11 April 2021

Fanny Lewald: Wandlungen 3. Band, Kapitel 6: Das Gespräch der Freunde, Kapitel 7 Auguste und Friedrich, Kapitel 8 Auguste, Sidonie, Friedrich und Erich

Sechstes Kapitel 

[...] »Ich sagte Dir nicht, daß ich unsere Trennung beabsichtige, ich sprach nur aus, daß ich an die Möglichkeit eines solchen Schrittes gedacht habe in mancher schweren Stunde!« und wieder schwiegen die Freunde.

Erich hatte Recht gehabt, sie standen an dem Scheidewege, der sie Beide trennen konnte. Grade darum aber fühlten sie, wie theuer sie einander waren, wie lange und wie mächtige Erinnerung sie verkettete, wie das Beisammensein der letzten Jahre sie noch fester verbunden hatte, und wie sie einander in Zukunft fehlen würden.

»Wovon denkst Du zu leben? Stehen Deine Plane für die Zukunft fest, wenn man Dein Entlassungsgesuch annimmt?« fragte Erich, der eine liebevolle Genugthuung darin empfunden hatte, den Freund in seiner Nähe und durch seine Hülfe vor Nahrungssorgen geschützt, in relativem Wohlstande zu wissen.

»Ich habe vor, das ererbte Capital für den Bedarf der nächsten Jahre zu verwenden. Sobald ich frei bin, denke ich nach Italien, nach Rom zu gehen.« »Nach Rom? was willst Du dort?« »Ich will Geschichte studiren und Archäologie! Gelingt es mir, diese Studien, wie ich es wünsche, für die Gegenwart nutzbar, für die Nichtstudirten zugänglich zu machen, bin ich im Stande, die Kenntniß der alten Welt und ihrer Kunst zu popularisiren, wie ich's möchte, so hoffe ich der Menschheit damit manches Werkzeug zur Ausrodung des Urwaldes in die Hand zu geben, an dessen Stätte einst unser Tempel stehen soll!« »Und Deine Frau?« fragte Erich. »Auguste soll mit mir gehen!« antwortete Friedrich. »Grade für sie, für die Zukunft unserer Ehe, erwarte ich viel von einer solchen Reise. Der Anblick einer ihr neuen Welt, die großen und mächtigen Eindrücke, die ihr Italien bieten wird, müssen Augustens Sinn erweitern. Das Alleinsein der Reise wird uns näher zu einander führen. Auch in diesem Punkte ersehne ich die Ortsveränderung, und mich dünkt, daß Augustens Entfernung auch Deiner Ehe ersprießlich sein werde.« [...]

Friedrich fühlte sich frisch und jung, Erich traurig und alt, als sie sich an dem Abend trennten. 

Siebentes Kapitel

Frei geworden durch die Mittheilung gegen den Freund, hatte Friedrich beschlossen, gleich am nächsten Morgen Auguste in seine Absicht einzuweihen, obschon ihm davor bangte. Sie saß am Frühstückstische, als er nach einem Gange durch den Garten bei ihr eintrat. »Hast Du gesehen,« rief sie ihm entgegen, »daß die Mairöschen heraus sind? Ich ging früh nach den Radiesbeeten, und fand den Garten wie verzaubert seit gestern. Alles ist voll Rosen!« Sie sah heiter aus, hatte Rosen in einem Glase Wasser auf den Tisch gestellt und selbst einige Rosen an die Brust gesteckt. »Ja!« sagte Friedrich, »auch mir ist die Schönheit unseres Gartens selten so entgegengetreten. Er ist in den drei Jahren ein ganz anderer geworden. Man arbeitet wirklich einen Theil seines Herzens hinein in solch kleinen Besitz. Es hat mich gerührt, als mir heute das Stückchen Erde in so blühendem Dank entgegen schimmerte!« [...]

