07 März 2015

Amos Oz: Judas

Rezensionen:

Spiegel, 3.3.15:
"[...] Der Romancier Amos Oz wirkt auch als kritischer Intellektueller. So dass man sich fragt, was bedeutet diese Erzählung über Zweifel am Konzept der Staatsgründung und über Judas, einen vielleicht notwendigen Verräter, für den Nahost-Diskurs?Oz gibt mit der Form des Romans eine Antwort. Den mag er nicht verstanden wissen als Intervention im politischen Streit. Die so mutige wie dramatisch inszenierte künstlerische Auseinandersetzung appelliert an die Fantasie, den idealistischen Verrat als radikale Abweichung vom Mainstream zu denken. [...]"

Frankfurter Rundschau "Ehre des Verrats", 6.3.15
"[...] Was Amos Oz da an historischen Quellen und Forschungsergebnissen zusammenträgt, reichte für ein kleines, feines Seminar. Da steht der Romancier ganz in der Tradition seines gelehrten Großonkels Joseph Klausner („Onkel Joseph“), der durch seine Werke „Jesus von Nazareth“ und „Von Jesus zu Paulus“ für Aufsehen und für Widerspruch gesorgt hatte. Klausner deutete Jesus als einen jüdischen Reformer – und Amos Oz pflichtet ihm jetzt bei.
Der Atheist Schmuel erklärt, er liebe Jesus – doch dieser sei nicht der Sohn Gottes, sondern ein reformierter Jude gewesen, der sich gegen die Auswüchse in der Priesterschaft gewandt habe. Und Judas Ischariot ist für ihn der Begründer des Christentums und nicht dessen größter Feind. Der glühendste Jünger habe Jesus ans Kreuz geliefert, weil er glaubte, in dessen Sinne zu handeln: ohne Kreuzigung kein Christentum. Und so einer wird als Verräter abgestempelt? So einer soll herhalten als Grund für den Judenhass? [...]"
Das apogryphe Judasevangelium (Text)
[... ]    Jesus antwortete und sprach: "Du wirst der Dreizehnte werden, und du wirst von den anderen Geschlechtern verflucht werden - und du wirst kommen, über sie zu herrschen. Am Ende aller Tage werden sie deine Erhebung [47] in das [Geschlecht] der Heiligen verfluchen."
Judasevangelium (Wikipediaartikel)
Inhalt (nach Kassner): "Kernaussage des Judasevangeliums ist, dass Judas der beste Freund Jesu war und mehr Erkenntnis (Gnosis) besaß als alle anderen Jünger. Jesus habe deshalb Judas beauftragt, ihn um des Heils willen zu verraten. Denn durch den Verrat habe Jesus seine leibliche Hülle verlassen und in das wahre göttliche Reich zurückkehren können. Judas habe Jesus daraufhin gefragt, was sein Lohn für den Verrat sei, und Jesus habe ihm sehr offen geantwortet, dass die ganze Welt ihn auf ewig hassen und verdammen werde, er aber als Erleuchteter ebenfalls in das wahre göttliche Reich eingehen werde."

FOCUS 11/2015, 6.3.15
Amos Oz: „Die Geschichte von Judas ist das Tschernobyl des europäischen Antisemitismus“

Die Welt, 7.3.15
"[...] Der Erzähler hütet sich, wie gesagt, als schlichtende Instanz einzugreifen, er legt die Ansichten seiner Figuren nicht auf die Waagschale. Trotzdem spürt der Leser, dass hinter dem Erzählten eine große und entsetzliche Furcht steht. Es ist die Furcht des linken Zionisten Amos Oz, dass der Staat Israel sich in einen muslimischen Vielvölkerfeind verbeißt, dass der Grundstücksstreit zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten sich zu einem Konflikt zwischen dem Judenstaat und dem Islam auswächst – einem Konflikt, den der jüdische Zwergstaat nie und nimmer überleben könnte. Ein anderes Problem, das den Romancier offenbar sehr beschäftigt, ist das Verhältnis der Juden zum Christentum. "Und ich sage Ihnen, Schmuel", heißt es an einer Stelle, "dass der Streit zwischen uns und den Arabern nichts anderes ist als eine kleine Episode in der Geschichte, eine kurze, vorübergehende Episode. In fünfzig oder hundert oder zweihundert Jahren wird sich keiner mehr daran erinnern, während das, was wir mit den Christen haben, etwas Tiefes und Dunkles ist, und es wird noch hundert Generationen andauern." [...]"
Meine persönliche Sicht:
Oz will Verständnis wecken für die, die Neues wagen und so in den Augen der anderen zu Verrätern werden. Sie werden für ihren „Verrat“ bestraft.
Atalja und Micha sind Julia und Romeo, die mit Tod bzw. seelischem Tod bestraft werden, weil sie die Kluft zwischen Juden und Arabern zu überbrücken beginnen. 
Dafür werden sie bestraft.

Schmuel hat etwas von Hamlet, wie Goethe ihn sieht:
"In diesen Worten, dünkt mich, liegt der Schlüssel zu Hamlets ganzem Betragen, und mir ist deutlich, daß Shakespeare habe schildern wollen: eine große Tat auf eine Seele gelegt, die der Tat nicht gewachsen ist. Und in diesem Sinne find ich das Stück durchgängig gearbeitet. Hier wird ein Eichbaum in ein köstliches Gefäß gepflanzt, das nur liebliche Blumen in seinen Schoß hätte aufnehmen sollen; die Wurzeln dehnen aus, das Gefäß wird zernichtet.
Ein schönes, reines, edles, höchst moralisches Wesen ohne die sinnliche Stärke, die den Helden macht, geht unter einer Last zugrunde, die es weder tragen noch abwerfen kann; jede Pflicht ist ihm heilig, diese zu schwer. Das Unmögliche wird von ihm gefordert, nicht das Unmögliche an sich, sondern das, was ihm unmöglich ist. Wie er sich windet, dreht, ängstigt, vor- und zurücktritt, immer erinnert wird, sich immer erinnert und zuletzt fast seinen Zweck aus dem Sinne verliert, ohne doch jemals wieder froh zu werden.«"
(J.W. v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre)

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