20 Februar 2017

Calderon: Das große Welttheater II

Vorhergehende Handlung

Der Bettler (zum Reichen).
Ach, aus Eurem Überflusse
Schenkt mir eine Kleinigkeit.
Der Reiche. Gibt's nicht Türen, dran zu klopfen?
Dringt man bis zu mir herein?
Dort im Vorhaus an der Schwelle
Harret man und bittet leis,
Fällt nicht mit der Tür ins Haus.
Der Bettler. Seid nicht hart, erbarmt Euch mein!
Der Reiche. Fort da, unverschämter Bettler!
Der Bettler. Wer zur Lust so vielerlei
Wegwirft, hätte der für mich
Nicht auch etwas übrig?
Der Reiche. Nein.
Die Welt. 's ist ein Geizhals und der Arme
Aus dem Gleichnis, wie mir scheint.
Der Bettler. Da er nicht die Not begreift,
Wag' ich's, mich in meinem Leid
An den König selbst zu wenden.
Herr, gedenk in Milde mein!
Der König. Meinen Großalmosenier
Setzt' ich zu dem Zwecke ein.
Die Welt. Mit Ministern schanzt der König
Klüglich sein Gewissen ein. [...]
Der Meister. Manchen Fehl' könnt' ich verbessern,
Der sich meinem Blick hier beut,
Doch dazu gab ich dem Menschen
Starken Willen und das Reich
Über seine Leidenschaften,
Auf daß jeder tüchtig sei,
Durch sein Tun sich selbst zu adeln;
Und so lass' ich alle frei
Heute ihre Rollen spielen.
Doch, wie bunt die Wirrung sei,
Im Zusammenspiel beacht' ich
Jeglichen für sich allein,
Allen das Gesetz verkündend:
Das Gesetz. Tue recht – Gott über euch!
Wiederholt schon jedem einzeln
Sowie allen im Verein
Sagt' ich's, und so wird ihr Irrtum
Künftig ihre Schuld auch sein:
Sollst gleich dir den Nächsten lieben,
Tue recht, Gott über euch! [...]
Eine Stimme (singt von der Grabespforte her).
König dieses schwanken Reiches,
Lasse, laß den stolzen Wahn,
Denn schon dunkelt rings die Bühne,
Deine Rolle ist vollbracht.
Der König. Daß verklungen meine Rolle,
Eine Stimme zu mir sang –
O wie mir das Herz sich wendet
Bei dem schauerlichen Klang!
Ist's zu Ende nun, so muß ich
Weichen, doch wo tret' ich ab?
Dorthin zu der ersten Türe,
Wo ich meine Wiege sah,
Ist der Pfad verwehrt, ich kann
Nicht zurück mehr; o wie hart,
Keinen einz'gen Schritt zur Wiege
Lenken dürfen! Nach dem Grab
Zielen alle – Kehrt der Strom,
Der als Meeresarm entsprang,
Doch zum Meer zurück, die Quelle,
Die sich frisch dem Strom entschwang,
Wird einst wieder Strom, das Bächlein,
Das sich aus der Quelle schlang,
Wieder Quell – und nur der Mensch,
Der im Kern des Seins erwacht,
Kehrt zur Kluft, um – er allein –
Nicht zu sein mehr, was er war?
Doch da ausgespielt die Rolle,
Meister, der uns überwacht,
So verzeihe, wo ich fehlte –
Sieh', bereuend steh' ich da.
(Er entfernt sich durch die Grabespforte, durch welche auch die andern späterhin abgehen.)
Die Welt. Gut beschloß er seine Rolle,
Da er um Vergebung bat. [...]
Der Weise. Wer kommt jetzt?
Der Bettler. Ich folge nach.
Fluch dem Tag, da ich erwacht,
Um die harte Welt zu sehen, [...]
Herr! Nicht darum so verloren
Siehst du mich in wildem Schmerz,
Weil zur Armut ich erkoren,
Nein, nur das bricht mir das Herz,
Daß in Sünden ich geboren.
Die Welt. Ha, der spiegelte recht täuschend
Der Verzweiflung Wesen ab!
Denn auch Hiob einst verfluchte
Ebenso der Sünde Schmach.
Die Stimme. Streng bemessen ist das Glück,
Streng bemessen ist die Qual;
Von den Qualen, von dem Glücke
Gebt nun beide Rechenschaft!
Der Reiche. Weh mir!
Der Bettler. Welche frohe Kunde!
Der Reiche. Wie, bei dieses Rufes Klang
Bebst du nicht zusammen?
Der Bettler. Ja.
Der Reiche. Und bist nicht auf Flucht bedacht?
Der Bettler. Nein, denn diese Schauer rieseln
Jeglichem durch Bein und Mark,
Fühlt der schwache Mann voll Zagen
Die Gerichte Gottes nahn.
Doch wo alle Flucht vergebens,
Wenn sogar die heil'ge Pfalz,
Nicht den König und die Schönheit,
Nicht die eigne Glorie barg:
Wohin sollt' die Armut fliehen?
Nein, viel tausend-, tausendmal
Dank' ich ihm, daß er nun endet
Mit dem Leben meine Schmach.
Der Reiche. So ganz ohne Herzeleid
Trittst du von der Bühne ab?
Der Bettler. Da ich hier nichts Liebes lasse,
Geh' ich willig diesen Pfad.
Der Reiche. Und ich wie geschleift vom Henker,
Denn mein Herz bleibt bei dem Schatz.
Der Bettler. Welche Freude!
Der Reiche. Welche Trauer!
Der Bettler. Welche Tröstung!
Der Reiche. Welche Qual!
Der Bettler. Welch Vergnügen!
Der Reiche. Welche Schmerzen!
Der Bettler. Welches Glück!
Der Reiche. O harter Fall!
(Beide gehen ab.)
Die Welt. Wie so anders ist des Reichen
Und des Bettlers Todesbahn!
Der Weise. Auch sie scheiden – auf der Bühne
Steh nur ich allein noch da.
Die Welt. Unter allen hält die Kirche
Stets am längsten bei mir Stand.
Der Weise. Nicht die hehre Kirche bin ich;
Sie besteht, ich muß hinab,
Denn nur einer ihrer Diener
War ich hier aus eigner Wahl.
Doch dem Ruf der Todesstimme
Eilt' ich sehnsüchtig voran,
All mein Tun und Sein versenkend
Lebend schon ins stille Grab.
Und so schließ' ich heut das Schauspiel,
Morgen spielt der andre Akt,
Und ihr, bessert euch für morgen,
Die ihr heut uns irren saht!
(Der Vorhang der unteren Erdenbühne fällt.)
Der Meister. Straf' und Lohn verhieß ich jedem,
Wer da schlecht, wer gut bestand;
Kommt nun allzumal herbei,
Lohn und Strafe zu empfahn!
(Die Himmelsbühne schließt sich ebenfalls.)

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