01 Juni 2013

Goethe als Epiker: Bemerkung während seiner Arbeit an der Achilleis (1797-1798)

"Soll mir ein Gedicht gelingen, das sich an die Ilias einigermaßen anschließt, so muß ich den Alten auch darin folgen worin sie getadelt werden, ja ich muß mir zu eigen machen was mir selbst nicht behagt; dann nur werde ich einigermaßen sicher seyn Sinn und Ton nicht ganz zu verfehlen." Weimar, den 12. Mai 1798

Er hat dann aber den Plan, ein Epos über Achilles zu schreiben, wieder aufgegeben. Vielleicht lag es an diesem Grunde.


Das heißt aber nicht, dass aus dem Plan gar nichts geworden wäre:

Achilleis

Erster Gesang

"Hoch zu Flammen entbrannte die mächtige Lohe noch einmal,
Strebend gegen den Himmel, und Ilios Mauern erschienen
Rot, durch die finstere Nacht; der aufgeschichteten Waldung
Ungeheures Gerüst, zusammenstürzend, erregte
Mächtige Glut zuletzt. Da senkten sich Hektors Gebeine
Nieder, und Asche lag der edelste Troer am Boden.
Nun erhob sich Achilleus vom Sitz vor seinem Gezelte,
Wo er die Stunden durchwachte, die nächtlichen, schaute der Flammen
Fernes, schreckliches Spiel und des wechselnden Feuers Bewegung,
Ohne die Augen zu wenden von Pergamos rötlicher Veste.
Tief im Herzen empfand er den Haß noch gegen den Toten,
Der ihm den Freund erschlug und der nun bestattet dahin sank.
Aber als nun die Wut nachließ des fressenden Feuers
Allgemach, und zugleich mit Rosenfingern die Göttin
Schmückete Land und Meer, daß der Flammen Schrecknisse bleichten,
Wandte sich, tief bewegt und sanft, der große Pelide
Gegen Antilochos hin und sprach die gewichtigen Worte:
So wird kommen der Tag, da bald von Ilios Trümmern
Rauch und Qualm sich erhebt, von thrakischen Lüften getrieben,
Idas langes Gebirg und Gargaros Höhe verdunkelt;
Aber ich werd' ihn nicht sehen! die Völkerweckerin Eos
Fand mich Patroklos' Gebein zusammenlesend, sie findet
Hektors Brüder anjetzt in gleichem frommem Geschäfte,
Und dich mag sie auch bald, mein trauter Antilochos, finden,
Daß du den leichten Rest des Freundes jammernd bestattest.
Soll dies also nun sein, wie mir es die Götter entbieten;
Sei es! Gedenken wir nun des Nötigen, was noch zu tun ist.
Denn mich soll, vereint mit meinem Freunde Patroklos,
Ehren ein herrlicher Hügel, am hohen Gestade des Meeres
Aufgerichtet, den Völkern und künftigen Zeiten ein Denkmal.
Fleißig haben mir schon die rüstigen Myrmidonen
Rings umgraben den Raum, die Erde warfen sie einwärts,
Gleichsam schützenden Wall aufführend gegen des Feindes
Andrang. Also umgrenzten den weiten Raum sie geschäftig.
Aber wachsen soll mir das Werk! Ich eile die Scharen
Aufzurufen, die mir noch Erde mit Erde zu häufen
Willig sind, und so vielleicht befördr' ich die Hälfte;
Euer sei die Vollendung, wenn bald mich die Urne gefaßt hat.
Also sprach er und ging, und schritt durch die Reihe der Zelte
Winkend jenem und diesem und rufend andre zusammen.
Alle sogleich nun erregt ergriffen das starke Geräte,
Schaufel und Hacke mit Lust, daß der Klang des Erzes ertönte,
Auch den gewaltigen Pfahl, den steinbewegenden Hebel.
Und so zogen sie fort, gedrängt aus dem Lager ergossen,
Aufwärts den sanften Pfad, und schweigend eilte die Menge.
