24 Februar 2018

Fontane: Der Stechlin - Blütenlese

Hier Link zur Lesung im MDR vom 10.9.-5.10.2018

"Aber Liebe gibt Ebenbürtigkeit."

"»So, hat's denn eine Verlobung gegeben?« »Nein... noch nicht«, lachte Melusine."

"Die Menschen sind in allen Stücken so verlogen und unehrlich, auch in Geldsachen, fast noch mehr als in Tugend. Und das will was sagen."

[Der Malerprofessor] "der neben seinen andern Apartheiten auch durch langes weißes Haar und große Leuchteaugen ausgezeichnete Professor hatte - gestützt auf einen unentwegten Peter-Cornelius-Enthusiasmus - alles hinzureißen gewußt. »Ich bin glücklich, noch die Tage dieses großen und einzig dastehenden Künstlers gesehen zu haben. Sie kennen seine Kartons, die mir das Bedeutendste scheinen, was wir überhaupt hier haben. Auf dem einen Karton steht im Vordergrund ein Tubabläser und setzt das Horn an den Mund, um zu Gericht zu rufen. Diese eine Gestalt balanciert fünf Kunstausstellungen, will also sagen netto 15000 Bilder. Und eben diese Kartons, samt dem Bläser zum Gericht, die wollen sie jetzt fortschaffen und sagen dabei in naiver Effronterie, solch schwarzes Zeug mit Kohlenstrichen dürfe überhaupt nicht so viel Raum einnehmen. Ich aber sage Ihnen, meine Herrschaften, ein Kohlenstrich von Cornelius ist mehr wert als alle modernen Paletten zusammengenommen, und die Tuba, die dieser Tubabläser da an den Mund setzt - verzeihen Sie mir altem Jüngling diesen Kalauer -, diese Tuba wiegt alle Tuben auf, aus denen sie jetzt ihre Farben herausdrücken. Beiläufig auch eine miserable Neuerung. Zu meiner Zeit gab es noch Beutel, und diese Beutel aus Schweinsblase waren viel besser. Ein wahres Glück, daß König Friedrich Wilhelm IV. diese jetzt etablierte Niedergangsepoche nicht mehr erlebt hat, diese Zeit des Abfalls, so recht eigentlich eine Zeit der apokalyptischen Reiter. Bloß zu den dreien, die der große Meister uns da geschaffen hat, ist heutzutage noch ein vierter Reiter gekommen, ein Mischling von Neid und Ungeschmack. Und dieser vierte sichelt am stärksten.« Alles nickte, selbst die, die nicht ganz so dachten, denn der Alte mit seinem Apostelkopfe hatte ganz wie ein Prophet gesprochen. Nur Melusine blieb in einer stillen Opposition und flüsterte der Baronin zu: »Tubabläser. Mir persönlich ist die Böcklinsche Meerfrau mit dem Fischleib lieber. Ich bin freilich Partei.«"


