18 August 2015

Achim von Arnim:Die Verkleidungen des französischen Hofmeisters und seines deutschen Zöglings

Löwen
Heute war mein Geburtstag, ich bin nun 19 Jahre alt und habe meine Rechtsstudien, mit denen andre kaum in ihrem 24sten Jahr fertig werden, fast beendigt. Ich hoffte jetzt von aller Aufsicht frei zu sein, als mir mein Vater vor vier Wochen den seltsamen französischen Hofmeister schickte, der mir zu beweisen sucht, daß ich noch gar nichts wisse, daß ich noch gänzlich unerzogen sei und meine Lehrjahre nun erst anfangen müsse. Ich berichtete dagegen an meinen Vater, dieser aber zerschmettert alle meine Gründe mit väterlicher Allmacht, befiehlt, mich ganz der Führung des Franzosen zu überlassen, mit dem ich in die Welt eintreten sollte. Der Hofmeister spricht von dieser Welt, als ob sie ganz das Eigentum König Ludwigs XIV. und seiner Franzosen sei, als ob ich dazu noch einmal geboren werden müßte, und ich freue mich gar nicht darauf. Ich soll mich nun besinnen, soll bestimmte Absichten verfolgen und mich nicht fortreißen lassen von Lüsten zu wissenschaftlichen Beschäftigungen. Zu diesem Behufe hat er mir heute das Versprechen abgenommen, alle Abende treulich aufzuschreiben, was ich gedacht und erlebt habe, darüber Betrachtungen anzustellen, was wahr, was falsch, was versäumt oder übereilt sei. Er wußte mir das Unternehmen eines solchen Tagebuchs als höchst nützlich, als sehr unterhaltend darzustellen, heute kann ich aber keins von beiden darin finden. Ich habe nichts erlebt, und gedacht habe ich auch nicht viel, der Vetter führte mich zur Feier des Geburtstages zu den Landsleuten, es wurde viel Bier getrunken. Zu Hause habe ich wieder meine Institutionen geritten und das Buch des Hofmeisters über die Lebensart der großen Welt und die Kunst, Liebesbriefe zu schreiben, aufzuschlagen vergessen. Tue ich daran unrecht, so tue ich es doch nicht mehr als er selbst, wenn er die Zeit des Schlafengehens vergißt und seine Begierde, über Indien etwas zu erfahren, aus tausend vergessenen Büchern befriedigt. Dieser Götzendienst wird ihn in seinen geistlichen Studien als Abbé nicht weiterbringen, die Welt wird sich auch um dergleichen tolles Zeug nicht viel kümmern. Jene Völker scheinen mir nach allem, was er erzählt, eher eine Art Affen, denn vernünftige Menschen, und fänden sich dort nicht die kostbaren Steine und Gewürze, so möchte wohl kein vernünftiger Mensch dahinziehen, mein Herr Hofmeister ausgenommen, der den festen Vorsatz dazu hegt, wenn er meine Erziehung beendigt hat. Ich darf hier dreist über ihn schreiben, der Horcher an der Wand hört seine eigne Schand, und er hat mir bei seiner Ehre geschworen, dieses mein Tagebuch so heilig zu achten, als wäre es die Beichte, die ich meinem Pater Bonifaz ablegte, er will mich auch in der besten Absicht nicht belauschen und nicht in dieses mir dazu geschenkte rote Buch blicken, auch wenn ich es offen neben ihm liegenließe. Er ist ein Mann von Wort, das habe ich schon an ihm achten lernen, ein Mann von sicherem, festem Betragen, den ich nicht wie seinen Vorgänger zu bewachen brauche gegen den Mutwillen der Studenten und gegen eigne dumme Streiche. Was der Abbé die Welt nennt, ist freilich nicht viel anders, als was Pater Bonifaz als den Teufel schilderte, seine Welt ist Paris, und unsre gute Stadt Köln mit allen ihren Heiligtümern ist ihm nicht so viel wert als die Vorzimmer der berühmten Pariserinnen, aus denen er jeden Einfall mit listigem Behagen wiederholt. Immer spricht er von Komödien, worin er mit andern Liebhabern spielte, wie er in Maskenverkleidung die Leute angeführt hat. Er kann es nicht ertragen, daß mir die jetzt lebenden berühmten französischen Schriftsteller langweilig sind. Wie sprang er auf, als ich die Tragödien der Herren Corneille und Racine bei der Zusammenstellung mit den alten Originalen dem schlechten seidnen Zeuge ähnlich fand, das meine Mutter mir zum Schlafrock aus geflickten bunten seidnen Lappen weben ließ; es hält zwar, aber es ist schlechter als jeder einzelne Lappen, der dazu verwendet worden. Er behauptete, der Anstand fordere es, das Anerkannte zu loben, in Frankreich stehe das Urteil fest, und ich würde mir selbst am meisten durch dergleichen Einfälle schaden. Er hat Augen, als ob er einem ins Herz sehen könnte, er plagt sich mit vielen Sorgen für mich, er scheint es gut mit mir zu meinen, daß ich aber dieses Tagebuch zur Sprachübung französisch schreiben muß, ist eine verdammte Plage, die er mir aufgelegt hat. Ich habe ihm darauf mein Wort gegeben, er stellte es mir so leicht vor, und nun schreibe ich doch manchmal etwas andres, als ich schreiben wollte. Brüssel