Wie wenn zum Überfall gerüstet nächtlich die Auswahl
Stille ziehet des Heers, mit leisen Tritten die Reihe
Wandelt und jeder die Schritte mißt, und jeder den Atem
Anhält, in feindliche Stadt, die schlechtbewachte, zu dringen:
Also zogen auch sie, und aller tätige Stille
Ehrte das ernste Geschäft und ihres Königes Schmerzen.
Als sie aber den Rücken des wellenbespületen Hügels
Bald erreichten und nun des Meeres Weite sich auftat,
Blickte freundlich Eos sie an, aus der heiligen Frühe
Fernem Nebelgewölk, und jedem erquickte das Herz sie.
Alle stürzten sogleich dem Graben zu, gierig der Arbeit,
Rissen in Schollen auf den lange betretenen Boden,
Warfen schaufelnd ihn fort, ihn trugen andre mit Körben
Aufwärts. In Helm und Schild einfüllen sah man die einen,
Und der Zipfel des Kleids war anderen statt des Gefäßes.
Itzt eröffneten heftig des Himmels Pforten die Horen,
Und das wilde Gespann des Helios brausend erhub sich's.
Rasch erleuchtet' er gleich die frommen Äthiopen,
Welche die äußersten wohnen von allen Völkern der Erde.
Schüttlend bald die glühenden Locken, entstieg er des Ida
Wäldern, um klagenden Troern, um rüst'gen Achaiern zu leuchten.
Aber die Horen indes, zum Äther strebend, erreichten
Zeus Kronions heiliges Haus, das sie ewig begrüßen.
Und sie traten hinein, da begegnete ihnen Hephaistos
Eilig, hinkend und sprach auffordernde Worte zu ihnen:
Trügliche! Glücklichen schnelle, den Harrenden langsame! hört mich!
Diesen Saal erbaut' ich, dem Willen des Vaters gehorsam,
Nach dem göttlichen Maß des herrlichsten Musengesanges;
Sparte nicht Gold und Silber, noch Erz, und bleiches Metall nicht;
Und so wie ich's vollendet, vollkommen stehet das Werk noch,
Ungekränkt von der Zeit. Denn hier ergreift es der Rost nicht,
Noch erreicht es der Staub, des irdischen Wandrers Gefährte.
Alles hab' ich getan was irgend schaffende Kunst kann.
Unerschütterlich ruht die hohe Decke des Hauses,
Und zum Schritte ladet der glatte Boden den Fuß ein.
Jedem Herrscher folget sein Thron, wohin er gebietet,
Wie dem Jäger der Hund, und goldene wandelnde Knaben
Schuf ich, welche Kronion, den kommenden, unterstützen,
Wie ich mir eherne Mädchen erschuf. Doch alles ist leblos!
Euch allein ist gegeben, den Charitinnen und euch nur,
Über das tote Gebild des Lebens Reize zu streuen.
Auf denn! sparet mir nichts und gießt aus dem heiligen Salbhorn,
Liebreiz herrlich umher, damit ich mich freue des Werkes,
Und die Götter entzückt so fort mich preisen wie Anfangs.
Und sie lächelten sanft, die beweglichen, nickten dem Alten
Freundlich, und gossen umher verschwenderisch Leben und Licht aus,
Daß kein Mensch es ertrüg' und daß es die Götter entzückte.
Also gegen die Schwelle bewegte sich eilig Hephaistos,
Auf die Arbeit gesinnt, denn diese nur regte das Herz ihm.
Da begegnet' ihm Here, von Pallas Athene begleitet,
Sprechend wechselndes Wort; und als den Sohn sie erblickte,
Hielt sie ihn an sogleich und sprach, die göttliche Here:
Sohn, du mangelst nun bald des selbstgefälligen Ruhmes,
Daß du Waffen bereitest, vom Tode zu schützen die Menschen,
Alle Kunst erschöpfend, wie diese dich bittet und jene
Göttin; denn nah ist der Tag, da zeitig der große Pelide
Sinken wird in den Staub, der Sterblichen Grenze bezeichnend.
