09 November 2014

Flämmchen tanzt "Tod und Auferstehung"

[...] horch, ich höre das Flämmchen, sie soll uns den Tod und die Auferstehung tanzen.« Die Alte richtete sich auf, wankte in eine Ecke, kniete dort nieder, stemmte die Arme in die Seite, und hob an, ein Lied zu singen, welches Hermann, der, sobald die Türe frei geworden war, hatte entfliehn wollen, mit magischer Gewalt zurückhielt. 
Bei seinen Tönen trat Flämmchen ein, im vollen, üppigen Putze, schritt, ohne selbst Hermanns zu achten, wie gefesselt und bezwungen auf die Alte zu, senkte vor ihr das Haupt, und bewegte sich dann nach dem Takte der Melodie rund im Kreise um ihn. Die Worte des Liedes waren wieder aus der fremden Sprache, welche Hermann nicht verstand, aber Melodie und Ausdruck gaben den klaren Sinn. Tief und wehmutsvoll klangen die ersten Strophen, ein Schmerz, der keine Grenzen und keinen Namen hat, zitterte in ihnen, aber gehalten und bewußt. Auf einmal fielen in einem ganz wunderbaren, raschen Tempo wirbelnde, schneidende Töne ein, und zuletzt sprudelte daraus ein Gewimmel von Lauten hervor, als wollten Rhythmus, Worte, Musik einander aufheben und vernichten, ohne daß gleichwohl die dämonische Harmonie in diesem Aufruhre aller Takt – und Tongesetze unterging. Angemessen dem Liede waren die Tanzbewegungen Flämmchens. Das Haupt gesenkt, die Arme schlaff am Leibe niederhangend, den Leib matt in den Hüften wiegend, setzte sie die kleinen, wie durch Starrsucht gefesselten Schritte, lieblich immer, aber träge in die Runde. Es war mehr ein Schleichen, als ein Gehn, die Augen hielt sie halbgeschlossen, die Lippen waren wie von Erschöpfung geöffnet. So gab sie das Bild einer sterbenden Magdalena, an deren süßen Fleische schon der grimmige Freudenhasser nagt. Bald ging dieses Schleichen in ein völliges Stocken über, kaum merklich waren noch die Bewegungen, sie erstarrte endlich, sich auf die Knie niederlassend, zu einer Gestalt von Stein, durch deren Adern und Fibern es nur noch wie ein unseliges Rieseln und Wirbeln lief. Der Anblick dieses schönen Mädchenkörpers, seiner leisen, zuckenden Regungen war unbeschreiblich rührend, die Augen tat sie auf, und warf auf Hermann einen erloschnen Blick, vor dem er gleichwohl die seinigen senken mußte. Denn es rief aus demselben wie mit schluchzendem Munde: »Erlöse mich, o du mein Geliebter, aus den Krallen der zerwühlenden Elemente!« So blieb sie einige Sekunden haften, dann aber warfen die raschen schneidenden Strophen der Alten den Aufruhr auch in ihre Glieder. Sie erhob die Arme, sie richtete sich auf ihre Füße, vorwärts und rückwärts flog der Leib, von den geschwungnen Schenkeln bewegt; immer wilder, zerbrochner wurde dieser rasende Tanz, die Glieder schienen sich voneinander zu lösen und dahin und dorthin zu zerflattern, endlich schwebte das lemurische Gebilde hauchartig in den Lüften, denn kaum den Fußboden noch berührten die Spitzen der Zehen. Die Kreise hatte das tanzende Schattenähnliche aufgegeben, in einer geraden Linie schwebte es gegen den Sarkophag in der Nische, von welcher die Alte den Vorhang hinweggezogen hatte, und zitterte dann mit ängstlichem Wenden von seinem Mumieninhalte zurück. Nachdem dieses Hinan – und Zurückschweben einige Male stattgefunden hatte, verklang das Lied der Alten.

Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 14. Kapitel

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