Madame Meyer war eine enthusiastische Verehrerin des Schönen, besonders der bildenden Künste, in deren Wesen ihre Freunde ihr tiefe Einsichten zutrauten. Es machte auf Hermanns Augen einen sonderbaren Eindruck, als er zum ersten Male bei ihr vorgelassen wurde. Man führte ihn durch eine Reihe von Zimmern, worin Dämmrung und blendender Lichtglanz abwechselten. Denn, hatte er eins durchschritten, von welchem gemalte Fensterscheiben den Tag abhielten, so trat er in ein andres, in welchem goldgrundierte, heftig-bunte Gemälde die Wände bedeckten, und die Sehnerven sich fast verwundet fühlten. In diesem Hause war der eigentliche Sammelplatz der Künstler und Kunstfreunde, welche bei Medon mehr nur wie Zugvögel einsprachen, weil man ihm anmerken konnte, daß, so gefällig er auch auf artistische Gespräche einzugehn, und so verständig er sie zu führen wußte, sein Sinn und seine Neigung doch mehr andern Gebieten zugewendet waren. Zwei Abende in der Woche waren zu regelmäßigen Zusammenkünften bestimmt, in denen man sich über Gegenstände des Fachs unterhielt, Stein-und Handzeichnungen besah. Blieb nach diesen Beschäftigungen noch Zeit übrig, so pflegte man im Konzertzimmer Musik zu machen, zu welcher meistenteils altkatholische Hymnen auserwählt wurden. Madame Meyer hatte dieses Gemach wie eine kirchliche Kapelle aufschmücken lassen, und sich eine wohlklingende Haus- und Handorgel zu verschaffen gewußt.
Immermann: Die Epigonen,
Advent Nr. 22: Podcast Tonspur Wissen #audio
vor 9 Stunden
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