21 September 2017

Johnson: Jahrestage 16. September

Sonnabend ist der Tag der South Ferry. Der Tag der South Ferry gilt als wahrgenommen, wenn Marie mittags die Abfahrt zur Battery ankündigt.
Die Fähren zwischen der Südspitze von Manhattan und Staten Island sah sie zum ersten Mal vom Touristendeck der »France« aus, da mußte sie noch über die Reeling gehoben werden. Sie starrte feindselig auf den Hochhauskaktus Manhattans, der zu Riesenmaßen wuchs, statt zu menschlichen abzunehmen; mit Neugier betrachtete sie die Fährboote, die neben dem Überseeschiff das new yorker Hafenbecken ausmaßen, mehrstöckige Häuser von blau abgesetztem Orange, rasch laufend wie die Feuerwehr. Sie nickte benommen, als Gesine ihr die Fahrzeuge nicht erklären konnte; bei einem Ausflug erkannte sie den Typ auf den zweiten Blick, obwohl die Fährportale ihr das Äußere mit Scheuklappen zugehängt hatten.
Die South Ferry war ihr erster Wunsch an New York, dringend genug, wieder und wieder seine Wirklichkeit ohne Nörgelei abzuwarten: die Fahrt mit dem Brooklyn-Expreß bis zur Chambers Street, die Bummelei auf der Lokalstrecke bis zur kreischenden Schleife der Ubahn um die Station South Ferry, der Aufstieg aus dem Untergrund in den weiträumigen Wartesaal, alles ohne Eifer und Eile. Wenn aber die großen Türen hinter die Wände gerollt wurden, begann sie an Gesines Hand zu ziehen über die Gänge und Brücken zum Schiff, als hätte sie da in all dem Platz für dreitausend Leute einen einzigen und eigenen zu verfehlen. Damals beschrieb sie New York in Zeichnungen für düsseldorfer Freunde als einen bloßen Hafen für orange vielfenstrige Schwimmhöhlen, in denen neben reichlich Autos ein Kindergarten versammelt war. Damals ließ sie sich noch fragen, warum sie Gesines arbeitsfreie Zeit aufgab für Ausfahrten mit der South Ferry: weil es ein Haus ist, das fährt; weil es eine Straße zwischen den Inseln ist, die sich selbst übersetzt; weil es ein Restaurant ist, in dem man reisen kann, ohne sich einen Abschied einzuhandeln.
Und an den Drehkreuzen der South Ferry durfte sie zum ersten Mal in der Stadt selbst eine Fahrt bezahlen; hier war sie unter die Bürger aufgenommen worden. [...] (16.9.1967)

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