Mein Herr Hofmeister ist verrückt. Heute läßt er mich aus dem Kollegio zu sich rufen und sagt mir, daß mein Vater mich in Brüssel erwarte, wohin ihn eilige Geschäfte gerufen. Ich finde schon alles Nötige gepackt, ja noch viel mehr, als zu einer so kleinen Reise mir notwendig geschienen hätte, kaum habe ich noch einen Augenblick Zeit, zum Vetter zu laufen, um von ihm Abschied zu nehmen. Der will es kaum glauben und versichert mir, er habe auf mich gar sehr gerechnet bei einer Streitigkeit, welche die Studenten mit den Soldaten anfangen wollten, um einen derselben zu befreien, der zum Tode verurteilt worden, weil er sich von ihm und andern Studenten von seinem Posten fort zu einem Trinkgelage habe führen lassen. Ich war in Verzweiflung, daß ich nicht dabei sein sollte, aber der Vetter rät, die Reise nicht auszusetzen, weil er den Ernst meines Vaters kennt. [...]
Ich stand spät auf, die Wirtin übergab mir einen kurzen Brief von Chardins Hand, er sagte darin, daß er mit diesem Feste meine Erziehung beendigt und sein meinem Vater gegebenes Versprechen, seine Tochter mit mir zu vermählen, erfüllt habe. Sein Vermögen als Mitgabe der Tochter habe er schon größtenteils meinem Vater übergeben. Er sei jetzt fortgeeilt nach Indien, weil der Edelmut des Marquis sich allen seinen Absichten würde entgegengestellt haben. Er hoffe uns wiederzusehen, wenn er die Diamantgruben und die Perlen im Meere zu seiner Befriedigung gesehen, auch eine Frau sich auserwählt habe, die sich nach seinem Tode lebendig verbrennen lasse, und dadurch die Tugend seiner europäischen Frau noch bei weitem überträfe. Zwei Jahre warten sei mit der Ewigkeit nicht zu vergleichen, in welche sich jene auf gut Glück stürzten, um die Seele der Geliebten einzuholen, und er könne immer ein paar Jahre daranwenden, um solch eine Frau für die Ewigkeit sich zu verdienen, der er willig seine sämtlichen alten Glaubensbekenntnisse aufzuopfern dächte.
Diese ironischen Äußerungen möchten wohl das einzige ihm entschlüpfte Zeichen des Unmuts über die Verheiratung seiner Frau gewesen sein, wenn ich aber der Heftigkeit seines Wesens in Brüssel gedenke, als er jene Entdeckung gemacht, so möchte ich fast glauben, daß nur sein großer Lebensmut ihn damals der Verzweiflung entrissen.
Als ich nach Chardin fragte, erfuhr ich, daß er gleich nach einer Serenade, die er uns gebracht, sich auf ein frisches, gekauftes Pferd gesetzt hatte und ohne Begleitung fortgeritten war.
Wir hatten keine Zeit, ihm in unsrer Betrübnis nachzublicken, der Marquis trieb zur Abfahrt. Wir kamen glücklich über die Grenze und ohne Unfall nach Amsterdam, wo wir die Marquise, meine Schwiegermutter, von unsrer Ankunft sehr überrascht fanden, da unser Fluchtgeheimnis keinem Briefe anvertraut werden durfte.
Sehr verwundert erkannte sie in ihrem Schwiegersohne die vermeinte zweite Frau ihres ersten Mannes.
Sie schämte sich der Vertraulichkeit, die sie mir bewiesen, aber die Ereignisse waren doch wohl zu bedeutend, um solchen kleinen Grillen nachzuhängen. Gut war es, daß Chardin sich aus diesem Weltteile fortgeschlichen hatte, meine Schwiegermutter hätte sich sonst so wenig entschlossen wie der Marquis, beieinander verehelicht zu bleiben. Jetzt aber beruhigte sich meine Schwiegermutter mit dem Gedanken, der Mann sei gar nicht so ernster Entschlüsse wert gewesen, er sei nichts als ein Spaßmacher, ein Komödienspieler, eine Maske gewesen.
Ich und meine Frau sind nicht dieser Meinung, aber warum sollten wir sie stören, gewiß aber ist es, daß ihr Ernst und sein Mutwille nicht zusammen gehörten.
Chardin ist auf einem portugiesischen Schiff glücklich entkommen, er schickte ein heitres Schreiben durch ein begegnetes heimkehrendes holländisches Schiff mit mehreren Krügen eingemachter ostindischer Früchte, die er dem Holländer abgekauft hatte. Eben fütterten wir einander damit, meine Frau und ich: Wunderbare süße Früchte – doch kaum so wunderbar, so süß wie meine Laura.

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