Schutz nicht ist ihm dein Helm, noch der Harnisch, auch nicht des Schildes
Umfang, wenn ihn bestreiten die finsteren Keren des Todes.
Aber der künstliche Gott Hephaistos sagte dagegen:
Warum spottest du mein, o Mutter, daß ich geschäftig
Mich der Thetis bewies und jene Waffen verfertigt'?
Käme doch gleiches nicht vom Amboß irdischer Männer;
Ja, mit meinem Gerät verfertigte selbst sie ein Gott nicht,
Angegossen dem Leib, wie Flügel den Helden erhebend,
Undurchdringlich und reich, ein Wunder staunendem Anblick.
Denn was ein Gott den Menschen verleiht, ist segnende Gabe,
Nicht wie ein Feindes-Geschenk, das nur zum Verderben bewahrt wird.
Und mir wäre gewiß Patroklos glücklich und siegreich
Wiedergekehrt, wofern nicht Phöbos den Helm von dem Haupt ihm
Schlug, und den Harnisch trennte, so daß der Entblößte dahin sank.
Aber soll es denn sein, und fordert den Menschen das Schicksal,
Schützte die Waffe nicht, die göttlichste, schützte die Aegis
Selbst nicht, die Göttern allein die traurigen Tage davon scheucht.
Doch was kümmert es mich! Wer Waffen schmiedet, bereitet
Krieg und muß davon der Zither Klang nicht erwarten.
Also sprach er und ging und murrte, die Göttinnen lachten.
Unterdessen betraten den Saal die übrigen Götter.
Artemis kam, die frühe, schon freudig des siegenden Pfeiles,
Der den stärksten Hirsch ihr erlegt an den Quellen des Ida.
Auch mit Iris Hermeias, dazu die erhabene Leto,
Ewig der Here verhaßt, ihr ähnlich, milderes Wesens.
Phöbos folgt ihr, des Sehns erfreut sich die göttliche Mutter.
Ares schreitet mächtig heran, behende, der Krieger,
Keinem freundlich, und nur bezähmt ihn Kypris die holde.
Spät kam Aphrodite herbei, die äugelnde Göttin,
Die von Liebenden sich in Morgenstunden so ungern
Trennet. Reizend ermattet, als hätte die Nacht ihr zur Ruhe
Nicht genüget, so senkte sie sich in die Arme des Thrones.
Und es leuchtete sanft die Hallen her, Wehen des Äthers
Drang aus den Weiten hervor, Kronions Nähe verkündend.
Gleich nun trat er heran, aus dem hohen Gemach, zur Versammlung,
Unterstützt durch Hephaistos' Gebild. So gleitet' er herrlich
Bis zum goldenen Thron, dem künstlichen, saß, und die andern
Stehenden neigten sich ihm, und setzten sich, jeder gesondert.
Munter eilten sogleich die schenkbefliss'nen, gewandten
Jugendgötter hervor, die Charitinnen und Hebe,
Spendeten rings umher des reichen, ambrosischen Gischtes,
Voll, nicht überfließend, Genuß den Uranionen.
Nur zu Kronion trat Ganymed, mit dem Ernste des ersten
Jünglingsblickes im kindlichen Aug', und es freute der Gott sich,
Also genossen sie still die Fülle der Seligkeit alle.
Aber Thetis erschien, die göttliche, traurendes Blickes,
Vollgestaltet und groß, die lieblichste Tochter des Nereus,
Und zu Here sogleich gewendet sprach sie das Wort aus:
Göttin, nicht weggekehrt empfange mich! Lerne gerecht sein!