Auguste und Friedrich

[...] Sie ließ ihn nicht enden. »Wenn Du daran dächtest,« rief sie, »von hier fort zu gehen, so würde ich Dich für den größten Thoren erklären; es sei denn, daß Du irgend eine Superintendentur, oder sonst eine sehr bedeutende Stellung in der Stadt erhieltest, bei der man neben besserem Gehalte eine Position hätte. Aber sonst – sonst wäre es ein Wahnsinn von hier fort zu gehen!« [...]

»Was ist mir Italien?« rief sie aus, »was sind mir seine todte Pracht und seine große Vergangenheit? Hier bin ich heimisch, hier will ich bleiben. Und Friedrich selbst, was will er dort? Was hofft er dort Tröstliches zu finden, das er hier nicht hätte? Was kann er mir dort bieten? Muß ich denn heimathlos werden, muß ich auch noch Mangel und Nahrungssorge kennen lernen, nun denn! so will ich sie doch lieber hier, lieber in der Nähe von Menschen erdulden, die mich nicht verlassen werden! Nur nicht im fremden Lande, unter fremden Leuten, deren Sprache man nicht einmal kennt, von Ort zu Ort wandern, unter dem Drucke täglicher Noth und Sorge!« Ihre Thränen erstickten sie fast, sie schluchzte laut. Mit der zügellosen Phantasie der Unbildung, die vor jedem unerwarteten Ereigniß stutzig wird und sich empört, hatte sie sich die ihr bevorstehende Veränderung ihrer äußeren Verhältnisse in so übertriebener Weise ausgemalt, daß sie sich bereits landflüchtig und am Bettelstabe wähnte, weil ihr Mann seine bisherige amtliche Stellung mit einer freien Thätigkeit vertauschen wollte. Im Grunde konnte sie auch kaum anders empfinden. War sie doch selbst von Kindheit an zu dieser Denk- und Anschauungsweise angeleitet, deren Folgen sich jetzt offenbarten. So lange man die Frauen in dem Glauben erzieht, daß sie als Mädchen von den Eltern, als Gattinnen von dem Manne ein fertiges behagliches Dasein zu fordern haben, weil ihnen der Verkehr mit der Außenwelt und der Erwerb eigentlich nicht zustehen, so lange man sie in dem Wahne erhält, daß die höchste Aufgabe des Weibes in der Ehe das Sparen dessen sei, was der Mann erworben hat, so lange werden alle nicht reichen Männer, alle Männer, deren Einnahmen nicht fest gesichert sind, gerechte Bedenklichkeiten gegen die Ehe hegen, und in allen kritischen Fällen keine Stütze an ihren Frauen haben. Mit der oberflächigen Bildung, mit dem Dilettantismus in den Künsten, mit denen in Deutschland die Jugend der Frauen ausgefüllt wird, gewöhnt man sie an eine unnütze, unfruchtbare Beschäftigung, die in der Ehe meist mit einer eben so unfruchtbaren Haushaltsarbeit vertauscht wird. Es kommt aber nicht darauf an, daß der Mensch Etwas thue, sondern daß er das Vernünftige, das Nützliche thue. Und die Untüchtigkeit der Frauen, die sich mit Angst an das Amt, an die feste Einnahme des Mannes klammern, die den Mann selbst dadurch mehr oder weniger zum Sklaven seines Amtes, zum Sklaven der Regierung machen, hat mehr Antheil an der Unfreiheit unserer politischen Verhältnisse, als es bei oberflächiger Betrachtung scheinen mag. [...]

Achtes Kapitel

Auguste und Sidonie

[...] »Ich bin der Meinung, und Erich stimmt mir vollkommen bei,« erklärte die Baronin, »daß man Friedrich hindern müsse, seine Entlassung zu nehmen. Ein solcher Schritt macht so viel übles Aufsehen. Was sollen der Gemeinde die Bekenntnisse, mit denen er diesen Entschluß nothwendig rechtfertigen müßte? Die Leute denken ohnehin mehr als sie sollten, glauben weniger als ihnen unerläßlich wäre. [...]

