07 Januar 2015

Chamisso auf Schloss Cunersdorf

Das Jahr 1813 brachte noch einen anderen Gast nach Schloß Cunersdorf und mit seinem Besuche schließen wir wie mit einem Idyll. Dieser Gast war Chamisso.
Chamisso, bekanntlich infolge der französischen Revolution aus Frankreich emigriert26, hatte als preußischer Offizier die unglückliche Kampagne von 1806 und speziell die Kapitulation von Hameln mit durchgemacht. Seitdem lebte er ausschließlich den Wissenschaften, besonders dem Studium der Botanik. Im Frühjahr 1813 waren seine Mittel erschöpft und Professor Lichtenstein, dem Itzenplitzschen Hause befreundet, empfahl den jungen Botaniker nach Cunersdorf hin, wo er, nach bald erfolgtem Eintreffen, die Anlegung einer großen Pflanzensammlung unternahm, eines Herbariums, das einerseits die Flora des Oderbruchs, andererseits alle Garten- und Treibhauspflanzen des Schlosses selbst enthalten sollte. Chamisso verweilte einen Sommer lang in dieser ländlichen Zurückgezogenheit und unterzog sich seiner Aufgabe mit gewissenhaftem Fleiß. Das von ihm herrührende Herbarium existiert noch. Die Mußestunden gehörten aber der Dichtkunst, und im Cunersdorfer Bibliothekzimmer war es, wo unser Chamisso, am offenen Fenster und den Blick auf den schönen Park gerichtet, den »Peter Schlemihl«, seine bedeutendste und originellste Arbeit niederschrieb.
Einige Stellen aus Briefen, die er damals an Varnhagen und Hitzig richtete, mögen hier auszugsweise einen Platz finden.

Er schreibt an Varnhagen, Cunersdorf, den 27. Mai 1813:

»Lieber Varnhagen, thun und lassen war für mich gleich schmerzhaft; durch den Machtspruch von Ehrenmännern in Unthätigkeit gebannt, bring' ich den Sommer bei dem Herrn von Itzenplitz auf seinen Gütern zu, in Cunersdorf bei Wriezen, und beschäftige mich allein mit Botanik, wozu ich die herrlichsten Hülfen habe. Ich helfe hier übrigens auch den Landsturm exerziren und kommt es zu einem Bauernkrieg, so kann ich mich wohl darein mischen – pro aris et focis. – Mit euch unterzugehen, will ich nicht verneinen.«27

An Hitzig, Cunersdorf, Juni 1813:

»Ich arbeite immer an meinen Pflanzen, gehe mit meinem Gärtner botanisiren, vergleiche meine Kataloge, corrigire die französischen Aufsätze der jungen Leute, unterweise sie etwas in der Botanik... Das war ein schwerer Mai (Lützen und Bautzen). Wie klingt doch so seltsam mit einem Male in mir das Wort Fouqués:

Im Mai, im Mai, im jüngsten Mai,
Wo alles Leben sonst geht auf,
Da ist des jungen Helden Lauf
Ganz wider Blumenart vorbei.

O Gott, möchte er es nicht von sich selber gesungen haben! Grüß mir die Bekannten und Freunde, die Dir in den Wurf kommen. Gott verzeihe mir meine Sünden; aber es ist wahr:

Das ist die schwere Zeit der Noth,
Das ist die Noth der schweren Zeit,
Das ist die schwere Noth der Zeit,
Das ist die Zeit der schweren Noth.

Da hast Du ein Thema.«

An Hitzig (Cunersdorf; wahrscheinlich im September).

»... Du hast nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies das Deiner Frau vor, heute Abend, wenn Du Zeit hast. Wenn sie neugierig wird zu erfahren, wie es Schlemihl weiter ergangen und besonders, wer der Mann im grauen Kleide war, so schick mir gleich morgen das Heft wieder, auf daß ich daran schreibe; – wo nicht, so weiß ich schon, was die Glocke geschlagen hat. Vom dritten Kapitel ist das erst der Anfang; dies und das folgende sind mir sehr beschwerlich – es stehen die Ochsen am Berge.«

An Hitzig (Cunersdorf, Spätherbst 1813).

»Dieses zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Cunersdorf hast, dem Du eben nicht sehr oft schreibst. Es ist eine ganz fatale Empfindung, wenn alle Tage der Postbote einläuft, und die Austheilung der Briefe im Salon geschieht und für einen Jeden etwas da ist, und für den Herrn von Chamisso – nischt niche!
... Ich kratze immer an meinem ›Schlagschatten‹, und wenn ich's Dir gestehen muß, lache und fürchte ich mich manchmal darüber, so wie ich daran schreibe; – wenn die anderen nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes viertes Kapitel habe habe ich mir, nach vielem Kauen, gestern aus einem Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geschnitten und heute abgeschrieben. Es ist auch schon eher Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Prosa-schreiben wird mir ungeheuer sauer, mein Brouillon sieht toller aus als alle Verse, die ich je gemacht.«
Bald nach diesem Briefe scheint Chamisso nach Berlin zurückgekehrt zu sein. Es wird zwar in Cunersdorf erzählt, er habe sich zunächst nach Nennhausen hin, zu Fouqué, auf den Weg gemacht, um diesem seinen Schlemihl vorzulesen; es liegen aber doch wohl Monate dazwischen, da, wie wir aus dem letztzitierten Briefe ersehen, bis etwa Mitte Oktober erst vier Kapitel von elf beendigt waren. Übrigens stand Fouqué damals auch wohl im Felde.
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das Oderland. Das Oderbruch und seine UmgebungenCunersdorf.Graf und Gräfin Itzenplitz. Chamisso in Cunersdorf, S.164-166

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