20 Juni 2013

Marlitts "Amtsmanns Magd" zwischen "Stolz und Vorurteil" und "Irrungen, Wirrungen"

Jane Austen ist es in "Stolz und Vorurteil" gelungen, die Begegnung zwischen einer - relativ - armen Frau und einem reichen Mann zu einem Happyend zu führen, ohne dass dies Ende kitschig wirkt. Denn die Frau gibt nur ihr Vorurteil auf, nicht ihren Stolz. Der Mann gibt nur seinen Familienstolz auf und bleibt bei dem Gefühl, das ihn von Anfang an bestimmte. Die psychologischen Unwahrscheinlichkeiten versteht sie in meisterhafter Weise glaubhaft zu machen.
Natürlich lässt sich Austens Roman als Rührstück lesen und verfilmen, die Charakterzeichnung ist aber so differenziert, der Humor und die unterschiedlichen Sehweisen sind so geschickt eingesetzt, dass am Eindruck künstlerischer Meisterschaft kein Zweifel bleibt.
E. Marlitt dagegen, die in "Amtsmanns Magd" dem reichen Mann das Vorurteil (über Erzieherinnen) und der armen Frau den Stolz (auf Gleichberechtigung und wirtschaftliche Unabhängigkeit)  zuordnet, kann die Entwicklung ihrer Hauptpersonen nicht so überzeugend gestalten. Der Mann gibt nur sein Vorurteil über Erzieherinnen auf, kann aber aufgrund seiner wirtschaftlichen Überlegenheit bis zum Schluss an seiner Überlegenheitsrolle festhalten. Die Frau gibt ihre wirtschaftliche Selbständigkeit und angesichts der Frauenrolle in der Ehe des 19. Jahrhunderts auch ihre Gleichberechtigung auf.

Fontane verzichtet bei seiner Erzählung über die arme Frau und den reichen Mann ("Irrungen, Wirrungen") auf das Happyend und hat es damit leichter, eine realistische Geschichte zu erzählen, ohne dass er die Frau in eine ungleiche Ehe führen muss. Bis zum Schluss bleibt Lene die Person, die die Beziehung realistisch einschätzt und die ihre Haltung nicht zu korrigieren braucht. Und ihre Liebe zum reichen Mann nimmt ihr nichts weg, weil sie ihn nicht wegen seines Reichtums liebt, sondern trotz seiner Schwächen und weil sie trotz aller Einsicht und Selbstbescheidung leiden muss, doch dem Mann, der sie aus Schwäche fallen gelassen hat, das Geständnis abnötigt: "Gideon ist besser als Botho".

(Dass das vor allem heißt "Lene ist besser als Botho", kann man im verlinkten Text nachlesen.) Irgendwann will ich aber auch die literarischen Qualitäten E. Marlitts herausarbeiten.

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