Menschen, die sich an Streit gewöhnt haben, verlieren Maß und Ziel, sobald das erste Wort des Zwistes ausgesprochen ist. Nicht der gegenwärtige geringe Anlaß ist es, der sie dann erfaßt; die ganze Vergangenheit tritt vor sie, alle frühere Uneinigkeit wird lebendig, und bei dem gleichgültigsten Anlaß haben sie unter schwerem Leiden das ganze Unglück ihres Lebens durchzukämpfen. Mit einer Erbitterung, wie sie sie niemals noch empfunden hatten, mit dem festen Vorsatze von beiden Seiten, das eigene Recht, den eigenen Willen zu behaupten, erhoben sie sich von dem Mahle; Auguste, um Sidonien mitzutheilen, daß sie, und um welchen Preis sie Friedrich nicht begleite, Friedrich, um das Entlassungsgesuch an das Ministerium aufzusetzen. Indeß noch hatte er es nicht beendet, als Erich bei ihm eintrat. Er bekannte offen, daß er in Folge einer Unterredung mit Auguste komme, und während er diese mit Wärme vertheidigte und beklagte, versuchte er es nochmals, den Freund zum Ueberlegen seines Entschlusses, ja zum Bleiben in seinem Amte zu bestimmen. »Ich habe Dir gestern zugegeben,« sagte er, »daß Du gehen, daß Du Deiner Ueberzeugung folgen müssest. Es ist aber bei lebhaften Menschen eine eigene Sache um die Ueberzeugungen. Ich selbst, weniger erregbar als Du, habe große Sinnesänderungen an mir erfahren, habe an Dir, mein Freund, solch vollständigen Wechsel des Glaubens und der Ueberzeugungen erlebt, daß ich mißtrauisch geworden bin gegen die Beständigkeit des Menschen überhaupt. Laß mich also nochmals die Bitte wiederholen, Du mögest nicht in augenblicklicher Erregung einen letzten Entschluß fassen, der Dich gereuen könnte.« [...]

Da Friedrich schwieg, wie es seine Art war, wenn er lebhaft nachdachte, rief Erich: »Und was wird damit gewonnen sein, wenn Du dem Kinde, dem unfertigen Menschen den Glauben an einen persönlichen Gott zerstörst?«

»Fühlst Du denn nicht, fühlt Ihr Alle nicht,« sagte Friedrich, »wie undenkbar ein Gott ist, den Ihr in Eurer Endlichkeit, mit Euren endlich beschränkten Eigenschaften ausgestattet habt? Fühlt Ihr denn nicht, wie schwer Ihr Euch versündigt an dem unerfaßbaren Principe, das Alles schafft und hält, wenn Ihr diesem Allwaltenden menschliche Eigenschaften beilegt? Ihr sprecht von einem liebenden, von einem rächenden, von einem lohnenden und strafenden Gotte in ganz persönlichem Verhältniß zu Euch selbst. Und über und in uns Allen lebt die Kraft, die unbegreifbare Werdekraft, die Nichts gemein hat mit Liebe und mit Haß, mit Lohn und Strafe, und die Ihr profanirt, indem Ihr sie verkörpert!«

»Aber glaubst Du,« fiel ihm der Baron in's Wort, »glaubst Du, der Du selbst Dich zu klein nennst, die Werdekraft zu begreifen, daß das Kind und der Ungebildete diese kalte Abstraction erfassen, sich zu eigen machen können? Die Phantasie des Kindes, des Naturmenschen ist plastisch. Nimm ihm das Bild, unter der er das Allmächtige verehrt, nimm ihm die schöne Vorstellung eines allliebenden Vaters, die das Christenthum uns gegeben hat, und seine Phantasie wird sich leicht ein ungeheuerliches Phantom erschaffen aus dem Wesen, dem er sich hülflos gegenüber sieht. Es ist für den reifsten Menschen schwer, sich verständnißlos vor den Endfragen unseres Werdens und Vergehens zu bescheiden. Und Du hättest den Muth, eine solche Entsagung dem Volke aufzuerlegen? Du hättest den Muth, dem Volke, von dem Du täglich gezwungen bist, die nothwendige Unterwerfung unter eine Autorität zu fordern, soll es nicht wüster Verwahrlosung und anarchischer Zerstörung anheim fallen, Du hättest den Muth, einem solchen Volke den Glauben an die höchste Autorität zu nehmen, den Glauben an den Allmächtigen? – Bedenke das, Friedrich!«

