03 November 2014

Ein Papagei spielt Postbote

Die Klappe des Schreibtisches war offengelassen worden, Papiere, aus farbigen Mappen hervorsehend, lagen darauf. Der dreiste Vogel hatte sich die Entfernung der Gebieterin zunutze gemacht, vieles herausgezerrt, zerbissen, auf den Fußboden gestreut. Jetzt saß er auf dem Rande eines Korbes, welcher zur Aufnahme der weggeworfenen Papierschnitzel diente, und zerstörte mit großer Emsigkeit ein paar feine rote Blättchen, die er zwischen Klauen und Schnabel hin-und herzog. Hermann wollte ihm den Raub abjagen; der Papagei ließ die Blätter in den Korb fallen und entfloh mit lächerlichen Sprüngen. Hermann sah in dem Korbe die halbzerrißnen Blätter auf andern gleichfarbigen liegen; er mußte sie für Wegwurf halten und konnte meinen, wenigstens keine Indiskretion zu begehn, wenn er sich dieselben zueignete. Die Handschrift der Herzogin winkte ihm von ihnen entgegen; in seinen unklaren verworrnen Empfindungen streckte er nach ihnen die bebende Hand aus, er wollte etwas von der Fürstin besitzen, heutebesitzen, er drückte unwillkürlich seinen Mund auf die Blätter, und schob sie unter die Weste; auf seinem Herzen sollten sie ruhn. Wie ein Schatten schwebte die Gestalt Corneliens seiner Seele vorüber, schon hatten seine Finger die Blätter gefaßt, um sie an ihren Ort zurückzubringen, als das Erscheinen der Herzogin, die aus dem anstoßenden Gemache in das Zimmer trat, dieses gute Vorhaben vereitelte.

Immermann: Die Epigonen, 

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