Denn ich schwör' es bei jenen, die, unten im Tartarus wohnend,
Sitzen um Kronos umher und über der stygischen Quelle,
Späte Rächer dereinst des falsch gesprochenen Schwures:
Nicht her bin ich gekommen, damit ich hemme des Sohnes
Nur zu gewisses Geschick, und den traurigen Tag ihm entferne;
Nein, mich treibet herauf aus des Meeres Purpurbehausung
Unbezwinglicher Schmerz, ob in der olympischen Höhe
Irgend ich lindern möchte die jammervolle Beängstung.
Denn mich rufet der Sohn nicht mehr an, er stehet am Ufer,
Mein vergessend, und nur des Freundes sehnlich gedenkend,
Der nun vor ihm hinab in des Aïs dunkle Behausung
Stieg, und dem er sich nach selbst hin zu den Schatten bestrebet.
Ja, ich mag ihn nicht sehn, nicht sprechen. Hülf' es, einander
Unvermeidliche Not zusammen jammernd zu klagen?
Heftig wandte Here sich um, und fürchterlich blickend
Sprach sie, voller Verdruß, zur Traurigen kränkende Worte:
Gleisnerin, unerforschte, dem Meer gleich, das dich erzeugt hat!
Trauen soll ich? und gar mit freundlichem Blick dich empfangen?
Dich, die tausendfach mich gekränkt, wie sonst, so vor kurzem,
Die mir die edelsten Krieger zum Tod befördert, um ihres
Sohns unerträglichem Sinn, dem unvernünft'gen, zu schmeicheln.
Glaubst du, ich kenne dich nicht und denke nicht jenes Beginnens,
Da dir als Bräutigam schon Kronion herrlich hinabstieg,
Mich, die Gattin und Schwester, verließ, und die Tochter des Nereus
Himmelskönigin hoffte zu sein, entzündet von Hochmut?
Doch wohl kehrt' er zurück, der Göttliche, von des Titanen
Weiser Sage geschreckt, der aus dem verdammlichen Bette
Ihm den gefährlichsten Sohn verkündet. Prometheus verstand es!
Denn von dir und dem sterblichen Mann ist entsprungen ein Untier,
An der Chimära statt und des erdeverwüstenden Drachens.
Hätt' ein Gott ihn gezeugt, wer sicherte Göttern den Äther?
Und wie jener die Welt, verwüstete dieser den Himmel.
Und doch seh' ich dich nie herannahn, daß nicht, erheitert,
Dir der Kronide winkt und leicht an der Wange dir streichelt;
Ja, daß er alles bewilligt, der schreckliche, mich zu verkürzen.
Unbefriedigte Lust welkt nie in dem Busen des Mannes!
Und die Tochter versetzte des wahrhaft sprechenden Nereus:
Grausame! welcherlei Rede versendest du! Pfeile des Hasses!
Nicht verschonst du der Mutter Schmerz, den schrecklichsten aller,
Die das nahe Geschick des Sohnes, bekümmert, umher klagt.
Wohl erfuhrest du nicht wie dieser Jammer im Busen
Wütet des sterblichen Weibes, so wie der unsterblichen Göttin.
Denn, von Kronion gezeugt, umwohnen dich herrliche Söhne,
Ewig rüstig und jung, und du erfreust dich der hohen.
Doch du jammertest selbst, in ängstliche Klagen ergossen,
Jenes Tags, da Kronion, erzürnt, den treuen Hephaistos,
Deinetwegen, hinab auf Lemnos Boden geschleudert;
Und der Herrliche lag, an dem Fuße verletzt, wie ein Erdsohn.
Damals schrieest du laut zu den Nymphen der schattigen Insel,
Riefest den Päan herbei und wartetest selber des Schadens.
Ja, noch jetzt betrübt dich der Fehl des hinkenden Sohnes.
Eilt er geschäftig umher, wohlwollend, daß der den Göttern
Reiche des köstlichen Tranks, und trägt er die goldene Schale
Schwankend, ernstlich besorgt, damit er nicht etwa vergieße,
Und unendlich Gelächter entsteht von den seligen Göttern:
Immer zeigst du allein dich ernst und nimmst dich des Sohns an.
