Herman Melville: Das Paradies der Junggesellen und der Tartarus der Mädchen
"[...] Lange Reihen stattlicher Porträts zeigen in den Banketthallen, welche großen Männer von Bedeutung – berühmte Adlige, Richter, Lord Kanzler – zu ihrer Zeit Templer waren. Nicht alle Templer sind berühmt geworden, wenn jedoch ein warmes Herz und noch wärmeres Entgegenkommen, reiche Kenntnisse und noch reichere Keller zu haben, guten Rat und herrliche Diners, gewürzt mit sprühenden Unterhaltungen voll Heiterkeit und Phantasie, zu geben, unsterbliche Verdienste sind, dann, ihr Musen, verzeichnet die Namen von R. F. C. und seinem kaiserlichen Bruder.
Obwohl man, um es zum wirklichen Templer zu bringen, unbedingt Jurist sein oder Jura studieren und feierlich in den Orden aufgenommen werden muß, und während viele, obgleich sie Templer sind, nicht im Bezirk des Tempels wohnen, obschon sie dort vielleicht ihre Kanzlei haben, wohnen doch andererseits manche in den altersgrauen Wohnungen, die keine erklärten Templer sind. Wenn Sie als müßiger Gentleman und Junggeselle oder als stiller, unverheirateter Literat, entzückt von der lieblichen Abgeschiedenheit der Örtlichkeit, den Wunsch haben, Ihr schattiges Zelt zwischen den übrigen in diesem erhabenen Lager aufzuschlagen, dann müssen Sie mit einem Mitglied des Ordens besondere Freundschaft schließen und ihn veranlassen, auf seinen Namen, aber auf Ihre Kosten, irgend ein freies Zimmer zu mieten, das Ihnen gerade zusagt.
So machte es, denke ich, Dr. Johnson, nominell junger Ehemann und Witwer, eigentlich aber Junggeselle, als er eine Zeitlang dort wohnte. So machte es auch jener unbestrittene Junggeselle, Charles Lamb, die vortreffliche gute Seele. Und hundert andere, wackere Leute, Brüder vom Orden des Cölibats, haben von Zeit zu Zeit dort diniert, geschlafen und gewohnt. In der Tat ist das Ganze eine Honigwabe von Kanzleien und Wohnungen. Wie jeder Käse ist es in allen Richtungen durchlöchert von den schmucken Junggesellenzellen. Teurer, geliebter Ort! Ach, wenn ich an die herrlichen Stunden im Genuß so fröhlicher Gastfreundschaft dort unter jenen ehrwürdigen Dächern denke, findet mein Herz nur in der Poesie angemessenen Ausdruck, und mit einem Seufzer singe ich leise: »Bringt mich wieder nach dem alten Virginien zurück!«
So also ist im großen und ganzen das Paradies der Junggesellen. Und so fand ich es eines schönen Nachmittags im lieblichen Monat Mai, als ich mich von meinem Hotel am Trafalgar Square aufmachte, um eine Verabredung zum Essen einzuhalten, die ich mit dem kultivierten Barrister, Junggesellen und Richter, R. F. C. (er ist das erste und zweite und sollte das dritte sein, wozu ich ihn hiermit vorschlage) hatte, dessen Karte ich fest zwischen meinem behandschuhten Daumen und Zeigefinger geklemmt hielt, dann und wann wieder einmal rasch auf die erfreuliche Adresse blickend, die unter dem Namen geschrieben war: ›No –, Elm Court, Temple‹.
Im Grunde war er ein wirklich freimütiger, sorgloser, richtig gemütlicher und sehr umgänglicher Engländer. Wenn er beim ersten Kennenlernen zurückhaltend erschien, geradezu eisig in seinem Wesen – Geduld, dieser Champagner will auftauen. Und tut er es nicht, besser gefrorener Champagner als flüssiger Essig.
Neun Herren nahmen am Essen teil, lauter Junggesellen. Einer war von ›No – King's Bench Walk, Temple‹; ein zweiter, dritter, vierter und fünfter von verschiedenen Höfen oder Passagen, die auf ebenso klangvolle Silben getauft waren. Sie bildeten wirklich eine Art Junggesellensenat, von den weit verstreuten Distrikten zu diesem Essen entsandt, um die gesamte Junggesellenschaft des Tempels zu repräsentieren. Ja, die Gäste stellten sogar als Vertreter ein Großparlament der besten Junggesellen von ganz London dar; einige der Anwesenden waren aus entfernten Stadtvierteln, berühmten, uralten Wohnsitzen von Juristen und unverheirateten Männern – Lincoln's Inn, Furnival's Inn, und ein Gentleman, auf den ich mit einer Art indirekter Ehrfurcht blickte, kam daher, wo Lord Verulam einst als Junggeselle verweilte – aus Gray's Inn. [...]"
"[...] »Die Schneiden dieser Schwerter sind von den Mädchen abgekehrt, wenn ich mich nicht irre; aber die Lumpen und die Finger fliegen so schnell, daß ich es nicht genau sehen kann.«
»Abgekehrt.«
Ja, murmelte ich vor mich hin, abgewendet, jetzt sehe ich es; jedes der aufgerichteten Schwerter steht so da, abgewendet, vor jedem Mädchen. Und wenn mein Wissen mich nicht täuscht, war es früher mit verurteilten Staatsgefangenen, die aus der Gerichtshalle zur Richtstätte schritten, genau so: ein Beamter ging vor ihnen her und trug ein Schwert mit abgewendeter Schneide voran, zum Zeichen ihrer Verurteilung zum Tode. So gehen diese bleichen Mädchen durch die schwindsüchtige Blässe ihres leeren, zerfetzten Lebens ihrem Tode entgegen.
»Diese Sicheln sehen sehr scharf aus«, wandte ich mich wieder an den Jungen.
»Ja, sie müssen sie auch so halten. Sehen Sie!«
Zwei Mädchen ließen gerade ihre Lumpen fallen und führten einen Schleifstein an der Sichelklinge auf und ab. Mein daran nicht gewöhntes Blut erstarrte bei dem scharfen Kreischen des gequälten Stahls.
Ihre eigenen Henker! Sie wetzen selbst die Schwerter, die sie treffen, dachte ich.
»Wovon sind diese Mädchen so kreidebleich, mein Junge?«
»Warum?« antwortete er ahnungslos scherzend mit einem schelmischen Zwinkern voll unbewußter Herzlosigkeit. »Der Umgang mit diesen weißen Fetzen wird sie wohl so blaß machen.«
»Ich denke, wir verlassen jetzt den Lumpenraum, mein Junge.«
Tragischer und undurchdringlich dunkler als irgend ein anderer rätselhafter Anblick in der Fabrik, sei es von einem Menschen oder einer Maschine, war die sonderbare Unschuld und die Herzensgrausamkeit dieses von der Gewohnheit hart gemachten Jungen.
»Und nun«, sagte er aufmunternd, »nehme ich an, daß Sie unsere große Maschine sehen wollen, die wir erst vorigen Herbst für zwölftausend Dollar gekauft haben. Es ist auch die Maschine, die das Papier macht. Hier entlang, Sir.« [...]"
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