30 November 2014

Ein Gespräch über Publizistik im 18. Jahrhundert

Mag. O man kann ein Schriftsteller von vielen Bänden werden, ohne den Kopf sonderlich anzustrengen. Was denken Sie wohl Z. B. von einem Prediger der seine gehaltene Predigten drucken läst?
Seb. Wenn meine Gemeinde meine Predigten verlangte, so würde ich sie sehr gern zu ihrem Gebrauche drucken lassen, denn warum solte ich ihr nicht schriftlich sagen, was ich ihr mündlich gesagt habe? Aber auch bloß für meine Gemeine solten meine Predigten gedruckt werden. Ich habe meine Predigten immer besonders nach den Umständen meiner Gemeine eingerichtet. Nun würde ich immer denken, die Welt würde nicht weiter nutzen können, was ich blos meiner Gemeine, gesagt habe, als das, was ich als Vater meinen Kindern zu ihrem bessern Verhalten eingeschärft habe.
Mag. Vielleicht würde doch die Welt, das was Sie so bescheiden ankündigen, mit mehrerm Nutzen lesen, als die Predigten der Herren, welche die ganze Welt für ihre Diöcese halten.
Seb. Es kan seyn, daß auch in meinen Predigten etwas gemeinnütziges ist, aber doch würde das Bändgen, das ich mir der Welt vorzulegen getraute, immer sehr klein seyn.
Mag. Das Bändgen? Wer sich recht auf Predigtschreiben legt, hört vor dem dreizehnten oder vierzehnten Bande nicht auf.
Seb. Wie? dreyzehn oder vierzehn Bände Predigten? dazu gehört mehr Herz als ich habe!
Mag. Freilich Sie haben viel Bedenklichkeiten. Wenn Sie eine Dedication an einen Patron zu machen hätten, und sie könnten kein Buch schreiben, so dächten Sie auch wohl nicht daran, das erste beste Buch wieder drucken zu laßen, und es ihrem Gönner zuzueignen?
Seb. Ich dächte wenigstens, der Patron würde mir nur wenig danken, wenn ich ihm anstatt etwas neues, nur etwas aufgewärmtes versetzte.
Mag. Als wenn der Patron nicht zufrieden seyn müste, daß sein Namen vor dem Buche stehet, und als wenn er es auch noch würde lesen wollen! Gnug daß Ihnen mancher Journalist danken wird, daß Sie durch die neue Herausgabe, unserer Litteratur einen so großen Dienst geleistet haben. Und sie werden noch dazu als ein wichtiger Mann erscheinen, wenn Sie dem Buche eine Vorrede vorsetzen, um es durch ihren Namen der Welt anzupreisen.
Seb. Aber wenn man nicht wirklich sehr berühmt ist, so gehört viel Charletanerie dazu, so eine vornehme Mine zu affectiren.
Mag. Ja! wenn Sie ihren Namen selbst nicht für berühmt halten, so sind sie auf gutem Wege, ihn nie berühmt zu machen. Ich merke wohl Sie wollen incognito arbeiten; damit ist Ihnen auch zu dienen. Da ist mehr als ein Verleger, der seinen Autoren aufträgt was er zu brauchen denkt: Geschichte, Romanen, Mordgeschichte, zuverläßige Nachrichten, von Dingen die man nicht gesehen hat, Beweise, von Dingen die man nicht glaubt, Gedanken, von Sachen die man nicht versteht. Ich kenne einen der in seinem Hause an einem langen Tische zehn bis zwölf Autoren sitzen hat, und jedem sein Pensum fürs Tagelohn abzuarbeiten gibt. Ich läugne es nicht – denn warum solte ich Armuth für Schande halten – ich habe auch an diesem langen Tische gesessen. Aber ich merkte bald, daß ich zu diesem Gewerbe nichts taugte, denn ich kann zwar ohne Gedanken eine Correctur lesen, aber nicht ohne Gedanken Bücher schreiben, und bey solchen Büchern ist immer der am angenehmsten, der nur am geschwindesten schreibt, wenn er auch gleich am schlechtesten schreiben solte.
Seb. Am schlechtesten? da handelt ja der Verleger wider seinen eigenen Vortheil; denn was kan die Welt mit den schlechten Büchern machen.
Mag. Was gehet den Verleger die Welt an? er bringt sein Buch auf die Messe.
Seb. Nun – und durch die Messe kommen die Bücher in die Welt.
Mag. Freilich, nur mit dem Unterschiede, daß sie vorher vertauscht werden, und daß also der Verleger am besten daran ist, der die schlechtesten Bücher hat, weil er gewiß ist, etwas bessers zu bekommen.
Seb. Aber denn müssen doch einige Buchhändler die schlechtesten Bücher bekommen, und die bedaure ich.
Mag. Weswegen? Es ist ihnen ja unbenommen, Narren zu suchen, die aus dem schlechtesten Buche klug zu werden denken, oder die es um Gotteswillen lesen, wie mein alter Conrector wolte, daß ich die schlechten Prediger hören solte.
Seb. Nun fängt mir an ein Licht aufzugehen. So könnte es ja wohl der Vortheil der Buchhändler erfordern, zuweilen schlechte Bücher zu verlegen.
Mag. Dis könnte wohl seyn, wenigstens scheint es nicht, als ob sie sich sonderlich darum zu bekümmern hätten, ob die Bücher gut sind, oder nicht.
Seb. Ja, wenn dis wahr ist, was Sie sagen, so müste ich freilich von der Menge der nützlichen Bücher, über deren Daseyn ich mich gefreuet habe, alle diejenigen abziehen die die Convenienz der Schriftsteller und die Laune der Buchhändler zur Welt bringt.
Mag. Und rechnen Sie immer auch den grösten Theil der ungeheuer großen Anzahl von Büchern ab, mit denen vermittelst unserer Uebersetzungsfabriken Deutschland überschwemmt wird.
Seb. Habe ich recht gehört? Uebersetzungsfabriken? Was soll denn das bedeuten?
Mag. Fabriken, in welchen Uebersetzungen fabricirt werden, das ist ja deutlich.
Seb. Aber Uebersetzungen sind ja keine Leinwand oder keine Strümpfe, daß sie auf einem Stuhle gewebt werden könnten.
Mag. Und doch werden sie beinahe eben so verfertigt, nur, daß man wie bey Strümpfen, bloß die Hände dazu nöthig hat, und nicht, wie bey der Leinwand, auch die Füße. Auch versichre ich Sie, daß keine Lieferung von Hemden und Strümpfen für die Armee genauer bedungen wird, und richtiger auf den Tag muß abgeliefert werden, als eine Uebersetzung aus dem französischen, denn dies wird für die schlechteste, aber auch für die gangbarste Waare, in dieser Fabrik geachtet. 