Und ich suchte mir nicht des Jammers gesellige Lindrung
Heute, da mir der Tod des herrlichen, einz'gen bevorsteht?
Denn mir hat es zu fest der graue Vater verkündet,
Nereus, der wahre Mund, des Künftigen göttlicher Forscher,
Jenes Tages als ihr, versammelt, ihr ewigen Götter,
Mir das erzwungene Fest, des sterblichen Mannes Umarmung,
In des Pelions Wäldern, herniedersteigend, gefeiert.
Damals kündete gleich der Greis mir den herrlichen Sohn an,
Vorzuziehen dem Vater, denn also wollt' es das Schicksal;
Doch er verkündet zugleich der traurigen Tage Verkürzung.
Also wälzten sich mir die eilenden Jahre vorüber,
Unaufhaltsam, den Sohn zur schwarzen Pforte des Aïs
Drängend. Was half mir die Kunst und die List? was die läuternde Flamme?
Was das weibliche Kleid? Den Edelsten rissen zum Kriege
Unbegrenzte Begier nach Ruhm und die Bande des Schicksals.
Traurige Tage hat er verlebt, sie gehen zu Ende
Gleich. Mir ist sie bekannt des hohen Geschickes Bedingung.
Ewig bleibt ihm gesicherter Ruhm, doch die Waffen der Keren
Drohen ihm nah und gewiß, ihn rettete selbst nicht Kronion.
Also sprach sie und ging und setzte sich Leto zur Seite,
Die ein mütterlich Herz vor den übrigen Uranionen
Hegt im Busen, und dort genoß sie die Fülle des Schmerzens.
Ernst nun wandte Kronion und mild sein göttliches Antlitz
Gegen die Klagende hin, und väterlich also begann er:
Tochter, sollt' ich von dir der Lästerung heftige Worte
Jemals im Ohre vernehmen! wie sie ein Titan wohl im Unmut
Ausstößt gegen die Götter, die hoch den Olympos beherrschen.
Selber sprichst du dem Sohn das Leben ab, töricht verzweifelnd;
Hoffnung bleibt mit dem Leben vermählt, die schmeichelnde Göttin,
Angenehm vor vielen, die als getreue Dämonen
Mit den sterblichen Menschen die wechselnden Tage durchwallen.
Ihr verschließt sich nicht der Olymp, ja selber des Aïs
Grause Wohnung eröffnet sich ihr, und das eherne Schicksal
Lächelt, wenn sie sich ihm, die Holde, schmeichlerisch andrängt.
Gab doch die undurchdringliche Nacht Admetos' Gemahlin
Meinem Sohne zurück, dem unbezwingbaren? Stieg nicht
Protesilaos herauf die traurende Gattin umfangend?
Und erweichte sich nicht Persephone, als sie dort unten
Hörte des Orpheus Gesang und unbezwingliche Sehnsucht?
Ward nicht Asklepios' Kraft von meinem Strahle gebändigt,
Der, verwegen genug, die Toten dem Leben zurückgab?
Selbst für den Toten hofft der Lebende. Willst du verzweifeln,
Da der Lebendige noch das Licht der Sonne genießet?
Nicht ist fest umzäunt die Grenze des Lebens; ein Gott treibt,
Ja, es treibet der Mensch sie zurück die Keren des Todes.
Darum lass' mir nicht sinken den Mut! bewahre vor Frevel
Deine Lippen und schleuß dem feindlichen Spotte dein Ohr zu.
Oft begrub schon der Kranke den Arzt, der das Leben ihm kürzlich
Abgesprochen, genesen und froh der beleuchtenden Sonne.
Dränget nicht oft Poseidon den Kiel des Schiffes gewaltig
Nach der verderblichen Syrt' und spaltet Planken und Ribben?
Gleich entsinket das Ruder der Hand, und des berstenden Schiffes
Trümmer, von Männern gefaßt, zerstreuet der Gott in den Wogen.
