11 Dezember 2015

Puschkin: Eugen Onegin

[255] »Mein Onkel tut sehr brav und bieder,
Jetzt plötzlich sterbenskrank zu sein:
So schätzt man ihn doch einmal wieder;
Gescheitres fiel ihm selten ein.
Sein Beispiel – andern eine Lehre!
Wenn nur, o Gott, die Qual nicht wäre,
Vom siechen Greis bei steter Wacht
Nicht loszukommen Tag und Nacht!
Und diese Last gemeinster Pflichten:
Solch halbem Leichnam beizustehn,
Mit Arzenei zur Hand zu gehn,
Wehleidig ihm sein Pfühl zu richten –
Da seufzt man wohl und denkt für sich:
Wann endlich holt der Teufel dich!«
[256] Sein Vater lebte bloß vom Borgen,
Seit der den Dienst mit Fug quittiert,
Vergaß bei Tanz und Schmaus die Sorgen –
Und war dann schließlich ruiniert.
Das Schicksal blieb Eugen gewogen:
Nachdem Madame es süß verzogen,
Gab man, weil trotzig, wenn auch gut,
Das Kind Monsieur l'abbé in Hut.
Der zage Franzmann hielt in Sachen
Des Unterrichts von Sanftmut viel,
Von Strenge wenig, mit dem Ziel,
Dem kleinen Schalk es leicht zu machen;
Ließ gehn, was irgend Zucht noch litt,
Und nahm ihn hübsch zum Stadtpark mit.

[257] Doch als die Zeit der bangen Wonnen,
Wo junge Sehnsucht schwärmt und klagt,
Auch für des Zöglings Herz begonnen,
Da ward Monsieur davongejagt.
Jetzt trat Eugen als freies Herrchen,
Geschniegelt wie ein Dandy-Närrchen,
Modern frisiert und angetan
Erstmalig auf den Weltenplan.
Französisch war ihm ganz zu eigen,
Er sprach und schrieb es tadellos,
War als Masurkatänzer groß
Und konnte sich scharmant verbeugen:
Braucht's mehr, damit die liebe Welt
Uns für gescheit und reizend hält?

2. Buch

[284] Der Landsitz, wo Onegin gähnte,
War recht ein Plätzchen zum Gedeihn;
Dort durfte, wer nach Glück sich sehnte,
Dem Himmel wahrhaft dankbar sein.
An eines Bächleins klarem Spiegel
Stand unterm Windschutz sanfter Hügel
Allein für sich ein Herrenhaus.
Sein Giebel schaute frei hinaus
Auf Saatengold und grüne Matten;
Rings lagen Dörfchen still verstreut,
Viehherden grasten weit und breit,
Und flüsternd wölbte seine Schatten
Des Parks verträumter Wipfelwald,
Ernster Dryaden Aufenthalt.


[285] Das Schloß, von ernst behäb'gen Zügen,
Wie sich's für Schlösser so gebührt,
War würdevoll und streng gediegen
Nach alter Baukunst ausgeführt:
Hochhelle Räume, breite Gänge,
Im Saal schwerseidne Wandbehänge,
Des Zaren Bild in Hermelin
Und bunte Fliesen am Kamin.
Heut gilt das alles für veraltet,
Weiß Gott warum; wie dem auch sei,
Für meinen Freund blieb's einerlei,
Welch ein Geschmack darin gewaltet:
Denn gähnend fand er's ganz egal,
Ob alter, ob moderner Saal.

(PuschkinEugen Onegin)

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