»Ich habe Alles bedacht! Alles erwogen!« antwortete Friedrich ruhig. »Grade weil ich fühle, daß es Frevel wäre, an den Glauben des Volkes, bei seinem jetzigen Bildungsgrade, zerstörend Hand zu legen, darum muß ich gehen. Ich habe versucht, mich mit mir selbst abzufinden, ich habe vermitteln wollen. Ich wollte die Kinder, das Volk nicht in Disharmonie setzen mit der Welt, in der sie leben. Ich sprach ihnen von einem höchsten Wesen, aber ich gab ihm weder menschliche Eigenschaften wie Liebe und Rache, noch konnte ich ihn als einen Belohner oder Strafer darstellen. Ich sprach von dem Allgeiste, der parteilos und ruhig wirkend über dem All schwebt, der dem Menschen die volle Freiheit, die alleinige Verantwortlichkeit für seine Handlungen gelassen hat, aus denen Glück und Unglück, Lohn und Strafe für ihn erwachsen –«

»Nun, und was war die Folge davon?« fragte der Baron eifrig.

»Die nächste Kirchenvisitation, Du hast es ja mit mir erlebt,« antwortete Friedrich, »die Kirchenvisitation ermittelte schnell, daß den Kindern der Begriff einer Vorsehung, die Vorstellungen von Lohn und Strafe im Jenseits, vom Teufel und von der Hölle, von der Erbsünde und von allen anderen Dogmen fehlten, und ich erntete die mündliche Zurechtweisung des Superintendenten, den schriftlichen Tadel des Consistoriums dafür. Es giebt keine Vermittlung zwischen Glauben und Unglauben, keine, Erich! – Und ich gehe, weil ich erkenne, daß der Einzelne nicht vorschnell zerstören soll, was für Millionen seiner Mitlebenden noch das Heiligste und Höchste ist!«

Es entstand eine lange Pause. Endlich sagte der Baron: »Ja! Du kannst nicht bleiben, Du mußt fort! Aber bringe mir ein Opfer, das mit Deiner eben ausgesprochenen Ueberzeugung leicht vereinbar ist. Es kann einem Manne von Deiner Einsicht nicht darauf ankommen, durch ein öffentliches Bekenntniß Aufsehen und Proselyten im Volke zu machen, denn auch das wäre eine Gewaltsamkeit. Die religiösen Fragen zittern in der Luft, Ronge und Wislicenus haben die Gemüther aufgeregt. Mache Dein Fortgehen zu keiner Demonstration. Verweile noch unter uns, laß die Leute sich an den Gedanken Deiner Reise gewöhnen. Du nützest mir damit. Es ist ein Freundschaftsdienst, den ich von Dir begehre.« [...]

»Verweile noch!« rief der Baron mit der leidenschaftlichen Wärme seiner ersten Jugend, »prüfe, bedenke Alles. Nimm einen Urlaub für's Erste, gehe nach Italien – aber laß mir die Hoffnung, daß eine Sinnesänderung für Dich möglich ist, und daß Du uns erhalten bleiben kannst!«

»Guter, treuer Freund!« sagte Friedrich, »täuschen wir uns nicht –«

»So gönne mir Zeit,« fiel ihm der Baron in's Wort, »mich an den Gedanken zu gewöhnen, Friedrich! – und gehe unbekümmert. Die Sorge für Deinen Stellvertreter und für Auguste bleiben mein, bis Du zurückkehrst!«

Friedrich hatte keine Worte. Stumm drückte er dem Freunde die Hand, dann trennten sie sich für den Tag

(Fanny Lewald: Wandlungen 3. Band Kapitel 6, 7 und 8)


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