Alle will er verderben, doch rettet manchen der Dämon.
So auch weiß, mich dünkt, kein Gott noch der Göttinnen erste,
Wem von Ilios Feld Rückkehr nach Hause bestimmt sei.
Also sprach er und schwieg; da riß die göttliche Here
Schnell vom Sitze sich auf und stand, wie ein Berg in dem Meer steht,
Dessen erhabene Gipfel des Äthers Wetter umleuchten.
Zürnend sprach sie und hoch, die Einzige, würdiges Wesens:
Schrecklicher, wankend Gesinnter! was sollen die täuschenden Worte?
Sprächest du mich zu reizen etwa? und dich zu ergötzen,
Wenn ich zürne, mir so vor den Himmlischen Schmach zu bereiten?
Denn ich glaube wohl kaum, daß ernstlich das Wort dir bedacht sei.
Ilios fällt! du schwurst es mir selbst, und die Winke des Schicksals
Deuten alle dahin, so mag denn auch fallen Achilleus!
Er, der beste der Griechen, der würdige Liebling der Götter.
Denn wer im Wege steht dem Geschick, das dem endlichen Ziele
Furchtbar zueilt, stürzt in den Staub, ihn zerstampfen die Rosse,
Ihn zerquetschet das Rad des ehernen, heiligen Wagens.
Also acht' ich es nicht, wie viel du auch Zweifel erregest,
Jene vielleicht zu erquicken, die weich sich den Schmerzen dahingibt.
Aber dies sag' ich dir doch und nimm dir solches zu Herzen:
Willkür bleibet ewig verhaßt den Göttern und Menschen,
Wenn sie in Taten sich zeigt, auch nur in Worten sich kund gibt.
Denn so hoch wir auch stehn, so ist der ewigen Götter
Ewigste Themis allein, und diese muß dauren und walten,
Wenn dein Reich dereinst, so spät es auch sei, der Titanen
Übermächtiger Kraft, der lange gebändigten, weichet.

Aber unbewegt und heiter versetzte Kronion:
Weise sprichst du, nicht handelst du so, denn es bleibet verwerflich,
Auf der Erd' und im Himmel, wenn sich der Genosse des Herrschers
Zu den Widersachern gesellt, geschäh' es in Taten,
Oder Worten; das Wort ist nahenden Taten ein Herold.
Also bedeut' ich dir dieses, beliebt's, Unruhige, dir noch
Heute des Kronos Reich, da unten waltend, zu teilen;
Steig' entschlossen hinab, erharre den Tag der Titanen,
Der, mich dünkt, noch weit vom Lichte des Äthers entfernt ist.
Aber euch anderen sag' ich es an, noch drängt nicht Verderben
Unaufhaltsam heran, die Mauern Trojas zu stürzen.
Auf denn! wer Troja beschützt, beschütze zugleich den Achilleus,
Und den übrigen steht, mich dünkt, ein trauriges Werk vor,
Wenn sie den trefflichsten Mann der begünstigten Danaer töten.
Also sprechend erhub er vom Thron sich nach seinen Gemächern.
Und von dem Sitze bewegt entfernten sich Leto und Thetis
In die Tiefe der Hallen; des einsamen Wechselgespräches
Traurige Wonne begehrend, und keiner folgte den beiden.
Nun zu Ares gekehrt rief aus die erhabene Here:
Sohn! was sinnest nun du, deß ungebändigte Willkür
Diesen und jenen begünstigt, den einen bald und den andern
Mit dem wechselnden Glück der schrecklichen Waffen erfreuet.
Dir liegt nimmer das Ziel im Sinn, wohin es gesteckt sei,
Augenblickliche Kraft nur und Wut und unendlicher Jammer.
Also denk' ich, du werdest nun bald, in der Mitte der Troer,
Selbst den Achilleus bekämpfen, der endlich seinem Geschick naht,
Und nicht unwert ist von Götterhänden zu fallen. [...]"
(Goethe: Achilleis)

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