18 August 2015

Achim von Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber

»Nicht wahr Lenchen, nun bist du doch nicht mehr bange, daß du mit mir aufs Dorf gegangen, wie jedes andre Mädchen mit seinem Schatze alle Sonntage tut, besonders aber heute, wo ein so schöner Pfingsttag am Himmel steht?« – »Wer hat Ihm gesagt, daß Er mein Schatz ist«, antwortete das schöne Lenchen ganz trocken dem Lehrburschen Fritz Golno, »ich habe einen ganz andern Schatz, und der liegt mir immer in Gedanken.« – »Lenchen, das ist nicht wahr«, antwortete Fritz, und lachte, nahm den Bierkrug und trank: »Aufs Wohlsein deines Schatzes!« – Lenchen trank mit, wischte sich den Mund und sagte: »Ich habe doch noch einen andern Schatz, und damit Er es glaubt, seh Er einmal in mein Arbeitskörbchen!« – »Mädchen, liebe Lene«, schrie der Fritz, als er einen Blick in das Körbchen geworfen, »ich bitte dich, liebe Lene, du hast doch nicht [586] gestohlen? Gib's Geld her, ich will's heimlich wieder hinlegen, wenn du's dem Meister, oder woher du es genommen hast. Ach Lene, wie hast du mich lieben können und dich vom Satan blenden lassen? sieh nur, die Vögel in der Linde ängstigen mich, daß sie es wieder sagen, und ich meine, das Gras hat Ohren.« – »Sei Er ruhig Golno«, sagte Lene und klapperte mit dem Gelde, »rede Er nicht so dumm vom Stehlen, wofür sieht Er mich an? Was ich habe, das ist mein, das hat mir meine himmlische Mutter geschenkt, und dafür soll Er Geselle und Meister werden, und sich einrichten; ich brauch's nicht, da hat Er's, und sei Er sparsam damit, und kein Narr mit einem roten Kamisol, wozu Er neulich so große Lust hatte; seine Kleider machen ihn vor meinen Augen nicht schöner.« – »Lenchen«, sagte er, »du weißt, ich traue dir sonst in allem, was du sagst, du hast noch niemand am Narrenseil geführt, aber ich nehme keinen Heller an, bis du mir erzählt hast, wie du zu dem Schatze gekommen bist, es sind lauter schöne feine Münzen, wie wir sie hier nicht kennen!« – »Es sind Harzgulden«, antwortete das Mädchen. »Du weißt, ich bin vom Harze, aus Harzgerode, da gelten sie; die Goldschmiede nehmen sie überall, denn es ist das feinste Silber. Nun sieh nur, die alle fielen von dem Sterne herunter in mein Hemdchen, als die himmlische Mutter mich in meiner Not anlächelte.« – »Lene«, sagte Golno und schüttelte mit dem schlichtgehaarten Kopfe, »du träumst doch sonst nicht so viel, und magst um dein Leben nicht lügen, sprich doch, wer ist denn die himmlische Mutter?« – »Ja Fritz, darum wollte ich dich fragen, ich weiß nicht, wer das ist; als ich eingesegnet wurde, fragte ich hier den Stadtprediger darnach, der wurde aber recht böse und befahl mir dergleichen papistischen alten Sauerteig, den ich noch aus meiner Heimat mitgebracht, wegzuwerfen. Da konnte ich ihm gar nichts sagen; er sah gar grimmig aus und, was mir geschehen, war mir so lieb und so fromm.« – »Es ist doch sonst ein milder Mann«, meinte Golno.
»Ich habe Ihm wohl noch nicht gesagt, Golno«, fuhr Lene fort, »daß ich nichts von meinen Eltern weiß; ich bin ein Findelkind, das beim Durchzuge abgedankter Soldaten in Harzgerode gefunden wurde. [...]
Am Morgen, als Golno früher aufgestanden war, sein Haus zum Empfange der am zweiten und dritten Tage wiederkehrenden Gäste bereit zu machen, fand er Gundling im Speisezimmer auf einem Polsterstuhle schlafend, oder vielmehr im Erwachen. Gundling bot ihm einen guten Morgen, erzählte, daß er sehr tief geschlafen und viel geträumt habe, dann bat er ihn, nach der Besorgung seiner notwendigen Geschäfte, mit ihm in das Laboratorium seiner Färberei zu gehen, er habe ihm etwas zu vertrauen, er müsse ihm etwas offenbaren, wie es ihm im Schlafe geboten sei. Golno wurde doch neugierig, wie der sonderbare Mann so ernstlich redete, beeilte seine Geschäfte und führte Gundling, dessen Wunsche gemäß in sein Laboratorium. Gundling verschloß die Türe, und fragte Golno: ob er die Rotationen des roten Löwen und des philosophischen Adam ganz kenne. Golno sah ihn verwundert an, und wußte nicht, was er daraus machen sollte. »Auch nichts vom Alkahest?« fragte Gundling noch mehr verwundert, »vielleicht wollt Ihr mir nicht eingestehen, daß Ihr Gold macht, aber faßt Zutrauen, wenn ich Euch sage, daß ich ein Fläschchen besitze und in der Tasche trage, worin eine so starke Tinktur, um wenigstens dreißig Millionen Pfund Silber in Gold zu verwandeln.