04 Juli 2013

Versteckspiel

 Stumm reichte sie ihm den Brief hin. »Was der Tausend – er ist ja für mich!« rief er mit einem Blick auf die Aufschrift. »Von wem?« Sie bückte sich und nahm den Rechen auf. »Von deinem Herrn doch nicht?« forschte er weiter, da die Antwort nicht sofort erfolgte. »Ja, vom Amtmann,« bestätigte sie jetzt in der fast ängstlich knappen Redeweise, die er bereits an ihr kannte. Er wiegte lächelnd den Kopf. »Sieh, sieh, was der alte Herr für eine zierliche Damenhand schreibt!« »Das ist nicht seine Schrift – er leidet an Augenschwäche –« »Ach so, da hat er diktiert, und eine seiner Damen – wie ich vermute, das Fräulein Erzieherin – hat nachgeschrieben.« Er hielt die Aufschrift prüfend von sich ab. »Schöne, schlanke Züge, auf schneeweißem Papier, wie es sich für eine Dame gehört, die mit Küchengerät und Staubtuch rein gar nichts zu schaffen hat.« – Sie warf den Kopf auf, und er hoffte schon auf eine schneidige Antwort; aber umsonst, sie senkte das Kinn wieder auf die Brust und schwieg. »Du bist wohl für deine junge Dame sehr eingenommen?« fragte er, seine brennende Zigarre wieder zum Munde führend. »Ich glaube nicht!« versetzte sie und trat ein wenig zurück, als wolle sie den blauen Duftringeln ausweichen, die ihren Kopf plötzlich umschleierten. Lächerlich! Das Mädchen da, das in öffentlichen Vergnügungslokalen unter ihresgleichen den dicken Dampf unfeinen Knasters atmen mußte, tat verwöhnt und belästigt, als habe sie die feinsten Damennerven – sie kopierte höchst wahrscheinlich das Fräulein Erzieherin. Das ärgerte und reizte ihn – er tat nun erst recht ein paar kräftige Züge. »Du glaubst es nicht?« wiederholte er darauf. »Aber ihr vornehmes Wesen, gefällt dir trotz alledem, wie ich vermute – du möchtest wohl gar zu gern sein wie sie, nicht?« »Das wäre ein sonderbarer Wunsch –« »Ei warum denn? Die schönen Hände pflegen und sich im kühlen Zimmer bedienen zu lassen, ist doch tausendmal wünschenswerter, als ins Heu zu gehen und bei harter Arbeit von der Sonnenhitze ausgedörrt zu werden?« »Meinen Sie, das – das Fräulein arbeite nicht?« »Mein Gott, ja!« versetzte er in spöttischem Ton. »Ich bin sogar überzeugt, daß sie mit behandschuhten Händen sehr fleißig Feldblumen pflückt und sie als geschmackvolle Sträußchen für Albumblätter trocknet oder in Wasserfarben malt; sie wird Kanten sticken, schreiben und lesen und ihre Fingerübungen auf dem Klavier mit grausamer Pünktlichkeit zum Genuß aller nervengereizten Menschen herunterspielen. Nun, stimmt es!« »Zum Teil, ja!« bestätigte sie, wobei sie den Strohhut noch tiefer in die Stirn zog. Es waren hübsche, schlanke, aber tiefgebräunte Finger, die nach dem Hutrand griffen. »Siehst du?« sagte er mit mutwilligem Lächeln. »Ich glaube auch, daß sie sehr gut zu beurteilen versteht, ob du in ihrem Zimmer gründlich abgestäubt und die Ordnung wiederhergestellt hast, sie wird es ebensowohl zu würdigen wissen, wenn dir die süße Mehlspeise geraten und der Braten nicht angebrannt ist.« Ein leises Auflachen kam unter dem weißen Tuch hervor. »Ich weiß nur, daß sie selten zufrieden mit mir ist!« sagte das Mädchen gleich darauf mit Bestimmtheit. »Du wirst es an der gebührenden Unterwürfigkeit fehlen lassen, meine Kleine. – Quält dich das Fräulein Blaustrumpf dafür?« »Dafür nicht; aber sie macht mir oft die bittersten Vorwürfe, wenn meine Kraft mit dem Willen durchaus nicht Schritt halten will.« Er ließ die Hand mit der Zigarre sinken, und seine Augen suchten mit dem Ausdruck von Befremdung unter Tuch und Hutschirm zu dringen. 
(Amtmanns Magd)

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