06 November 2014

Cornelie

Unter solchen Gesprächen waren sie in das Tal hinuntergestiegen. Hermann nahm wahr, daß die Hirten und Melkmädchen, Cornelien, wie sie an ihnen vorüberging, mit einem Ausdrucke grüßten, der an Ehrfurcht grenzte. Ja, eine junge schwarzbraune Dirne, die aus feurigen Augen schaute, sank vor ihr, wie vom Gefühl überwältigt, in die Knie und legte die Hand Corneliens sich auf das Haupt. Ein Lämmchen kam aus der Herde munter auf Cornelien zugesprungen, und gab durch schmeichelnde Gebärden ein Anliegen zu erkennen. Sie beugte sich zu dem zarten Tiere hinab, nahm ein Milchfläschchen aus dem Busen, und tränkte das Geschöpf, welches sich vertraulich an die Knieende anschmiegte, aus der hohlen Hand. Hermann betrachtete mit Vergnügen das reizende Bild. Nachdem sie ihr mildes Geschäft vollbracht, erhob sie sich und sagte: »Das Närrchen hat seine Mutter verloren, und obgleich ein andres mitleidiges Stück der Herde deren Stelle schon oft bei ihm vertreten hat, so sucht es doch immer mich und mein Milchfläschchen, wenn ich mich zeige.« Alles, was Hermann hier sah und hörte, gab ihm das Gefühl eines süßen Friedens, und er malte sich mit Entzücken das Bild der Häuslichkeit aus, welche ihm Cornelie gewähren würde. Denn daß sie nicht länger sich seinem treugemeinten Werben widersetzen werde, war ihm nach dem traulich-liebevollen Empfange, den er hier über alle Erwartung gefunden hatte, gewiß. [...]
»Ich habe dich angehört, nun höre auch du mich an«, versetzte Cornelie mit niedergeschlagnen Augen. »Daß ich mich nicht gegen dich verstellen kann, weißt du, und mein Herz kennst du. Ich denke an dich, wo ich bin und weile, das war seit der Nacht im Walde so bei mir entschieden, und mit Freuden ginge ich für dich in den Tod. Es wäre mir auch kein größeres Glück auf der Welt, als wenn ich dich so täglich einige Stunden sähe, oder wenn das nicht anginge, so wäre ich schon zufrieden, wenn du nur abends im letzten Strahle der Sonne auf die Spitze des Hügels dort trätest, der so grün in das Tal schaut, und ich dann dein Bild von fern in mir empfinge, und es still mit mir zur Ruhe nähme. Sieh, so ist es mit mir. Deinen Wunsch erfülle ich nicht, das ist auch beschlossen.«
Immermann, Die Epigonen, 

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