[249] vergönnen, wild auf den Saiten herumzugreifen oder sich gar Intervalle nach eigner Lust und Belieben zu erfinden? Hier wird auffallend, daß nichts der Willkür des Lernenden zu überlassen sei; das Element, worin er wirken soll, ist entschieden gegeben, das Werkzeug, das er zu handhaben hat, ist ihm eingehändigt, sogar die Art und Weise, wie er sich dessen bedienen soll, ich meine den Fingerwechsel, findet er vorgeschrieben, damit ein Glied dem andern aus dem Wege gehe und seinem Nachfolger den rechten Weg bereite; durch welches gesetzliche Zusammenwirken denn zuletzt allein das Unmögliche möglich wird.
Was uns aber zu strengen Forderungen, zu entschiedenen Gesetzen am meisten berechtigt, ist: daß gerade das Genie, das angeborne Talent sie am ersten begreift, ihnen den willigsten Gehorsam leistet. Nur das Halbvermögen wünschte gern seine beschränkte Besonderheit an die Stelle des unbedingten Ganzen zu setzen und seine falschen Griffe, unter Vorwand einer unbezwinglichen Originalität und Selbstständigkeit, zu beschönigen. Das lassen wir aber nicht gelten, sondern hüten unsere Schüler vor allen Mißtritten, wodurch ein großer Teil des Lebens, ja manchmal das ganze Leben verwirrt und zerpflückt wird. (Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, 2. Buch, 8. Kapitel)