" »Ich möchte wohl noch einen Spaziergang machen«, sagte Czako. »Was meinen Sie, Rex? Sind Sie mit dabei? Wir gehen hier am Ufer entlang, an den Zelten vorüber bis Bellevue, und da steigen wir in die Stadtbahn und fahren zurück, Sie bis an die Friedrichstraße, ich bis an den Alexanderplatz. Da ist jeder von uns in drei Minuten zu Haus.« Rex war einverstanden. »Ein wahres Glück«, sagte er, »daß wir uns endlich mal getroffen haben. Seit fast drei Wochen kennen wir nun das Haus und haben noch keine Aussprache darüber gehabt. Und das ist doch immer die Hauptsache. Für Sie gewiß.« »Ja, Rex, das ›für Sie gewiß‹, das sagen Sie so spöttisch und überheblich, weil Sie glauben, Klatschen sei was Inferiores und für mich gerade gut genug. Aber da machen Sie meiner Meinung nach einen doppelten Fehler. Denn erstlich ist Klatschen überhaupt nicht inferior, und zweitens klatschen Sie gerade so gern wie ich und vielleicht noch ein bißchen lieber. Sie bleiben nur immer etwas steifer dabei, lehnen meine Frivolitäten zunächst ab, warten aber eigentlich darauf. Im übrigen denk' ich, wir lassen all das auf sich beruhn und sprechen lieber von der Hauptsache. Ich finde, wir können unserm Freunde Stechlin nicht dankbar genug dafür sein, uns mit einem so liebenswürdigen Hause bekannt gemacht zu haben. Den Wrschowitz und den alten Malerprofessor, der von dem Engel des Gerichts nicht loskonnte, - nun die beiden schenk' ich Ihnen (ich denke mir, der Maler wird wohl nach Ihrem Geschmacke sein), aber die andern, die man da trifft, wie reizend alle, wie natürlich. Obenan dieser Frommel, dieser Hofprediger, der mir am Teetisch fast noch besser gefällt als auf der Kanzel. Und dann diese bayrische Baronin. Es ist doch merkwürdig, daß die Süddeutschen uns im Gesellschaftlichen immer um einen guten Schritt vorauf sind, nicht von Bildungs, aber von glücklicher Natur wegen. Und diese glückliche Natur, das ist doch die wahre Bildung.« »Ach, Czako, Sie überschätzen das. Es ist ja richtig, wenn Sie da so die Würstel aus dem großen Kessel herausholen und irgendeine Loni oder Toni mit dem Maßkrug kommt, so sieht das nach was aus, und wir kommen uns wie verhungerte Schulmeister daneben vor. Aber eigentlich ist das, was wir haben, doch das Höhere.« »Gott bewahre. Alles, was mit Grammatik und Examen zusammenhängt, ist nie das Höhere. Waren die Patriarchen examiniert, oder Moses oder Christus? Die Pharisäer waren examiniert. Und da sehen Sie, was dabei herauskommt. Aber, um mehr in der Nähe zu bleiben, nehmen Sie den alten Grafen. Er war freilich Botschaftsrat, und das klingt ein bißchen nach was; aber eigentlich ist er doch auch bloß ein unexaminierter Naturmensch, und das gerade gibt ihm seinen Charme. Beiläufig, finden Sie nicht auch, daß er dem alten Stechlin ähnlich sieht?« »Ja, äußerlich.« »Auch innerlich. Natürlich 'ne andre Nummer, aber doch derselbe Zwirn - Pardon für den etwas abgehaspelten Berolinismus. Und wenn Sie vielleicht an Politik gedacht haben, auch da ist wenig Unterschied [...]"

"Hieß es doch damals in dem ganzen Kreise, drin ich lebte: ›Ja, wenn wir England nicht mehr lieben sollen, was sollen wir dann überhaupt noch lieben?‹"

"Es ist umgekehrt ein sehr gutes Telegramm, weil ein richtiges Telegramm; Richmond, Windsor, Nelsonsäule. Soll er etwa telegraphieren, daß er sich sehnt, uns wiederzusehn? Und das wird er nicht einmal können, so riesig verwöhnt er jetzt ist. Ihr werdet euch alle sehr zusammennehmen müssen. Auch du, Melusine.« »Natürlich, ich am meisten.«"

"Immer dieselbe Geschichte, wie mit Protz und Proletarier. Die Proletarier - wie sie noch echt waren, jetzt mag es wohl anders damit sein - waren auch bloß immer dazu da, die Kastanien aus dem Feuer zu holen; aber ging es dann schief, dann wanderte Bruder Habenichts nach Spandau, und Bruder Protz legte sich zu Bett."

"Melusine. Die war genau das, was der Alte brauchte, wobei ihm das Herz aufging."
[Hier gleicht Dublavs Verhältnis zu Melusine ganz dem Fontanes zu seiner Tochter Mete.]

"Auch Adelheid mühte sich, Entgegenkommen zu zeigen, aber sie war wie gelähmt. Das Leichte, das Heitre, das Sprunghafte, das die junge Gräfin in jedem Wort zeigte, das alles war ihr eine fremde Welt, und daß ihr eine innere Stimme dabei beständig zuraunte: »Ja, dies Leichte, das du nicht hast, das ist das Leben, und das Schwere, das du hast, das ist eben das Gegenteil davon«, - das verdroß sie. Denn trotzdem sie beständig Demut predigte, hatte sie doch nicht gelernt, sich in Demut zu überwinden. So war denn alles, was über ihre Lippen kam, mehr oder weniger verzerrt, ein Versuch zu Freundlichkeiten, die schließlich in Herbigkeiten ausliefen."

"Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das viel zitierte Wort von dem ›in einem Tag mehr gewinnen als in des Jahres Einerlei‹ hineinpaßt, so da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, eingewurzelt, stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgendein andres Land ist es ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte." [Koseleger über England]


Melusine spricht: "[...] Nichts beneidenswerter als eine Seele, die schwärmen kann. Schwärmen ist fliegen, eine himmlische Bewegung nach oben.« Lorenzen stutzte. Das war doch mehr als bloß eine liebenswürdige Dame aus der Gesellschaft."

"Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben."

"[...] wohin wir sehen, stehen wir im Zeichen einer demokratischen Weltanschauung. Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber wenn auch nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man."

Dubslav Stechlin spricht: "Ich nehme nicht vieles ernsthaft, und am wenigsten ernsthaft nehm' ich mein Museum. Es ist freilich von mir ausgegangen und interessierte mich auch eine Weile; hinterher aber hat sich eigentlich alles ohne mich gemacht. Das ist so die Regel. Ist überhaupt erst ein Anfang da, so laufen die Dinge von selber weiter, und die Leute lassen einen nicht wieder los, halten einen fest, man mag wollen oder nicht."

"Ich bin sonst nicht für Sammler. Aber wer Wetterfahnen sammelt, das will doch was sagen, das ist nicht bloß eine gute Seele, sondern auch eine kluge Seele, denn es is da so was drin, wie ein Fingerknips gegen die Gesellschaft. Und wer den machen kann, das ist mein Mann, mit dem kann ich leben."

Melusine spricht: »Ich verheiratete mich, wie Sie wissen, in Florenz und fuhr an demselben Abende noch bis Venedig. Venedig ist in einem Punkte ganz wie Dresden: nämlich erste Station bei Vermählungen. Auch Ghiberti - ich sage immer noch lieber ›Ghiberti‹ als ›mein Mann‹; ›mein Mann‹ ist überhaupt ein furchtbares Wort - auch Ghiberti also hatte sich für Venedig entschieden. Und so hatten wir denn den großen Apennintunnel zu passieren.« »Weiß, weiß. Endlos.« »Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da wer mit uns gewesen, ein Sachse, ja selbst ein Rumäne. Wir waren aber allein. Und als ich aus dem Tunnel heraus war, wußt' ich, welchem Elend ich entgegenlebte.« »Liebste Melusine, wie beklag' ich Sie; wirklich, teuerste Freundin, und ganz aufrichtig. Aber so gleich ein Tunnel. Es ist doch auch wie ein Schicksal.«

"Das Beste vom Parthenon sieht man in London und das Beste von Pergamum in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich (am Kupfergraben) im Laufe des Vormittags in Mykenä und nachmittags in Olympia ergehn."

"All die Süddeutschen sind überhaupt viel netter als wir, und die nettesten, weil die natürlichsten, sind die Bayern."

Dubslav Stechlin spricht: "Da hatten wir, als ich noch Militär war, einen Kompaniechirurgus, richtige alte Schule, der sagte, wenn er von so was hörte: ›ja, christliche Ehe, ganz gut, kenn' ich. Is wie Schinken in Burgunder. Das eine is immer da, aber das andere fehlt.‹"

"Von Rom zu schwärmen ist geschmacklos und überflüssig dazu, weil man an die Schwärmerei seiner Vorgänger doch nie heranreicht."

"Dubslav aber hörte zu und wußte nicht, wem von beiden er ein größeres Interesse zuwenden sollte. Zuletzt aber war es doch wohl Elfriede, weil sie den wehmütigen Zauber all derer hatte, die früh abberufen werden. Ihr zarter, beinahe körperloser Leib schien zu sagen: »Ich sterbe.« Aber ihre Seele wußte nichts davon; die leuchtete und sagte: »Ich lebe.« "                  
Dubslav spricht: "Aber zuletzt begibt man sich und hat die Doktors am liebsten, die einem ehrlich sagen: ›Hören Sie, wir wissen es auch nicht, wir müssen es abwarten.‹ Der gute Sponholz, der nun wohl schon an der Brücke mit dem Ichthyosaurus vorbei ist, war beinah so einer, und Lorenzen is nu schon ganz gewiß so. Seit beinah zwanzig Jahren kenn' ich ihn, und noch hat er mich nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man das von einem sagen kann, das ist eigentlich die Hauptsache. Das andre... ja, du lieber Himmel, wo soll es am Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun schon lange keiner mehr gestanden [...]"

"Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende gehe. »Das ›Ich‹ ist nichts - damit muß man sich durchdringen. Ein ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er ›Tod‹ heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn.« Er hing dem noch so nach und freute sich, alle Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angst, und er seufzte: »Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist lang.«"  (Fontane: Der Stechlin)

07 Februar 2018

Fontane und Namen

In Frau Jenny Treibel sind es  sind es - sehr direkt und kontrastreich - die reichlich vollschlanke Ziegenhals und die hagere Bomst.