Aus dem Artikel der Wikipedia:
"Nicolais Mittel der Kritik war hier in der Regel die Polemik, was oft zuerst heftige Reaktionen der Betroffenen auslöste und dann in literarische Dispute ausartete, die häufig von beiderseitiger Rechthaberei gekennzeichnet waren. Bekannt geblieben hiervon ist die Auseinandersetzung mit dem jungen Goethe, dessen Werther Nicolai unter dem Titel Freuden des jungen Werthers 1775 eine um Larmoyanz erleichterte Variante mit „glücklichem Ausgang“ gegenüberstellte [...] Goethe wie auch der vorher angegangene Herder vermochten aber dennoch, Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, eine der wenigen fiktionalen literarischen Werke Nicolais, als Zeitdokument zu würdigen – was unter den Zeitgenossen ansonsten eher Ausnahme blieb. Vom Sturm und Drang bis zur Romantik wurde er als platter Rationalist verspottet. Über die Zeit gerieten, manchmal von anfänglich inniger Freundschaft ausgehend, auf diese Weise unter anderem Johann Georg Hamann, Johann Caspar LavaterChristoph Martin WielandJohann Heinrich VoßJohann Heinrich Jung-Stillingund Ludwig Tieck zu Gegnern des streitbaren Nicolai." (Friedrich Nicolai)

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