« – Golno hatte oft schon vom Goldmachen gehört, und glaubte daran, wie seine Zeit, aber so nahe war ihm diese Wunderweisheit nie gekommen; er hielt es für eine Morgengabe, daß er diese Seltsamkeit anstaunen sollte. Nun sagte er aufrichtig zu Gundling, daß er Zweifel in seine Kunst setze, warum er sich über ein sauer erworbnes Brot beklagen würde, wenn er so viele Millionen in seiner Tasche trüge. »Lieber Freund«, sagte Gundling, »meine Narrenkappe schützt meinen Kopf besser, als der stärkste Helm, erführe es ein regierender Fürst, daß ich Adept bin, er würde mich zwingen, für ihn zu arbeiten, was ich doch nach der innern Natur unsrer Kunst nicht darf. Ich kann nur denen von der mühsam erarbeiteten Tinktur geben, die selbst dazu gelangen könnten, wie Ihr Golno, wenn Ihr nicht wirklich schon nach dem Gerede der Stadt Euren Reichtum dem Goldmachen dankt.« – »Nein, so wahr Christus lebt«, sagte Golno, »ich habe nie versucht Gold zu machen, wäre aber herzlich neugierig, einen Versuch der Art zu sehen.« – »Dazu kann schnell Rat werden«, sagte Gundling, [630] »schafft mir Silber, aber feines Silber; Euer Feuer brennt eben, und Tiegel stehen hier auch bereit, es wird Euch doch merkwürdig bleiben, so etwas angesehen zu haben. Glückt's mir nicht, so ersteche ich mich mit diesem meinem Messer.« Er legte das Messer auf den Tisch. –
Golno glühte aus Neugierde, er lief in sein Zimmer, da war aber kein andres feines Silber, als neue Leuchter und Salzmästen, die zur Hochzeit angeschafft worden. Die taten ihm leid, so etwas wurde damals als ein Kunstwerk geachtet und vererbt, er suchte im Zimmer umher, in dem Kasten nach ein paar Hemdknöpfen, und traf auf die hundert Harzgulden, die nach der Versicherung seiner Lene, fein Silber sein sollten: Wie freute er sich, diesen Schatz seines künftigen Kindes am Tage seiner Verheiratung vervielfachen zu können, wie sollte sich dieses Kapital bis zu ihrer Volljährigkeit durch Zinsen vermehren! – Er lief mit dem Beutel in großer Hast nach dem Laboratorium, und gab der Lene, die ihn unterweges mit Glückwünschen aufhalten wollte, nur flüchtige Antwort.
Gundling hatte unterdessen schon alles bereitet, das Feuer brannte, der Tiegel glühte. Als er die Harzgulden betrachtete, und über einen schwarzen Stein strich, den er im Ringe trug, verwunderte er sich, und sagte, es sei kein natürliches Silber, denn das könne nimmermehr so verfeinert werden, um so herrlicher sei es aber zu seinem Versuche, bei diesen Worten warf er sie in den Tiegel. Jetzt zog er aus einem Gürtel unter seinem Hemde ein kleines, geschliffnes Fläschchen mit eingeriebenem Stöpsel, hielt es gegen das Licht, und sagte, da sei ein Reichtum, um gegen die ganze Welt Krieg zu führen, darum dürfe es in keine Hand, die nicht bezeichnet sei. Er öffnete den Stöpsel, fuhr mit einem hölzernen Zahnstocher hinein und führte den Zahnstocher rötlich gefärbt hinaus: »Seht her, Golno, das ist die Tinktur, die höchste Färberei!« – Das meiste von diesem Pulver wischte er noch an dem Eingange des Glases ab, und warf dann den Zahnstecher, der kaum ein wenig rötlich schien, in den Tiegel. Bald entstand ein mächtiges Prasseln in dem Tiegel, als wenn sich etwas gänzlich auflöste, und Gundling sagte, es sei zu viel gewesen, in den Schlacken würde sich die hinlängliche Tinktur zur Tingierung des Doppelten finden. Nach kurzer Zeit goß er den Tiegel aus, und bat Golno ein einzelnes Korn zum Nachbar, dem Goldschmiede Steffen zu bringen. [631]
Das tat Golno in aller Eile, sagte dem Goldschmiede, er hätte rohes ostindisches Gold aus Holland mitgebracht, er möchte ihm sagen, ob es fein sei. Der Goldschmied versicherte, er habe nie so feines bearbeitet, und Golno brachte mit einem mächtigen Staunen diese Nachricht seinem Adepten. Gundling lächelte dazu, und sprach: »Ich liebe Euch, und möchte auch wieder arbeiten, darum sagt mir keinen Dank, wenn ich Euch dieses Fläschchen als Morgengabe bei Eurer Hochzeit verehre. Ihr habt mich für einen Narren gehalten, und doch bedauert, denkt an mich, braucht's, aber dankt mir nicht, Ihr seht mich sobald nicht wieder.« –
Bei diesen Worten verließ er den staunenden Färber in großer Eile, der gar nichts zu sagen vermochte, weil alles Glück, was er in der Welt gefunden, alles, was seine Arbeit erschwungen, wie ein Tropfen gegen diesen Glücksstrom verschwand.
In dieser Verwirrung fand ihn Lene. Sie sah das Gold da liegen, fand noch an einem Stücke das Gepräge der Harzgulden, und fragte traurig: Wie er den Schatz seines Kindes verwaltet, wie er mit der Gabe der himmlischen Mutter gewirtschaftet habe. – Er konnte nicht lügen, und erzählte ihr den staunenswerten Vorgang, wie ein Nachtwandler, dem ein Gespenst in den Weg getreten. Königreiche wollte er kaufen, seine Kinder sollten regieren, alles war aufgeregt in dem einen Menschen, was das Geld in ganzen Nationen an unseligen Begierden verderbt hat. – Und was tat Lene dabei? – [...]

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