Im Stechlin Melusine und Armgard, Niels Wroschowitz, Dubslav von Stechlin uw.

Und natürlich die Anmerkungen, die Personen des Romans über diese Namen machen:

"Woldemar [...] verkehrte seit Ausgang des Winters im Barbyschen Hause, das er sehr bald vor andern Häusern seiner Bekanntschaft bevorzugte. [...] Er fand Ähnlichkeiten, selbst in der äußern Erscheinung, zwischen dem Grafen und seinem Papa, und in seinem Tagebuche, das er, trotz sonstiger Modernität, in altmodischer Weise von jung an führte, hatte er sich gleich am ersten Abend über eine gewisse Verwandtschaft zwischen den beiden geäußert. Es hieß da unterm 18. April: »Ich kann Wedel nicht dankbar genug sein, mich bei den Barbys eingeführt zu haben; alles, was er von dem Hause gesagt, fand ich bestätigt. Diese Gräfin, wie scharmant, und die Schwester ebenso, trotzdem größere Gegensätze kaum denkbar sind. An der einen alles Temperament und Anmut, an der andern alles Charakter oder, wenn das zuviel gesagt sein sollte, Schlichtheit, Festigkeit. Es bleibt mit den Namen doch eine eigne Sache; die Gräfin ist ganz Melusine und die Comtesse ganz Armgard. Ich habe bis jetzt freilich nur eine dieses Namens kennengelernt, noch dazu bloß als Bühnenfigur [Wilhelm Tell], und ich mußte beständig an diese denken, wie sie da (ich glaube, es war Fräulein Stolberg, die ja auch das Maß hat) dem Landvogt so mutig in den Zügel fällt. Ganz so wirkt Comtesse Armgard! Ich möchte beinah sagen, es läßt sich an ihr wahrnehmen, daß ihre Mutter eine richtige Schweizerin war. Und dazu der alte Graf! Wie ein Zwillingsbruder von Papa; derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen, [...] Und der alte Diener, den sie Jeserich nennen, der ist nun schon ganz und gar unser Engelke vom Kopf bis zur Zeh. [...]" (Fontane: Der Stechlin 12. Kapitel, Hervorhebungen von Fontanefan)

Was über die Namen gesagt wird, soll selbstverständlich der Charakterisierung  der Personen dienen und den Leser darauf aufmerksam machen, wie bewusst die Namen ausgewählt sind. Bei den Dienern soll die von Woldemar den beiden zugeschriebene frappierende Ähnlichkeit ausdrücken, dass ihr Verhältnis zu ihrem Herrn sich ganz entspricht, so dass ihre äußerliche Gleichheit für die charakterlichen Gemeinsamkeiten von Dubslav und Graf Barby steht.


Man soll einem Menschen nicht seinen Namen vorhalten. Aber Koseleger! Ich weiß immer nicht, ob er mehr Kose oder mehr Leger ist; vielleicht beides gleich. Er ist wie 'ne Balsertorte, süß, aber ungesund. Nein, Lorenzen, da bin ich doch mehr für Sie. Sie taugen auch nicht viel, aber Sie sind doch wenigstens ehrlich.« (Fontane: Der Stechlin)

Freiherr von der Nonne, den die Natur mit besonderer Rücksicht auf seinen Namen geformt zu haben schien. Er trug eine hohe schwarze Krawatte, drauf ein kleiner vermickerter Kopf saß, und wenn er sprach, war es, wie wenn Mäuse pfeifen. Er war die komische Figur des Kreises und wurde gehänselt, nahm es aber nicht übel, weil seine Mutter eine schlesische Gräfin auf »inski« war, was ihm in seinen Augen ein solches Übergewicht sicherte, daß er, wie Friedrich der Große, jeden Augenblick bereit war, »die sich etwa einstellenden Pasquille niedriger hängen zu lassen«. (Fontane: Der Stechlin)

"Nur Melusine blieb in einer stillen Opposition und flüsterte der Baronin zu: »Tubabläser. Mir persönlich ist die Böcklinsche Meerfrau mit dem Fischleib lieber. Ich bin freilich Partei.« "(Fontane: Der Stechlin)

Die Wahl der Namen in Irrungen, Wirrungen (Wikipedia)

Namen in L'Adultera (Weites Feld)